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Das Datum und der Veranstaltungsort stehen lange im Voraus fest: 13. Mai, 18 Uhr, im Gebrüder-Montgolfier Gymnasium. Auch die Themen, über die die Schülerinnen und Schüler mit Lokalpolitikern an diesem Tag kurz vor der U18-Europawahl reden wollen, sind klar: Umwelt- und Klimaschutz, Jugend und Urheberrecht. So steht es in einem Einladungsschreiben, das die Schulleitung bereits am 19. März an alle im Abgeordnetenhaus vertretenen Parteien verschickte. Alle Parteien antworteten und kündigten an, wer sie in der Debatte mit den Gymnasiasten vertreten wird.
Alle bis auf die AfD. Die reagierte erst 52 Tage später, am vergangenen Freitag, um 14.36 Uhr. Da schickt die AfD-Fraktion im Abgeordnetenhaus eine Email an das Schulsekretariat, das allerdings schon nicht mehr besetzt ist. In der Email schreibt ein Fraktionsmitarbeiter, "verzeihen Sie bitte die Kurzfristigkeit", man wolle gerne den wissenschaftspolitischen Sprecher Martin Trefzer zur Veranstaltung schicken. Am Montag darauf antwortet die Schule: "Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass Ihre Anfrage zu kurzfristig ist und Sie bei dieser Podiumsdiskussion leider nicht teilnehmen können." Damit war die Sache eigentlich beendet.
Trefzer kommt, mit Kamera und Mikrofon
Bis wenige Minuten vor Beginn der Podiumsdiskussion am Montagabend plötzlich AfD-Mann Trefzer in der Schule steht, im Schlepptau einen Kameramann, mit dem er per Funkmikrofon verbunden ist. Was sich dann abspielt, ist nun in einem stark geschnittenen Video auf dem YouTube-Kanal der Berliner AfD zu sehen: Ein Lehrer bittet Trefzer, das Podium zu verlassen, Trefzer diskutiert und verlangt, man möge die Schüler fragen, ob sie nicht doch mit ihm reden wollen.
Am Ende wird Trefzer hinausbegleitet und zudem aufgefordert, das Filmen in der Schule zu unterlassen. Die Partei spricht von einem "undemokratischen Vorfall", wirft der Schule in einer Email an Pressevertreter "Gestapo-Praktiken" vor. Trefzer sei die Teilnahme verwehrt worden, obwohl er sich angemeldet habe.
Trefzer selbst kündigt im Gespräch mit rbb|24 an, eine Dienstaufsichtsbeschwerde gegen die beteiligten Pädagogen einleiten zu wollen. Die Einladung per Brief habe seine Fraktion nie erreicht, weder per Post noch per Email. "Aus meiner Sicht ist keine Einladung erfolgt." Überhaupt habe er erst von einem Bekannten von der Veranstaltung erfahren. Briefe könnten zwar verlorengehen, so Trefzer. Aber eine Einladung per Email habe er "mit 100%-iger Sicherheit nicht bekommen".
Die Schule sei nun in der Pflicht, nachzuweisen, dass man der AfD diese Einladung tatsächlich geschickt habe. Den Einladungsbrief, der rbb|24 vorliegt, zweifelt Trefzer an. Der sei eventuell "aufgesetzt", so Trefzer, "das stinkt zum Himmel". Sollte die Schule nicht nachweisen, dass die AfD eingeladen wurde, erwarte er "eine Entschuldigung" und die Möglichkeit, direkt mit den Schülern sprechen zu können.
Die Schule selbst habe er bereits am Tag nach der Podiumsdiskussion kontaktiert, sagt Trefzer dem rbb. Und zwar mit der Aufforderung, ihm nachzuweisen, dass seine Partei eine Einladung erhalten habe. Dem sei die Schule nicht nachgekommen. Er habe daraufhin mit der Veröffentlichung des Videos gedroht, bestätigt der AfD-Politiker. Sein Vorwurf: Mangelhaftes Demokratieverständnis seitens der Lehrer. "Warum hat man die Schüler nicht selbst entscheiden lassen?"
Vorwurf der Inszenierung
Die Senatsverwaltung für Bildung wirft Trefzer indes vor, "dass er in erster Linie einen Skandal inszenieren wollte". Die Einladung sei per Post an die Fraktion der AfD in der Bezirksverordnetenversammlung gegangen, was "durchaus üblich sei", so eine Sprecherin. "Seltsam, die anderen Parteien hatten sie und haben sich auch rechtzeitig angemeldet."
Tatsächlich nahmen von anderen Parteien auch Bezirkspolitiker und keine Politiker aus dem Abgeordnetenhaus an der Veranstaltung teil. Trefzer habe sich schlicht zu spät angemeldet, die Schüler hätten aus Sicht der Schulleitung keine Zeit gehabt, sich auf ihn vorzubereiten. Ihm sei angeboten worden, im Publikum Platz zu nehmen - was im Video der AfD auch dokumentiert wird, Trefzer aber wollte aufs Podium.
"Er kam fünf Minuten vor Beginn der Diskussion auf die Bühne und verlangte, trotz Absage teilzunehmen", so eine Sprecherin der Senatsverwaltung für Bildung. "Dabei ließ er sich von einem Kameramann filmen. Trotz mehrfacher Aufforderung, die Filmaufnahmen zu beenden, drehte der Kameramann weiter."
Geplanter Spontan-Auftritt?
In der Schule hat es nach Informationen des rbb inzwischen eine Sitzung des Krisenteams gegeben, zudem wurden die Eltern informiert. Eine Mitteilung an die Schüler soll möglicherweise nächste Woche ergehen. Im Video des AfD-Abgeordneten wurden die gezeigten Lehrer und Schüler zwar unkenntlich gemacht. Eine Drehgenehmigung habe Trefzer jedoch ohnehin nicht gehabt, so die Senatsverwaltung für Bildung, die Schulleitung habe daher von ihrem Hausrecht Gebrauch gemacht.
Trefzer bestreitet das nicht, stellt die Hintergründe aber auf Nachfrage von rbb|24 anders dar. Einerseits erklärt er, es sei "Zufall gewesen", dass der Mitarbeiter der AfD-Pressestelle Zeit hatte, ihn als Kameramann zu begleiten, die Aufnahmen dienten zudem als "Gedächtnisstütze". Andererseits habe er gewusst, dass seine Anmeldung abgelehnt wurde und er womöglich abgewiesen werden würde, so Trefzer. Die Kamera habe er auch aus Sicherheitsgründen dabei gehabt, weil er in der Vergangenheit "körperlich bedrängt" worden sei.
Trefzers Fraktionskollege Harald Laatsch wiederum sieht in dem Vorfall einen Beweis für die Notwendigkeit des Onlineportals der AfD "zur Aufklärung von Demokratie feindlichem Verhalten an Schulen". Auf der Seite können Nutzer vermeintliche Verstöße von Lehrerinnen und Lehrern gegen das Neutralitätsgesetz melden - vor allem wenn es dabei um die AfD geht. Kritiker sehen darin vor allem den Versuch, Pädagogen einzuschüchtern. Ein ähnliches Portal wurde von der AfD auch in Brandenburg aufgebaut.
"Bessere Werbung könnt ihr gar nicht bekommen"
Auf Twitter erntet die AfD für ihr Video zunächst vor allem negative Reaktionen, die meisten Nutzer kritisieren das Vorgehen des Abgeordneten und loben die Schulleitung für ihr Eingreifen. Auf Facebook und Youtube hingegen fallen die Reaktionen fast ausschließlich positiv aus. So wird den Lehrern des Gymnasiums auf Facebook unter anderem vorgeworfen, sich wie in einer Diktatur zu verhalten oder Parteianhänger von SPD, Grünen und Linken zu sein. Sie hätten ihr Neutralitätsgebot verletzt, heißt es weiter. Ein Nutzer mutmaßt, an der Schule seien fast nur noch Migranten, "da will keiner was von unserer AFD wissen". Tatsächlich liegt der Anteil der Schülerinnen und Schüler nichtdeutscher Herkunftssprache aktuell bei 9 Prozent.
Die Partei selbst ruft ihre Follower auf, das Video zu teilen und führt dazu eine Umfrage durch: "Kann Schülern so Demokratie vermittelt werden?", wird gefragt. Die zwei Antwortmöglichkeiten lauten: "Unfair, aber OK" und "Gleiches Recht für ALLE!".
Manch einer lobt allerdings auch direkt den öffentlichkeitswirksamen Effekt der Botschaft. "Bessere Werbung könnt ihr gar nicht bekommen", schreibt eine Nutzerin. "Weiter so."
Die Senatsverwaltung für Bildung sieht das anders. "Wer ein echtes Interesse an einem politischen Meinungsaustausch mit Schülern und Schülerinnen hat," sagt eine Sprecherin, "geht nicht so vor wie Herr Trefzer.".