(Nichts wirklich) Neues vom "Friedenspianisten" - Der "Tagesspiegel" fasst den Sachstand im Vorfeld der nächsten Verhandlungstermine aber noch einmal zusammen:
Spoiler
„Schöffe von einem Irren angegriffen“: Wie der „Friedenspianist“ der Querdenker Berlins Justiz zum Narren hielt
Der Verschwörungsideologe Arne Schmitt griff einen Schöffen an, sitzt in Untersuchungshaft. Die Justiz ließ sich lange von ihm vorführen. Nun könnte der Fall Geschichte schreiben.
Von Alexander Fröhlich
Stand: heute, 20:00 Uhr
Arne Schmitt wird am Mittwochmorgen aus der Untersuchungshaft in Saal B129 des Kriminalgerichts Moabit geführt. Um 9.30 Uhr will die 63. Kammer des Landgerichts den 13. Verhandlungstag eröffnen. Und der selbsternannte „Friedenspianist“ aus der Querdenken-Szene könnte Justizgeschichte schreiben.
Weil Schmitt im August nach einer Verhandlung vor dem Gericht einen Schöffen angegriffen hat. Weil er Anfang September im Gerichtssaal – seltener Vorgang – verhaftet wurde. Weil in der Justiz die Frage umgeht, ob sie sich von einem Mann vorführen ließ, der vielleicht in die Psychiatrie gehören könnte. Am Ende, weil in der Politik der Druck wächst, den Schutz von Richtern und Schöffen zu verbessern.
Schmitt, 53 Jahre alt, ein Verschwörungsideologe, fällt laut Justizsenatorin Felor Badenberg (CDU) seit einigen Jahren im Reichsbürgernahen Milieu auf. Die Behörden rechnen ihn der Szene der „Delegitimierer des Staates“ zu. Mehrfach stand er in Berlin vor Gericht, etwa wegen Angriffs auf Polizisten bei Demos gegen die Corona-Maßnahmen.
Schmitt ist aggressiv und verteidigt sich mit Fantasie-Jura
Um die Corona-Zeit geht es auch am Landgericht. Landfriedensbruch mithilfe eines Pianos lautet die Anklage. Schmitt war in der Pandemie ein bekanntes Gesicht der Szene der Maßnahmengegner und bei zahlreichen Demos der „Querdenken“-Bewegung dabei – samt Piano auf Rädern.
So auch am 21. April 2021 auf der Straße des 17. Juni. Die Stimmung ist aufgeheizt. Schmitt stellt sich aufs Klavier, stachelt die Menge auf, die Polizeikette zur Siegessäule zu durchbrechen. Auch das Klavier mit Elektroantrieb wird in die Polizeikette gesteuert, die Beamten stoppen es. Es kommt zu Gerangel und Angriffen auf Beamte.
Im November 2022 erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage. Schmitt überzieht Gerichte und Staatsanwaltschaft mit Beschwerden, eine hat Erfolg: Anfang Januar 2023 entscheidet das Landgericht, die Polizei muss das beschlagnahmte Klavier herausgeben. Denn das Verfahren habe sich knapp ein Jahr verzögert, weil Akten verschwunden waren. Die Tat sei auch nur geringfügig.
Haftrichterin wirft Schmitt Sabotage des Prozesses vor
Im April 2023 verurteilt das Amtsgericht Schmitt zu einer Geldstrafe von 70 Tagessätzen zu je 15 Euro. Schmitt habe das Klavier nicht als gefährliches Werkzeug benutzt und es nicht selbst per Joystick in die Polizeikette gesteuert. Schmitt legt Berufung ein.
Seit 2. April verhandelt das Landgericht darüber, zwölf Prozesstage schon. Schmitt verteidigt sich, klassisch Querulant, selbst – und torpediert das Gericht mit Anträgen. Wegen angeblicher Befangenheit, oft mit Fantasie-Jura. Weil er Richter und Staatsanwalt aggressiv angeht, kassiert er ein Ordnungsgeld. Der Richterin, die später gegen ihn wegen des Angriffs auf den Schöffen den Haftbefehl erlässt, wirft ihm vor, den Prozess zu sabotieren und den Staat zu delegitimieren.
Immer wieder fordert Schmitt im Prozess die Namen der Schöffen. Am 20. August kündigt er im Saal an, er wolle sie wegen Rechtsbeugung anzeigen und zur Not festhalten. Deshalb begleiten Justizbeamte die Schöffen heraus. Die Beamten wehren auf dem Gehweg Schmitts Angriff auf einen Schöffen ab. Das sei ein ernster Vorfall, sagt Justizsenatorin Badenberg. „Wer unsere Schöffen angreift, greift damit das Fundament unseres Rechtsstaats an.“
Könnte Schmitt in die Psychiatrie kommen?
Nun sitzt Schmitt in U-Haft – wegen Fluchtgefahr, er hat keinen festen Wohnsitz. Und auch wegen Verdunklungsgefahr, weil er den Schöffen mit Gewalt beeinflussen wollte. Die Vorwürfe: tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte bzw. gleichgestellte Personen, Falschaussagen über den Schöffen und Notrufmissbrauch.
Die Justiz hat auch die Nase voll davon, an dieser von Schmitt herumgeführt zu werden. Für den Piano-Prozess wurden die Schutzmaßnahmen verschärft, verhandelt wird in einem Sicherheitssaal. Dem Vernehmen soll wegen des Angriffs zügig Anklage erhoben werden.
Erwogen wird auch, Schmitt begutachten zu lassen, ob er schuldfähig ist und ob die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus beantragt werden sollte. Möglich wäre das, wenn die Tat den Rechtsfrieden erheblich und das Vertrauen in die Rechtssicherheit stört. Justizsenatorin Badenberg sagt, der Schöffe sei „von einem Irren angegriffen“ worden.
Für den Piano-Prozess spielt das keine Rolle mehr. Der Staatsanwaltschaft sind die Hände gebunden. Sie kann Schmitts Begutachtung in diesem Fall nicht beantragen, weil nur Schmitt in Berufung ging, sie selbst aber nicht.
Aber die 63. Kammer hat genug von der Prozesssabotage. Schmitt beantragte zwar eine Pflichtverteidigerin, die häufig Beschuldigte aus dem Milieu der Corona-Maßnahmengegner vertritt. Vorsorglich wurde ein Sicherungspflichtverteidiger bestellt, um, wie der Titel besagt, das Verfahren zu sichern. Der Berliner Anwalt Mirko Röder sagt: „Mir ist schleierhaft, dass der Fall nicht schon beim Amtsgericht eingestellt wurde.“