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Aderlass, Machtkämpfe, Rechtsruck: In Mecklenburg-Vorpommern sind vier Landtagsabgeordnete erst aus der Fraktion, dann auch noch aus der Partei ausgetreten. Den Rest der AfD schert das wenig.
Nikolaus Kramer braucht nun eine Zweitwohnung in der Landeshauptstadt Schwerin. Am Dienstag wurde der gebürtige Greifswalder von einem Dutzend Männer – „überwältigend“, wie er sagt – zum neuen Vorsitzenden der AfD-Fraktion gewählt.
Die schrumpfte, kaum dass die Bundestagswahl vorbei war. Seit dem 25. September sind von ihren 2016 gewählten 18 Landtagsabgeordneten nur noch 13 übrig. Am Tag nach der Bundestagswahl traten vier aus der AfD aus – und einer musste schon vorher gehen.
Nämlich der vorherige stellvertretende Fraktionschef Holger Arppe. Der musste Anfang September seinen Fraktionsposten räumen, nachdem interne Chats ans Licht gekommen waren, in denen Arppe pädophile und gewaltaffine Fantasien durchgespielt hatte. An seinem Landtagsmandat hielt er jedoch fest.
AfD muss sich an der Ostsee neu sortieren
Auch seinen angekündigten Parteiaustritt zog Arppe wieder zurück. Seit knapp zwei Wochen läuft deshalb ein Parteiausschlussverfahren gegen Arppe. Im Eilverfahren, wie es heißt. Mit ihm im Chat waren noch zwei weitere Schweriner AfD-Abgeordnete unterwegs.
Kurz und gut, die AfD in Mecklenburg-Vorpommern muss sich neu sortieren. Zumal ihr vormaliger Fraktionschef Leif-Erik Holm nun in den Bundestag zieht, ebenso wie sein Stellvertreter Enrico Komning. Die AfD in Schwerin galt schon länger als gespalten, in liberal-konservativ und völkisch-national – wie in anderen Landesparlamenten auch.
In Schwerin trat die Spaltung offen zutage. Einen Tag nach der Bundestagswahl schlossen sich vier AfD-Abgeordnete zu einer neuen Fraktion zusammen – die „Bürger für Mecklenburg-Vorpommern“ (BMV).
Nach dem Schwund in der Fraktion ist nun am Donnerstag Ralf Borschke, Mitglied seit 2013, als letzter der vier BMV-Abgeordneten auch aus der AfD ausgetreten. Bereits seit geraumer Zeit habe der Politiker „eine Wende in der Ausrichtung der Partei zur Kenntnis“ genommen.
In einer persönlichen Stellungnahme spricht er von einer „aggressiven Totalopposition“und einem „einsetzenden Rechtsruck“. Für Chaos und Intrigen sei er nicht als Politiker angetreten.
Ausschlaggebend für seinen Austritt sei die Wahl von Thomas de Jesus Fernandes zum Kandidaten der AfD für das Schriftführeramt des Landtages gewesen. Der war nämlich im Arppe-Chat dabei gewesen. „Damit stellte sich die Fraktion hinter jemanden, der im gleichen Chat wie Holger Arppe aktiv war und diesen mitgetragen hatte“, sagte Borschke. „Sich von Arppe zu distanzieren und einen anderen zu fördern ist unehrlich und nicht konsequent.“
Vor ihm waren schon Bernhard Wildt und Christel Weißig gegangen – der Vizelandesvorsitzende und die einzige Frau der Fraktion. Der aufsehenerregendste Abgang war jedoch der des Richters Matthias Manthei. Er hatte der AfD vor wenigen Tagen vorgeworfen, ein Sammelbecken für Rechtsradikale zu werden.
Er nahm kein Blatt vor den Mund und rechnete öffentlich mit seinen Ex-Kollegen ab: „In der Partei haben sich zahlreiche frustrierte Menschen versammelt, die voller Hass gegen Andersdenkende sind, innerhalb und außerhalb der Partei.“ Mit seinem Weggang wurde auch der wichtige Stuhl des Parlamentarischen Geschäftsführers vakant.
Eingenommen hat ihn der Greifswalder Juraprofessor Ralph Weber. Er wird dem stramm nationalistischen Parteiflügel zugerechnet. Mit seiner Forderung nach einem Ende des „Schuldkults“ zog er im April viel Kritik auf sich. Ausgerechnet Weber ist nun der, der in seiner Funktion als Präsident des Landesschiedsgerichts der AfD zusammen mit zwei weiteren Juristen über das Parteiausschlussverfahren von Holger Arppe entscheidet.
„Vertrauensverhältnis ist absolut zerstört“
Vorstellbar ist, dass Arppe der Parteiausschluss erspart bliebe, wenn das Schiedsgericht sein Verhalten als bloß private Verfehlung werten, ihm aber keine parteirechtliche Schuld bescheinigen würde.
Nikolaus Kramer, vor seinem Einzug in den Landtag Polizeioberkommissar in Greifswald, pflegte vor Bekanntwerden der Vorwürfe gegen Arppe ein enges, ja freundschaftliches Verhältnis zu dem nun fraktionslosen Abgeordneten Arppe. Doch für den Familienvater Kramer wurde mit dem Bekanntwerden der Chats eine rote Linie überschritten. „Das Vertrauensverhältnis ist absolut zerstört. Eine weitere Zusammenarbeit ist für mich völlig ausgeschlossen.“
Der neue Fraktionschef Kramer soll nun alle Strömungen seiner Fraktion versöhnen. Die seien, sagt er, ohnehin zu 90 Prozent deckungsgleich. Nur in der Alarmrhetorik, wie Kramer es nennt, unterschieden sie sich. Nichtsdestotrotz gingen alle Fraktionsmitglieder ihren parlamentarischen Aufgaben nach und betrieben Sachpolitik.
Parteitag entscheidet über weitere Zukunft
„Natürlich haben wir in der Fraktion auch den, wie die Medien es gerne nennen, völkisch-nationalistischen Flügel.“ Doch die gegenwärtigen Angriffe seien völlig aus der Luft gegriffen: „Alle unsere Fraktionsmitglieder fühlen sich den Werten des Grundgesetzes und der freiheitlich demokratischen Grundordnung verpflichtet.“
Für Kramer ist seine Fraktion in bester Verfassung, es herrsche nach den Abgängen Aufbruchstimmung unter den Abgeordneten und ihren Mitarbeitern. „Wir werden mit allen Fraktionen des Landtages zusammenarbeiten und ihren Anträgen im Plenum zustimmen, wenn sie mit unseren parteipolitischen Grundsätzen übereinstimmen.“ Man schaue auf die Inhalte der Anträge und nicht auf die Absender. Das gelte auch für die abgespaltene BMV.
Innerfraktionell scheint also alles im Lot. Wie es innerparteilich weitergeht, wird sich im November beim Landesparteitag entscheiden. Ein neuer Landesvorstand muss gewählt werden. Dafür steht Kramer nach eigenem Bekunden nicht zur Verfügung.