Interessantes Interview, Wieland ist immerhin Jura-Professor und Mitglied des Verfassungsgerichtshofs in NRW.:
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Ist die AfD ein Fall für den Verfassungsschutz? Seit den diffamierenden Äußerungen des Ultrarechten André Poggenburg über die Türkische Gemeinde in Deutschland wird darüber kontrovers diskutiert. Der Staatsrechtler Joachim Wieland spricht sich klar für Observierung aus.
Herr Wieland – zwei Zitate: „Diese Kümmelhändler haben selbst einen Völkermord an 1,5 Millionen Armeniern am Arsch, für den sie bis heute keine Verantwortung übernehmen.“ Neuer Satz: „Diese Kameltreiber sollen sich dorthin scheren, wo sie hingehören: weit, weit, weit hinter den Bosporus zu ihren Lehmhütten und Vielweibern.“ Gesagt hat das der AfD-Chef von Sachsen-Anhalt, André Poggenburg. Steht er noch auf dem Boden des Grundgesetzes?
Nein, denn das Grundgesetz ist auf Völkerverständigung ausgerichtet. Wer sich mit derart abfälligen und herabsetzenden Äußerungen über Angehörige eines anderen Volkes äußert, steht nicht mehr auf dem Boden des Grundgesetzes.
Es geht hier aber nicht um ein anderes Volk, die Beschimpften sind doch häufig deutsche Staatsbürger. Macht das einen Unterschied?
Da sie in ihrer türkischen Herkunft angesprochen sind, kommt es nicht darauf an, ob sie konkret deutsche oder türkische Staatsangehörige sind oder beides. Es geht darum, dass ein Volk, die Türken, herabgewürdigt wird, unabhängig von der Staatsangehörigkeit.
Es gibt in der AfD zahlreiche Leute von ganz rechts, einige sitzen nun im Bundestag wie etwa der frühere Dresdener Richter Jens Maier, auf dessen Twitter-Account der Sohn von Boris Becker kürzlich als „Halbneger“ verunglimpft wurde. Der Abgeordnete Curio sprach jüngst im Bundestag vom „zur Regel entarteten Doppelpass“. Ist damit die Grenze zum Rechtsextremismus überschritten?
Bei Teilen der AfD ist diese Grenze ganz klar überschritten. All die von Ihnen genannten Äußerungen sprechen für sich. Die AfD ist an ihrem rechten Rand heute rechtsextrem.
Ist sie dann ein Fall für den Verfassungsschutz?
Meines Erachtens ist das ein Grund für den Verfassungsschutz, die AfD zu beobachten. Er soll sich selbst kundig machen, ob eine Partei so extrem ist, dass sie nach dem Grundgesetz verboten werden muss oder ob diese Schwelle noch nicht überschritten ist. Der Verfassungsschutz muss also beobachten, wenn Zweifel bestehen, und eine solche Zweifelslage ist hier auf jeden Fall gegeben.
Sie sind also der Ansicht, dass der Moment gekommen ist, die Partei als Ganze zu beobachten?
Man muss da immer vorsichtig sein. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist kein Mittel der parteipolitischen Auseinandersetzung. Das heißt aber nicht umgekehrt, dass eine Partei nicht beobachtet werden darf, wenn sie deutliche Tendenzen zum Rechtsextremismus zeigt.
Einige Sicherheitsbehörden sehen aber noch keinen Anlass, tätig zu werden. Wie erklären Sie sich das?
Ich glaube, der Verfassungsschutz möchte auf keinen Fall in den Geruch geraten, dass er sich in parteipolitische Auseinandersetzungen einbinden lässt. Das kann aber andererseits nicht dazu führen, dass rechtsextreme Bestrebungen unter dem Dach einer Partei vor einer Beobachtung geschützt sind. Der Verfassungsschutz muss unabhängig davon, ob das zu parteipolitischen Auseinandersetzungen führt, seine Aufgabe erfüllen. Er darf auf dem rechten Auge nicht blind sein.
Beobachtung ist ja durchaus umstritten. Was wäre damit gewonnen?
Die Beobachtung ist ein Signal an die Beobachteten, dass sie nicht alles tun können, ohne dass das zur Kenntnis genommen wird. Umgekehrt ist es für die streitbare Demokratie ein Signal, zu zeigen, wo die Grenzen sind. Das Grundgesetz hat seine feste Werteordnung, und wer es in aggressiver Weise bekämpft, muss damit rechnen, dass der Staat auch Maßnahmen ergreift.
Besteht nicht die Gefahr, dass man die Opferrolle der AfD noch weiter stärkt?
Das ist nicht völlig auszuschließen. Aber eine wehrhafte Demokratie kann sich nicht ohne Gegenwehr rechtsextremen Bestrebungen ausliefern, nur weil sie Opferrollen vermeiden will. Man muss vielmehr rechtzeitig deutlich machen, wo die Grenzen der Verfassung verlaufen und wo zunächst eine Beobachtung, später vielleicht auch einschneidendere Maßnahmen nötig sind.
Woran denken Sie da bei „einschneidender“?
In letzter Konsequenz kann das dazu führen, dass eine solche Partei verboten wird, wenn sie sich tatsächlich als Ganze aggressiv gegen die freiheitlich-demokratische Grundordnung wendet.
Interview: Kordula Doerfler