Ein "konservativer Rechter" oder ein "rechter Konservativer"? Egal, "Reichsbürger" hat er auch in sein Herz geschlossen (zumindest auf seinem privaten Profil).
Spoiler
Kommunalwahl in München:Kandidat im Mäntelchen
Wolfgang Wiehle tritt für die AfD bei der Wahl Münchner OB-Wahl an. Er gibt sich gerne konservativ, grenzt sich aber nicht ab vom rechtsextremen Björn Höcke. Ein Porträt.
Von Martin Bernstein
Wie er denn - gesetzt den Fall, er würde im März Münchner Oberbürgermeister werden - den Kampf gegen Rechtsextremismus führen würde? Was wäre dann Wolfgang Wiehles erste Maßnahme? Der Kandidat der AfD schickt seine Antwort auf die per Mail gestellte Frage am Morgen des 21. Februar, keine 36 Stunden nach dem Anschlag von Hanau. Am Tag der Trauer und des Entsetzens darüber, dass ein Rassist neun Menschen ermordet hat, die nicht in sein von brutaler Menschenverachtung und bizarren Verschwörungstheorien geprägtes Bild von Deutschland passten. Am Tag, an dem Innenminister Horst Seehofer den Anschlag als rassistisch motivierten Terroranschlag beschreibt und sagt: "Die Gefährdungslage durch Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus ist in Deutschland sehr hoch." An diesem Tag also schreibt Seehofers früherer Parteifreund Wolfgang Wiehle über den Kampf gegen den Rechtsextremismus lapidar: "Ich glaube, dass die bestehenden Maßnahmen kaum noch zu toppen sind. Man sollte sie als Vorbild für die Bekämpfung des Linksextremismus heranziehen." Hanau erwähnt er nicht.
Dabei hat Wiehle sich bereits zu dem Anschlag geäußert, Stunden zuvor auf seiner Facebook-Seite: "Gedenken an die Opfer von Hanau: Diese abscheuliche Bluttat ist mit nichts zu rechtfertigen", ist der Post überschrieben. Doch im Text kommen die Opfer erst ganz am Ende vor. Erst einmal beschreibt Wiehle den Täter, der sei "ein offensichtlich vollkommen verwirrter Mann". Und dann beklagt Wiehle: "Natürlich bleibt, neben den oft reflexhaft aussehenden Wortmeldungen gegen ,Rechts' und gegen die AfD nicht unerwähnt, dass der Täter Sportschütze war, deshalb eine Waffenbesitzkarte und Waffen besaß." Die "Amok-Tat", wie Wiehle sie nennt, dürfe nicht dazu verwendet werden, "unschuldige Bürger wie die Sportschützen allgemein unter Verdacht zu stellen!"
Der Wahlkämpfer Wiehle ist im Wahlkampf nicht so oft in München. Veranstaltungen, auf denen er vielleicht zu treffen sei? Eher nicht, heißt es aus seinem Wahlkampfteam, Wiehle habe einen engen Zeitplan als Bundestagsabgeordneter und als Mitglied im Maut-Untersuchungsausschuss. Sein Büro in Riemerling teilt er sich mit dem Parteirechten Petr Bystron. Leer und aufgeräumt sieht es aus, so gar nicht nach Wahlkampfendspurt, als Wiehle dort am Freitag bilanziert: Großveranstaltungen seien eh nicht mehr so wichtig. Und wenn, dann trete er im Umland auf, in Dachau, in Germering. Da sei das Klima besser für die AfD. "Wir stecken", hat der Kandidat gemailt, "das wenige Geld der vier Kreisverbände lieber in die Finanzierung von Plakaten für den Straßenwahlkampf und in den Druck von Themen-Flyern." Damit gehe man dann an den Infostand - oder gleich in die sozialen Medien.
Wiehle und sein Team tun das ausgiebig. Kaum ein Tag ohne Facebook-Post. Die Vorgänge in Thüringen kommentiert der Münchner mit "Tschüss Demokratie, hallo Diktatur!" Und er meint damit, dass die Bundeskanzlerin - "von Afrika aus" - und andere ultimativen Druck auf den Erfurter Landtag ausgeübt hätten. In München sieht Wiehle die Gefahr einer Islamisierung. "In den Fußgängerzonen sehen wir immer öfter Kopftücher", schreibt er. Außerdem müsse man das Stadtbild erhalten, das er durch "dominante Moscheen und Minarette" gefährdet sieht. Der Rauschgift-Skandal bei der Münchner Polizei - das Landeskriminalamt ermittelt gegen acht Beamte, die im Verdacht stehen, Drogen gekauft und konsumiert zu haben - müsse aufgeklärt werden, kommentiert Wiehle. Und bringt den Vorfall in Verbindung mit der Berliner Clan-Kriminalität.
In einer sich nach rechts radikalisierenden Partei trägt Wiehle das bürgerliche Mäntelchen. Manchmal öffnet er einen Knopf und spielt damit. In der Regel jedoch ist der Kandidat recht zugeknöpft. Wie denn sein Verhältnis zu Björn Höcke und zum ebenfalls vom Verfassungsschutz beobachteten Flügel sei? Und ob er, Wiehle, im Mai dabei war, als Höcke in der Sportgaststätte an der Lerchenauer Straße die Bundesrepublik als "dekadent" und "pervers" schmähte und drohte: "Wir kämpfen einen Kampf um alles oder nix"? Einer Antwort weicht der Kandidat aus. Keine Abgrenzung. Er wolle "eigenverantwortlich eine bürgerlich wertkonservative und vernunftorientierte Politik in die Kommunalparlamente tragen". Dabei spiele es keine Rolle, "wen der parteipolitisch je nach Landesregierung gefärbte Verfassungsschutz irgendwo in Deutschland weisungsgemäß beobachtet", schreibt Wiehle, der seit 2018 Mitglied des Bundestags ist.
Dem Treiben von Parteifreunden, selbst jenen, die auf der AfD-Liste für den Stadtrat kandidieren, steht der 55-Jährige recht indifferent gegenüber. "Welcher Kandidat was irgendwann wo und wie im Netz veröffentlicht, liegt in dessen eigener Verantwortung", schreibt Wiehle. "Das habe ich nicht zu kommentieren." Und so geht das Frage um Frage. "Hier gilt ebenfalls, dass jeder Kandidat für seine Social-Media-Auftritte juristisch wie politisch selbst verantwortlich ist." Oder: "Für diese Mutmaßung sehe ich keine Anhaltspunkte."
Auftritte bei der rechtsextremistischen Münchner Pegida? "Ich würde keine gemeinsamen Auftritte machen und anderen auch empfehlen, sich an einen Beschluss des Bundesvorstands diesbezüglich zu halten", schreibt Wiehle. Kein Wort dazu, dass mehrere der führenden AfD-Listenkandidaten das in der Vergangenheit anders gesehen und praktiziert haben. Dass seine Wahlkampfmanagerin Brigitte Fischbacher treibende Kraft hinter dem "Volksbegehren Grenzschutz" ist, ist für Wiehle "nicht zu beanstanden". Dass an der Gründung des Vereins aber laut Verfassungsschutz auch Rechtsextremisten, Islamfeinde und Reichsbürger beteiligt waren? Und dass Fischbacher vor zwei Jahren ein Video postete, das die Schuld am Zweiten Weltkrieg einer angeblichen jüdisch-kapitalistischen Verschwörung zuschiebt? Ist Wiehle offenbar entgangen.
Der Kandidat saß schon einmal im Stadtrat, von 1994 bis 2002, damals für die CSU, der er 1982 beigetreten war, weil ihm die Politik der Siebzigerjahre zu "links" erschien. 2013 ging Wiehle dann als Gegner von Euro und Atomkraft-Ausstieg zur AfD. Zu einer Partei, die heute "mit kalkulierter Ambivalenz und taktischer Zivilisierung" spielt, wie der Extremismus-Forscher Matthias Quent jüngst analysiert hat. Wiehle spielt dieses Spiel mit. Der Münchner Ehrenbürgerin und Schoah-Überlebenden Charlotte Knobloch warf er im November nach deren Rede im Landtag vor, sie habe "schamlos" gegen die AfD "gehetzt" und damit das Gedenken "entwürdigt". Zu dieser Aussage steht er auf Nachfrage noch immer - "bei allem Respekt vor der Person und der Rolle von Frau Knobloch".
Manchmal ist Wiehle indes den eigenen Parteifreunden zu liberal. Die städtische Fachstelle für Demokratie könnte auch unter einem OB Wiehle "ihre Arbeit prinzipiell weiter machen", schreibt er. Denn: Grundsätzlich seien städtische Maßnahmen und Fördergelder gegen Rechtsextremismus "in Ordnung". Aber: "Was wir dringend brauchen, ist eine umfassender aufgestellte Fachstelle für Meinungsfreiheit zur Förderung der Debattenkultur."
Beim Wahlkampfauftakt in Fürstenried drückt Wiehle das weniger fein ziseliert aus: Ein "Politbüro" habe Oberbürgermeister Dieter Reiter im Rathaus geschaffen. Es sei ein "Augiasstall", der "ausgemistet" gehöre. Das Ausmisten und Umbenennen ist manchen Stadtratskandidaten der AfD aber immer noch nicht genug. In einem Punkt müsse er dem "lieben Wolfgang" widersprechen, sagt Thomas Nickl, der auf Listenplatz 8 kandidiert, zu Wiehle gewandt. "Die Fachstelle (...) gehört aufgelöst, abgeschafft." Für die Menschen, die sich derzeit im Auftrag der Stadt für Demokratie und gegen Rechtsextremismus einsetzen, hat Nickl bereits einen anderen Plan: "Für die finden wir sinnvolle Beschäftigungen in der Abfallwirtschaft oder im Straßenbau." Da tobt der Saal. Wolfgang Wiehle sitzt daneben und schaut zu.
Auf jeden Fall ist er so sicher wie Fridi jedes Mal, dass er die Wahl gewinnen wird, ja nur er gewinnen kann. Für "Demokratie" hat er, wie er dem "Deutschlandkurier" verrät, eine ganz eigene Definition.
Wie war das nochmal mit den Parteispenden von Meuthen und dem "Deutschlandkurier"?