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Magdeburg. Sachsen-Anhalt ist nun offiziell ein antifaschistisches Land. Mit großer Mehrheit hat der Landtag am Freitag eine Verfassungsreform verabschiedet, die genau das verlangt. “Die Wiederbelebung oder Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, die Verherrlichung des nationalsozialistischen Herrschaftssystems sowie rassistische und antisemitische Aktivitäten nicht zuzulassen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt und Verantwortung jedes Einzelnen”, lautet der neue Paragraph 37a der Landesverfassung. Eine in deutschen Landesverfassungen beispiellose Distanzierung von der faschistischen Vergangenheit - zustande gekommen durch die Kooperation der CDU-geführten Regierungsfraktionen mit der Linken.
Dass dies eigentlich keiner wolle, dessen versicherten sich Linke und CDU am Freitag im Landtag einander wortreich, als sie die Nachwehen der Thüringen-Wahl im Plenum diskutierten. Im Freistaat hatte unter anderem die strikte Weigerung der CDU, einen Ministerpräsidenten der Linken zu wählen, die Regierungsbildung verhindert und ein politisches Chaos ausgelöst. Vor allem in Berlin wird immer wieder auf den Parteitagsbeschluss der CDU verwiesen, der eine Zusammenarbeit mit Linken und AfD verbietet.
In Sachsen-Anhalt zeigen Sozialisten und Konservative nun, dass es auch anders geht. Die CDU unterstützte die NS-Klausel 37a, die Linke trug dafür die Verankerung der Schuldenbremse in der Landesverfassung mit, eine der zahlreichen weiteren Änderungen in der Parlamentsreform.
Ausgerechnet Sachsen-Anhalt
Außergewöhnlich ist diese Reform nicht nur wegen ihrer Klarheit und der ihr zu Grunde liegenden Zusammenarbeit von CDU und Linken. Bemerkenswert ist auch, dass Sachsen-Anhalt sie zustande gebracht hat, ausgerechnet Sachsen-Anhalt, möchte man sagen. Das Land, in dem der damalige Rechtsaußen der AfD, André Poggenburg, schon 2016 fast jede vierte Stimme bei der Landtagswahl bekam. Das Land, in dem Ausreißer der CDU immer wieder mit dieser AfD liebäugeln und nicht zuletzt das Land, in dem ein rechtsextremer Terrorist an Jom Kippur eine Synagoge zu stürmen versuchte und anschließend zwei Menschen ermordete. Dieses Land verpflichtet eine Woche nach Hanau sich und seine Bürger zum Antifaschismus und setzt damit ein deutliches Zeichen.
"Demokraten müssen Antifaschisten sein, weil sie sonst keine Demokraten wären", sagte CDU-Fraktionschef Siegfried Borgwardt am Freitag. Der breite Konsens im Parlament sei etwas besonderes, das man nicht jeden Tag, nicht mal jede Legislaturperiode erlebe, hob der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Fraktion, Markus Kurze, zu Recht hervor. Auch Grünen-Chef Sebastian Striegel lobte die gute Zusammenarbeit "der demokratischen Fraktionen des Landtags". Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD, Rüdiger Erben, betonte, dass sich das Parlament mit Paragraph 37a nicht nur selbst, sondern "jeden Einzelnen" in die Pflicht nehme. Sein Linken-Amtskollege Stefan Gebhardt sprach von einer "besonderen Herzensangelegenheit" seiner Partei. Über Paragraph 37a hätten die Fraktionen im Herbst beraten, "das war die Zeit nach Halle", erinnerte sich Gebhardt.
Mehr als ein Jahr verhandelten die Fraktionen an der Reform, verabschiedet wurde sie nun ausgerechnet in der Woche nach den rassistischen Morden von Hanau. Moderiert hat die Verhandlungen Parlamentspräsidentin Gabriele Brakebusch. Die CDU-Politikerin fand gleich zu Anfang der Sitzungswoche am Mittwoch deutliche Worte zur rechten Gefahr, die zuletzt in Hanau so grausam zu Tage getreten war.
"Die Tat von Hanau war rassistisch motivierter Terror", stellte die Präsidentin klar. Niemand wolle oder werde die Gefahr linken oder religiösen Extremismus unterschätzen. "Aber wir müssen es zur Grundlage unseres Handelns machen, dass aktuell vom Rechtsextremismus, vom Antisemitismus und vom Rassismus die mit Abstand größte Gefährdung für Staat und Gesellschaft ausgehen", sagte Brakebusch in ihrer Gedenkrede für die Opfer des Anschlags, direkt vor der Beratung des großen Reformpakets. Mit der Zustimmung zur Reform am Freitag folgte der Großteil der Abgeordneten diesem Appell.
Widerstand nur aus der AfD
Auch am Donnerstag zeigten die vier sonst so unterschiedlichen Fraktionen von CDU, Linken, SPD und Grünen, dass sie jedenfalls im Umgang mit dem Nazi-Erbe Deutschlands durchaus konsensfähig sein können. Die Linken beantragten, den 8. Mai mit einem Gedenkakt als Tag der Befreiung zu begehen und stießen damit auch in den Regierungsfraktionen auf offene Ohren. Der einzige entschlossene Widerstand gegen den Vorstoß kam von der AfD.
Überhaupt war die AfD die einzige Ausnahme für den überparteilichen Konsens des Antifaschismus im Hohen Haus. Ob beim Artikel 37a, den Opfern von Hanau oder dem 8. Mai: Zu mehr als einem "Ja-aber" konnten sich die Rechtsnationalen in den wichtigen Debatten und Redebeiträgen nicht durchringen. Ja, Rechtsextremismus ist schlecht, aber Linksextremismus auch. Ja, der Täter von Hanau ist rechtsextrem, aber irre ist er auch. Ja, die Befreiung vom Nationalsozialismus war gut, aber der 8. Mai war es für viele Deutsche nicht, hieß es da.
Die Unentschlossenheit der AfD hebt sich deutlich vom Konsens der anderen Parteien ab. Dabei ist der Magdeburger Landtag mit seinen teils lauten, manchmal beleidigenden Debatten normalerweise kaum geeignet, den Glauben an konsensfähigen, produktiven Parlamentarismus zu stärken. Oft können es nicht einmal die Regierungsfraktionen unterlassen, sich im Hohen Haus gegenseitig anzugiften. Doch in dieser Sitzungswoche war das anders. Denn in der Antwort auf die "Mutter aller politischen Fragen" der bundesrepublikanischen Demokratie - dem Verhältnis zur Nazi-Vergangenheit Deutschlands und der Verhinderung einer solchen Zukunft - agierten CDU, Linke, SPD und Grüne würdevoll und einig, wie eine große, antifaschistische Fraktion.
RND/dpa