Hetze? Nein, Meinungsfreiheit meint man in Heilbronn. Daten ausgespäht? War ganz bestimmt ein Hacker oder sonst einfach ein Mausrutscher oder so.
Spoiler
Heilbronn
AfD-Stadtrat kommt für Anti-Merkel-Post straflos davon
Der gegen die Bundeskanzlerin gerichtete Stauffenberg-Post von Michael Seher ist laut Staatsanwaltschaft von der Meinungsfreiheit gedeckt
Von B. Fritz-Kador und A. Guzy
Heilbronn. Wer die Diskussion über das Urteil des Berliner Landgerichtes zu den Facebook-Beleidigungen gegenüber der Politikerin Renate Künast verfolgt hat, wird sich nicht wundern: Die Staatsanwaltschaft Heilbronn lehnt die Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen den Heilbronner AfD-Stadtrat Michael Seher "nach der Prüfung der Rechtslage" ab.
Angezeigt wurde Seher unter anderem vom Heilbronner CDU-Stadtrat und Bundestagsabgeordneten Alexander Throm. Anlass war ein Post auf Sehers Facebook-Seite, den die Staatsanwaltschaft Heilbronn so definiert: "Veröffentlichung (1.) eines Bildes des Graf von Stauffenberg mit dem Text: ’Merkel länger an der Macht als Hitler und kein Stauffenberg in Sicht’, (2.) einer weiteren Grafik ’Merkels Hände’ und (3.) der schriftlichen Äußerung ’Merkel ist eine Verbrecherin’." Merkels Hände waren blutverschmiert, auf dem Post mit Stauffenberg ist auch noch im Anschnitt der Koffer mit der Bombe zu sehen.
In ihrer Begründung kommt die Staatsanwaltschaft zu dem Schluss, dass zu (1.) "der Tatbestand des Aufforderns zu Straftaten (§ 111 StGB) nicht erfüllt" sei, der Grafik fehle der von der Rechtsprechung geforderte "appellative Charakter". "Auch liegt keine Volksverhetzung vor. Es fehlt bereits der in § 130 StGB geforderte Bezug zu einer nationalen, rassischen, religiösen oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmten Gruppe."
Zu (2.) sei der Bedeutungsgehalt der Grafik "Merkels Hände" nicht eindeutig: "Vor allem wird sie verwendet, um auszudrücken, dass die Bundeskanzlerin die politische Verantwortung für Gewalttaten, die durch Migranten begangen worden sind, trägt. Diese Äußerung unterfällt der Meinungsfreiheit." Der Artikel 5 GG schütze auch scharfe und übersteigerte Äußerungen, heißt es dazu.
Auch die Äußerung "Merkel ist eine Verbrecherin" sei nicht strafbar: "Es handelt sich um eine überzogene Stellungnahme im politischen Meinungskampf, die rechtlich als Werturteil einzustufen ist. Es geht um die Auseinandersetzung mit der Politik der Kanzlerin, die noch von Art 5 GG gedeckt wird."
Seher hatte, als der Post publik wurde, gesagt, er sei ihm unterschoben worden. Tatsächlich ist das Motiv von der seit 2016 vom Verfassungsschutz beobachteten und "rechtsextrem" eingestuften "Identitären Bewegung" verwendet worden. Warum er den Post auf seiner Seite erst löschte, als er Empörung hervorrief, dazu äußerte sich Seher nicht, erstattete seinerseits Anzeige, musste aber einräumen, dass der Post mit den blutigen Händen Merkels von ihm eingestellt wurde.
Dazu sagt die Staatsanwaltschaft: "Das Verfahren wegen Ausspähens von Daten gegen Unbekannt, das aufgrund einer Strafanzeige des AfD-Abgeordneten eingeleitet wurde, wurde eingestellt, da nicht nachgewiesen, aber auch nicht ausgeschlossen werden konnte, dass ein Fremdzugriff auf den Facebook-Account des Anzeigeerstatters stattgefunden hat."
Der Stauffenberg-Post fand um den 20. Juli herum statt. Das Datum ist kein Zufall, es bezieht sich auf den Tag des Attentates durch den Widerstandkämpfer, den 20. Juli 1944. Es hat aber noch einen anderen Belang: Am 24. Juli fand die erste Sitzung des neu gewählten Gemeinderates statt, mit Verpflichtung der neu- und wiedergewählten Stadträte, die sich vor dem OB mit Handschlag verpflichten, zum Wohle der Stadt zu handeln.
Bundestagsabgeordneter und Stadtrat Alexander Throm (CDU), der Anzeige gegen Seher erstattet hatte, verweist darauf, dass nach dem Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke aus Äußerungen Taten werden können. Der Post sei widerlich gewesen, aber er habe, zumal nach dem Künast-Urteil, nichts anders erwartet. Es sei ihm jedoch wichtig gewesen, den Fokus darauf zu richten, welche Personen in der AfD sind und dass es "eine Schande ist, dass sie im Gemeinderat der Stadt Heilbronn" seien.
Throm ist Rechtsanwalt; er sieht eine Lücke in der Gesetzgebung, wenn es um die Verhinderung von Hass-Kommentaren gehe. Die Demokratie müsse wehrhafter werden, es gebe dazu schon entsprechende Initiativen.
"Völlig überrascht" von der Entscheidung der Staatsanwaltschaft zeigte sich Oberbürgermeister Harry Mergel. "Ich hätte sie so nicht für möglich gehalten. Solche Urteile ermutigen jenseits der rechtlichen Bewertung geradezu, Personen des öffentlichen Lebens als Freiwild zu betrachten und decken sich nach meiner Sicht mit dem Urteil zu den Beleidigungen gegen Renate Künast", äußerte sich Mergel gegenüber der RNZ.
Inwieweit die Äußerungen Sehers vereinbar mit dem Gelöbnis ist, das er als Stadtrat abgegeben hat, ließ Mergel offen. Er merkte allerdings an, dass Ratsmitglieder berechtigt und auch verpflichtet sind, in ihrer Tätigkeit ausschließlich nach dem Gesetz und ihrer freien, nur durch Rücksicht auf das öffentliche Wohl bestimmten Überzeugung zu handeln (§ 43 Abs. 1 GO). In der ersten Sitzung würden die Gemeinderäte auf die gewissenhafte Erfüllung ihrer Amtspflichten verpflichtet, in Bayern würden sie vereidigt.
Mergel weiter: "Wir pflegen im Gemeinderat ein friedliches Miteinander und einen vertrauensvollen, respektvollen Umgang. Ich würde es äußerst bedauern, wenn sich daran etwas ändern würde. Was das Mandat von Herrn Seher betrifft, gehe ich davon aus, dass er seine Tätigkeit am Wohle der Stadt orientiert. Insoweit ist auch festzuhalten, dass gemäß der Darstellung der Staatsanwaltschaft der streitige Facebook-Account aktuell nicht mehr betrieben wird."
Weder die AfD-Fraktion noch Seher selber haben sich von dem Post und dessen Inhalt distanziert. Dafür beklagte AfD-Vorsitzender Dr. Raphael Benner schon in seinem ersten Beitrag in der "Heilbronner Stadtzeitung" und Amtsblatt, Seher sei bei einer Podiumsdiskussion "ausgeladen" worden. Den Grund dafür, die damals noch bestehenden Ermittlungen, ließ er unerwähnt.