Dieser Bericht liest sich gut. Als habe die Zeitung einen eigenen Mitarbeiter vor Ort im Gerichtssaal gehabt und übernehme nicht nur die Agenturmeldungen:
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Alles ungerecht? Tag eins im Terror-Prozess am OLG Stuttgart – Verteidigung greift an
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Von Alexander Roth
Veröffentlicht: 01.05.2024 22:28
Am Montag (29.04.) hat vor dem Oberlandesgericht (OLG) Stuttgart in Stammheim der Prozess gegen neun Angeklagte begonnen, die im Verdacht stehen, der mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorgruppe um Prinz Reuß angehört zu haben. Laut Bundesanwaltschaft sollen alle neun dem "militärischen Arm" der Gruppe angehört haben. In Frankfurt und München beginnen demnächst Verfahren gegen insgesamt 17 weitere Angeklagte der mutmaßlichen Terrorgruppe. An Tag eins schwebten in Stuttgart deshalb zwei Fragen über allem: Warum Prozesse an drei Orten? Und wie fair ist das? Einen Fall, der am OLG verhandelt werden soll, wollten manche Anwälte gar vom Verfahren abkoppeln lassen, andere gleich den ganzen Prozess einstellen oder zumindest aussetzen lassen. Die wichtigsten Antworten und Argumente im Überblick.
Was wird den Angeklagten in Stuttgart vorgeworfen?
Der Generalbundesanwalt wirft allen die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie die Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor. Sie sollen einen gewaltsamen Umsturz geplant haben. Zwei Männern werden zusätzlich Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz vorgeworfen. Einer von diesen beiden, Markus L., sieht sich weiteren Vorwürfen ausgesetzt: Versuchter Mord, gefährliche Körperverletzung, Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte. Er soll im März 2023 in Reutlingen auf Polizisten geschossen haben, die seine Wohnung durchsuchen wollten. Alle Angeklagten befinden sich in Untersuchungshaft. Details zu den Vorwürfen haben wir hier zusammengefasst. Es gilt die Unschuldsvermutung.
Worauf kommt es beim Prozess in Stammheim an?
Der Prozess in Stammheim hat mehrere Besonderheiten. Eine davon: In der Regel wird der Vorwurf der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung dann erhoben, wenn diese Vereinigung bereits gerichtlich festgestellt wurde. Beispiel: Dass der IS existiert, ist unstrittig. Das muss bei Verhandlungen gegen mutmaßliche IS-Mitglieder nicht nochmal zur Diskussion gestellt werden.
Im Fall der mutmaßlichen Reichsbürger-Terrorgruppe ist das anders. Im Prozess in Stuttgart muss nachgewiesen werden, dass es überhaupt eine Terror-Organisation gab, der die Angeklagten angehört haben sollen. Dafür braucht es eine klar erkennbare Struktur und klar erkennbare Ziele. Eine Organisation muss außerdem auf das Verüben schwerster Straftaten ausgerichtet gewesen sein, um als Terror-Organisation durchzugehen.
Wenn alle zur selben Reichsbürger-Gruppe gehört haben sollen, warum dann drei Prozesse?
Hier setzen Verteidigerinnen und Verteidiger an. Mehrere von ihnen kritisierten, dass die 26 Angeklagten nicht vor einem, sondern drei Oberlandesgerichten angeklagt wurden, und sprachen sich am Montag für eine Verbindung der Verfahren aus. Es wurden gewichtige Argumente dafür und dagegen ausgetauscht.
Argument 1: Der Beschleunigungsgrundsatz auf dem Prüfstand
Die Bundesanwaltschaft hatte die Anklage vor drei Oberlandesgerichten mit dem Beschleunigungsgrundsatz begründet. Dieser besagt, dass Strafverfahren möglichst zügig durchgeführt und abgeschlossen werden müssen. Das liegt in der Regel im Interesse der Angeklagten, die sich so möglicherweise von einem Verdacht "reinwaschen" können. Der Grundsatz fällt ins besondere ins Gewicht, wenn Menschen – wie im vorliegenden Fall – teilweise seit fast anderthalb Jahren in Untersuchungshaft sitzen. Ein Argument war in diesem Zusammenhang auch der schiere Umfang der Verfahren: Alleine die Anklageschrift in Stuttgart hat rund 600 Seiten, die Akten füllen über 700 Leitz-Ordner – das sind etwa 400.000 Blatt Papier.
Hier argumentierten mehrere Anwälte, dass eine Beschleunigung kaum gegeben sei. Die Prozesse in Frankfurt und München starten ebenfalls demnächst, die Aufteilung biete daher kaum Vorteile. Organisatorisch und räumlich sei es durchaus möglich, alles vor einem Gericht zu verhandeln. Der Vertreter der Bundesanwaltschaft, Oberstaatsanwalt Michael Klemm entgegnete kurz und knapp: Natürlich sei das machbar, aber das Verfahren würde stark in die Länge gezogen – es bräuchte deutlich mehr Prozesstage, um allen Angeklagten, Anwälten und Zeugen Gehör zu schenken. Das könne nicht im Sinne der zurzeit inhaftierten Angeklagten sein.
Argument 2: Nachteile für die Angeklagten und ihre Verteidigung
Es gab aber noch andere Argumente dafür, die Prozesse zusammenzulegen. Die mutmaßlichen Rädelsführer der Gruppe wurden vor dem Oberlandesgericht Frankfurt angeklagt. Was dort verhandelt wird, ist also auch für den Stuttgarter Prozess von enormer Wichtigkeit. Und dann gibt es noch den Prozess in München, wo ebenfalls über die Existenz einer möglichen Terrorgruppe verhandelt wird. Gäbe es hierzu "abweichende Beurteilungen in einem Senat", seien unterschiedliche Ergebnisse zu erwarten, so ein Anwalt. Und das sei nicht fair. Auch könnten Zeugen, die zu mehr als einem Verfahren geladen würden, unterschiedliche Aussagen treffen.
Die Verteidigung eines weiteren Angeklagten gab zu bedenken, dass die Bundesanwaltschaft einen "Wissens und Erkenntnisvorsprung" habe. Schließlich säßen ihre Vertreter in allen drei Prozessen auf der Anklagebank. Verteidiger im Stuttgart Prozess könnten dagegen nicht noch die Prozesse in Frankfurt und München parallel beobachten oder beobachten lassen. Somit könne man auch nicht Stellung nehmen zu dem, was in Frankfurt oder München gesagt wird, sagte die Anwältin des Angeklagten Marco v. H. – sondern nur zu dem, was davon in den Stuttgart Prozess eingebracht werde. Das kann beispielsweise in Form von Protokollen geschehen. Es sei zu befürchten, so die Anwältin, dass dabei wichtige Details ausgelassen würden. Der Tenor lautete insgesamt: Das Verfahren wäre fairer, wenn allen Angeklagten an einem Ort der Prozess gemacht würde.
Die Vertreter der Bundesanwaltschaft räumten ein, dass natürlich "alles mit allem" zusammenhänge. Die Auftrennung sei auf den Beschleunigungsgrundsatz zurückzuführen. Dass damit Nachteile einhergehen, sei richtig. Man habe daher versucht, die Angeklagten "sinnvoll" auf die drei Gerichte aufzuteilen. So sollen in Stuttgart alle Angeklagten dem "militärischen Arm" der Gruppe angehört haben, die in Frankfurt dem "Parlamentarischen Rat". Eine Schwierigkeit sei, dass man das "Einlassungsverhalten" der Angeklagten nicht voraussehen könnte. Wer wird in München und Frankfurt aussagen? Und wie viel? Man werde sich bemühen, alles von Relevanz auch in Stuttgart in den Prozess einzuführen – das unterstrich auch der Vorsitzende Richter. Inwiefern es dabei Probleme geben wird oder nicht, muss sich zeigen.
Verdacht auf versuchten Mord: Markus L. und der "Fall 2"
Die Angelklageschrift des Stuttgarter Verfahrens enthält zwei Fälle. Der erste Fall betrifft die mutmaßliche Terrorgruppe und die Frage nach der Mitgliedschaft aller neun Angeklagten. Der zweite Fall betrifft den Verdacht auf versuchten Mord gegen den Angeklagten Markus L., der in Reutlingen auf Polizisten geschossen und einen dabei am Arm verletzt haben soll. Mehrere Verteidiger anderer Angeklagter plädierten darauf, "Fall 2" vom Verfahren abzutrennen. Im Kern lautete die Argumentation: Ihre Mandanten hätten mit diesem Fall nichts zu tun – da es sich dabei aber um eine schwere Straftat handelt, würde unnötigerweise ein schlechtes Licht auf die restlichen Angeklagten geworfen.
Und die Bundesanwaltschaft? Die sprach sich gegen eine Abspaltung aus. Markus L. sei auch im ersten Fall angeklagt, der zweite Fall nehme zeitlich vergleichsweise wenig Zeit in Anspruch. Bereits früher am Tag war auch klargestellt worden, dass die Anklage die beiden Fälle in deutlichem Zusammenhang sieht: L. habe sich seit der Großrazzia vom 7. Dezember 2022, bei der die meisten mutmaßlichen Terrorgruppen-Mitglieder festgenommen wurden, vorbereitet. Er habe geladene Waffen in seinem Schlafzimmer, Wohnzimmer und Auto deponiert. Als er auf die Beamten geschossen habe, habe er sich hinter einem drehbaren Sessel verschanzt, den er mit einer Schutzweste präpariert habe. Nichts daran sei spontan gewesen. L. habe verhindern wollen, dass seine Mitgliedschaft in der mutmaßlichen Terrorgruppe auffliegt.
Tag eins geht zu Ende: Zwei Angeklagte wollen aussagen
Die Anträge auf Aussetzung des Verfahrens wurden am ersten Prozesstag abgelehnt. Mit der Frage nach einer möglichen Verbindung der drei Prozesse wird sich das Gericht weiter befassen müssen. Zwei der Angeklagten haben in Aussicht gestellt, dass sie sich in irgendeiner Form zur Sache äußern wollen. Was sie sagen werden, darauf gab es bislang keine Hinweise.
Die Anklage ließ dagegen in Stuttgart keinen Zweifel daran, wie sie den Sachverhalt beurteilt: Allen Angeklagten sei klar gewesen, worauf sie sich eingelassen hätten. Die Gruppe habe klare Strukturen gehabt und klare Vorbereitungen getroffen. Es sei allen klar gewesen, "dass es Tote geben würde", sollte der mutmaßliche Plan umgesetzt werden. Das zu belegen oder widerlegen, wird noch etliche Prozesstage brauchen. Beobachter rechnen mit einer Dauer von mehreren Jahren. Für die Angeklagten gilt bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung.