Zurück zum Prozess in Stuttgart. Pressebericht vom vierten Prozesstag, an dem es um die Schüsse auf Polizeibeamte in Reutlingen ging.
Spoiler
Verdacht auf versuchten Mord: Was Markus L. vorgeworfen wird
Markus L. werden von allen in Stuttgart angeklagten mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe die meisten Delikte zur Last gelegt. Er steht nicht nur wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und der Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens vor Gericht, ihm werden auch versuchter Mord, Verstöße gegen das Waffen- und Kriegswaffenkontrollgesetz, gefährliche Körperverletzung sowie Widerstand gegen und tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte vorgeworfen. Die Schüsse, die L. auf Polizisten abgegeben haben soll, werden als eigener Fall („Fall 2“) in der Anklageschrift geführt.
Im bisherigen Prozessverlauf ließ Markus L. nicht durchblicken, wie er zu dem Verfahren in Stuttgart-Stammheim steht. Während andere Angeklagte teilweise lachten und feixten, oder bei manchen Aussagen ihre Mitangeklagten kritisch beäugten, verzog L. Prozesstag um Prozesstag kaum eine Miene. Ein Lächeln zur Begrüßung in Richtung seiner Verteidiger bildete die Ausnahme. Ab und zu stützte er seine Ellenbogen auf, dann konnte man durch die Trennwand das Tattoo auf einem seiner Arme lesen: „si vis pacem para bellum“. Das ist Latein und bedeutet in etwa: Wenn du Frieden willst, bereite den Krieg vor.
OLG Stuttgart: Warum andere Verteidiger „Fall 2“ loswerden möchten
Die Verteidiger der anderen Angeklagten hatten bereits zu Prozessbeginn in Stuttgart-Stammheim versucht, den Fall Markus L. per Antrag aus dem Verfahren ausgliedern zu lassen. Ein Argument dafür: Der Vorwurf des versuchten Mordes werfe auch auf die Mitangeklagten ein schlechtes Licht und könnte zu Vorverurteilungen führen. Die Bundesanwaltschaft entgegnete im Kern stets: Der Fall Markus L. habe einiges mit den Aktivitäten der Gruppe zu tun.
Markus L. soll sich laut Anklage spätestens im Juli 2022 der Gruppe um Prinz Reuß angeschlossen haben. Er habe sich in die „Heimatschutzkompanie 221“ eingegliedert. Laut Bundesanwaltschaft handelte es sich bei den „Heimatschutzkompanien“ um militärische Gruppen, die nach dem „Tag x“ auf kommunaler Ebene „Säuberungen“ durchführen sollten.
Auf Razzia vorbereitet? Markus L. soll an mehreren Stellen Waffen deponiert haben
Markus L. soll der Gruppe sein „Waffenarsenal“ von Juli 2022 bis 7. Dezember 2022 durchgehend „zur Verfügung gestellt“ haben. Nach dem 7. Dezember, als Razzien gegen eine Vielzahl mutmaßlicher Gruppenmitglieder durchgeführt wurden, habe er sich verstärkt darauf vorbereitet, selbst Ziel einer Razzia zu werden. So habe L. laut Bundesanwaltschaft beispielsweise geladene Waffen an mehreren Stellen in seiner Wohnung sowie in seinem Auto deponiert und einen Sessel mit einer Schutzweste präpariert.
Hinter diesem Sessel habe er sich laut Bundesanwaltschaft verschanzt, als er am frühen Morgen des 22. März 2023 in seiner Reutlinger Wohnung das Feuer auf die Einsatzkräfte eröffnet haben soll. Der Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof hatte zuvor eine Durchsuchung der Wohnung angeordnet. L. soll laut Anklage „aus nächster Nähe zahlreiche gezielte Schüsse“ auf Beamte eines Spezialeinsatzkommandos abgegeben haben.
Ein Beamter soll mehrere Schüsse auf Brusthöhe mit einem Schutzschild abgewehrt haben. Zwei weitere Beamte sollen durch Schüsse verletzt worden sein, einer so schwer, dass „dauerhafte gesundheitliche Beeinträchtigungen“ zurückbleiben werden.
Razzia in Reutlingen: Anwalt übt Kritik, Oberstaatsanwalt kontert
Markus L.s Anwalt Holger Böltz wies am Mittwoch im Gericht darauf hin, dass Betroffene den Vollzug einer Durchsuchung abwenden können, wenn sie die gesuchten Beweismittel „vollständig und freiwillig“ herausgeben. Das werde auch mehrfach betont in den Dokumenten, die im Vorfeld der Durchsuchung bei L. angefertigt wurden.
Diese Möglichkeit sei seinem Mandanten „bewusst und zielgerichtet nicht eingeräumt worden“, so Böltz. Das mache die Durchsuchung aus Sicht der Verteidigung „rechtswidrig“. Oberstaatsanwalt Michael Klemm, der die Bundesanwaltschaft in Stuttgart vertritt, sage dazu: „Ich weiß nicht, wie oft er aufgefordert wurde, aus der Wohnung zu kommen.“ Das würden Videos vom Einsatz zeigen.
Polizei-Video vom Einsatz: „Ich bin getroffen"
Eines dieser Videos wurde am Mittwoch im Prozessgebäude in Stammheim gezeigt. Im Gerichtssaal konnte man den Beginn der Durchsuchungsmaßnahmen dabei aus der Sicht eines der verletzten Polizisten verfolgen. In dem Video ist zu sehen, wie die Beamten durch das Treppenhaus des Mehrfamilienhauses in Reutlingen in L.s Wohnung vordringen. Das Bild ist recht dunkel, die Polizisten haben Taschenlampen im Einsatz. “Pooolizei!“ hallte es mehrfach durchs Gebäude. Der Polizist, dessen Sicht die Aufnahmen zeigen, ruft: „Markus L. komm raus und zeig deine Hände!“ – er verwendete den vollständigen Namen.
Auf der Aufnahme ist zu sehen, wie die Beamten sich Zutritt zur Wohnung des Angeklagten verschaffen. Immer wieder rufen sie „Pooolizei“ und fordern ihn auf, herauszukommen. Schließlich entdecken sie L. offenbar. „Ich sehe dich, zeig mir deine Hände“, ruft einer. „Leg deine Waffe weg“, ein anderer. Die Stimme des Angeklagten ist zu hören. „Zieht euch zurück oder ich schieße“, sagt er ruhig. „Da liegt ein Maschinengewehr“, sagt ein Polizist zu seinem Kollegen. Die Beamten fordern L. auf, die Waffe wegzulegen. Der sagt wieder, dass er schießen werde, wenn die Polizei sich nicht zurückziehe.
Dann fallen Schüsse. „Er schießt“, schreit der Polizist, dessen Blickwinkel die Beobachter im Saal einnehmen. Wenige Sekunden später sagt er: „Ich bin getroffen“. Man sieht, wie Polizisten sich durchs Treppenhaus zurückziehen. Der angeschossene Polizist fordert seine Kollegen auf, die Wunde bloß nicht anzufassen. Dann endet das Video und der Bildschirm wird wieder schwarz.
Durchsuchungsbeschluss: Bis zur Razzia war Markus L. eine „tatunverdächtige Person“
Die mutmaßliche Tatwaffe, ein AR15-Schnellfeuergewehr, soll Markus L. laut Bundesanwaltschaft „aus einzelnen im Internet erworbenen Komponenten zu einer einsatzfähigen Waffe zusammengebaut“ haben. Weitere Schusswaffen habe er teilweise legal, teilweise illegal besessen.
Nichts an der Tat, die Markus L. vorgeworfen wird, sei spontan gewesen. Das hatte die Bundesanwaltschaft schon am ersten Prozesstag betont. L. habe damit verhindern wollen, dass seine Mitgliedschaft in der mutmaßlichen Terrorgruppe auffliegt.
Die Ermittler hatten sich durch eine Durchsuchung bei L. Erkenntnisse über die mutmaßliche Terrorgruppe erhofft. Bis zum Zeitpunkt der Razzia lagen den Ermittlern „keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte“ dafür vor, dass L. Mitglied der Gruppe gewesen sei oder „diese in strafrechtlich relevanter Weise unterstützt“ habe. Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof hatte L. auf dem Durchsuchungsbeschluss als „tatunverdächtige Person“ bezeichnet. Die Schüsse, die am 22. März 2023 gefallen sein sollen, änderten das offenkundig.
"Von vorne bis hinten rechtswidrig": Verteidigung bemängelt "aggressives Vorgehen" der Polizei
Die Beweisaufnahme im „Fall 2“ wurde am Nachmittag fortgesetzt. Unsere Redaktion war zu diesem Zeitpunkt nicht mehr selbst vor Ort, um aus erster Hand berichten zu können. Die Bundesanwaltschaft nannte das vorgelegte Videomaterial laut dpa einen deutlichen Beleg für die Gefahr, die von der Gruppe ausgegangen sei. L.s Verteidigung habe ein "aggressives Vorgehen" der Polizei bemängelt, dass das Verhalten ihres Mandanten beeinflusst habe. Das Vorgehen sei "von vorne bis hinten rechtswidrig" gewesen.
Auch in den nächsten Wochen wird sich das Gericht planmäßig weiter mit dem Fall beschäftigen. Bislang scheint es, als würde Markus L. sich nicht zu der Sache äußern wollen.