Eigentlich zitiere ich den Focus nicht gern, aber der Artikel zeigt, wie Lügen Wellen schlagen können.
Spoiler
Der mediale Sprengsatz sollte bald zünden. Die mutmaßliche rechtsextremistische Terror-Truppe, die sich selbst „Vereinigung“ nannte, wollte offenbar mit Hilfe ehemaliger Soldaten der Eliteeinheit KSK in Süddeutschland die ersten Kinder aus einem der Folterkeller des sogenannten „Deep State“ befreien. So steht es in Akten der Bundesanwaltschaft. Auch sollten demnach Zwillingsbrüder aus der Schweiz, Pietro und Vincente M. (Namen geändert), die Eingänge zu weiteren unterirdischen Missbrauchsgefängnissen in ihrem Land aufspüren. Die Geschwister aus dem Kanton Sankt Gallen füllten bereits Strafakten wegen Waffendelikten.
Lebenselixier aus Kinderkörpern
Durch die Befreiungsaktionen in Deutschland und in der Schweiz, so die krude Theorie, würden Presse und Öffentlichkeit endlich erfahren, dass der „Tiefe Staat“ existierte. Folglich würde die Bevölkerung die Putschpläne „der Vereinigung“ gegen die Bundesregierung gutheißen.
Die Republikfeinde, die einen gewaltsamen Angriff auf den Bundestag geplant haben sollen, glaubten tatsächlich, dass pädokriminelle-satanische Eliten über diesen Machtapparat eine globale Diktatur anstrebten. Dazu würden auch Kinder in unterirdischen Kellern gefoltert. Mutmaßlich führende Köpfe der Organisation, wie Rüdiger von Pescatore, angeblich Militärchef-Chef der Organisation, waren laut den Ermittlern davon überzeugt, dass aus den Kinderkörpern ein Elixier für das ewige Leben gewonnen würde.
Um den Stoff namens “Adrenochrom” abzuzapfen, betreibe der „Deep State“ im Untergrund militärisch-industrielle Komplexe in Form von „deep underground military bases“ (DUMBs), die durch die UNICEF stetig mit minderjährigen Opfern versorgt würden.
Die Verschwörer hegten offenbar keinen Zweifel, dass Mitglieder des „Tiefen Staates“ längst die deutsche Bundesregierung unterwandert hatten. Demnach habe die tödliche Flutkatastrophe im Ahrtal Mitte Juli 2021 nur ein Ziel gehabt: Alte Regierungsbunker zu fluten, um die Folterspuren zu verwischen. Eine Esoterikerin, die angeblich zum Kernzirkel der Umstürzler gehörte, ging gar von 600 Kinderleichen aus, die nach der tödlichen Flutwelle gefunden worden seien. Nichts davon entsprach der Wahrheit.
Rechtsextreme „Vereinigung“ : Ex-Militärs und Waffenarsenale
Vielmehr handelte es sich um Hirngespinste aus der QAnon- und Reichsbürger-Szene, die allerdings einen ernsten Charakter annahmen, als die Kerntruppe Ex-Soldaten, Polizisten, Waffenhändler und zahlreiche Staatsfeinde um sich scharte. Niemand glaubt ernsthaft, dass die Gruppierung mit zirka 200 Mitgliedern tatsächlich die deutsche Republik hätte stürzen können. Dennoch hätte die Vereinigung mit ihren Ex-Militärs und einem üppigen Waffenarsenal ein Blutbad unter den politischen und gesellschaftlichen Eliten anrichten können.
Die Mär von einem „Rollator-Putsch“, mit der die AfD-Bundestagsfraktionschefin Alice Weidel die Terror-Pläne „der Vereinigung“ herunter redete, widersprechen den Ermittlungsergebnissen der Bundesanwaltschaft. Zahlreiche Mitglieder des sogenannten militärischen Arms befanden sich im besten Alter. Auch wurden zwei Beamte eines Spezialeinsatzkommandos angeschossen, als sie den mutmaßlichen Waffenmeister der Gruppe festnehmen wollten.
Inzwischen hat die Bundesanwaltschaft 27 Schlüsselfiguren rund um die beiden mutmaßlichen Rädelsführer angeklagt. Der 72-jährige Adelige Heinrich XIII., Prinz Reuß, leitete den Ermittlungen zufolge das zivile Gremium, „den Rat“. Die Militärschiene soll der ehemalige Oberstleutnant der Fallschirmjäger, von Pescatore, 70, kommandiert haben. Die Prozesse an drei Gerichtsstandorten starten Ende April und im Mai. FOCUS online schildert in einer Serie, wie sich eine Gruppe in einer wirren Verschwörungsblase zu einem gewaltsamen Putsch am Tag X hochschaukelte.
Schweizer Zwillinge und die Folterkeller
Dabei spielten offenbar die Schweizer Zwillinge Pietro und Vincente M. eine skurrile Rolle. Am 25. November 2021 fand sich im oberfränkischen Helmbrechts einer der Brüder laut Anklage zu einem konspirativen Treffen mit führenden Köpfen „der Vereinigung“ ein. Dabei ging es um zwei Punkte: Zum einen sollten die Geschwister mutmaßlich weitere Waffen und militärische Ausrüstung für die rechtsextreme Organisation beschaffen, ferner sollten sie demnach Observationen durchführen, um im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet die DUMBs auszumachen.
Zunächst soll Prinz Reuß für die Spezialoperation 50.000 Euro gezahlt haben. Andere Angeklagte überwiesen 75.000 Euro, auch floss Bargeld in sechsstelliger Höhe an die Zwillinge geflossen. Immer wieder forderten die Gebrüder M. den Ermittlern zufolge einen weiteren finanziellen Nachschlag. Mal waren es 10.000 Euro, um eine Waffenlieferung Österreich zu flankieren, mal dienten 30.000 Euro dazu, eine bis zu 30 Köpfe starke Truppe aufzustellen, um in einen DUMB einzudringen, den die Brüder in der Schweiz im Oktober 2022 entdeckt haben wollten. Vertrauensvoll zahlte „die Vereinigung“ offenbar an die Zwillinge.
Eine treibende Kraft hinter dem Folterkellerwahn soll einer der Hauptakteure beim militärischen Arm „der Vereinigung“ gewesen sein: Maximilian E., einst Stabsoffizier beim KSK längst in die Corona-Leugner/QAnon-Milieus abgedriftet, schien von dem Gedanken beseelt zu sein, dass Politik, Justiz und Polizei in Deutschland und in der Schweiz den Missbrauch und Mord an Kindern im großen Stil organisierten. Diesen Kinderschänder-Ring müsse man gewaltsam aufspüren, unter Folter Geständnisse erzwingen und diese via Videoaufnahmen veröffentlichen. Den Ermittlungen zufolge lautete die Devise, den Schweinestall zu säubern.
Sorgerechtsstreit wird zur irren Verschwörung
Auf der Suche nach den DUMBs konzentrierte sich „die Vereinigung“ auf den Fall der Schülerin Nathalie und ihre Mutter Maria K. (Namen geändert). Die anthroposophische Musikerin aus der Nordwestschweiz hatte im Sorgerechtsstreit gegen ihren Ex-Mann monströse Vorwürfe erhoben. Demnach soll der Vater das achtjährige Mädchen einer Pädokriminelllen-Sekte übergeben haben, die auch kannibalistische Praktiken durchführte. Die Schweizer Staatsanwaltschaft ermittelte. Der Fall ging in der Alpenrepublik und Deutschland groß durch die Presse. Psychologische Gutachter stellten allerdings fest, dass die Mutter gelogen hatte, um den Sorgerechtsstreit zu gewinnen.
Falsche Verdächtigungen richteten sich ferner gegen einen Obdachlosen aus Oppenau, der als „Schwarzwald-Rambo“ im Sommer 2020 Schlagzeilen machte. Das Mädchen Nathalie hatte behauptet, sie habe Yve R. durch ihren Vater kennengelernt und in seiner Waldhütte besucht und sei in Folterkellern missbraucht worden. Als vier Polizisten den damals 31-jährigen Einsiedler aufsuchten, entwaffnete der Kleinkriminelle die Beamten und flüchtete in den Wald. Erst nach tagelanger intensiver Suche wurde R. gefasst und zu drei Jahren verurteilt. Die Missbrauchsanschuldigungen entpuppten sich als völliger Nonsens.
Die mutmaßliche Terror-Gruppe „Vereinigung“ hingegen glaubte Nathalie und ihrer Mutter. Im Herbst 2021 kontaktierte man die Familie. Maria K. übersandte den Möchtegern-Putschisten eine Namensliste der angeblichen Täter. Dabei handelte es sich um ein Konvolut von Ärzten, Psychologen, Schweizer Justizbeamten und Mitgliedern der Gemeindeverwaltung. Zugleich reiste eine Abordnung der Terror-Truppe in die Schweiz und interviewte das Mädchen Nathalie. Ein Mitschnitt wurde an führende Protagonisten mit dem Hinweis versandt, dass er einzig für militärische Zwecke gedacht sei. Vor dem Hintergrund sollten die Schweizer Zwillingsbrüder M. auch den Vater Nathalies beschatten. In der Hoffnung, dass dieser die Organisation zu den DUMBs führen würde.
Anklage: Zwillinge ergaunerten eine halbe Million Euro
Fast zur gleichen Zeit soll der Angeklagte Maximilian E. eine Kindesentführung inszeniert haben. Eine Freundin von Nathalies Mutter befürchtete, dass ihr fünfjähriger Sohn ebenfalls in den unterirdischen Anlagen sexuell missbraucht werden könnte. Mithilfe von Ex-Militär E. soll sie deshalb den Jungen nach Süddeutschland verschleppt haben. Dort wurde die Frau von der Polizei gestellt. Kürzlich erst erhob die Solothurner Staatsanwaltschaft Anklage gegen die 42-jährige Deutsche wegen Kindesentführung. Nathalies Mutter muss sich wegen des Verdachts der Beihilfe ebenfalls verantworten.
Im Jahr 2022 wuchs der Druck auf die Schweizer Zwillinge. Bis dato hatten sie mutmaßlich nur Geld kassiert, aber weder Waffen noch eine Spur zu den DUMBs geliefert. Bei persönlichen Treffen mit führenden Akteuren „der Vereinigung“ tischten die Gebrüder M. demnach ein Lügenmärchen nach dem anderen auf. Man stehe kurz vor dem Ziel zu stehen, hieß es den Ermittlungen zufolge. Zugleich sollen die mutmaßlichen Schwindler um neue Finanzspritzen gebeten haben.
Die Ungeduld wuchs in „der Vereinigung“. Prinz Reuß, Chef des zivilen „Rates“, wetterte laut Bundesanwaltschaft gegen die Militärs in seiner Organisation. 160.000 Euro habe man bereits für den Kauf der Bonbondosen gezahlt, aber keine Gegenleistung erhalten. Sein mutmaßlicher Komplize von Pescatore soll in Gesprächen mit Vergeltungsmaßnahmen gegen die Gebrüder M. nach dem geplanten Umsturz gedroht haben. Doch dazu kam es dann nicht mehr.
Am Ende ergaunerten sich die Schweizer laut Anklage vermutlich fast eine halbe Million Euro aus der Putschisten-Kasse, ohne eine Gegenleistung erbracht zu haben. Inzwischen ermittelt die Schweizer Bundesanwaltschaft gegen die Zwillinge wegen der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.