Pressebericht vom dritten Prozesstag vor dem OLG Stuttgart.
Spoiler
Angeklagter Wolfram S.: „Nie eine terroristische Vereinigung gegeben“
S. hatte bereits am zweiten Prozesstag mit seiner Aussage begonnen – und knüpfte an, wo er aufgehört hatte. „Aus meiner Sicht hat es nie eine terroristische Vereinigung gegeben, bei der ich hätte Mitglied sein können“, so S. gleich zu Beginn seiner Aussage. Wohl zur Sicherheit schob er dann hinterher: „Wenn Sie davon ausgehen, dass eine solche gibt, dann distanziere ich mich davon.“
S. hatte bereits am zweiten Prozesstag gesagt, dass er sich schon länger für Krisenvorsorge interessiert habe. So will er auch sein Engagement in der Gruppe verstanden wisse. Ein Beispiel: Die „Heimatschutzkompanien“ (HSK) der Gruppe beschrieb der Angeklagte vor Gericht als eine Art Hilfstruppen, die im Katastrophenfall mit der Bundeswehr kooperieren sollten. „Es stand völlig außer Frage, dass es einfach darum geht, die Zivilbevölkerung zu schützen.“
Anders sieht es die Anklage: Laut Bundesanwaltschaft soll es sich bei den HSK um „militärisch organisierte Verbände“ gehandelt haben, um „Säuberungskommandos“, die nach dem „Tag X“ auf kommunaler Ebene „aufräumen“ sollten.
Krasse Widersprüche: Terror- oder Hilfsorganisation?
Die Kluft zwischen dem, wie S. am Montag die sogenannte „Reuß-Gruppe“ beschrieb, und dem, was in der Anklageschrift zu lesen ist, könnte kaum größer sein. Auf der einen Seite ist von einer mutmaßlichen Terror-Organisation mit eigenem „militärischem Arm“ die Rede, die etliche Waffen für den gewaltsamen Umsturz gehortet haben soll. Bei den Aussagen des Angeklagten hatte man dagegen zeitweise das Gefühl, es handle sich um eine gemeinnützige Hilfsorganisation. Krasse Widersprüche also.
Welche Version der Wahrheit näher kommt, versuchte der Senat des OLG Stuttgart mit zahlreichen Fragen an S. zu klären. Im Kern ging es dabei stets um zwei Punkte: Welche Rolle spielte S. in der Gruppe? Und was kann er über deren Organisationsstruktur sagen?
Gefechtsstand, Aufräumarbeiten, neue Gesellschaftsordnung: Wie S. das interpretiert
Mehrfach wurde S. im Gerichtssaal mit Telefonaten, Sprachnachrichten oder Dokumenten konfrontiert. Er blieb bei allen Nachfragen dazu stets bei seiner Linie. Ein paar Beispiele:
Was ist mit den „Aufräumarbeiten“ der „Heimatschutzkompanien“ gemeint gewesen? Die habe er sich so vorgestellt, dass man halt aufräumen müsse nach chaotischen Zuständen.
„Was verstehen Sie unter neuer Gesellschaftsordnung?“, wurde er gefragt. „Das wir wieder anders miteinander umgehen.“
Warum hieß es in einer Nachricht, die Empfänger müssten sich 48 Stunden vor dem „Tag X“ „von ihren Lieben verabschieden“ und „beim Gefechtsstand eintreffen“? Der „Gefechtsstand“ habe keine militärische Bedeutung, so S., und die Verabschiedung erfolge nach seiner Einschätzung vermutlich nur, weil alle dann viel zu tun hätten.
S. hatte zu nahezu jeder Frage eine Antwort, die in das Bild passte, das er von sich zeichnete. Das vom Krisenhelfer, der eigentlich nur ein „Dorfcafé“ zur zivilen Vorsorge einrichten wollte, und darüber an die Gruppe geraten war. Dann fragte der Senat nach den Waffen.
Überwachungsvideo: Sitznachbar mit Gewehr im Anschlag
Trotz mehrerer hundert Waffen und fast 148.000 Munitionsteilen, die der Gruppe zur Verfügung gestanden haben sollen, bekräftigte S. am dritten Prozesstag noch einmal: Um Bewaffnung sei es, soweit er sich erinnere, nie gegangen.
Wenig später ging es im Gerichtssaal um ein Treffen mit weiteren Beschuldigten im Verfahrenskomplex, bei dem S. anwesend gewesen sein soll. Im Verhandlungssaal wurden Bilder gezeigt, die S. auf dem Anwesen eines mutmaßlichen Gruppenmitglieds zeigen. Die Bilder stammten von einer Videoüberwachung des Grundstücks und waren mit Anmerkungen eines ermittelnden Beamten versehen. Ein Foto zeigte S. mit einem weiteren mutmaßlichen Mitglied der Gruppe. Der andere Mann hält ein Gewehr in der Hand, das er laut Vermerk mehrfach „probemäßig“ in Anschlag genommen haben soll.
Bewaffnung war nie Thema? Präsentation legt das Gegenteil nahe
S. räumte ein, dort gewesen zu sein. An das, was im gezeigten Moment gesprochen wurde, könne er sich nicht erinnern. Aber um Bewaffnung könne es nicht gegangen sein, denn dann hätte er sich nicht beteiligt, sagte er. Ob er sich denn an die Präsentation erinnern könne, die am Tag der Foto-Aufnahmen auf dem Anwesen noch gezeigt wurde?
Worauf die Frage abzielte, wurde klar, als ein Dokument an die Wand des Verhandlungssaals projiziert wurde: „Waffen und Munition der HSK Kräfte“ stand darauf. Die Folie soll aus der Präsentation stammen, von der S. Minuten zuvor eingeräumt hatte, sie gezeigt bekommen zu haben. Er habe daran keine Erinnerung, sagte der Angeklagte.
Verschwörungserzählungen: „Ich halte davon nix, ich glaube nicht daran“
Die Waffen, so sieht es die Bundesanwaltschaft, sollten der Gruppe unter andrem dazu dienen, an einem „Tag X“ den gewaltsamen Umsturz herbeiführen zu können. Einige Mitglieder sollen geglaubt haben, die Bemühungen einer angeblichen „Allianz“ zu unterstützen. Zu diesem und anderen verschwörungsideologischen „Narrativen“ sagte S. am Montag: „Ich halte davon nix, ich glaube nicht dran.“ Der „Tag X“ sei auch nicht eingetreten, obwohl er mehrfach angekündigt worden war – nicht nur innerhalb der Gruppe. Und die gegen Covid geimpften Menschen seien auch nicht alle tot umgefallen, wie in der Szene der „Corona-Kritiker“ behauptet worden sei.
„Was ich damals als einziges für möglich gehalten habe, ist, dass eine krisenhafte Situation entstehen könnte. Das war mein Antreiber, dass ich das unterstützt habe“, so S. „Rein aus der Angst heraus habe ich das unterstützt.“
Die Organisation: Prinz Reuß? Nie getroffen
Die Aussagen, die S. am Montag zur Organisationsstruktur der mutmaßlichen Terrorgruppe traf, dürften wohl eher wenig zur Aufklärung beitragen. Wer für was zuständig war, daran könne er sich nicht erinnern. Er habe Laptops besorgt und dafür eine Kontaktperson gehabt. Wer das am Ende genehmigt und bezahlt habe, wisse er nicht.
Dass er auf internen Dokumenten der Gruppe in bestimmter Funktion auftauche, sei ohne sein Wissen veranlasst worden und gebe zudem einen veralteten Stand wieder. Seine Mitangeklagten will er teilweise noch nie gesehen, mutmaßliche Führungsfiguren der Gruppe wie Prinz Reuß oder Birgit Malsack-Winkemann nie getroffen haben. Letzteres lege laut Verteidigung nahe, dass S. „keine Kenntnis von etwaigen Umsturzplänen gehabt habe“.
Von der Gruppe losgesagt? „Sehr deutliche Distanz sichbar“
Dass S. eine Verschwiegenheitserklärung unterschrieben habe, bei deren Missachtung die Todesstrafe angedroht wird, mache ihn nicht zum Mitglied einer Organisation, sagte er. Zumal er die Drohung nicht ernst genommen habe. Stellenweise stellte S. es dar, als habe er innerhalb der Organisation sein eigenes Ding gemacht. Er habe sich mehr und mehr rausgezogen und nur "passiv" mitgemacht. Ende November will er sich in einer Sprachnachricht sogar von der Gruppe losgesagt haben.
Im Verhandlungsaal wurde eine schriftliche Fassung der entsprechenden Sprachnachricht an die Wand geworfen, die sich weniger deutlich las: „Bei mir ist es jetzt auch so, dass ich mich aus privaten Gründen ‚rarer‘ machen muss, leider“, wurde S. zitiert. In einer weiteren Nachricht an eine „Vertraute“ sei nach der Wahrnehmung des vorsitzenden Richters Joachim Holzhausen eine „sehr deutliche Distanz sichtbar“ geworden. Eine Wahrnehmung, die Holzhausen unter Vorbehalt äußerte – schließlich wird das Verfahren wohl noch etliche Sitzungstage andauern.
Weitere Verfahren in Frankfurt und München starten demnächst
In Stuttgart stehen insgesamt neun Angeklagte vor Gericht. Ihnen wird Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie die „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ vorgeworfen. Die Männer sollen sich laut Anklage im „militärischen Arm“ der Gruppe betätigt haben. Es gilt die Unschuldsvermutung. Weitere mutmaßliche Mitglieder stehen demnächst in Frankfurt und München vor Gericht.