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Alle hielten die Corona-Maßnahmen für grundfalsch
An diesem Dienstag werden sich Ruth Hildegard Leiding und Thomas Tscherneschek nach mehr als eineinhalb Jahren erstmals wiedersehen, vor dem Oberlandesgericht München. Dann beginnt der dritte Prozess gegen acht Mitglieder der verschwörerischen Vereinigung um Heinrich XIII. Prinz Reuß.
Die Bundesanwaltschaft hat die Angeklagten auf drei Gerichte verteilt, aus logistischen, aber auch aus inhaltlichen Gründen. In Frankfurt verantworten sich die wichtigsten Mitglieder des sogenannten Rats, der nach einem erfolgreichen Umsturz eine Übergangsregierung bilden sollte; Ratsvorsitzender war Prinz Reuß. In Stuttgart sind die wichtigsten Mitglieder der Heimatschutzkompanien angeklagt, die über die gesamte Republik verteilt die geplante neue Ordnung militärisch durchsetzen sollten. Die Münchner Angeklagten werden von so manchem Verteidiger als „Exoten“ bezeichnet, aber das verniedlicht ihre Rolle. Einige von ihnen saßen auch im Rat, einer sollte Außenminister werden, eine Gesundheitsministerin. Und dann sind da noch die Astrologin und der Seher, verantwortlich für das Ressort „Transkommunikation“. Ihr besorgtes Gespräch im Sommer 2021 war der Startpunkt all dessen, was letztlich zur Gründung der Vereinigung geführt hatte. So sieht das zumindest die Bundesanwaltschaft.
Tscherneschek meldete sich nach dem Gespräch bei einem ehemaligen Bundeswehrleutnant, Peter Wörner, der inzwischen Survival-Trainings anbot. Das war der erste Kontakt zum Militär. Ende Juli 2021 besuchte Wörner gemeinsam mit Maximilian Eder, einem ehemaligen Oberst des Kommandos Spezialkräfte (KSK), Tscherneschek zu Hause. Auch Leiding war bei dem Treffen dabei. Per Videocall redeten sie mit Rüdiger von Pescatore, in den Neunzigerjahren Kommandant des Fallschirmjägerbataillons 251, der Vorgängereinheit des KSK – und als solcher damals der Vorgesetzte von Eder und Wörner. Bei diesem Treffen haben die Teilnehmer laut Bundesanwaltschaft beschlossen, den Bundestag zu stürmen.
Nur wenige Tage später besichtigten Eder und Wörner auch die unterirdischen Verbindungsgänge im Bundestag, geführt von der damaligen AfD-Abgeordneten Birgit Malsack-Winkemann. Den Kontakt vermittelt hatte die Astrologin Leiding, selbst AfD-Mitglied und damals die Mitarbeiterin der Abgeordneten. (Wie diese Mitarbeit aussah, konnten die Ermittler nicht herausfinden, Leiding soll Malsack-Winkemann aber in astrologischen Fragen beraten haben.)
Die Militärs, die Politikerin, die Astrologin, den Seher und weitere spätere Mitglieder der Vereinigung wie auch Heinrich XIII. Prinz Reuß verband nicht nur, dass sie alle offenbar die Bundesrepublik Deutschland und überhaupt die Demokratie ablehnten. Auch ein ideologischer Mix war ihnen gemeinsam. Diese Überzeugung beruhte vor allem darauf, so wurde es in den Anklagen in Stuttgart und Frankfurt verlesen, dass alles mit allem zusammenhänge, dass es keinen Zufall gebe, sondern dass das aktuelle Geschehen zurückzuführen sei auf „das Werk im Geheimen agierender Mächte“.
Alle in der Vereinigung konnten sich darauf verständigen, dass die Corona-Maßnahmen des Staates falsch waren und die Impfungen gefährlich. Der ehemalige KSK-Oberst Eder reiste durch die Republik, um auf Corona-Demos zu reden. Die promovierte Neurochirurgin Melanie Ritter, die als Gesundheitsministerin vorgesehen war, hielt über die Gefahr der Impfungen Vorträge auf den Sitzungen des Rats. Der ehemalige Polizist Michael Fritsch, im Rat verantwortlich für das Ressort „Inneres“, forderte, dass nach einem erfolgreichen Umsturz alle geimpften Beamten aus dem Staatsdienst entlassen werden sollten. Und Marco van Heukelum, ein weiterer ehemaliger KSKler, schrieb im Sommer 2022, dass die Gruppe die steigende Inflation nutzen solle, um das System zu kippen – so könne man dann auch die Geimpften „fertigmachen“.
Van Heukelum hatte auch eine andere ideologische Überzeugung der Gruppe immer wieder befeuert: den Glauben an eine „Allianz“, auf deren Signal die Vereinigung wartete, um dann die Bundesrepublik zu stürzen. Van Heukelum sagte, er habe Kontakt zu dieser „Allianz“, in der sich Geheimdienste, Militärs und Regierungen zusammengeschlossen hätten. Der Mythos von dieser „Allianz“ ist zentral in der rechtsextremen Verschwörungserzählung QAnon, die in den USA entstanden ist und während der ersten Monate der Corona-Pandemie auch nach Deutschland überschwappte.
Für viele Mitglieder galt noch die Verfassung des Kaiserreichs von 1871
Diese „Allianz“ ist dabei der Gegenspieler des „Deep State“, einer geheimen Elite, die im Verborgenen eine globale Diktatur anstrebt – und jeder, der für einen demokratischen Staat arbeitet, gerät automatisch in den Verdacht, im Auftrag dieses Geheimbundes zu handeln. Diese Elite wird von den QAnon-Anhängern oft dargestellt als satanistischer Pädophilen-Ring, der in unterirdischen Tunneln Kinder gefangen halte, diese dort missbrauche, töte – um dann aus ihrem Blut ein Verjüngungselixier zu gewinnen. In diesen Tunneln, den sogenannten Deep Underground Military Bases (DUMBs), habe er bereits gekämpft, behauptete van Heukelum gegenüber den anderen Mitgliedern der Vereinigung – er wurde daher zum Verbindungsoffizier zur „Allianz“ ernannt. Auch der selbsternannte Seher Tscherneschek glaubte anscheinend an diese „Allianz“ und an die Tunnel. In einem Chat schrieb er, dass er hoffe, dass die Vereinigung bald „in Action“ treten dürfe, um „den ganzen Schweinestall zu säubern“.
Und dann ist da noch die Reichsbürger-Ideologie. Viele in der Vereinigung glaubten daran, dass die Bundesrepublik Deutschland nur eine Firma sei, eingesetzt von den Alliierten nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Für viele Mitglieder galt noch die Verfassung des Kaiserreichs von 1871, offenbar auch für die Astrologin Leiding. Deswegen war für die Gruppe ja auch Prinz Reuß so wichtig – nur ein Adeliger wie er, so die Überzeugung, könne nach dem Umsturz eine Übergangsregierung anführen, denn nur er sei legitimiert, mit den Mitgliedern der „Allianz“ einen Friedensvertrag auszuhandeln. Bei fast allen Angeklagten wurden auch Schriftstücke oder Gegenstände gefunden, die sich der Reichsbürger-Ideologie zuordnen lassen. Tscherneschek zum Beispiel hatte eine schwarz-weiß-rote Reichsfahne bei sich zu Hause, dazu unter anderem eine CD mit volksverhetzenden Songs. Bei dem Survival-Trainer Wörner fanden die Beamten ein Schild, auf dem stand: „Achtung! Sie verlassen die Bundesrepublik Deutschland und betreten deutsches Reichsgebiet.“ Dieses Schild, erklärte W. vergangene Woche vor dem Oberlandesgericht Frankfurt, habe er aber nie aufgehängt.
Und wenn eine der Ideologien nicht weiterhalf, dann hatte die Vereinigung ja immer noch Leiding und Tscherneschek. Die wichtigste Aufgabe ihres Ressorts „Transkommunikation“ war es, neue Mitglieder der Vereinigung zu überprüfen – mithilfe von Astrologie, Esoterik und Spiritualität: Anwärter mussten dazu ihr Geburtsdatum an Leiding schicken. Tscherneschek konnte offenbar auch Prinz Reuß davon überzeugen, van Heukelum, den vermeintlichen Verbindungsmann zur „Allianz“, zu weiteren Ratssitzungen einzuladen, obwohl Reuß diesem zunächst nicht traute. Durch dessen Teilnahme, sagte Tscherneschek, kämen alle „in höhere Stimmung“.
Doch harmlose Hirngespinste waren das alles nicht. Die Vereinigung hatte bereits Unmengen an Waffen gesammelt, darunter 382 Schusswaffen und 148 000 Schuss Munition. Die Bundesanwaltschaft glaubt: Sie war auch bereit, sie einzusetzen. Und auch der Sohn von Ruth Hildegard Leiding hatte erkannt, wie groß die Gefahr für die Demokratie gewesen sein könnte. Was seine Mutter betreibe, sagte er den Ermittlern, sei „braune Esoterik“.