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Es sei sein Kampf gegen die großangelegte „satanisch-rituelle Pädophilie“ im Schwarzwald und in der Schweiz. Das sei nun einmal wichtiger als die Straßenverkehrsordnung.
Maximilian Eder will vor Gericht Bilanz ziehen
Maximilian Eder denkt im größeren Maßstab. Der langjährige Bundeswehr-Offizier will jetzt Bilanz ziehen, „weil das in Frankfurt nicht so zum Tragen kommen wird“, glaubt er.
Ab diesem Dienstag steht Eder mit acht weiteren mutmaßlichen Führungskräften einer wunderlichen Truppe vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. Es geht um den Verdacht der Gründung beziehungsweise Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, um Hochverrat.
Eder muss sich nun die öffentliche Aufmerksamkeit etwa mit Heinrich XIII. Prinz Reuß und Rüdiger von Pescatore teilen. Die Bundesanwaltschaft sieht den Unternehmer aus Frankfurt und den einstigen Bruchsaler Offizier als „Rädelsführer“ einer Vereinigung, die laut Anklage den Bundestag stürmen und die Bundesrepublik mit Waffengewalt abschaffen wollte.
Vor dem OLG Stuttgart läuft im Reuß-Komplex bereits ein paralleles Verfahren gegen neun weitere Angeklagte.
Generalprobe für das große „Reichsbürger-Verfahren“?
Derweil scheint Eder seinen Trunkenheitsprozess in München als Generalprobe für das Frankfurter „Reichsbürger“-Verfahren aufzufassen. Er will jetzt „die Bilanz eines erfüllten Lebens“ ziehen, sagt der 65-Jährige.
Ein Leben, das ihn von der bayerischen Provinz in die Kriege im Kosovo und in Afghanistan führte und in der Bundeswehr-Hierarchie bis zur Position des Gründungsstabschefs der Spezialeinheit Kommando Spezialkräfte (KSK) in Calw.
Spätestens seit der Corona-Zeit führte es ihn offenbar auch in einen Sumpf aus Verschwörungslegenden und Umsturzfantasien.
Seine Verteidigungslinie für das Staatsschutzverfahren: Er sei weder ein „Reichsbürger“, noch habe er den Bundestag stürmen wollen. Vielmehr sei es ihm darum gegangen, in der Reuß-Gruppe Unterstützer für sein wichtigstes Anliegen zu finden.
Eder redet flüssig und pointiert, mit warmer bayrischer Stimmfärbung. Als er näher auf das eingeht, was er gebetsmühlenhaft „satanisch-rituelle Pädophilie“ nennt, gerät er ins Stocken. Eder glaubt womöglich selbst, was er da an tolldrastischen Geschichten auftischt.
Rückblende: Ein Julisonntag des Jahres 2020 in der Schwarzwaldgemeinde Oppenau. Bei der Polizeikontrolle einer Waldhütte überwältigt ein 31-Jähriger gleich vier Beamte und flüchtet mit ihren Pistolen. Nach einer beispiellosen Fahndung mit Tausenden Beamten wird Yves R. am sechsten Tag gefasst.
„Waldläufer von Oppenau“ triggert Verschwörungsgläubige
Zu diesem Zeitpunkt ist der „Waldläufer von Oppenau“ schon eine zweifelhafte Berühmtheit. Sein Fahndungsbild wird auch in der Schweiz gezeigt. Dort triggert der mysteriöse Fall eine Personengruppe, die an massenhafte satanische Ritualmorde an Kindern glaubt, begangen durch eine ominöse Elite.
Ähnlich wie bei der aus den USA stammenden QAnon-Legende sehen Experten hier eine moderne Variante uralter antisemitischer Horrorgeschichten, die das Ziel haben, Juden zu entmenschlichen.
Der in der Schweiz sehr bekannt gewordene „Fall Nathalie“ ist besonders krass. Die Mutter eines damals siebenjährigen Mädchens beschuldigt ab 2019 ihren Ex-Mann mit immer schlimmeren Missbrauchsvorwürfen. Irgendwann war die Rede von Kannibalismus, Folter und satanistischen Messen; von Wildtieren, die der Vater im Beisein des Kinds vergewaltigt habe.
Vermeintliches Missbrauchsopfer will Yves R. erkannt haben
Hier kommt der Oppenauer Waldläufer ins Spiel. „Nathalie“ (Namen geändert) will ihn auf dem Fahndungsfoto als Komplizen ihres Vaters erkannt haben. Die Vorwürfe machen in sozialen Netzwerken die Runde.
Yves R. als Helfer eines internationalen Missbrauchszirkels? Maximilian Eder nimmt das offenbar für bare Münze. Vor dem Amtsgericht in München spricht er über ein Treffen mit „Nathalie“ und dass er kurz davor gewesen sei, mit einem Trupp von Spezialisten ein unterirdisches Tunnelsystem von Pädophilen in der Schweiz auszuheben.
Doch das habe die „Reichsbürger“-Razzia vom 7. Dezember 2022 leider verhindert. Kurz vor seiner Festnahme in Italien hatte Eder noch in einer Videobotschaft behauptet, im Schwarzwald seien Tausende Kinder befreit worden. Was den kürzlich aus der Haft entlassenen „Waldläufer“ betrifft, drückt sich Eder vor Gericht eher kryptisch aus.
Der Angeklagte macht deutlich, dass er den Behörden keinen Glauben schenkt. Er sagt, dass „man einen Waldläufer eingesetzt“ habe und dass diese „besondere Aktion“ ein wenig „ambitiös“ für einen Einzeltäter gewesen sei. Eder lacht: „Man muss realistisch bleiben.“
Psychiaterin hält „wahnhafte Störung“ für möglich
Eine Gerichtsärztin, die die Alkoholprobleme Eders einschätzen soll, kommt ebenfalls auf den „Fall Natalie“ zu sprechen. Obwohl der Fall in der Öffentlichkeit breit aufgearbeitet worden sei, halte Eder an seiner Sicht als die „unumstößliche Wahrheit“ fest.
Da Eder einer Untersuchung offenbar nicht zustimmte, drückt sich die 58-jährige Psychiaterin mit aller Vorsicht aus. Als Verdachtsdiagnose nennt sie eine von Eders Kriegseinsätzen herrührende posttraumatische Belastung sowie möglicherweise eine „wahnhafte Störung“.
Der „Fall Natalie“ gilt inzwischen als gut erforschtes Beispiel für einen besonders perfiden Verschwörungsglauben, wie etwa die Basler Zeitung dokumentierte. Vertrauenspersonen reden Betroffenen ein, dass sie von Anhängern des Satans rituell missbraucht worden seien. Nicht nur die Staatsanwaltschaft Basel hatte dazu umfangreich ermittelt und Gutachten eingeholt, sondern auch die Staatsanwaltschaft Offenburg.
Sprecher Hans Christian Schmitz bestätigt auf Anfrage, „Vorwürfe sexueller Übergriffe auf Kinder auch gegen Yves R.“. Das Ermittlungsverfahren sei Anfang 2021 eingestellt worden, „nachdem die Angaben der mutmaßlich Geschädigten aufgrund einer gutachterlichen Bewertung nicht belastbar waren“, so der Offenburger Staatsanwalt.
„Soviel zur Justiz in unserem Land“
Maximilian Eder glaubt alledem nicht. Für ihn sind massenhafte Ritualmorde ganz real. Belege hat er aber keine. Er räumt ein: „Ich kann es in diesem Umfang nicht beweisen.“ Freilich seien im Zuge der „Reichsbürger“-Ermittlungen auch Beweise verschwunden.
„Soviel zur Justiz in unserem Land“, grantelt Eder. Amtsrichterin Luisa Englert schaut geduldig zu. Als er mit seinem Stunden langen Monolog fertig ist, schaut sie erleichtert. Dann verurteilt sie Eder zu zehn Monaten Haft wegen Trunkenheit.
Ab diesem Dienstag steht der Ex-Oberst in einem der größten Staatsschutzverfahren in der Geschichte der Bundesrepublik vor dem OLG Frankfurt. Schon zuvor ist klar: Es bedarf viel Geduld.
OLG Frankfurt zum Prozessauftakt
Dafür sprechen auch die Zahlen, die Gerichtssprecherin Gundula Fehns-Böer vorab mitteilte. Die Anklageschrift ist 617 Seiten stark. Die Dokumente zum Prozess umfassen der Sprecherin zufolge 801 Stehordner.
Neun Angeklagte, fünf Richter, zwei Ergänzungsrichter und 25 Verteidiger sollen demnach im Prozess dabei sein, rund 260 Zeugen geladen werden. Und bis zu 45 Wachtmeister sollen an jedem einzelnen Sitzungstag für Sicherheit sorgen.