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Reichelt erweckt unwahren Eindruck zu "PolizeiGrün"
Reichelt hatte unter anderem Äußerungen getätigt wie: "Die Polizei der Grünen postete auch dies auf X" oder "Noch einmal, hier sitzen Polizisten in der Grünen Parteizentrale". Das LG Hamburg nimmt an, dass Personen, die den gesamten Beitrag lesen, nicht davon ausgehen, dass die Grünen eine Vollzugspolizei aufbauen oder dulden würden. Vielmehr würde der durchschnittliche Leser erkennen, dass es sich nur um einen Zusammenschluss von den Grünen nahestehenden Polizisten handelt. Dies erkenne der Leser etwa an der Passage, wonach "echte Polizisten unter dem Namen Polizei (...) auftreten". Entsprechend wurden Reichelt Aussagen, die zum Gegenstand haben, dass die Grünen eine eigene Polizei haben, nicht verboten – weil eben der Leser durch den Kontext des Berichts erkenne, dass es sich dabei nicht um eine Vollzugspolizei handele, sondern den Verein.
Allerdings würde durch mehrere Passagen von Reichelt der unwahre Eindruck erweckt, der Verein "PolizeiGrün" sei in enger Abstimmung und im Auftrag der Grünen tätig. Dieser Eindruck entstünde etwa durch die einleitenden Sätze eines Artikels, wonach es um eine Polizei gehe, die einer solchen entspreche, die "im Dienste der herrschenden Partei" stehe und die "aus der Parteizentrale gesteuert und befehligt" werde. Dieser falsche Eindruck werde verstärkt durch die Äußerung "ganz offenkundig baut sich die Grüne Partei in ihrem Hauptquartier eine eigene Einschüchterungstruppe aus treu ergebenen Polizeibeamten auf". Entsprechend wurde Reichelt und Nius diese Eindruckserweckung verboten.
Reichelts Falschbehauptung zu Büroräumen
Außerdem untersagte das Gericht Reichelt und Nius, zu behaupten oder zu verbreiten, in einem Gebäude in Berlin-Mitte befänden sich sowohl die Parteizentrale der Partei Bündnis 90/Die Grünen als auch die Büros der "PolizeiGrün". Diese als Bildunterschrift erscheinende Äußerung stelle eine unstreitig unwahre Behauptung dar. Der maßgebliche Durchschnittsleser nehme hier an, dass der Verein in dem gezeigten Gebäude über tatsächliche Büroräume verfüge, was nicht der Fall ist.
Den Grünen stehen insoweit Unterlassungsansprüche gegen Reichelt und Nius aus §§ 1004 Abs. 1 S. 2 analog, 823 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) i.V.m. Art. 19 Abs. 3, Art. 2 Abs. 1 Grundgesetz (GG) zu. Die angegriffene Berichterstattung verletze die Grünen in dem ihr zukommenden Achtungsanspruch. Auch eine politische Partei könne sich über Art. 19 Abs. 3 GG auf den Schutz der ihrem Wesen nach auf sie anwendbaren Grundrechte berufen.
"Grünen bauen sich eigene Polizei auf" ist je nach Kontext unwahr oder zulässige Meinung
Die Grünen hatten weiterhin die Aussage angegriffen, "die Grünen bauen sich eine eigene Polizei auf". Diesbezüglich gab das LG Hamburg den Grünen nur zum Teil recht.
Soweit diese Äußerungen in einem bei Nius veröffentlichten Beitrag vom 12.02.2024 als auch in einem Video getätigt wurden, handele es sich um zulässige, wertende Meinungsäußerungen. Der maßgebliche Zuschauer erkenne, dass mit der Umschreibung "Polizei" die Tätigkeit des in dem Beitrag ausdrücklich als "e.V." dargestellten Verein "PolizeiGrün e.V." gemeint ist und keine Vollzugspolizei im herkömmlichen Sinne. Es bleibe in tatsächlicher Hinsicht unscharf und offen, welche konkreten Maßnahmen die Grünen unternehmen, um eine Polizei "aufzubauen". Im Kern handele es sich daher um eine Wertung, entschied das LG. Für diese Wertung lägen auch Anknüpfungstatsachen vor, führte das Gericht aus. Denn der Verein dürfe unstreitig die Anschrift der Grünen als Postadresse nutzen und der Verein habe einen Empfang in den Räumen der Grünen durchführen dürfen, bei dem deren Parteivorsitzende ein Grußwort gesprochen hat.
LG: Tweet-Leser haben anderes Verständnis als Artikel-Leser
Sofern Reichelt aber in einem Tweet bei X geschrieben hat, "Die Grünen bauen in der Parteizentrale ihre eigene Polizei auf", sei dies rechtswidrig und zu untersagen. Im Unterschied zu den Äußerungen in einem Beitrag und Video gehe der maßgebliche Betrachter des angegriffenen Tweets davon aus, dass die Grünen eine Polizei im herkömmlichen Sinne in ihrer Parteizentrale installieren. Hierbei sei auf den Empfängerkreis abzustellen, der nur den im Tweet enthaltenen Text, nicht aber auch das Video zur Kenntnis nimmt. Die Kammer ging davon aus, dass der durchschnittliche Nutzer des Mediums X in scrollender Weise eine Mehrzahl von Tweets nacheinander wahrnimmt und eine Vielzahl von Lesern davon absehen, ein in einen Tweet eingebettetes Video zusätzlich zu betrachten. Der so beschriebene Betrachter erfahre nicht, was Reichelt mit der Beschreibung "eigene Polizei" tatsächlich meint, sondern gehe von einer Vollzugspolizei aus. Da dies unwahr sei, müsse der Tweet gelöscht werden.
Reichelt und sein Anwalt mit irreführender Litigation PR
Insgesamt gab das LG Hamburg den Anträgen der Grünen circa zur Hälfte statt, hinsichtlich der anderen Anträge bekamen Reichelt und Nius Recht. Die Kosten des Verfahrens tragen die beiden Parteien im Wesentlichen zur Hälfe.
In der medialen Verarbeitung des Beschlusses versuchen Reichelt und sein Anwalt allerdings, die gerichtliche Teilniederlage als Sieg umzudeuten. Sein Anwalt Steinhövel schrieb unter vollständiger Weglassung der verlorenen Punkte "Die Grünen scheitern mit Angriffen auf die Pressefreiheit gegen Julian Reichelt vor dem Landgericht Hamburg." Dass von der Pressefreiheit die Verbreitung von unwahren Behauptungen nicht gedeckt ist, das LG Hamburg aber drei Aussagen oder Eindrücke wegen Unwahrheit verbot, ließ Steinhövel unerwähnt.
Reichelt selbst postete auf X "Wir dürfen weiterhin sagen, dass die Grüne Partei sich eine eigene Polizei aufbaut", obwohl ihm genau diese Aussage isoliert, ohne weiteren Artikelkontext, gerade verboten wurde. Dass die Nichtbeachtung von einstweiligen Verfügungen teuer werden kann, musste unlängst Stephan Brandner von der AfD erfahren, der wegen stehengelassener Tweets zunächst ein Ordnungsgeld von 5.000,- Euro und sodann von 15.000,- Euro vom Landgericht Berlin auferlegt bekam.
Der Beschluss des LG Hamburg ist noch nicht rechtskräftig. Gegen die Entscheidung des LG können Reichelt und Nius Widerspruch nach § 924 ZPO einlegen. Die Grünen selbst können im Hinblick auf die unterlegenen Punkte sofortige Beschwerde zum OLG Hamburg nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO einlegen.