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Lesen Sie hier das gesamte Interview mit Dirk Schmitz:
Herr Schmitz, im Moment läuft eine intensive Debatte über die Wettbewerbsfähigkeit des Standorts Deutschland. Durch die Wahlerfolge und die starken Umfragewerte der AfD hat diese Diskussion auch eine gesellschaftspolitische Komponente bekommen. Wie sehr beschäftigt das die globalen Kunden von Blackrock?
Natürlich schauen sich internationale Investoren die politische Landschaft an, wenn sie Investitionsentscheidungen in Deutschland treffen. Deutschland hat sehr viel Gutes zu bieten, aber die politischen Umfragewerte der vergangenen Monate werden von internationalen Investoren mit Besorgnis gesehen und die Landtagswahlen in diesem Jahr werden eng verfolgt.
Was treibt die Investoren konkret um?
Zum einen geht es um die gesellschaftspolitische Dynamik. Wenn man als internationales Unternehmen eine Fabrik in Deutschland baut, dann entsendet man auch Mitarbeiter dorthin. Deshalb will man sicher sein, dass demokratische Werte und das Grundgesetz hochgehalten werden. Es geht aber auch um wirtschaftspolitische Vorschläge. Wenn eine Partei mit wachsendem Einfluss den Austritt aus der EU fordert, dann machen sich internationale Investoren ernsthafte Sorgen. Solche politischen Fragen spielen eine zunehmend wichtige Rolle, deshalb ist die Diskussion um den Rechtsruck ein Standortfaktor.
Beschäftigt das auch Finanzinvestoren, die in deutsche Aktien investieren?
Ja, natürlich, denn letztlich finanzieren sie über den Umweg über die Börsen zahlreiche Investitionen in Deutschland und letztlich sind sie als Aktionäre auch der Miteigentümer vieler größerer Unternehmen. Es wäre einfach schade, wenn zukünftige Investitionen von Sorgen über die politische Stabilität beeinträchtigt würden. Aber es gibt ja auch reichlich positive Beispiele wie den Bau der Chipfabriken in den neuen Bundesländern.
Könnte am Ende wegen dieser Debatten auch weniger Geld in Dax-Konzerne fließen?
Wenn das Vertrauen in die politische Stabilität Schaden nimmt, könnte das die Folge sein.
Sind Sie bei den internationalen Investoren im Moment verstärkt als Erklärer gefragt, etwa wenn es um die Bedeutung der Landtagswahlen in diesem Jahr geht?
Absolut. Und zwar innerhalb und außerhalb von Blackrock. Ich nehme diese Rolle gerne wahr. Und Deutschland hat ja auch viel Positives zu bieten, die Volkswirtschaft ist gerade erst wieder auf den weltweit dritten Rang vorgerückt.
Weil Japans Wirtschaft so schwach ist und von Platz drei auf Platz vier abgerutscht ist …
Ja, aber das ist dennoch bemerkenswert. Und Deutschland kann ein Triple-A-Länderrating vorweisen, das heißt die bestmögliche Bonitätsnote der großen Ratingagenturen. In der Gruppe der G7-Staaten erreicht das sonst nur noch Kanada. Die Bewertung zeigt die Qualitäten des Standorts und die Solidität der Finanzpolitik.
Und doch wird wieder darüber diskutiert, ob Deutschlands Volkswirtschaft wieder der „kranke Mann Europas“ ist.
Bei allen positiven Standortfaktoren denke ich schon, dass wir mehr Fahrt aufnehmen müssen. Natürlich wird die Diskussion sehr polarisierend geführt, aber es gibt eine Reihe von Faktoren, bei denen noch reichlich Luft nach oben ist, einer dieser neuralgischen Punkte ist der Bürokratieabbau.
Über den ja auch schon sehr lange sehr lebhaft diskutiert wird.
Ja, aber es passiert zu wenig, das zeigt ein Vergleich mit den USA. Dort hat die Regierung den Inflation Reduction Act (IRA) auf den Weg gebracht mit einem Volumen von rund 370 Milliarden Dollar und einer Laufzeit von zehn Jahren. Wenn man die einzelnen Programme zur Förderung der Wirtschaft in Europa addiert, kommt man auf ähnliche Größenordnungen. Die finanzielle Kraft von USA und Europa ist also vergleichbar.
Was fehlt dann?
In den USA vergehen teilweise nur 18 Monate von der Planung bis zur Eröffnung einer Fabrik, und 24 Monate später können Sie die erste Super-Abschreibung geltend machen, mit entsprechend positiver Wirkung auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnung. In Deutschland dauert es etwa fünf Jahre bis zum Baubeginn eines Windenergieprojekts, dann dauert es noch mal einige Jahre bis zur Eröffnung, und es ist oft sehr kompliziert, die Förderung abzurufen.
Also leidet Deutschland unter strukturellen Defiziten und weniger unter finanziellen Engpässen …
Wenn die Rahmenbedingungen stimmen und das Rendite-Risiko-Profil mit dem in anderen Ländern vergleichbar ist, steht mehr als genug Kapital für Investitionen in Deutschland bereit. Das gilt auch für Blackrock, wobei wir schon 200 Milliarden Euro hier direkt investiert haben.
Wo sehen Sie außer bei der Bürokratie sonst noch Standort-Defizite?
Der Deutschlandpakt funktioniert nicht so, wie er es sollte, um mehr Kapital von internationalen Investoren zum Einsatz zu bringen.
Damit meinen sie das Zusammenspiel von Bund und Ländern?
Ja, idealerweise auch noch koordiniert mit den Kommunen. Im Prinzip ist der Föderalismus ein gutes System, aber er kann Investitionsprojekte behindern, sei es bei der letzten Meile bei Kabelprojekten oder bei großen Solarvorhaben. Gerade wenn man ausländisches Kapital anziehen will, ergibt eine Bündelung der Projekte und der Ausschreibungen über Gemeinde- und Ländergrenzen hinweg Sinn.
Besonders dringend wird privates Kapital für den Umbau zu einer klimafreundlicheren Wirtschaft gebraucht. Wie kann man dieses Kapital besser und schneller mobilisieren?
Zunächst einmal will mehr als die Hälfte unserer institutionellen Kunden, zum Beispiel Versicherungen, Pensionskassen und Versorgungswerke, in die Transformation der Wirtschaft investieren. Vor allem bei Investments in die Infrastruktur sehen viele Investoren große Chancen.
Woran hapert es dann?
Die Finanzierung der Projekte muss ordnungspolitisch und marktwirtschaftlich sauber aufgesetzt werden. Sonst kann man den politischen Willen nicht in investierbare Projekte umsetzen. Dazu gehören auch Steuerungssignale wie der CO2-Preis. Über dieses Instrument lassen sich externe Kosten marktwirtschaftlich internalisieren. Und: Wir brauchen Technologieoffenheit, denn viele Technologien, die für die Transformation wichtig werden, kennen wir heute noch gar nicht.
Seit 2021 erhöht der deutsche Staat jährlich den Preis für den CO2-Ausstoß. Kritiker monieren, dass dadurch die soziale Spaltung verschärft wird, weil die Belastung ärmere Haushalte deutlich härter trifft als Wohlhabende.
Wir brauchen realistische CO2-Preise, sonst fehlt uns ein wichtiges marktwirtschaftliches Steuerungselement. Natürlich kann die Erhöhung bestimmte Niedriglohnbezieher belasten, aber hier kann man mit sozialen Ausgleichsmaßnahmen, etwa in Form eines Klimagelds, gegensteuern. Beim CO2-Preis wäre es außerdem sinnvoll, wenn er auch über die Grenzen hinweg wirken würde. Bei der Abstimmung mit anderen Ländern gibt es eindeutig noch Verbesserungsmöglichkeiten. Aber bei allen Defiziten, wir haben bei der Transformation bereits einiges erreicht. 2023 ist der Anteil erneuerbarer Energien bei der heimischen Stromerzeugung erstmals über 50 Prozent gestiegen. Und auch die kürzlich angekündigten Klimaschutzverträge können ein Schritt in die richtige Richtung sein.
Ein weiteres nationales Großprojekt ist der Umbau der Altersvorsorge. Mit dem neuen Haushalt startet die Bundesregierung das Projekt Aktienrente. Wie beurteilen Sie die Pläne?
Das Signal ist richtig, aber auch bei diesem Thema muss es schneller vorangehen. Vollkommen klar ist, dass wir die Kapitalstockbildung brauchen. Mit dem Generationenkapital macht die Bundesregierung jetzt einen Anfang, auch wenn die Startsumme von zwölf Milliarden Euro zu niedrig ist, um das grundlegende Problem zu lösen, und das Projekt insgesamt zu spät kommt. Ich glaube jedenfalls nicht, dass wir die Probleme in der sogenannten ersten Säule – der gesetzlichen Rentenversicherung – einfach aussitzen können. Die demografische Herausforderung ist so groß, dass wir gegensteuern müssen.
Dass der Deutschland-Chef von Blackrock das sagt, ist nicht überraschend, schließlich verdient der Konzern viel Geld mit kapitalmarktorientierter Altersvorsorge …
Das sage ich aber auch als Bürger und künftiger Rentenbezieher. Die Bundesbank und viele Wissenschaftler fordern ebenfalls, dass wir die Altersvorsorge aufgrund demografischer Entwicklungen grundsätzlich neu aufstellen müssen. Nur dann können wir breite Altersarmut vermeiden. Wenn wir nichts ändern, werden viele Menschen in der Rente ohne Bürgergeld oder Sozialhilfe nicht mehr auskömmlich leben können. Das ist eine mathematische Gewissheit.
Sie haben die niedrige Startsumme des Generationenkapitals kritisiert. Bis 2045 soll das Kapital auf über 200 Milliarden Euro steigen. Reicht das?
Das ist eine Erleichterung für die erste Säule, aber keine komplette Absicherung der Rente durch die Bildung eines Kapitalstocks. Das Beispiel der Niederlande zeigt, vor welchen Herausforderungen wir stehen. Dort gibt es in der zweiten Säule eine hundertprozentige Kapitalstockbildung, und trotzdem geht die Regierung bei der Rente von sogenannten „defined benefits“ zu „defined contributions“ über. Das heißt, es gibt keine Garantie mehr für die Höhe der künftigen Rentenzahlungen. Letztlich kämpfen wir in Deutschland mit genau den gleichen Problemen.
Und wie können wir diese Probleme lösen?
Grundsätzlich hat das deutsche Vorsorgesystem mit den drei Säulen gesetzlich, betrieblich und privat viele Vorteile. Aber alle drei Säulen müssen reformiert werden. In der ersten Säule startet jetzt das Generationenkapital, das ist gut. Weniger gut ist, dass die Investitionen über Schulden finanziert werden. In der zweiten Säule müssen wir bessere und offenere Varianten entwickeln. In den USA gibt es beispielsweise die sehr erfolgreichen 401-K-Sparpläne. Arbeitnehmer zahlen dabei einen Teil ihres Bruttogehalts in einen Pensionsplan ein, der meist in Aktien und ETFs investiert. In der dritten Säule war die Riester-Rente nur bedingt erfolgreich. Offene Formen der Vermögensbildung sind hier wichtig, etwa mit ETFs.
Ein Hauptgeschäft von Blackrock …
Wir sind ja nicht die Einzigen, die mit Vorsorgeprodukten Erfolg haben. In Deutschland gibt es bereits sieben Millionen ETF-Sparpläne, das heißt, dass es die Menschen schätzen, selbst über einen Teil ihrer Altersvorsorge entscheiden zu können, und es ist sicher nicht verkehrt, die Selbstverantwortung zu fördern.
Herr Schmitz, vielen Dank für das Gespräch.