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Es ging um 26 Euro
„Eine gesittete deutsche Anrede scheint Euch jedoch fremd zu sein, aber wer kennt die schon in Afrika?“ beginnt der Brief des Kunden, dem das Stadtwerk, wie aus diesem Brief zu entnehmen, rund 26 Euro Nachzahlgebühr für die Stromkosten des vergangenen Jahres berechnet hatte.
Der Mann, der in dem Brief mitteilt, die zu wenig gezahlten Gebühren überwiesen zu haben, weigert sich dann aber, die Mahngebühren zu zahlen. Er begründet das mit: „Ich habe nun genug von den ♥♥♥en in diesem verrückten, an Geisteskranken zunehmenden Land, in dem nur noch merkelsche Gäste gut und gerne leben.“ Was dann folgt, hat deutliche Anleihen bei den Nationalsozialisten und deren Sprachgebrauch. „Wenn Ihr keine Ruhe gebt und mich weiter mit euren Mahngebühren drangsaliert, werdet ihr euch eure Zähne an deutschem Kruppstahl ausbrechen. Ihr solltet ‚preusische Weißheiten‛ beherzigen – sofern ihr überhaupt über Besitztümer wie Bildung verfügt. Wo kein Geld ist, hat der Kaiser sein Recht verloren.“ Zum Schluss noch eine Grußfloskel aus NS-Zeiten, auf deren Wiedergabe hier verzichtet sei. Die Rechtschreibfehler stehen so im Original.
Auf die E-Mail reagierte das Stadtwerk am See mit einer Strafanzeige. „Weil wir eindeutig und unzweifelhaft zeigen möchten, dass wir Rassismus nicht ,durchgehen' lassen. Weil Werte nicht nur hübsche Worte im Unternehmenshandbuch sind, sondern eine Verpflichtung. Menschenwürde und Respekt sind nicht verhandelbar“, schreibt der Unternehmenssprecher.
Ist das strafbar?
Dass der Briefschreiber Bildung anmahnt, aber „preusische Weißheiten“ schreibt, darüber mache sich beim Stadtwerk niemand lustig, weil Rassismus nicht „lustig“ oder „lächerlich“ sei. Es gehe um strafbare Handlungen. Der Text ist schließlich durchzogen von Ausländerfeindlichkeit. Auch der Verdacht der Volksverhetzung dürfte ebenso wie die Verwendung von NS-Kennzeichen im Raum stehen – allein schon wegen der Grußfloskel am Schluss.
Wie oft kommt so etwas beim Landkreis vor?
Unsere Redaktion hat bei Stadt und Landkreis sowie beim nachgefragt, wie oft solche Vorfälle passieren und Kunden derartige Briefe schreiben. Unverschämte Kunden gibt es demnach immer wieder. Anzeigen werden beim Landkreis dezentral durch die Ämter und Dezernate gestellt. Drohungen oder Handgreiflichkeiten sind der häufigste Grund dafür. „In der Regel erteilen wir dann auch ein Hausverbot. Aktuell haben wir im Intranet 23 Personen mit Hausverbot hinterlegt, der letzte Eintrag von Mitte Juli“, schreibt der Sprecher des Landkreises, Robert Schwarz.
2024 sind von der Verwaltung des Bodenseekreises fünf befristete Hausverbote erteilt worden. „Diese Hausverbote wurden zum Schutz unserer Mitarbeitenden aufgrund von aggressivem Verhalten, Beleidigung, Bedrohung oder Gewaltausübung der Kundinnen und Kunden ausgesprochen“, so Schwarz. Die Personen könnten weiter Leistungen des Landratsamts in Anspruch nehmen, bräuchten dafür aber zwingend einen vorab vereinbarten Termin. In diesem Jahr seien bis zum 1. Juli bereits acht befristete Hausverbote erteilt worden.
Was sagt die Stadt Friedrichshafen dazu?
Die Stadt Friedrichshafen weiß von solchen Bürgern auch ein Lied zu singen. Es komme immer wieder vor, dass unverschämte und beleidigende E-Mails oder Briefe zur Stadt und der Bürgerinfo im Rathaus geschickt werden. „Eine genaue Zahl liegt uns nicht vor, wir führen dazu keine Statistik. Gelegentlich erstatten wir auch Strafanzeige wegen Beleidigung“, schreibt die Pressestelle der Stadtverwaltung.
Zuletzt habe es 2024 zwei Vorfälle im Rechtsamt gegeben, in denen Strafanzeige gestellt wurde. Ein Verfahren wurde wegen Schuldunfähigkeit der Täterin eingestellt. Das andere Verfahren läuft noch. Zum Umgang mit solchen Fällen schreibt die Pressestelle: „Jeder Bürger ist anders. Deshalb müssen die Mitarbeitenden immer auf die aktuelle Situation reagieren. Grundsätzlich sind die Mitarbeitenden aufgrund ihrer Berufs- und Lebenserfahrung in der Lage, bei massiven verbalen Entgleisungen deeskalierend auf den Bürger einzuwirken und so die Situation in den Griff zu bekommen. Die Mitarbeitenden können sich auch jederzeit an ihre Führungskraft wenden, die mit ihr das weitere Vorgehen bespricht oder nach einem Vorfall unterstützend zur Seite steht.“ Eine generelle Anleitung, wie man mit Beleidigungen und Beschimpfungen der Bürgerinnen und Bürger umgeht, gibt es aber nicht.
Wie geht das Stadtwerk mit solchen Fällen um?
Für das Stadtwerk sei die Zahl der Fälle sehr überschaubar. „Wir erhalten immer wieder vereinzelt Briefe, die im Inhalt ,speziell' sind, zum Beispiel von Personen, die sich als Reichsbürger bezeichnen und beispielsweise schreiben, dass sie die Bundesrepublik nicht als Staat anerkennen usw. Beschimpfungen oder Beleidigungen– schriftlich oder auch persönlich – kommen öfter vor, insbesondere wenn wir Kunden den Strom abstellen. In einem Fall hat der Kunde uns unterschwellig vorgeworfen, dass wir rassistisch seien, weil wir ihm den Strom abgestellt haben“, schreibt die Pressestelle des Stadtwerks am See.
Der fremdenfeindliche Brief des älteren Herrn sei allerdings die erste Strafanzeige, die gestellt werde. Einen so gezielten und persönlichen „Angriff“ wie in diesem Schreiben habe es bislang noch nicht gegeben. Strafanzeigen zum Thema Stromdiebstahl, Beschädigung und so weiter kämen indes gelegentlich vor.
Da sich diese Fälle derart in Grenzen halten, gibt es beim Stadtwerk auch keine spezielle Anleitung oder Arbeitsanweisung dazu. „Wir entscheiden einzelfallbezogen, was wir antworten und wie wir damit umgehen. In diesem Fall kam die Mitarbeiterin sofort auf ihre Führungskraft zu, alle weiteren Schritte haben wir eng und stets im Austausch mit der Mitarbeiterin vorgenommen. Es war und ist uns wichtig, dass wir die Mitarbeiterin schützen und ihr eindeutig zeigen, dass wir hinter ihr stehen“, so Sebastian Dix, Unternehmenssprecher des Stadtwerks am See.
Die Äußerung ist nicht öffentlich und wohl kaum geeignet, Teile der Bevölkerung zu verhetzen?
Die Stadtwerke haben halt öffentlichkeitswirksam gezeigt, wo sie stehen.