Da scheint es jemand wirtschaftlich nicht ganz so gut zu gehen, seitdem die Medien das Treffen völlig falsch dargestellt haben.
Umso ideologisch gefestigter scheint die Schloßherrin zu sein (wenn die Autorin^^ die erforderliche Distanz zum gesagten so manches Mal vermissen zu lassen scheint).
Spoiler
Sie wirkt jünger als Mitte fünfzig, um den Hals trägt sie ein kleines blaues Kreuz. Das Landhaus gehört ihr und dem Vater ihrer Söhne, dem Potsdamer CDU-Politiker Wilhelm Wilderink. Sie sind seit zehn Jahren getrennt, leben aber noch zusammen in einer Villa gleich nebenan. Als sie das Anwesen vor vierzehn Jahren kauften, begleitete sie der RBB für eine TV-Serie bei der Sanierung: „Mein Traumhaus mit Geschichte“. Die Villa wurde in den Zwanzigern von der Hoteliersfamilie Adlon gebaut.
Medien schrieben, sie vertrete eine gefährliche Rassenideologie
Vor anderthalb Jahren war das Landhaus wieder in den Medien. Diesmal bundesweit, im Zentrum eines Skandals, der bis heute nachwirkt. Die Rechercheplattform Correctiv hatte über ein Treffen der rechten Szene in der Villa berichtet – das „Potsdamer Geheimtreffen“. Der identitäre Aktivist Martin Sellner habe dort einen „Masterplan zur Remigration“ vorgestellt, schrieben die Journalisten, zur Vertreibung von Migranten aus Deutschland, auch Menschen mit deutschem Pass.
Der Aufschrei war groß. Nancy Faeser, damals Innenministerin, sprach von einer neuen Wannseekonferenz, als sei im Landhaus Adlon ein zweiter Holocaust geplant worden. Millionen gingen auf die Straße, sogar Olaf Scholz, der Kanzler. Eine neue Debatte über die AfD entbrannte.
Auch Mathilda Huss geriet in den Fokus. Medien schrieben, Huss, die promovierte Biologin, vertrete „eine gefährliche Rassenideologie“. Schon vor dem Correctiv-Artikel hatte Die Zeit berichtet, Huss sei von der „Überlegenheit der weißen Rasse“ überzeugt und glaube, dass sich in westlichen Gesellschaften schädliche Gene durchgesetzt hätten. Huss wies das zurück und drohte mit juristischen Konsequenzen. Im sächsischen Reinsberg, wo sie ein Schloss gekauft hat, fragten Reporter nach der „ominösen“ Investorin.
Sie steht jetzt in dem Saal mit Seeblick, in dem an jenem Novembertag die Teilnehmer beim Frühstück standen. Sie habe das Hotel schon damals nicht selbst geführt, habe nicht zu dem Treffen eingeladen und auch die Liste der Gäste nicht gekannt, sagt Huss. Sie sei eingeladen gewesen, wollte erst gar nicht teilnehmen.
Der weltweite Stimmungswandel nach rechts
Doch sie hat teilgenommen. Und jetzt will sie reden. Über das Treffen, über den Correctiv-Artikel, der den Ruf ihres Hauses beschädigte, und nach dessen Erscheinen ihre Familie bedroht wurde. Aber es geht ihr auch um Größeres. Um ihre eigenen politischen Ideen, die, wie sie sagt, auf Erkenntnissen der Genetik gründeten. Sie will ein Buch schreiben. Und sie fürchtet, dass ihr jemand zuvorkommt. Ein Mann, auf den sie lange gesetzt hat und dem sie damals, vor anderthalb Jahren, sehr nahe stand: Maximilian Krah, einer der umstrittensten Politiker der AfD.
Krah sorgte zuletzt für Schlagzeilen, weil er den Kurs seiner Partei verändern will. Mathilda Huss hat das alarmiert, denn sie ist der Ansicht, dass Krah ihre Ideen verkaufe. Deshalb will sie selbst in die Öffentlichkeit. Sie befindet sich in einer Art Wettrennen mit Krah, so klingt es. Und damit das überhaupt jemand mitbekommt, spricht sie jetzt mit Journalisten.
Sie gewährt damit Einblicke in eine Welt, die in Deutschland noch weit vom Mainstream entfernt scheint, aber global rasant an Einfluss gewinnt. Es ist eine kulturelle Verschiebung nach rechts, die in den USA sogar schon einen Namen hat: Vibe shift, Stimmungswandel. In diesem neuen Vibe stampfen Konzerne Diversitätsprogramme ein. Und eine Jeansmarke wirbt mit der blonden, blauäugigen Schauspielerin Sydney Sweeney und spielt dabei mit den im Englischen gleich klingenden Worten Jeans und Genes. Ein Gag, eine Provokation. Aber der Glaube an die allumfassende Macht der Gene scheint zurück.
Mathilda Huss redet schnell, springt oft von einem Thema zum nächsten. Vom Treffen im Landhaus Adlon über genetische Studien zu ihren Schwierigkeiten, ein Buch auf Deutsch zu schreiben, weil sie so lange in England gelebt hat. Sie lacht, wirkt freundlich und offen. In Deutschland ist sie eine Vordenkerin des Stimmungswandels nach rechts. Eine Frau mit Ambitionen. Und ihre Verbindungen reichen weit ins konservative bis liberale Lager. Hans-Georg Maaßen, den ehemaligen Verfassungsschutzchef, nennt sie einen Freund. Sie habe schon bei vielen Parteien Vorträge gehalten, sagt sie.
Mit der Neuen Rechten aber hat sie seit dem Treffen in ihrem Hotel gebrochen. „Ich habe jeden Respekt vor denen verloren!“
„Geheimtreffen, was für ein Quatsch“
Sie läuft durch den Garten hinter dem Landhaus, vorbei an blühenden Hortensien, betritt über eine Terrasse die Küche ihrer privaten Villa. Wieder kommt sie auf den Correctiv-Artikel zu sprechen. „Geheimtreffen, was für ein Quatsch“, sagt sie. Sie sei damals geblieben, weil ihr ein Hotelgast auffiel, der in den Räumen herumschlich, aber nicht zu den geladenen Teilnehmern gehörte. Er habe unaufrichtig gewirkt, sein Gang, seine Körperhaltung. „Das war eine Zecke“, sagt sie. Später erkannte sie ihn auf Bildern: Jean Peters, Aktionskünstler und Journalist bei Correctiv.
Mehrfach habe sie ihn weggeschickt, sagt sie. Von dem, was bei dem Treffen besprochen wurde, habe er kaum etwas mitbekommen. Allenfalls den Vortrag von Martin Sellner über Remigration, die Fragen danach. Aber das sei nicht „Sinn und Anlass der Veranstaltung“ gewesen, sagt sie. „Es ging um die Finanzierung alternativer Medienprojekte, man wollte Sponsoren dafür finden.“
Auch Wilhelm Wilderink, ihr früherer Partner, ärgert sich über die Berichterstattung, wirft Correctiv die Skandalisierung einer Veranstaltung vor, die „verfassungskonform“ gewesen sei. Niemand habe über Deportationen gesprochen, wie manche Politiker das öffentlich behaupteten, geschweige denn solche geplant. Weder Staatsanwaltschaft noch Verfassungsschutz hätten je Vorwürfe oder Anklage erhoben. „Das allein widerlegt Correctiv.“ Wilderink kämpft bis heute gegen den Versuch der CDU Potsdam, ihn wegen des Treffens auszuschließen.
Correctiv hat inzwischen selbst über einen Anwalt eingeräumt: Ein „planvolles Vorgehen“ sei allenfalls bei Sellner und dem Veranstalter, dem Zahnarzt Gernot Mörig, erkennbar gewesen. Die übrigen Teilnehmer hätten bloß zugehört. Der Journalist Jean Peters sagte der Zeit Anfang des Jahres, das Wort „Vertreibung“ sei im Landhaus Adlon nie gefallen. Aber natürlich sei es so gemeint gewesen. Es ist diese Interpretation, die öffentlich hängen blieb.Maximilian Krah und ein Gerücht in der rechten Szene
Mathilda Huss sagt, sie finde noch etwas anderes an dem Bericht seltsam: Dass Maximilian Krah nicht erwähnt wurde, obwohl er an jenem Wochenende ebenfalls vor Ort gewesen sei. Krah war schon damals nicht irgendwer, sondern AfD-Spitzenkandidat für die Europawahl.
Huss lernte ihn im Sommer 2022 näher kennen. Sie habe bei einer Veranstaltung einen Vortrag gehalten, er sei danach auf sie zugekommen. Und sehr interessiert an ihrem Thema gewesen, den genetischen Unterschieden zwischen Gruppen von Menschen. Krah und Huss kamen sich näher. Sie zeigt Chats und Selfies, die er ihr aus dem EU-Parlament schickte. Oft sei er noch spät abends zu ihr gefahren, sagt sie. Teilweise hunderte Kilometer. Wie auch an jenem Wochenende.
In der rechten Szene kursiert schon seit längerem ein Gerücht. Es besagt, dass Krah absichtlich in dem Artikel von Correctiv nicht erwähnt wurde. Und das, obwohl es Bilder einer Überwachungskamera gibt, die ihn am Sonntagmorgen nach dem Treffen vor dem Landhaus Adlon zusammen mit Teilnehmern zeigen. Direkt vor dem Fenster des Journalisten Jean Peters hätten sie gestanden, sagt Huss. Zwischen zwei Kameras, die Greenpeace in Autos versteckt hatte. „Ich verstehe nicht, wie sie Krah übersehen konnten.“ Wurde Krah von Correctiv aus dem Skandal herausgehalten? Oder versucht Huss, ihn jetzt hineinzuziehen?
Krah hat längst eingeräumt, dass er an jenem Morgen vor Ort war. Die Gründe seien „Privatsache“, sagt er. Er sei kein Teilnehmer des Treffens gewesen, habe auch nicht im Landhaus Adlon übernachtet. Correctiv erklärt: „Unser Reporter hat Maximilian Krah in Potsdam nicht gesehen.“ Auch auf dem eigenen Foto- und Videomaterial sei er nicht zu erkennen gewesen. Nachdem entsprechende Bilder öffentlich wurden, habe man darüber berichtet.
Wenn Huss über Krah spricht, klingt sie enttäuscht. Nicht nur über das Ende ihrer Affäre, sondern auch über eine entgangene Chance. „Ich dachte, wir könnten echt etwas bewegen“, sagt sie. Er, der wortgewandte Politiker. Sie, die Biologin mit provokanten Thesen.
„Ein Mann, ein Wort, habe ich zu ihm gesagt“
Man muss Mathilda Huss nicht fragen, wo sie politisch steht. Sie sagt von selbst: „Natürlich bin ich rechts.“ Wenn sie aus ihrem Leben erzählt, klingt es, als habe alles auf diesen Satz hingeführt. Das erste Buch, das sie gelesen habe, sei „Quo vadis“ gewesen, ausgerechnet, ein Roman über die Christenverfolgung im Alten Rom. Zuvor, sagt sie, habe sie nie Lust gehabt zu lesen.
Sie erzählt von ihrem Vater, einem konservativen Öko, der ständig vor dem Klimawandel warnte und sich mit Solarenergie befasste. Und davon, wie sie sich schon als Schülerin im Bergischen Land mit Feministinnen stritt, weil die „männliche Eigenschaften entwickeln“ wollten. Männer und Frauen seien verschieden, sagt sie, mit unterschiedlichen Aufgaben und Bedürfnissen. Die Gleichmacherei lehne sie ab. Später war sie in der Kölner Kunstszene unterwegs. Ihr damaliger Freund, ein Schriftsteller, habe sie immer als „meine rechte Freundin“ vorgestellt. Das mochte sie nicht: „Ich spreche lieber für mich selbst.“
Sie studierte Mathematik und Biologie in England, promovierte, forschte zu Hirnphysiologie, verdiente viel Geld mit Patenten, arbeitete am Institut für experimentelle Psychologie einer Elite-Universität. Sie habe die Wissenschaftsfreiheit und geistige Offenheit dort geliebt, sagt sie. Den interdisziplinären Austausch. Die Freiheit, Fragen zu stellen. An den Klimawandel, vor dem ihr Vater warnte, glaubt sie nicht mehr. In England begann sie auch, sich mit Genetik zu befassen.
Lange suchte sie nach einer Partei, die ihre Ziele teilte. Zunächst fand sie die Piraten, erst in England, dann in Deutschland, wohin sie zurückgekehrt war, um eine Familie zu gründen. Die Piraten kämpften für Anliegen, die auch ihr wichtig sind: radikale Transparenz, die Offenlegung von Daten, Schutz vor staatlichem Zugriff. Sie half beim Aufbau der Open Knowledge Foundation mit, die die Plattform „Frag den Staat“ betreibt. Doch bald, sagt sie, seien die Piraten nach links abgedriftet. „Da hatte ich nichts verloren.“ Die CDU erschien ihr zu starr, zu konservativ. 2018 entdeckte sie die AfD. Dort, so dachte sie, sei man basisdemokratisch, wolle mit alten Strukturen brechen. Das gefiel ihr.
Mitglied wurde sie nicht, aber sie näherte sich der Partei, deren Umfeld. Sie hielt Vorträge, trat in rechten Podcasts auf. Als sie Maximilian Krah kennenlernte, schien sich alles zu fügen. Er habe ihr versprochen, ihr mit dem Buch zu helfen, an dem sie seit langem arbeitet. Nur deshalb habe sie ihm Argumente für seine Reden geliefert. „Wir hatten einen Vertrag per Handschlag. Ein Mann ein Wort, habe ich zu ihm gesagt.“ Den Deal habe Krah gebrochen.
Krah bestreitet das. Es sei zwar richtig: „Ich habe Mathilda Huss angeboten, bei ihrem Buch zu helfen, weil sie allein damit nicht fertig wurde.“ Aber einen Deal habe es nicht gegeben. Im Januar 2024 beendete Huss die Verbindung. In diesem Jahr hörte sie dann von seinen neuen Ideen.
Krah's neue Idee für die AfD
Krah will, dass die AfD sich vom Konzept der Remigration, so wie es Sellner propagiert, verabschiedet. Also von der Idee, auch deutsche Staatsbürger mit Migrationshintergrund zur Ausreise zu drängen. Das sei verfassungsfeindlich und führe zu einem Parteiverbot, so Krah. Seinen Sinneswandel erklärte er zum ersten Mal ausgerechnet bei Correctiv. Einem Medium, das seit dem Bericht über das Treffen im Landhaus Adlon in der AfD und ihrem Umfeld verhasst ist.
Seiner Partei hat er folgendes neues Konzept vorgeschlagen: Die Menschen in Deutschland sollten künftig in nach Herkunft getrennten Welten leben. Nebeneinander, nicht miteinander. Deutsche ohne Migrationshintergrund, Deutsche mit türkischen Wurzeln, syrische oder ukrainische Einwanderer – jede Gruppe solle unter sich bleiben. Der Staat solle sich heraushalten. Keine Quoten, keine Förderprogramme, keine staatlich gesteuerte Integration. Assimilation lehnt Krah ab. Das seien die Ideen, die von ihr stammen, sagt Mathilda Huss.
Ein paar Wochen später, bei einem zweiten Besuch im Juli, ist sie noch aufgebrachter. Sie hat von einem Vortrag erfahren, den Krah im Bundestag vor der AfD-Fraktion gehalten hat, darin „ganz viel von meinem Zeug“, sagt sie. Dass Krah damit nun Schlagzeilen macht, während sie weiter mit ihrem Manuskript kämpft, empfindet sie als Verrat. Er liegt im Wettrennen vorn.
Es ist früh am Morgen. Huss steht im schwarzen Kleid auf der Terrasse ihrer Villa. Sie müsse gleich los, nach Norddeutschland, einer Tante beim Umzug helfen. Auf einem Teller liegt eine Scheibe Vollkornbrot, daneben stehen zwei Becher mit kaltem Fertigkaffee. Sie hat nicht gefrühstückt und wird es in der nächsten Stunde auch nicht tun.
Sie wirkt fahrig, wie unter Strom. Wegen Krahs zweitem Buch, das er immer wieder ankündigt. Ob es überhaupt erscheint, ist unklar. Krah hat sich mit Götz Kubitschek überworfen, seinem Verleger aus Schnellroda. Auch Huss hatte darauf vertraut, dass Kubitschek ihr Buch verlegt. Er habe sie jahrelang dazu gedrängt, sagt sie. Doch nun gehört auch er zu den Männern, von denen sie sich verraten fühlt. Man kommt kaum hinterher bei dem Tempo, in dem sich die rechte Szene zu zerstreiten scheint.
Krah sagt zum Vorwurf, er klaue Mathilda Huss' Ideen, sie habe ihm „in einigen genetischen Fragen die Augen geöffnet”. Doch was er daraus mache, stamme allein von ihm. Sein künftiges Buch werde viele Themen behandeln, Genetik sei keines davon.
Der neue, alte Glaube an die Macht der Gene
Ihr eigenes Manuskript sei inzwischen auf 1200 Seiten angewachsen, sagt Huss. Veröffentlichen wolle sie aber nur 200. In ihrem Kopf scheint alles längst fertig. Einer ihrer Kernsätze lautet: „Wir machen Politik auf Basis eines völlig falschen Menschenbilds.“
Der Satz lässt schon erahnen, wie radikal Huss denkt, wie dringend sie mit der liberalen Gegenwart brechen möchte. Sie holt einen Stapel Papier, eine Übersicht ihrer Thesen, „vertraulich zu behandeln“. Dann wirft sie Begriffe in den Morgen am See, „Blank-Slate-ism“, „genetische Bedingtheit“, „erweiterter Phänotyp“.
Der erste Begriff spielt auf eine Vorstellung an, die in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts weit verbreitet war. Er besagt, dass Kinder als blank slates, unbeschriebene Blätter, zur Welt kommen. Allein Bildung, Erziehung und andere äußere Einflüsse formten den Menschen, so die Annahme. Heute gilt das als überholt. Man weiß, dass Gene eine große Rolle spielen, nicht nur für das Aussehen und die Krankheitsrisiken eines Menschen, sondern auch für Verhalten und Intelligenz. Je älter ein Mensch wird, desto stärker zeigt sich der Einfluss der Erbanlagen. Aber Menschen werden auch durch ihre Lebensumstände geprägt.
Es sei vorteilhaft, so Huss, wenn jemand sein Leben so gestalten könne, wie es zu seinen angeborenen Neigungen passe. Doch genau das werde politisch nicht mitgedacht. Die Idee vom unbeschriebenen Blatt halte sich hartnäckig. Das sehe man an all den Förderprogrammen, die es gebe. Sie verweist auf Studien, die zeigen, dass Kinder aus einkommensschwachen Familien durch Förderung zwar kurzfristig in IQ-Tests oder beim Lesen besser werden, die Effekte dann aber wieder nachlassen. Leselust brauche eine genetische Komponente, um erweckt zu werden, sagt Huss. Man könne so etwas nicht erzwingen.
Und sie geht noch einen Schritt weiter. Vom einzelnen Menschen zur Gruppe. Was für Individuen gelte, gelte auch für sogenannte Erbgemeinschaften, für „Populationen“, sagt sie. Auch zwischen ihnen gebe es bedeutsame genetische Unterschiede. Manchmal redet sie auch von „Stämmen“, selbst wenn es um Menschen in Deutschland geht.
Dem wissenschaftlichen Konsens entspricht das nicht. Huss sagt dazu, Erkenntnisse zur „Wirkmächtigkeit der Gene“ würden zensiert. Fragt man sie nach den Grundlagen für ihre Ideen, verweist sie auf anerkannte Evolutionsbiologen, deren Thesen sie „einfach konsequent weitergedacht“ habe. Auf Richard Dawkins etwa. Der Brite prägte das Konzept des „erweiterten Phänotyps“, das er am liebsten mit Bibern erklärt. In Bibern wirken Gene, die bestimmen, wie der Biberbau aussieht, so Dawkins. Und wie der Biber baue auch der Mensch seine Umwelt seiner Veranlagung gemäß, sagt Huss, „wenn man ihn nur lässt“. Ganze Kulturen, so klingt es bei ihr, seien im Prinzip Ausdruck eines gemeinsamen Genpools, auch Architektur, Moral, politisches Denken.
Sie tausche sich mit anderen Wissenschaftlern aus, zu diesen und anderen umstrittenen Themen. Sie wolle niemanden in die Medien zerren, sagt sie. Ein paar Namen nennt sie schließlich doch. Die Amerikaner William Happer und Richard Lindzen, die bestreiten, dass der Mensch den Klimawandel verursache. Und den Dänen Emil Kirkegaard, der oft bei ihr in Potsdam sei, seit er mit ihrem Au-pair zusammen sei. Der 31-Jährige beschäftigt sich auf seinem Blog unter anderem mit Rassentheorien oder der Frage, ob Linke zu psychischen Krankheiten neigen. Huss nennt ihn schlau, seine politischen Positionen aber seien ihr undurchsichtig. Seine Sicht auf die Welt habe wenig mit ihrer gemein.
Bleibt die Frage, wohin ihre eigene Weltsicht politisch führen soll? Mathilda Huss beantwortet sie am Telefon. Es ist Ende Juli, sie ist mit ihren Kindern erst nach China gereist, wo sie die Überwachung und den eingeschränkten Zugang zum Internet fürchterlich fand, und dann nach Japan, obwohl sie eigentlich an ihrem Buch arbeiten wollte. Sie habe schon wieder einen Podcast gehört, in dem Krah ihre Thesen vertrete, sagt sie.
Die Konsequenzen dieser Thesen seien klar, sagt sie. Es gebe keine Assimilation. Menschen aus verschiedenen Kulturen könnten und sollten sich einander nicht anpassen. Stattdessen sollten sie in selbstverwalteten Einheiten leben, in Communitys. Sie nennt diese Idee „Subsidarität“. Deutschland, sagt Huss, sei immer noch geprägt von „der Vergangenheit der Stammesstruktur“. Und so soll es aus ihrer Sicht womöglich auch wieder sein.
Das klingt tatsächlich sehr nach dem, was Krah nun vorschlägt. Und was einige Beobachter als gemäßigte Position innerhalb der AfD verstehen. Als eine Abkehr vom völkischen Denken, weniger menschenfeindlich als Martin Sellners Konzept der Remigration. Aber stimmt das?
Auch Huss ist für „Rückführungen“ von Migranten aus Deutschland, für strengste Grenzschließungen, genauso wie Krah. Sie sagt: „Ich halte Deutschland für deutlich überfremdet.“ Menschen verschiedener Herkunft, so klingt es, sollen nur auf einem Staatsgebiet leben, wenn es gar nicht anders geht. Im schlimmsten Fall. Und der scheint für Huss jetzt eingetreten.
Im Kern verfolgen sie alle dasselbe Ziel, Huss, Krah, Sellner, die Neue Rechte weltweit: Sie wollen die Menschheit wieder in Gruppen, Populationen oder Ethnien aufteilen, voneinander getrennt halten, sich für die eigene Gruppe einsetzen. Krah formuliert jetzt für die AfD, was politisch und juristisch anschlussfähig klingt. Huss liefert den wissenschaftlich wirkenden Unterboden.
Welcher Gruppe gehört sie selbst eigentlich an? Mit wem würde sie in ihrer erträumten Welt leben wollen? Das sei schwierig, sagt Mathilda Huss. In ihr fänden sich verschiedenste Einflüsse, norddeutsche und süddeutsche, sie sei „ein Mix“. Sie selbst also gehört, genetisch betrachtet, zu gar keiner Gruppe.