Das Unternehmen gibt es seit mehr als 400 Jahren, es ist einer der großen Arbeitgeber in der Region. Etwa die Hälfte der Menschen in Tettau arbeiten bei Heinz-Glas. Es gibt so ein Sprichwort, das die Menschen hier in Tettau gern sagen: Das Dorf braucht die Glashütte und die Glashütte braucht das Dorf. Wenn sich das Dorf und seine Umgebung verändert, hat das Auswirkungen auf Heinz-Glas.
Es ist nicht so, dass Adem Elkol Bemerkungen wie die mit den Koffern ständig zu hören bekommt. Das ist ihm und anderen Mitarbeitenden in der Firma wichtig zu betonen. Rassistische Äußerungen sind Ausnahmen hier bei Heinz-Glas, in jenem 800-Seelen-Dorf Kleintettau. Eigentlich sind sich alle einig: Hier arbeitet man harmonisch zusammen, die Firma steht beispielhaft für gelungene Integration. Sie bietet Deutschkurse an, sucht ihren Mitarbeitenden Wohnungen.
„Ich lasse mir doch von denen nicht den Mund verbieten.“
Und doch passieren sie, Vorfälle wie die rechtsextremen Posts eines ehemaligen Mitarbeiters im Internet. Eines Tages tauchte in dessen Facebook-Feed ein Foto eines selbst gemalten Hakenkreuzes auf, zusammen mit rechtsextremen Aussagen. „Schon wieder ein Ausländer im Betrieb“ soll der sonst eher unscheinbare junge Mann geschrieben haben, darauf folgten ausfällige Bemerkungen über Migranten. Er hatte das Foto im Lager von Heinz-Glas aufgenommen, die Firma war im Hintergrund zu erkennen. Adem Elkol sagt: „Man ärgert sich darüber.“ Und meint damit, dass die eigene Firma in den Dreck gezogen werde. Ein Schweizer Kunde sah den Post und kontaktierte das Unternehmen: Ob sie wissen würden, was ihr Mitarbeiter da so treibe, in den sozialen Medien?
Was mit diesem Mitarbeiter passiert ist? „Rausgeflogen.“ Das sagt Carletta Heinz, die Chefin von Heinz-Glas, als sie im Firmen-Café Platz genommen hat. Über ihr schwebt ein Hochlandrind. Also genau genommen hängt da der Kopf eines ausgestopften Hochlandrinds. Die ganze Wand ist gepflastert mit Fotos von diesen Tieren, die ihr Vater, Carl-August Heinz, einst in die Gemeinde geholt und hier eingegliedert hat.
Foto: Anna Jakobs
Und nichts anderes passiert nun auch mit den Mitarbeitenden aus dem Ausland, die wegen der Firma in die kleine Ortschaft gekommen sind und hier heimisch werden. 4000 Mitarbeitende aus 38 Nationen arbeiten bei Heinz-Glas zusammen.
Ein Viertel der Belegschaft stammt aus dem Ausland, bei den Neuanstellungen ist es sogar jeder Zweite.
Foto: Heinz Glas/BLUHM
Foto: RONNY HARTMANN/AFP
Denn die zähe Hitze, die entsteht, wenn das Glas bei 1600 Grad geschmolzen wird, und das stete Donnern der Maschinen, die es anschließend in Formen pressen, das wollen sich viele gebürtige Deutsche nicht mehr antun.
Ohne die Mitarbeitenden aus dem Ausland könnte die Firma keine Parfümflakonflaschen für Bulgari, Lacoste oder Dior herstellen. Jeder vierte Flakon weltweit kommt von Heinz-Glas.
„Wenn die Vorstellungen der AfD wahr werden würden, dann hätten wir ernsthafte Probleme, genug Fachkräfte und Energie zu bekommen“, sagt Carletta Heinz, 40. Sie äußert ihre Meinung über die AfD und den Rechtsruck so offen, wie es nicht viele im Mittelstand tun. „Ich lasse mir doch von denen nicht den Mund verbieten.“ Ein paar koreanische Mitarbeitende gehen am Fenster des Cafés vorbei, Carletta Heinz winkt ihnen mit beiden Armen zu. „Es war keine bewusste Entscheidung, sich so zu positionieren“, erzählt sie. Es habe sich eher so ergeben.
Foto: Heinz-Glas
In einer Umfrage des Kölner Instituts der deutschen Wirtschaft, kurz IW Köln, gaben mehr als zwei Drittel der Firmen an, dass sie im Erstarken der AfD eine Bedrohung für den deutschen Wirtschaftsstandort sehen. Doch nur 47 Prozent der befragten Führungspersonen stimmten dieser Aussage zu:
„Ich habe mich bereits persönlich in der Öffentlichkeit außerhalb des Betriebes aktiv gegen die AfD positioniert“
Umfrage unter Führungspersonen aus 926 Unternehmen
Quelle: IW Köln
Etwas mehr Zustimmung gab es, wenn es um Äußerungen in der eigenen Firma geht:
„Ich habe mich persönlich innerhalb des Betriebes bzw. gegenüber der Belegschaft aktiv gegen die AfD positioniert“

Quelle: IW Köln
„Weltoffenes Thüringen“ oder „Wir stehen für Werte“ heißen die Zusammenschlüsse, in denen sich Firmen gegen Rechtsextremismus engagieren. 30 große Unternehmen gehören zum letzteren Bündnis, unter ihnen: Siemens, Mercedes, Bayer. „Diese große Bewegung, sich parteipolitisch so zu positionieren, findet erst seit einem Jahr in diesem Maße statt“, stellt Matthias Diermeier, der Co-Autor der IW-Köln-Studie, fest.
Dennoch entscheidet sich die andere Hälfte der Unternehmen dagegen, sich klar gegen Rechtsextremismus zu positionieren. Sie haben Angst davor, sich zu exponieren, oder sind überzeugt davon, dass Politik nun mal nicht in die Welt von Unternehmen gehöre. Nach dem Motto: The business of business is business. Gerade mittelständische Unternehmen tun sich mit einer klaren Positionierung schwerer als Großkonzerne. „Doch eigentlich haben Mittelständler eine ganz besondere Position, vor allem im ländlichen Raum“, sagt IW-Forscher Diermeier. Dem Mittelstand wird eher vertraut, man kennt sich eben. Deshalb ist dessen Einsatz gegen den Rechtsruck häufig wirkungsvoller und authentischer im Vergleich zu dem großer Unternehmen, die eher der Elite zugerechnet werden.
Viele Vorgesetzte machen nach einem Vorfall - nichts
„Wer hetzt, wird rausgeschmissen“, sagt Carletta Heinz im Café des Betriebs. Da herrsche in der Firma eine „Nulltoleranzpolitik“, und zwar gegen jegliche Form von Diskriminierung. Befragt man Mitarbeitende zu ihrer Chefin, dann loben viele „die Carletta“ für ihre klare Haltung. Heinz ist damit in der Minderheit. Fast 60 Prozent der Vorgesetzten ergriffen laut der Studie von „Gesicht Zeigen!“ nach einem rassistischen, demokratiefeindlichen oder antisemitischen Vorfall keinerlei Maßnahmen, was dazu führt, dass fremdenfeindliche Äußerungen in einem Betrieb als normal hingenommen werden.
Carletta Heinz erzählt jetzt von einem Foto. Von jenem Foto, das Betriebsräte, Azubis, ja, sie selbst im vergangenen Jahr aus der Fassung brachte. Es war nicht sofort zu erkennen gewesen, was ein Praktikant darauf mit seiner Hand machte. Bis ein Azubi sie darauf hinwies: Der neben mir auf dem Foto zeigt den Hitlergruß. Der Praktikant hatte selbst einen Migrationshintergrund. Kurz vor der Corona-Pandemie sei es zu einem weiteren Fall gekommen: Eine ausländische Mitarbeiterin sei von einem anderen angespuckt, auf die Füße getreten und rassistisch beleidigt worden. Er soll zu ihr gesagt haben: „Früher hätten wir dafür gesorgt, dass du nicht hier bist.“ Beide Mitarbeiter seien sofort entlassen worden, erzählt Heinz.
Adem Elkol, der nach der Landtagswahl nach seinen Ausreiseplänen gefragt wurde, geht jetzt an einem gelben Schild an der Außenwand des Gebäudes vorbei. „Respekt! Kein Platz für Rassismus“, steht darauf.
Foto: Nicolas Armer/picture alliance / dpa
Als Integrationsbeauftragter setzte er sich schon 2016 dafür ein, dass diese Schilder auf dem Firmengelände in Tettau aufgehängt werden. Schon damals warb die AfD mit fremdenfeindlichen Slogans, ein Jahr später demonstrierten Elkol und weitere Mitarbeitende vor der Tettauer Festhalle gegen die AfD, die dort ein Deutschlandtreffen abhielt. „In unserem Dorf“, sagt Elkol. Während er erzählt, fasst Elkol manchmal an die drei großen Silberringe an seinen Fingern, die er aus seinem Heimatland Türkei mitgebracht hat.
Rund 15 Autominuten vom Stammsitz in Kleintettau entfernt hat Heinz-Glas in Thüringen zwei weitere Werke. Eines davon befindet sich im Landkreis Sonneberg, bundesweit bekannt für den ersten AfD-Landrat, der dort vergangenes Jahr gewählt wurde. „Man fühlt sich scho a weng anders, wenn man in Sonneberg unterwegs ist“, sagt Meltem Elkol. Sie sitzt neben ihrem Vater, Adem Elkol, in einem Konferenzraum. Die Tochter arbeitet ebenfalls bei Heinz-Glas als Expertin für Digitalisierung und Automatisierung. Dann erzählt ihr Vater, dass auch in ihrem Dorf etwas vor sich gehe. Ein AfD-Stammtisch mit dem bayerischen AfD-Abgeordneten Harald Meußgeier sei geplant, hier in einem Wirtshaus in der Gemeinde Tettau. Der Wirt stehe der AfD nahe, es heißt, er wolle 2026 fürs Amt des Bürgermeisters kandidieren.
Ihr Vater gehöre einer anderen Generation an, sagt die Tochter
Vater und Tochter machen klar: Sie fühlten sich hier wohl, Tettau sei ein lebendiger Ort, an dem türkische Gastarbeiter mit fränkischen Ansässigen seit Jahrzehnten im selben Fußballverein spielten. Ein Ort, an dem Heinz-Glas jährlich die Ramadan-Flagge hisst, um ein Zeichen des Respekts für die muslimischen Mitarbeitenden zu setzen. Doch gleichzeitig passiere es, dass er solche Sprüche höre, erzählt Elkol: „Freunde aus Tettau sagen zu mir, ich habe ja nichts gegen dich persönlich, Adem, aber ich wähle die AfD wegen der ganzen Ausländer.“
Ihr Vater gehöre einer anderen Generation an, er sei leiser, um ja nicht aufzufallen, sagt die Tochter. Sie dagegen sage offen, was sie denke. Zum Beispiel, als bei einer Schulung eine schwarze Kollegin vom Coach gefragt wurde: „Hast du Angst vor Thüringen, vor der AfD?“ Ein Kollege mischte sich ein: Die AfD sei doch gar nicht so schlimm. Meltem Elkol, 36, ging dazwischen: „Die AfD vertritt Positionen, die rechtsextrem und ausländerfeindlich sind.“ Jeder habe da seine eigene Meinung, antwortete der Kollege. So erinnert sie sich.
Foto: Anna Jakobs
Um das Thema Politik und den Umgang miteinander zu thematisieren, hat die Firma Heinz-Glas Schulungen für die Belegschaft angeboten. Solche Fortbildungen sind noch immer eine Seltenheit, zumindest wenn man der Umfrage von „Gesicht Zeigen!“ unter Beschäftigten glaubt. Dort gab nur jeder fünfte Befragte an, dass es in seiner Firma Angebote dazu gebe.
„Im Betrieb gibt es Unterstützungs- oder Fortbildungsangebote zum Thema Rechtsextremismus“

Basis: abhängig Beschäftigte
Quelle: Gesicht zeigen!
Carletta Heinz, die Chefin, sagt, dass man den Menschen schon die Wahl lassen müsse. „Ich sage nicht explizit zu meiner Belegschaft: Wählt nicht die AfD.“ Aber sie kommuniziere die eigenen Werte, Toleranz, Vielfalt, Respekt, um dadurch klarzumachen, wofür Heinz-Glas steht. Vor der Wahl in Thüringen schickte sie einen Aufruf in der Belegschaft herum und forderte sie auf, wählen zu gehen. Viel Zustimmung und zwei externe Hassbriefe kamen zurück, in denen stand: Sie wünschten dem Unternehmen den Untergang. Doch das müsse man dann eben aushalten, sagt Heinz.
Diermeier vom IW Köln rät Unternehmen genau das: Sie sollten sich für bestimmte Werte aussprechen, anstatt sich bloß gegen die AfD zu stellen. „Die Strategie, zu sehr mit dem Finger auf AfD-Sympathisanten zu zeigen, kann nach hinten losgehen“, sagt Diermeier. Denn das verstärke die Opferrolle der AfD und ihrer Anhänger nur, auch innerhalb von Unternehmen.
Im Fuhrpark riecht es nach Gummi. Adem Elkol geht zu einem Kleinwagen, er muss jetzt die Post abholen. Vorher holt er noch einen Zeitungsartikel heraus. Auf dem Foto ist Elkol zu sehen, er als Händler Nabal bei den christlichen Passionsspielen. Er sei gefragt worden, ob das denn zusammenpasse. „Warum sollte das ein Widerspruch sein, dass ein Muslim einen Christen spielt“, entgegnete er. Er versteht sie nicht, diese Fragen. Sie leben doch hier alle zusammen.