Jo, auch mal aufgeschlossen sein für neue Ideen.
Für Lebensborn zum Beispiel.
Mit Samenbank.
Spoiler
Auch an Komfort soll es nicht fehlen: Krankenhäuser, Schulen, Kindergärten, das soll alles in der Anlage entstehen, ebenso Orte des Nachtlebens, Casinos, Wellnesszentren. Die Bunkerzimmer, 20 Quadratmeter groß, „sollen Yachtunterkünften ähneln“, heißt es da. Auf einer Karte ist angelegt, in welchem Gang eines Tages eine Samenbank stehen soll und wo es Flächen gäbe für die Tierhaltung. Die kühnsten Fantasien von Preppern und Untergangspropheten werden da bedient. In einer Telegram-Gruppe, in der sich Interessierte tummeln, schreibt einer, er finde die Idee „wahnsinnig gut“. Ein anderer will gern zum Besichtigungstermin erscheinen. Aber selbst hier, in den Kreisen der Zugeneigten, hallt Skepsis durch: Ob die „Geschichte des Bunkers ernst genommen“ wird, fragt da einer. Zumindest Peter Karl Jugl, der Eigentümer, scheint daran nicht zu zweifeln.
Bunker-Webseite führt nach Gambia
Für die Nachfahren der Häftlinge hingegen sind die Pläne kaum erträglich. Jean-Louis Bertrand, Sohn des Überlebenden Louis Bertrand, bezeichnete sie einmal „aus ethischen Gründen völlig inakzeptabel“. Und für die öffentliche Hand, der solche Orte der Geschichte für gewöhnlich gehören? Für die ist die Sache längst peinlich. Und bald könnte sie auch teuer werden.
Peter Karl Jugl ist schwer zu fassen. Ihm gehört ein Immobilienunternehmen. Das Impressum der Bunker-Website verweist nach Gambia. Hat man ihn irgendwann am Telefon, sagt er, dass er Fragen nur schriftlich beantworten will, nur um später auf seine Website zu verweisen. Dort behauptet er etwa, das Projekt stehe „nicht im Zeichen des schnellen Geldes“. Was ihn stattdessen zu der Stollenanlage nahe einer KZ-Gedenkstätte führt, lässt sich schwer sagen. Nach Recherchen des Spiegels soll er Anfang der 90er an einem Treffen prominenter Rechtsextremer teilgenommen haben. Fragt man Jugl danach, gibt er keine Antwort. Das von ihm gekaufte Grundstück soll er im September zum ersten Mal selbst betreten haben. Auch dazu bleibt eine Antwort aus.
Treuhand verkaufte Grundstück an Privatleute
Seine Motivation ist das eine. Das andere ist, wie es überhaupt dazu kommen konnte. Es hat mit einer Art Ur-Fehler zu tun, der vor 30 Jahren begangen wurde. Als der Stollen im Frühjahr 1945 wegen der nahenden Niederlage von den Nazis verlassen wurde, verwaiste er zunächst. Zu DDR-Zeiten dann nutzte die Nationale Volksarmee die Tunnel und baute sie teilweise um, nach der Wende kam die Bundeswehr.
1994 dann sollte Geld aus der untergegangenen DDR gekratzt werden. Die Treuhandanstalt verkaufte das Grundstück an Privateigentümer, von denen man bis heute nicht präzise weiß, was sie mit dem Stollen taten. Manche raunen, darin seien schon Oldtimer und Kunstwerke gelagert worden. Vor ein paar Jahren sollen dann Neonazis versucht haben, den Stollen zu kaufen. Immerhin das konnte das Land Sachsen-Anhalt verhindern. Was sich seit 1994 nicht verändert hat: Die Gedenkstättenarbeit ist dem Geschichtsbewusstsein der jeweils aktuellen Eigentümer ausgeliefert. Mit teils gravierenden Folgen.
Förderverein will mehr Platz für Gedenkstätte
Bis in die Neunzigerjahre hinein wussten viele Überlebende nicht mal davon, dass der Stollen noch existiert. 2001 wurde ehemaligen Häftlingen laut dem Förderverein der Zutritt verwehrt. 2003 endlich gab es einen Nutzungsvertrag zwischen Eigentümer und Gedenkstätte. Seit 2005 können immerhin 120 Meter besichtigt werden. Der Förderverein will seit Jahren mehr Fläche zugänglich machen. Für einen Ausbau braucht es jedoch Geld. Und die Zustimmung des Eigentümers.
Es liegt auch an der „Gruppe der 2. Generation“, den Nachfahren der Opfer, sowie den Mitgliedern des Fördervereins der Gedenkstätte, dass auf die prekäre Situation zumindest hingewiesen wird. 2018 brachte der Förderverein eine Petition in den Landtag ein, mehr als tausend Menschen unterzeichneten. Das Ziel: der Erhalt und Ausbau des für die Gedenkstätte nutzbaren Bereichs.
Sechs Jahre sind seitdem vergangen, und die Angelegenheit ist noch dringlicher geworden, wie man auch an der aufgebrachten Stimme von Rainer Neugebauer am Telefon hören kann. Er sitzt im Beirat des Fördervereins. Für „unerträglich“ hält er die Bunkerpläne, bezeichnet sie als „Geschäftemacherei“. Für ihn gebe es inzwischen nur noch eine Lösung: Das Land Sachsen-Anhalt muss das Grundstück kaufen. Aber will das Land das auch? Und zu welchem Preis?
Land scheiterte mit Versuch, das Gelände zu kaufen
2022 verkaufte der Nachlassverwalter des vorherigen Eigentümers den für die Gedenkstättenarbeit relevanten Teil des Stollensystems an Jugl. Als man in der Staatskanzlei davon erfuhr, wollte man vom Vorkaufsrecht Gebrauch machen, um selbst zum Eigentümer zu werden. Und scheiterte. Da das Grundstück Insolvenzmasse war, hatte das Land kein Vorkaufsrecht, entschied ein Gericht im April. Der Verkauf an Jugl war rechtens. Schon damals sah das Land Sachsen-Anhalt unglücklich aus. Hinzu kommt, dass Jahre zuvor zwei Termine zur Zwangsversteigerung des Stollens verstrichen. Auch deshalb gehört die Anlage heute Peter Karl Jugl.
Die Aufregung um seine Pläne kann Jugl nicht verstehen. Er weist darauf hin, dass das Stollensystem doch zwei Kilometer entfernt von der Gedenkstätte liegt. Faktisch stimmt das. Nur bleibt es eine verblüffend kurzsichtige Argumentation: Die Gedenkstätte und die für die Häftlinge errichteten Baracken existierten eben nur, weil der Stollen ausgehoben werden sollte. Und Jugl geht noch weiter: „Darf man keine Volkswagen mehr fahren, weil Zwangsarbeiter in den Volkswagen Werken arbeiten mussten?“, schreibt er auf seine Website.
Gedenkstättenleiter Gero Fedtke steht bei alldem an der Seitenlinie. Er ist ein Mann der gewählten Worte, aber wenn man mit ihm spricht, klingt bei aller Professionalität auch bei ihm Ungläubigkeit durch. Fedtke verweist etwa darauf, dass Zwangsarbeiter in der NS-Zeit Luftschutzstollen herstellen mussten, in die sie aber, als der Luftangriff kam, nicht hereingelassen wurden. „Nun würden nach den Plänen von Herrn Jugl nur jene hereinkommen, die es sich leisten können.“ Ein privatisierter Schutzraum an einem solchen Ort. Das findet nicht nur Fedtke irritierend.
Bislang sind die Pläne nur Worte und von einer Umsetzung weit entfernt. Der zuständige Staatssekretär Sebastian Putz (CDU) weist darauf hin, dass die Pläne „viele Hürden überwinden“ müssten. Bei keiner Behörde in Sachsen-Anhalt sind bislang Anträge zu den Ideen von Jugl eingegangen. Hinzu kommt: Allein die Instandhaltungskosten für das Stollensystem dürften enorm sein. Aber selbst wenn aus den Bunkerplänen nichts wird, könnte sich Jugl bald als Gewinner fühlen.
Bald sind Wahlen in Sachsen-Anhalt
In der vergangenen Woche haben Vertreter des Landes den Stollen besichtigt. Schwenkt Jugl um und will den Stollen verkaufen? Jugl soll acht Millionen Euro für das gesamte Grundstück verlangen, es wäre deutlich mehr, als er damals aufbrachte. Ein mögliches Druckmittel: Auch wenn er bislang Gegenteiliges zugesagt hat, könnte er versuchen, der Gedenkstätte den Zutritt zu verwehren, oder eine Gebühr verlangen.
Und dann tickt auch noch die Uhr: Bis in Sachsen-Anhalt der nächste Landtag neu gewählt wird, vergehen nur noch anderthalb Jahre. Der damals noch nicht in der Verantwortung stehende heutige Kultusminister Rainer Robra (CDU) bezeichnete den Verkauf Mitte der Neunzigerjahre schon vor Jahren als Fehler. Einen Fehler, an dessen Behebung er mitwirken will. Aber eine erstarkende, als rechtsextrem geltende Landes-AfD, die 2026 vielleicht Minister stellen könnte? Nach allem, was zum historischen Bewusstsein der Partei bekannt ist, dürfte ihr Interesse, Millionen in ein Stollensystem aus der NS-Zeit zu stecken, überschaubar sein.
Am Donnerstag meldete sich Peter Karl Jugl erneut, diesmal telefonisch, er habe etwas Neues auf seiner Website geschrieben. Seinen Kritikern unterstellt er dort „keine Offenheit für neue Ideen“. Und ganz am Ende heißt es: „Unser Ziel ist klar.“ Mit der Stollenanlage Halberstadt und anderen Projekten werde „Großes geschaffen, das über Generationen hinweg Bestand hat“.