Stark an Natur interessiert, haben die kleinen Racker beim „Räuber und Schandi“-Spiel bissl über die Stränge geschlagen ...
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Nach dem Training sitzt die Gruppe im Kreis, so berichtet es der V-Mann später den Ermittlern, und unterhält sich über die politische Situation in Deutschland. Vor allem Jörg Schimanek, der ältere Bruder, spricht. Er schildert das Szenario, auf das die Gruppe sich vorbereitet: Die deutsche Regierung werde eines Tages die Macht verlieren, wenn die Flüchtlingskrise sich so weiterentwickle. An diesem Tag X würden Gruppen wie die ihre das Recht in die eigene Hand nehmen. Schimanek soll gesagt haben: „Der bewaffnete Aufstand läuft auf uns hinaus.“ Auch von „ethnischer Säuberung“ in Ostdeutschland, das sich vom Rest der Bundesrepublik abspalten werde, soll er gesprochen haben. Alles für die Vorherrschaft der „weißen Rasse“.
Knapp drei Monate später, am 5. November 2024, greifen die Ermittler zu. Mehr als 550 Polizisten sind an der Razzia beteiligt, sie nehmen acht junge Männer fest, darunter Jörg Schimanek als mutmaßlichen Rädelsführer, seinen Bruder Jörn und drei AfD-Nachwuchspolitiker. Alle acht sitzen seitdem in Untersuchungshaft.
15 bis 20 Mitglieder soll die Gruppe laut Ermittlern umfassen, fast alle stammen aus der unmittelbaren Umgebung von Brandis. Neben den acht inhaftierten Männern gibt es sieben weitere Beschuldigte auf freiem Fuß, sechs sollen Mitglied der mutmaßlichen terroristischen Vereinigung gewesen sein, eine junge Frau soll diese unterstützt haben. Zu den Beschuldigten zählen Jörg Schimaneks Verlobte und der jüngste, damals noch minderjährige Sohn der Schimaneks sowie ein Justizbeamter, der am Amtsgericht Grimma beschäftigt ist. Die Beschuldigten sind zum Zeitpunkt der Razzia zwischen 15 und 28 Jahre alt.
Die Ermittler gehen nicht davon aus, dass die Gruppe einen Umsturz aktiv herbeiführen wollte. Aber die Mitglieder wollten bereit sein für diesen Tag X. Wann es so weit sein würde? Wenn die Inflation steigt? Wenn Russland den Gashahn zudreht? Der Generalbundesanwalt ist überzeugt: Wenn die Gruppe das Gefühl gehabt hätte, nun sei es so weit, dann hätten ihre Mitglieder nicht gezögert, Waffen einzusetzen und Menschen zu töten. „Sächsische Separatisten“ ist einer von mehreren Namen, die die jungen Männer ihrer Gruppe gaben, ganz bewusst auch wegen der Abkürzung „SS“, wie die „Schutzstaffel“ des NS-Regimes.
Wie aber wurde aus einer Gruppe Jugendlicher – Gymnasiasten, Lehrlinge, Handwerker – aus dem Speckgürtel von Leipzig eine mutmaßliche Terrorgruppe? Die Süddeutsche Zeitung hat in den vergangenen Monaten mit mehreren Personen gesprochen, die die Gruppe und ihr Umfeld kennen, etwa aus der Schule. Sie wollen fast alle nicht in diesem Text genannt werden, aus Sorge um ihre Sicherheit. Anhand der Gespräche und mithilfe von Ermittlungsunterlagen und Posts in sozialen Netzwerken lässt sich die Radikalisierung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen nachzeichnen – und auch die Hilflosigkeit derjenigen, die diese Entwicklung früh bemerkten. Die SZ hat versucht, die Beschuldigten oder deren Eltern zu erreichen. Sie wollten sich größtenteils nicht äußern.
Es ist die Geschichte einer Bande aus Brandis. Sie handelt von drei Brüdern, die in einer nationalsozialistischen Familie aufgewachsen sind. Die Brüder arbeiten als Sicherheitskraft und Dachdecker, der jüngste macht eine Ausbildung. Anders als ihr Vater sind sie nicht vorbestraft, lediglich bei Demos gegen die Corona-Maßnahmen sind sie der Polizei aufgefallen. Und es geht um einen Freundeskreis, der schon in der Schule Positionen von rechts außen eingenommen hatte, der sich dann aber offenbar unbemerkt noch weiter radikalisierte. Es ist die Geschichte einer Gruppe, die enge Verbindungen zur AfD und zu rechtsextremen Organisationen hat und die international vernetzt ist.
In verschiedenen Städten in West- und Ostdeutschland haben sich in den vergangenen Jahren ähnliche Gruppen gebildet, rechtsextreme, gewaltbereite Zusammenschlüsse, mit auffallend jungen Mitgliedern. Unter ihnen stechen die „Sächsischen Separatisten“ heraus, weil sie konspirativer agierten und offenbar planten, Terrortaten zu begehen, die sich gegen die staatliche Grundordnung richten. Deswegen ermittelt der Generalbundesanwalt gegen sie. Ob und wann es zu einer Anklage kommt, ist noch unklar.
Brandis, östlich von Leipzig, knapp 10 000 Einwohner, ist umgeben von Seen und Wäldern. Die Altstadt liegt auf einem Hügel, Straßen aus Kopfsteinpflaster führen zu einem Barockschloss mit Park. Einst war das hier Kohleregion, die sächsische Staatsregierung investiert in ein Gründerzentrum, das der Deindustrialisierung seit der Wende etwas entgegensetzen soll, aus dem Bund kommen Fördermittel in Millionenhöhe für die Wiederbelebung der Innenstadt und die Digitalisierung der Verwaltung. In der „Mit-Mach-Stadt Brandis“, so steht es auf der Webseite des Rathauses, werde Bürgerbeteiligung „groß geschrieben“.
Eine engagierte Stadtgesellschaft? Zumindest vor einigen Jahren gab es sie noch: 2009, nach einem Neonazi-Angriff auf ein Fußballspiel zwischen dem FSV Brandis und Roten Stern Leipzig, wurde das „Forum für Demokratie und Vielfalt“ gegründet, ein Zusammenschluss aus etwa 20 Bürgerinnen und Bürgern. Sie moderierten 2015 Bürgerversammlungen, als es um die Aufnahme von 72 Geflüchteten in Brandis ging, organisierten Lesungen und ein Kulturfest mit türkischen und arabischen Spezialitäten, oder sie kratzten Aufkleber mit menschenverachtenden Inhalten von Laternen und Masten.
Der Bürgermeister von Brandis ist von der SPD. Arno Jesse, seit 2013 im Amt, schreibt in einer E-Mail an die SZ, seine Stadt gelte „als Vorzeigekommune in Bezug auf Jugendarbeit“ im Landkreis. Es sei bisher Konsens im Stadtrat, über die reine Pflicht hinaus Mittel bereitzustellen für Jugend- und Schulsozialarbeit. Wie lange dieser Konsens hält, ist fraglich. 2020 ist Jesse mit fast 70 Prozent Zustimmung wiedergewählt worden, konnte aber erst 2022 vereidigt werden, weil der unterlegene AfD-Kandidat geklagt hatte. Bei der Bundestagswahl bekam die AfD in Brandis 39,5 Prozent – knapp über dem Landesdurchschnitt.
Das Brandiser Gymnasium liegt gleich neben dem weitläufigen Schlosspark. Es ist seit 2017 eine „Schule ohne Rassismus“, eine von heute bundesweit 4600.
„Was haben wir übersehen?“, fragt sich ein ehemaliger Lehrer
Anfang April 2019 kommt prominenter Besuch ins Gymnasium: Sebastian Krumbiegel, Sänger der Prinzen. Krumbiegel ist regelmäßig für die Demokratie im Einsatz, an diesem Tag diskutieren zwei neunte Klassen zwei Schulstunden lang mit ihm und einem ehemaligen Pfarrer der Leipziger Thomas-Kirche. In einem Video, das die Leipziger Volkszeitung veröffentlicht hat, sieht man, wie Krumbiegel sich an einen Flügel setzt, Lehrer und Schüler sitzen im Halbkreis daneben. Krumbiegel singt einen seiner Songs, „Die Demokratie ist weiblich“. Es ist ein Lied über die Verletzlichkeit der Gesellschaft, ein Aufruf für mehr Solidarität, Liebe und Menschlichkeit.
Ein Lehrer nickt mit dem Kopf, einige Schülerinnen wippen zaghaft mit dem Fuß, die meisten schauen verschämt auf den Boden. Ein Schüler trägt ein T-Shirt der rechtsextremen Identitäre Bewegung (IB), in der Diskussion stellt er deren Vorstellung von „Ethnopluralismus“ vor. „Ich war erstaunt, mit welcher Offenheit einige Schülerinnen und Schüler rassistische und knallhart völkische Dinge von sich gegeben haben“, sagt Krumbiegel heute am Telefon. Zwar habe es auch Gegenrede gegeben, aber ihn irritierte, dass viele das völlig normal fanden.
Die Veranstaltung, so wirkt es im Rückblick, ist einer der letzten Versuche, diese Schüler wieder in die Mitte der Gesellschaft zurückzuholen. Eine der beiden Klassen, die 9/2, ist die Klasse von Jörn Schimanek. Die Jugendlichen fielen schon damals auf. Und zwar so sehr, dass die Schule nicht umhinkam, irgendetwas zu tun.
Die Schulleitung des Gymnasiums Brandis und die damalige Klassenlehrerin sind nicht zu einem Gespräch mit der SZ bereit. Am Telefon verweist die Sekretärin auf das Landesamt für Schule und Bildung. Ein Sprecher schreibt: Ein Schulsozialarbeiter habe damals treffend eingeschätzt, dass die Schüler „nicht äußerlich erkennbar als rechtsradikale/-extremistische Gruppe“ aufgetreten seien. Sie seien eher durch Äußerungen aufgefallen. Es sei nicht klar erkennbar gewesen, ob es sich um „ernsthaft verfestigte Denkweisen“ gehandelt habe oder um „nur durch das Zeitgeschehen beeinflusstes pubertäres Gehabe“.
Der Einzige, der bereit ist für ein Interview, ist Andreas Mierisch. Er war Lehrer für Geschichte und Gesellschaftskunde und Vertrauenslehrer, seit drei Jahren ist er in Pension. Er hat einige der heute Beschuldigten unterrichtet. Mierisch wohnt in einem Dorf zwischen Leipzig und Brandis, er sitzt in seinem Arbeitszimmer, bewusst trägt er beim Interview einen Pullover von „Lonsdale“, einer Marke, die bei Neonazis wegen der Buchstabenfolge „NSDA“ beliebt ist, die sich aber schon lange von rechts außen distanziert. Mierisch findet, wenn man mit der richtigen Gesinnung „Londsdale“ trage, dann hole man sich die Marke von den Nazis zurück.
Alle an der Schule hätten um den Hintergrund der Familie Schimanek gewusst, sagt Mierisch. Aber dass es dann „in diese Richtung geht“, das habe alle überrascht. Mierisch saß für die SPD und die Freien Wähler im Gemeinderat und im Kreistag. In seinem Berufsleben hat er viel erlebt, er hat die Baseballschlägerjahre nach der Wende mitbekommen, die Schulhof-CDs der NPD. Aber mutmaßliche Rechtsterroristen? „Was haben wir übersehen?“, fragt sich Mierisch.
Jörg Schimanek, der ältere Bruder, sei zwar „ein bisschen einseitig an historischen Themen interessiert“ gewesen, mit einem Fokus auf das Militärische. Aber sonst? „Wirklich nichts Auffälliges. Nüscht.“ Der drei Jahre jüngere Jörn Schimanek habe sich zwar zurückgehalten, wenn in der Klasse andere provozierten – dabei aber wie der Anstifter gewirkt. „Ich sehe ihn heute noch dasitzen und lächeln“, sagt Mierisch.
Es habe in der Klasse mehrmals Diskussionen darüber gegeben, wie neutral die Schule zu sein habe. Zu dieser Frage wird mittlerweile überall in Deutschland gestritten. Die AfD hat das staatliche Neutralitätsgebot für sich entdeckt: Lehrkräfte sollen demnach keine Wahlempfehlungen aussprechen und sich allen Parteien gegenüber neutral verhalten – aber heißt das auch, dass sie bei rassistischen und antisemitischen Parolen zu schweigen haben?
Andreas Mierisch findet: Nein. Immer wieder habe er im Unterricht auf die Werte des Grundgesetzes verwiesen. Und auf die sächsische Verfassung, wo die wertegebundene Erziehung und Bildung durch die Schulen festgeschrieben ist. „Ein neutraler Lehrer ist ein schlechter Lehrer“, so sieht er das.
Bald wollten Schüler diskutieren, ob es in Deutschland überhaupt eine gültige Verfassung gibt – eine beliebte Argumentation von Reichsbürgern, die oft noch an der Verfassung von 1871 hängen, also der aus dem Kaiserreich. Deutlicher aber sei es in seinem Unterricht nie geworden, sagt Mierisch. „Wir können ja als Schule nur reagieren, wenn wirklich was Verbotenes kommt.“
Manch andere hingegen erinnern sich sehr wohl an strafbares Verhalten, und zwar schon früh. Bereits in der Grundschule habe es Aufregung gegeben, sagt eine ehemalige Mitschülerin, da habe Jörn Schimanek den Hitlergruß gezeigt. Beim Gespräch in einem Café in Leipzig trinkt sie eine heiße Zitrone mit Honig.
Am Gymnasium, erzählt sie, hätten manche sich dann zumindest außerhalb des Unterrichts offen rechtsextrem gezeigt, rassistisch und antisemitisch. Mitschüler hätten bewundernd von Hitler und vom NS-Regime gesprochen. Karl Jonas K., der heute auch in U-Haft sitzt, habe als seinen Lieblingspolitiker Rudolf Heß genannt, den „Stellvertreter des Führers“. Manche der Äußerungen hätten sie an Forderungen der Identitären Bewegung erinnert: Ethnien sollten sich nicht mischen, Juden nicht in Deutschland leben.
„Es ist erstaunlich, wie schnell sich das normalisiert, wenn man täglich damit konfrontiert wird“, sagt die Mitschülerin. Man habe damals in den Pausen noch mit den rechten Klassenkameraden diskutieren können. Aber manches sei dann doch sehr krass gewesen. In der 9. Klasse besuchten sie die KZ-Gedenkstätte Buchenwald. Am Tag davor habe einer aus der Gruppe in seiner Whatsapp-Story ein Lagerfeuer gepostet und später den Text „Spürt ihr schon die Seelen der toten Juden?“. Sie habe das damals einer Lehrerin berichtet, es sei aber nichts passiert. Der Sprecher des Schulamts schreibt, dass der Vorfall der Schule nicht bekannt sei.
Schon damals, erinnert sich die Mitschülerin, hätten sich die Freunde als Gruppe verstanden, die bei einem Regierungsumsturz eine Rolle spielen würde. Richtig ernst genommen habe das niemand. Auch von einem Hitlergruß oder einer Begrüßung mit „Sieg Heil“ bei einer Schulveranstaltung berichten mehrere Personen aus der Schule. Ob das auch bei der Polizei angezeigt wurde, da gehen die Schilderungen auseinander. Falls ja, folgte jedenfalls nichts daraus.
An Hitlers Geburtstag, da waren die Freunde in Feierlaune
Nach der Schule, wenn die Gruppe um Jörn Schimanek zusammen abhing, sei es vor allem um Geselligkeit gegangen, berichtet einer, der das damals mitbekommen hat. Sie hätten Alkohol getrunken, Böhse Onkelz gehört und harten Rechtsrock. Manche seien an Militärgeschichte interessiert gewesen, andere auf rechte Demos gegangen. Und an Hitlers Geburtstag, da waren sie in Feierlaune.
Hätte man da noch eingreifen können? Die Versuche der Schule wirken im Nachhinein hilflos. Im Unterricht trugen die Jugendlichen T-Shirts von Thor Steinar und anderen Szenemarken, sie gaben sich durch ihre Klamotten als IB-Anhänger zu erkennen und verteilten Flyer von der Neonazi-Partei „Dritter Weg“. Das Gymnasium diskutierte damals, ob man rechte Kleidung per Hausordnung verbieten könne.
Der Sprecher des Schulamts teilt mit, das Gymnasium Brandis habe verschiedene Projekte initiiert, eines mit dem Titel „Werte und Zukunftsplanung“, ein Geschichtsprojekt über „rebellische Jugend im Nationalsozialismus“, und eine Lehrerfortbildung durch das Landesamt für Verfassungsschutz.
Im April 2019 holte dann die Schulleitung nicht nur Sebastian Krumbiegel und sein Demokratielied ans Gymnasium, sondern auch externe Referentinnen des Bildungsträgers „Netzwerk Demokratie und Courage“. In deren Workshop sollte es um Vorurteile und Diskriminierung gehen. Die jungen Seminarleiterinnen waren offenkundig überfordert mit der Klasse 9/2, sie brachen die Veranstaltung ab.
Die Schülerinnen und Schüler stellten dem Workshop größtenteils ein miserables Zeugnis aus, selbst diejenigen, die den Ansatz gut fanden: „Langweilig“ und „nichts Neues“ sind noch die wohlwollendsten Äußerungen auf den Bewertungsbögen, die der SZ vorliegen. Viele störten sich daran, dass die Seminarleiterinnen nur ihre eigene Meinung hätten durchsetzen wollen. „Obwohl Demokratie natürlich sehr wichtig ist, glaube ich nicht, dass man durch ein solches Projekt die Beliebtheit dieser steigern kann“, heißt es einmal. Ein anderer Schüler verurteilte das ganze Ansinnen grundsätzlich, „weil in der Schule Neutralitätsgebot herrscht und da nicht so ein linksextremistischer Müll hingehört“.
In einer Bewertung heißt es wohl treffend: „Für 9. Klasse zu spät.“
Das „Netzwerk für Demokratie und Courage“ will sich heute zum Workshop in Brandis nicht äußern, man halte die Zusammenarbeit mit Schulen stets vertraulich, sagt Landesgeschäftsführerin Nina Gbur in einem Videocall. Aber grundsätzlich: Prävention müsse rechtzeitig angeboten werden, denn „wenn es einmal richtig krass geworden ist, dann ist guter Rat wirklich teuer“. Im Übrigen habe das Pochen auf eine vermeintliche „Neutralität“ die Arbeit zuletzt immer mehr erschwert. „Man braucht nur Menschenrechte und Demokratie zu erwähnen, und schon wird das als linksextremer Indoktrinationsversuch angegriffen.“ Deutschland 2025.
Extrem rechts zu sein scheint in Teilen des Landes zu einer neuen Jugendkultur geworden zu sein, das zeigen Wahlergebnisse und Umfragen. Bei der Europawahl im vergangenen Jahr legte die AfD bei den 16- bis 24-Jährigen um elf Prozent zu, bei der Bundestagswahl im Februar stimmten 21 Prozent der 18- bis 24-Jährigen für die Partei.
Hinzu kommt eine Reihe von rechtsextremen Jugendgruppen, sie heißen „Jung und Stark“, „Deutsche Jugend Voran“ oder „Deutscher Störtrupp“; Ermittler sehen sie als „aktionsorientiert“. Die Gruppen sind sowohl im Internet als auch auf den Straßen unterwegs. Überall in Deutschland haben solche Gruppen gegen Paraden des Christopher Street Days mobilisiert.
Obwohl sie ihr völkisches Gedankengut „offen ausgelebt“ habe, sei die Familie integriert gewesen
Manche dieser jungen Menschen sind gewaltbereit, griffen im vergangenen Jahr Wahlkämpfer demokratischer Parteien auf der Straße an. Den SPD-Europapolitiker Matthias Ecke zum Beispiel, der in Dresden von Jugendlichen zusammengeschlagen wurde, die Verbindungen zur Elblandrevolte hatten – eine von mehreren Gruppen, die mit neuem Look bekannte Neonazi-Strukturen bilden. Bei einem der Beschuldigten wurde zu Hause ein Baseballschläger gefunden, ein Echo der Neunzigerjahre.
Heute aber gibt es zudem Social-Media-Plattformen wie Instagram und Tiktok, die laut Experten eine zentrale Rolle dabei spielen, die Radikalisierung anzuheizen oder zumindest sichtbarer zu machen. Weniger sichtbar ist das, was in geschlossenen Chatgruppen passiert. Und dort geht es oft noch extremer zu. Vor ein paar Wochen riefen Fünftklässler an zwei Schulen in Sachsen-Anhalt in einer Whatsapp-Gruppe namens „Kampf“ zu Gewalt gegen Ausländer auf. Die Polizei kam in die Schule und warnte die Kinder. Frühe Gefährderansprache, vielleicht bringt das mehr als Demokratie-Workshops für schon gefestigte Antidemokraten?
Ein paar Monate nachdem der Prinzen-Sänger Krumbiegel in der Schule seinen Demokratie-Song gesungen hatte, an einem Wochenende Ende 2019, fand nach SZ-Recherchen das wohl erste paramilitärische Training der Gruppe statt, die knapp fünf Jahre später als „Sächsischen Separatisten“ bundesweit bekannt werden sollte. Jörg und Jörn Schimanek sollen es angeleitet und dabei routiniert gewirkt haben. Die Teilnehmer: mindestens zwei von Jörns Klassenkameraden, einer aus der Parallelklasse, ein Jugendlicher aus der Nachbarschaft, ein Freund aus Leipzig.
Auf einem Schrottplatz am Stadtrand von Brandis haben die Jugendlichen demnach geübt, wie man ein Gewehr hält und sich in der Gruppe bewegt. Ein Foto, das der SZ vorliegt, zeigt einen Teilnehmer, der eine Sturmhaube trägt. Neben ihm hängen an einer verrosteten Metallstange eine Fahne mit der bei Neonazis beliebten „Schwarzen Sonne“ und die Reichskriegsflagge.
Der Schrottplatz liegt ein Stück von der Straße zurückgesetzt, bei einem Besuch Anfang dieses Jahres steht das Tor offen. Verrostete Lkw-Anhänger, zugewachsene Schutthügel, eine baufällige Baracke. Ihnen sei nichts Besonderes aufgefallen, sagen die Mitarbeitenden in ihrem Büro auf der anderen Straßenseite. Der Platz werde aber auch nicht bewacht. Die Vorbereitungen einer mutmaßlichen Terrorgruppe auf einen Tag X, sie blieben hier unbeobachtet.
Wenn man in Brandis über die „Sächsischen Separatisten“ sprechen will, scheint sich hier eher das Bild von der „harmlosen Wandergruppe“ zu halten. So hat der Anwalt von Jörg Schimanek die Gruppe nach den Festnahmen bezeichnet, er ist zugleich Gründungsvorsitzender der rechtsextremen Partei „Freie Sachsen“. Auf eine SZ-Anfrage antwortet er nicht.
Im Parkhotel steht Besitzer Sylvio Krause hinter der Rezeption. Eigentlich habe er keine Zeit für ein Interview, sagt er und redet dann doch: Das Land habe andere Probleme, Wirtschaft und die Einwanderungspolitik. Auf die Terrorvorwürfe gegen die „Sächsischen Separatisten“ angesprochen, sagt er erst: „Ich hab‘ da eine andere Meinung zu.“ Und dann: „Ich halte mich da raus.“ Die Schimaneks jedenfalls kenne er gut, der Vater arbeite gelegentlich für ihn. Über die Söhne könne er nichts Schlechtes sagen, sie hätten bei ihm Praktika gemacht. Vom Auftreten her seien alle korrekt, „immer einsatzbereit“.
Der Dachdecker Gunter Lörner hat seinen Betrieb im Westen der Stadt. Wenige Tage vor Weihnachten sitzt er in seiner Werkstatt und erledigt noch die letzten Rechnungen, bevor sich ein wenig erholen kann. Lörner hat das Problem, dass er jetzt selbst wieder mehr auf die Baustelle muss, trotz seiner kaputten Knie: Sein Auszubildender Jörn Schimanek kam im November einfach nicht mehr zur Arbeit. Das habe ihn gewundert, schließlich sei der noch nie unpünktlich gewesen, sagt Lörner, Anfang 60. „Ich brauche die Jugend!“ Auszubildende im Ort zu finden, sei schwer, die Jungen gingen weg.
Eine Freundin von Jörn Schimanek habe ihm dann von den Festnahmen erzählt. „Ich kann mir gar nicht vorstellen, was die gemacht haben sollen“, sagt Lörner. Er hat auch Jörg Schimanek ausgebildet, den älteren Bruder. Beide seien zuverlässig gewesen, gut in der Berufsschule, pünktlich. Über Politik hätten sie nie gesprochen.
Die Schimaneks, „das war keine Familie, die irgendwie abseits der Dorfgemeinschaft in Brandis gelebt hat“, sagt einer, der sie gut kannte. Obwohl sie ihr völkisches Gedankengut „offen ausgelebt“ habe, sei die Familie integriert gewesen.
Von Radikalisierung könne man bei den Brüdern ohnehin nicht sprechen, so hat es auch das Bundesamt für Verfassungsschutz in den Akten festgehalten – wo doch der Rechtsextremismus die ganze Zeit schon das „vorherrschende Gedankengut“ in der Familie gewesen sei.
Zugezogene waren sie. Österreicher eigentlich, väterlicherseits. Großvater Hans Jörg Schimanek war ein Politiker der FPÖ, er wohnte in Niederösterreich, dort hatte die Kerngruppe aus Brandis offenbar ein Haus der Familie als Rückzugsort für den Tag X auserkoren. Bei einer Durchsuchung im November fanden die Ermittler dort NS-Devotionalien und 30 Kilogramm Munition. Als der Großvater Ende des vergangenen Jahres starb, hinterlegte seine Familie die Todesanzeige mit einer Irminsul-Rune, dem Symbol des „SS-Ahnenerbes“. Auch der Vater, Hans Jörg jun., legte in Österreich eine rechtsextreme Karriere hin. In den Achtzigerjahren leitete er Wehrsportübungen der „Volkstreuen außerparlamentarischen Opposition“, deren Gründer Gottfried Küssel er dann auch Jahre später seinen Söhnen vorstellen wird. Es gibt ein Video von einer Übung, in dem Hans Jörg Schimanek jun. jungen Männern beibringt, wie man im Kampf den Gegner erdrosselt. Wegen NS-Wiederbetätigung saß er vier Jahre im Gefängnis. Danach zog er nach Sachsen.
Zum Abschied habe der Vater den Hitlergruß angedeutet
Mehrere Versuche, mit den Eheleuten Schimanek zu sprechen, scheitern. Einmal öffnet die Mutter die Haustüre, sie sagt nur: „Und tschüss!“ Schon macht sie wieder zu. Ein andermal ist der Vater zu Hause, „Verpisst euch“, hört man ihn rufen. Der Tür sieht man noch an, wie sie von der Polizei aufgebrochen wurde, der Türschnapper ist beschädigt, Holz abgesplittert. Über der Hausnummer hängt ein Schild mit dem Thorshammer, einem bei Neonazis beliebten Symbol. Im Haus, so schildern es mehrere Personen, sehe man ein Hitler-Bild, NS-Uniformen und andere Nazi-Devotionalien. An der Wand habe ein Straßenschild mit „Adolf Hitler“ gehangen, berichtete der Undercover-FBI-Mitarbeiter dem BKA. Und zum Abschied habe der Vater einen Hitlergruß angedeutet.
Die Ermittler gehen davon aus, dass der Vater seinen Söhnen all das beigebracht hat, was sie bei den paramilitärischen Trainings weitergegeben haben. Sie halten es für denkbar, dass er Waffendepots angelegt haben könnte. In Deutschland wird gegen ihn nicht ermittelt, in Österreich wird ihm aufgrund der Funde bei den Hausdurchsuchungen nun erneut NS-Wiederbetätigung vorgeworfen.
Über seinen Vater lernte Jörg Schimanek auch einen österreichischen Sprengstoffexperten kennen, mit dem er sich austauschte. Wie Chatprotokolle zeigen, hat er sich intensiv damit beschäftigt, wie man in Eigenproduktion Bomben herstellen kann.
Regelmäßig baute der Vater einen Stand auf einem Antikmarkt in Leipzig auf, wo er Nazi-Devotionalien verkaufte, seine Söhne halfen mit. Jörg Schimanek wollte das Geschäft größer aufziehen, er verkaufte militärische Ausrüstung bei Ebay Kleinanzeigen und auf dem „Völkischen Marktplatz“ bei Telegram. Zuletzt bestellte Jörg Schimanek Waffenteile wie Magazine und Schalldämpfer an seine polnische Adresse, da dort das Waffengesetz liberaler ist. Dorthin ist er mit seiner polnischen Freundin gezogen. Es habe zwei bis drei Jahre gedauert, schrieb er einmal einem Kameraden, sie vom Nationalsozialismus zu überzeugen.
Mutter Schimanek arbeitet als Masseurin in einer „Wohlfühloase“. Auch Telefonate mit ihr hörten die Ermittler ab. Ihre rechtsradikale Gesinnung ist in diesen nicht zu überhören. Sie hetzt über Ausländer und äußert die Idee, für den Stadtrat zu kandidieren. Sowohl die AfD als auch die Freien Sachsen hätten sie gefragt.
Hat die Schule versucht, auf die Schimaneks einzuwirken? Ist das überhaupt ihre Aufgabe? Da sei „kein Weg rein“ gewesen, sagt ein ehemaliger Schulmitarbeiter der SZ. Bei Elterngesprächen seien „hauptsächlich die schulischen Leistungen“ Thema gewesen, teilt der Sprecher des Schulamts mit.
Auf Telegram lässt sich Jörg Schimanek ausführlich über den „ewigen Juden“ aus und leugnet den Holocaust
Bald treffen sich die Freunde ohnehin nicht mehr in der Schulklasse. Im Sommer 2019, nach der neunten Klasse, wechselt Karl Jonas K. die Schule, Jörn Schimanek verlässt das Gymnasium ein Schuljahr später. Ein paar entfernen sich von der Gruppe, neue, teils noch sehr junge Mitglieder kommen hinzu, vor allem aus dem benachbarten Grimma. In die Gruppe kommt nur, wem Jörg Schimanek vertraut.
Nach und nach sei aus der Freundesgruppe eine geworden, die tatsächlich ein Interesse am Aufbau eines nationalsozialistischen Staates hatte, sagt eine Person, die die Gruppe damals gut kannte. Aus dem Interesse an Militärgeschichte wurde Ideologie, „nicht mehr einfach nur Technik und Krieg, sondern tatsächliche politische Vorstellungen und Ziele“. Jörg und Jörn Schimanek seien vereinnahmend gewesen, sie hätten die Freunde gezielt radikalisiert.
Jörg Schimanek ist damals auch viel auf Telegram unterwegs, sucht Austausch mit internationalen Rechtsextremisten. Er nennt sich dabei „Hunter M“. Die SZ konnte Hunderte Nachrichten aus größtenteils öffentlichen Chatgruppen bei Telegram auswerten, die vom Thinktank Cemas gemonitort und gespeichert wurden. In seinen Posts lässt Jörg Schimanek sich ausführlich über den „ewigen Juden“ aus und leugnet den Holocaust. Er schreibt viel über Waffen und Munition, preist eine angebotene Schutzweste als sicher gegenüber bestimmter Nato-Munition, er habe das getestet.
Es ist nicht klar, wann Jörg Schimanek mit solchen Posts anfing und ob deutschen Behörden das Treiben hätte früher auffallen können. Sogenannte Online-Agenten des Verfassungsschutzes dürfen zwar verfolgen, was in öffentlichen Chatgruppen besprochen wird. Aber es gibt nicht sonderlich viele dieser Beamten.
Letztlich gerät Jörg Schimanek ins Visier der Behörden, weil er in einer kleinen Telegram-Gruppe aktiv wird, sie nennt sich damals „770 Frens“ und hat nur ein Dutzend Mitglieder – einer ist als Informant für das FBI tätig. Jörg Schimanek schreibt auf Englisch über den „weißen Dschihad“, die Gründung von Kämpferzellen und: „Wir brauchen einfach nur Typen in Toyota Pick-ups, schwer bewaffnet, mit schwarzen Masken.“ Im November 2021 postet er ein Foto von einem Training im Wald, Waffen sind zu sehen.
In einem persönlichen Chat mit der FBI-Quelle nennt Jörg Schimanek Ende 2021 auch Details zu seiner Gruppe und spricht über Bewaffnung. Im April 2022 teilt das FBI das den deutschen Behörden mit.
Die Ermittler halten Jörg Schimaneks Online-Aktivitäten für zentral für die Radikalisierung der Gruppe aus Brandis. Sie wird durch ihn Teil eines recht jungen internationalen Netzwerkes, das sich „National Socialist Brotherhood“ nennt, kurz NSB.
Es ist eine von mehreren Organisationen, die – neben der bekannteren „Atomwaffen Division“ – der sogenannten „Siege“-Ideologie zugerechnet werden, nach dem englischen Wort siege für Belagerung.
Ihr Erkennungszeichen: die Totenkopfmaske. Die Ideologie geht auf den US-amerikanischen Neonazi James Mason zurück, der die Beseitigung liberaler Demokratien mittels terroristischer Anschläge propagiert. Das verhasste bestehende Gesellschaftssystem soll an einem „Tag X“ überwunden werden. Der Niedergang der liberalen Demokratie wird als unaufhaltsam gesehen, soll aber durch gezielte Anschläge oder eine Verstärkung ohnehin vorhandener gesellschaftlicher Polarisierung beschleunigt werden.
Die AfD war den Mitgliedern der „Sächsischen Separatisten“ lange viel zu lasch
Die NSB organisiert sich über Telegram und hat Ableger in Kroatien, Polen, Großbritannien und Deutschland. Die Zellen sollen unabhängig voneinander agieren. Nur der Initiator einer lokalen NSB-Zelle steht in Kontakt mit den anderen, er muss ein Bekenntnis ablegen. „Ich bin Nationalsozialist“, schrieb Jörg Schimanek Anfang 2021 an das für Deutschland zuständige Gruppenmitglied. Er hat, so rekonstruieren es die Ermittler, in Brandis eine solche Zelle gegründet – als Teil eines internationalen Umsturzplanes.
Die Radikalisierung im virtuellen Raum zeigte hier eine handfeste Ausprägung in der Wirklichkeit. Das Ziel sei klar gewesen, sagt einer, der damals nah dran war: die Rückholung des Nationalsozialismus in einem ethnisch gesäuberten Staat. „Es sollte Jagd gemacht werden auf Menschen, die nicht ins Idealbild passen.“
Für diesen Tag trainierten die jungen Männer nicht nur mit Airsoft-Waffen, sie schossen auch scharf, unter anderem auf dem Schießstand „Goldie Arms“, ein paar Kilometer hinter der Grenze von Tschechien. Die Beschaffung von Waffen schien aber nicht so zu klappen wie gewünscht, der Kauf von 100 Magazinen für Kalaschnikow-Gewehre soll am Geld gescheitert sein. Bei den Durchsuchungen im November fanden die Beamten dennoch einige legale und wenige illegale Waffen. Mitte März durchkämmten Polizisten – erfolglos – die Gegend an einer stillgelegten Bahnstrecke. Wenn es losgehe, so soll es Jörg Schimanek dem FBI-Mann im August 2024 gesagt haben, benötige er zwei Tage, um seine Gruppe mit scharfen Waffen auszurüsten.
Für ihre paramilitärischen Trainings traf sich die Gruppe auch ein paarmal in einem privaten Waldstück von Kurt Hättasch aus dem benachbarten Grimma. Hättasch, damals 21 Jahre alt, hat Jörg Schimanek Anfang 2022 kennengelernt, als er bei ihm einen „originalen Nato-Gefechtshelm“ gekauft hat. Hättasch war aus der Bundeswehr geflogen, weil er die Position vertreten haben soll, dass das Deutsche Reich fortbestehe. Als Jäger besaß er legal sechs scharfe Waffen. Und er engagierte sich in der AfD, war Funktionär der Nachwuchsorganisation Junge Alternative (JA) und saß für die rechtsextreme Partei im Stadtrat von Grimma. Dort kaufte er mit zwei anderen aus der Gruppe ein Gebäude, um einen Neonazi-Treff zu eröffnen – sie bekamen dafür einen Kredit in Höhe von 100 000 Euro vom ehemaligen Berliner Finanzsenator Peter Kurth (CDU), der bereits zuvor als Finanzier rechtsextremer Immobilienprojekte aufgefallen war. Von der Gruppe sei aber nie die Rede gewesen, ließ Kurth sich zitieren, er lehne sie ab.
Hättaschs Angehörige wollen nicht mit der SZ sprechen. Hättasch selbst, der die Polizisten bei seiner Festnahme Anfang November mit einem Gewehr in der Hand empfing und durch eine Kugel am Kiefer verletzt wurde, veröffentlicht aus der Untersuchungshaft heraus ein Knasttagebuch, in dem er sich als Opfer staatlicher Repression darstellt.
Die AfD war den Mitgliedern der „Sächsischen Separatisten“ lange viel zu lasch. Als „Mitte-links“ hätten Jörn und seine Kameraden die Partei im Schulunterricht einmal eingeordnet, erinnert sich eine Mitschülerin. Jörg Schimanek schreibt noch im Herbst 2022 bei Telegram: In einem System, wie es die AfD fordere, „kann es keine Veränderung geben. Nur eine komplette Revolution kann etwas verändern“.
Gleichzeitig suchten sie den Kontakt zur Partei: Mindestens einmal, 2022, trafen die drei Schimanek-Brüder und drei weitere Beschuldigte den thüringischen AfD-Vorsitzenden Björn Höcke, auf einer Wahlkampfveranstaltung in Grimma. Dabei entstand ein Gruppenbild mit Höcke.
Höcke erklärte nach den Festnahmen, er habe die jungen Männer nicht gekannt. „Höcke will bring salvation“, das postete Jörg Schimanek im Frühjahr 2024 bei Telegram: Björn Höcke, der Erlöser.
Die Schimanek-Brüder sollen auch an Stammtischen und Aktionen der AfD oder ihrer Jugendorganisation teilgenommen haben. Die Adresse von Jörn Schimanek fand sich nach SZ-Informationen in der Datenbank der JA, die kürzlich offiziell aufgelöst wurde. Der Mutterpartei wurde sie zu offen radikal, auch wegen der „Sächsischen Separatisten“. Die AfD beantwortete eine Anfrage zu Mitgliedschaften der Beschuldigten nicht.
Der zentrale Chat der Gruppe aus Brandis hat den kryptischen Namen „RS GN OR 4“. Die Behörden konnten dort mitlesen. Die Posts zeigen, wie extrem die Gruppe drauf ist: „Gumo Heil Hitler“, grüßt Jörn Schimanek die anderen. Karl Jonas K. postet menschenverachtende Memes, fordert, Schwule von Gebäuden zu werfen. Antisemitismus zieht sich durch, nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 schreibt Jörg Schimanek: „Hamas! Hamas! Alle Juden ins Gas!“
Aus den Ermittlungsunterlagen wird auch deutlich, wie die Gruppe mit Personen umging, die sie als Verräter sah. Aussteiger aus der Gruppe sollen sie zu Hause aufgelauert und bedroht haben. Als 2022 eine Freundin die Gruppe verließ, besuchten sie zwei Mitglieder, um zu verhindern, dass sie die Gruppe verrät. Vorher stellten sie einen Fragenkatalog zusammen, der das Feindbild gut widerspiegelt: „Fragt ob sie militant links ist.“ „Ob es mehr als zwei Geschlechter gibt.“ „Ob sie die Grünen wählt.“
Später kam im Chat die Entwarnung: „Sie hält ihre Fresse bezüglich allem was sie weiß.“
Wer hätte dem Hass Einhalt gebieten können? Das würde man gerne mit den Engagierten in Brandis diskutieren, aber das ist gar nicht so leicht. Die Mitglieder des Jugendparlaments wollen nicht sprechen oder sind nicht zu erreichen. Sozialarbeiter aus der Jugendhilfe verweisen auf die Stadt. Das Demokratieforum existiert nur noch als Website. Keiner der ehemals Aktiven will heute sprechen, nur einer reagiert. Er schreibt, er habe damals das „Gesicht hingehalten, damit andere dies nicht tun mussten“. Nach anonymen Drohmails mit Inhalten wie „9mm sind für dich“ habe er sich zurückgezogen.
Dass das Demokratieforum eingeschlafen ist, bestätigt auch Arno Jesse, der Bürgermeister. Auch er habe Schreiben mit entsprechendem Inhalt erhalten. Er beantwortet zwar einige Fragen der SZ per E-Mail. Ein Interview möchte er aber nicht geben, da „wir gerade informell mit den Schulen und unterstützt durch das Ministerium versuchen, hier ein Netzwerk aufzubauen, das sich dem Thema Demokratieförderung mit verschiedenen Stakeholdern annimmt“.
Vielleicht wird dann wieder der Sänger Sebastian Krumbiegel eingeladen. Der sagt, er sei eigentlich ein optimistischer Mensch. Aber wenn er heute in Ostdeutschland unterwegs sei, in Schulen und auf Konzerten, wisse er nicht mehr so richtig weiter. Es sei heute en vogue „rechts zu sein“, sagt er. Die Kinder könnten nichts dafür, sie würden eben so erzogen. Die Fehler seien in den Neunzigerjahren gemacht worden, als das Problem verharmlost worden sei, besonders in Sachsen. Er habe den Eindruck, jetzt komme das alles wieder, eine Generation später und viel vehementer. „Du stehst davor und denkst, du kannst eigentlich gar nichts mehr machen“, sagt Sebastian Krumbiegel.
Er erreicht die jungen Leute nicht mehr. Nicht mit Worten und nicht mit Musik.
Der pensionierte Geschichtslehrer Andreas Mierisch denkt oft nach über das, was er in der Schule erlebt hat. „Vielleicht hätte man noch offener mit den Jungs arbeiten können, außerhalb des Unterrichts.“ Und vielleicht hätte man noch stärker versuchen sollen, mit den Eltern zu sprechen. „Aber was hätte ich ansprechen sollen? Ich wüsste es nicht.“
Ein Jahr vor seiner Verhaftung hat Jörn ein Video in den Chat der Gruppe gepostet. In dem kurzen Clip ist zu sehen, wie ihn seine Mutter mit einem Stift bemalt, während er offenbar schläft. Sie malt ihm ein Hakenkreuz auf den Oberarm, umrahmt von Herzen.
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