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Im Insolvenzverfahren konkurrierten zwei Parteien um die geschichtsträchtige Immobilie: das Land Sachsen-Anhalt und ein privater Investor, dem bereits der Teil des Stollens gehörte, den seinerzeit die NVA nutzte. Er bekam den Zuschlag, und der Vorwurf steht im Raum, dass das Land zu zögerlich agierte, um den Stollen zu erwerben. Schon 2018 forderte der Förderverein Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge e.V. in einer Petition den Landtag von Sachsen-Anhalt zu einem klaren „Votum für den Erhalt des Stollens“ auf „und die Bereitschaft, in der Zukunft finanzielle Mittel für eine Erweiterung des Rundgangs durch den Stollen zur Verfügung zu stellen“.
Kein Verkauf aus Insolvenzmasse
Fragt man in Magdeburg nach, erfährt man von Rainer Robra, dem Kulturminister von Sachsen-Anhalt, dass das Land durchaus Interesse gehabt habe, den Stollen zu erwerben. Doch „es war ein unglücklicher Verfahrensablauf, bei dem ich annehme, dass der Insolvenzverwalter irgendwann sein Interesse, das Verfahren abzuschließen, höher eingestuft hat, als zum Erfolg der Verhandlung beizutragen“. Letztlich wurde der unbebaute Stollen 2022 für 500.000 Euro an den Investor verkauft.
Vom Land habe der Insolvenzverwalter ein Summe von 1,1 Millionen Euro für etwa ein Fünftel der Fläche gefordert, so Robra, obwohl der Verkehrswert der Immobilie mit 420.000 Euro beziffert wurde. Der Insolvenzverwalter wollte sich hierzu nicht äußern. Mit dem denkmalschutzrechtlichen Vorkaufsrecht wollte das Land noch einmal etwas bewirken. Das gelang nicht, weil – wie das Verwaltungsgericht Magdeburg am 29. April 2024 urteilte – „der Verkauf aus einer Insolvenzmasse erfolgt ist“.
Rechtmäßiger Inhaber ist seither die GPM Projekt 58 UG. Geführt wird sie von Peter Jugl aus Markkleeberg in Sachsen. Das Spezialgebiet von Jugls GPM GmbH ist der Homepage zu entnehmen: Immobilien – „je größer, umso interessanter für uns“. Größe ist vorhanden bei der Stollenanlage. Doch wann wird Größe zu Größenwahn und Taktlosigkeit?
Das 19 Seiten lange Whitepaper macht deutlich: Hier wird bis ins letzte Detail geplant. Der Stollen soll „in Zeiten geopolitischer Spannungen einen sicheren Rückzugsort“ bieten. Anteile am Bunker lassen sich durch Kryptowährung erwerben, den Bunker Coin Token. Pro Token erwirbt man sich einen Kubikzentimeter Platz im Bunker. Durch den Verkauf soll das Projekt finanziert werden.
Kinos und Apotheken unter der Erde
Die Betreiber werben mit der Apokalypse: „Im Krisenfall wird der Wert der Tokens steigen, da die Nachfrage nach sicheren Zufluchtsorten zunimmt.“ Daneben ist eine „Dezentralisierte Autonome Organisation“ geplant, die für die Verwaltung des Bunkers zuständig ist. Kinos, Apotheken und ein Schwimmbad sind geplant. Die Stiftung Gedenkstätten Sachsen-Anhalt sagt dazu: „Eine Bunkeranlage, die mit dystopischen Szenarien und einer paramilitärischen Bewachung wirbt, ist mit dem besonderen Charakter des Ortes nicht vereinbar.“ Eine Gesprächsanfrage, was es mit den Bunkerplänen auf sich hat, blieb unbeantwortet, sowohl von der GPM GmbH als auch von den Betreibern der Website.
Marcin Stankiewicz hebt hingegen ab, als kurz nach Mitternacht sein Telefon in Adelaide, der Hauptstadt des Bundesstaats South Australia klingelt. Er ist Tadeusz Koters Enkel und medizinischer Leiter einer Fruchtbarkeitsklinik. Er spricht unaufgeregt, dabei geht ihm das Thema nah. Voriges Jahr besuchte er zum ersten Mal die Gedenkstätte des ehemaligen Lagers, in dem sein Großvater inhaftiert war. Seine Kinder haben ihn begleitet. Für ihn war es wichtig, den Spuren seines Großvaters bis nach Langenstein-Zwieberge zu folgen. Als Andenken nahm er Steine von dort mit nach Australien.
Für Stankiewicz sind sie „heilig“. Und er begreift nicht, wie man einen Ort, an dem Menschen ermordet wurden, kommerzialisieren dürfe. Der Förderverein Gedenkstätte Langenstein-Zwieberge e.V. nennt die Bunkerpläne eine Katastrophe. Der Ort habe Symbolcharakter, sagt die Vorsitzende Hanka Rosenkranz. Dass die Bunkerbetreiber selbst ihr Vorhaben als Demokratieprojekt verkaufen, grenzt an Zynismus: „Das Ziel des Projekts ist es, Menschen eine sichere Zuflucht zu bieten, die durch demokratischen Zugang gesteuert wird.“
Das ganze Ausmaß der Zwangsarbeit erfassen
Und was will der Förderverein? Jedenfalls keine Eventlocation, sondern einen Zugang zu den tieferen und unverbauten Stollenbereichen. Auch Stankiewicz wünscht sich einen tieferen Zugang in den Berg. So ließe sich das gesamte Ausmaß der Zwangsarbeit erfassen, glaubt er. Die Stiftung wünscht sich eine Überführung des historischen, unbebauten Teils in die öffentliche Hand. Das ginge, sofern der Investor verkaufsbereit sei.
Auch die „Gruppe 2. Generation“, die aus Kindern und Enkeln ehemaliger Häftlinge besteht, wehrt sich vehement gegen die Privatisierung der Tunnelanlage. Die Bunkerbetreiber schreiben in ihrem Weißbuch indes: „Es ist entscheidend, ein gerechtes und sicheres Umfeld zu schaffen, in dem alle Mitglieder respektvoll und verantwortungsbewusst miteinander umgehen.“
An diesem Mittwoch findet in der Gedenkstätte ein Gespräch zwischen Vertretern der 2. Generation und dem Land Sachsen-Anhalt statt. Marcin Stankiewicz wird nicht dabei sein, aber im November plant er eine Reise nach Sachsen-Anhalt. Am südlichen Massengrab wird eine Gedenkplakette für seinen Großvater angebracht. Stankiewicz’ Mutter, die 85 Jahre alte Tochter von Tadeusz Koter, die ihren Vater zuletzt 1944 sah, wird auch dabei sein.
Man sollte die Betreiber der Bunker-Coin-Website beim Wort nehmen, wenn sie schreiben, dass es ihr Ziel sei, „aus diesem dunklen Ort mit seiner dunklen Vergangenheit eine Quelle des Lichts, der Zuversicht und der Hoffnung zu schaffen“. Durch eine Untergrundstadt als Eventlocation wird das nicht gelingen. Der Countdown läuft.