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In unmittelbarer Nähe der Hofsynagoge entdeckte man 2006 bei Kanalarbeiten eine Mikwe, ein jüdisches Tauchbad, an das nun eine Tafel erinnert
Doch für Hendrik Schnelle ist all das nichts weiter als „Wunschdenken heutiger Zeitgenossen“ und eine „Märchengeschichte“, wie er auf seiner Webseite schreibt. Er hält weiterhin daran fest, dass das Haus die „abbruchreife Ruine“ eines alten Gartenhäuschens sei – und „unter keinem vernünftigen Gesichtspunkt erhaltenswert“.
Schnelles Familie hat das Hinterhofgebäude vor Jahrzehnten gekauft. Er selbst betreibt seit 2009 in einem Nachbarhaus eine Rechtsanwaltskanzlei, für die er nun auf dem Grundstück Parkplätze errichten möchte. Eine Anfrage für eine gemeinsame Begehung der Hofsynagoge lehnt er ab, auch stehe er nicht für ein Gespräch mit WELT AM SONNTAG zur Verfügung – und verweist auf seine Webseite.
Dort sind alle Argumente und Einwendungen nachzulesen, mit denen Schnelle juristisch gegen die neue Denkmal-Bewertung vorgeht, um den Abbruch durchzusetzen. Im Wesentlichen stützt sich Schnelle auf rekonstruierte Stadtpläne des 17. Jahrhunderts, in denen das Gebäude nicht eingezeichnet ist. Außerdem führt er Urkunden an, denen zufolge der Graf zur Lippe den Juden erstmals im Jahr 1666 die Erlaubnis erteilte, ihre Feste zu feiern. Folglich könne es in den Jahren davor keine Juden in Detmold und mithin keine Synagoge gegeben haben. Beim Verwaltungsgericht in Minden blieb Schnelle damit erfolglos. Er reichte Berufung ein, nun liegt die Entscheidung beim Oberverwaltungsgericht Münster.
An einer Gedenkstätte in der Stadt wurden Repliken von Säulen aus der Neuen Synagoge aufgestellt, die im November 1938 zerstört worden war
Der Fall, der zunächst nur eine lokale Denkmalposse zu sein schien, zieht immer weitere Kreise. Das überregionale Interesse erklärt sich nicht allein aus der Hartleibigkeit, mit der Hendrik Schnelle den Abriss seines Hauses durchsetzen will. Vielmehr steht der Verdacht im Raum, dass er den Befund der Forscher, wonach sich auf dem Grundstück seiner Familie eine ehemalige Synagoge befindet, aus anderen Gründen abstreitet.
Informationen über Schnelle sind nicht schwer zu beschaffen: Er sei ein breit vernetzter Szeneanwalt der extremen Rechten, so die Auskunft der Mobilen Beratung gegen Rechtsextremismus Ostwestfalen-Lippe. Zu seinen Mandanten gehören einige bekannte Rechtsradikale – etwa der Neonazi Robin Schmiemann aus dem Umfeld der NSU-Terroristin Beate Zschäpe.
Zwar ist es die Aufgabe von Rechtsanwälten, auch Mandanten zu verteidigen, deren Gesinnung sie nicht teilen. Doch gibt es Hinweise, dass Schnelle selbst ihrem ideologischen Spektrum angehört. 2002 wurde er wegen Volksverhetzung zu einer Bewährungsstrafe von sechs Monaten verurteilt – weil laut Landgericht Detmold erwiesen war, dass Schnelle gegenüber einer Jungsozialistin erklärt hatte, man müsse „alle Schwulen vergasen wie damals die Juden“. In einer früheren Stellungnahme gegenüber WELT AM SONNTAG sprach Schnelle von einem „Fehlurteil“. Und beteuerte, er sei „politisch so neutral wie die Schweiz“. In einem anderen seiner zahlreichen Schreiben auf Anfragen von Journalisten heißt es: „Nach meinen jahrelangen Bemühungen um die Sanierung des Denkmals ist es eine besonders grobe Unverschämtheit, wenn mir permanent unterstellt wird, ich würde den Abbruch des Hauses aus ideologischen Gründen betreiben.“
Einer, der Hendrik Schnelles Agieren genau beobachtet, ist Oliver Arnhold. Der promovierte Theologe und Studiendirektor ist einer der Vorsitzenden der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit (GfCJZ) in Lippe, die im Februar zusammen mit anderen Gruppen und der Lippischen Landeskirche ein Aktionsbündnis für den Erhalt der Hofsynagoge gegründet hat. Eine der ersten Aktionen war das Erstellen der Webseite hofsynagogedetmold.de, um im Netz den Behauptungen, die Schnelle auf seiner Webseite verbreitet, etwas entgegenzusetzen.
Arnhold organisiert auch Austausch-Programme mit Israel. Als seine Schüler zur Vorbereitung eines solchen Austauschs das verfallende Haus in der Bruchmauerstraße besucht hätten, so berichtet Arnhold, „da sagte eine Schülerin, es sei ihr peinlich, wenn die Gäste aus Israel zu sehen bekämen, wie in unserer Stadt mit Spuren jüdischer Geschichte umgegangen wird“. Daraufhin erarbeiteten die Schüler eine Open-Air-Ausstellung zu jüdischen Spuren in Detmold – und zeigten sie an der Bruchsteinmauer gegenüber der ehemaligen Synagoge. Ein Teil der Ausstellung ging auf die Geschichte der Hofsynagoge ein. „Und als Reaktion auf die Eröffnung im April 2022 brachte Schnelle das Banner an, mit dem er für seine Webseite und den dort enthaltenen Fake News wirbt“, berichtet Arnhold.
Die Sache mit dem Banner, sagt Arnhold, sei nur eine von vielen Provokationen, mit denen Schnelle öffentlichkeitswirksam verbreite, dass er nicht viel von jenem „respektvollen Umgang“ mit der Hofsynagoge hält, den die GfCJZ und ihre prominenten Unterstützer wie beispielsweise Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier fordern. Im November 2023 veranstaltete Schnelle im Gebäude eine Halloween-Feier und klebte Horrorfratzen in die Fenster. Kurz darauf ließ er darin eine Lichtinstallation in den Farben der Palästina-Flagge aufbauen und erklärte in einer Mitteilung, nicht der Angriff der Hamas auf Israel sei der Anlass, sondern eine Abstimmung in der Generalversammlung der Vereinten Nationen zur humanitären Not im Gazastreifen.
Hendrik Schnelle weiß also zu taktieren. Und nicht jeder Versuch, ihn in die Schranken zu weisen, ist geglückt. Als von einzelnen Unterstützern des Aktionsbündnisses die Forderung geäußert wurde, man müsse Schnelle notfalls enteignen, nahm er dies zum Anlass, auf seiner Webseite Karikaturen zu platzieren, in denen er dies mit der Enteignung der Juden durch die Nazis gleichsetzt. Und als die Detmolder Denkmalbehörde von ihm verlangte, sein Banner am Haus abzunehmen, ging er gerichtlich gegen die Anordnung vor – und bekam Recht. Nun scheint bei der Stadt die Devise zu gelten, erst einmal abzuwarten, was die Gerichtsverhandlung am 19. September bringt.
Und dann? Wird es je „eine historische Begegnungsstätte für alle Menschen aller Religionen“ in der alten Hofsynagoge geben, wie sie sich Matitjahu Kellig, der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde Herford-Detmold, wünscht? Wird es Hendrik Schnelle, wie von ihm angekündigt, tatsächlich schaffen, bis vor den Europäischen Gerichtshof zu ziehen, sollte das Oberverwaltungsgericht das Abbruchverbot bestätigen? Und: Wie lange wird das marode Haus überhaupt noch durchhalten?