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Querdenker-Demonstration
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In Wut vereint
Wieder haben Querdenker in Berlin demonstriert. Zu sehen waren Menschen, die immer stärker die Konfrontation mit der Polizei suchen – und die Nähe zu Rechtsextremen.
Eine Reportage von Christian Vooren
21. April 2021, 21:28 Uhr
Querdenker-Demonstration: Wirr gegen die: Auf der Querdenker-Demo in Berlin vereinten sich Hooligans und Verschwörungsgläubige gegen die Polizei.
Wirr gegen die: Auf der Querdenker-Demo in Berlin vereinten sich Hooligans und Verschwörungsgläubige gegen die Polizei.
Auf der Straße des 17. Juni in Berlin hat ein Mann einen Tipp für die Leute, die ihm zuhören. Er gehe seit acht Monaten maskenfrei einkaufen. Ohne Attest, aber er habe eine eidesstattliche Versicherung geschrieben. Darin stehe, er wolle sich niemals den Corona-Maßnahmen beugen. Niemand fragt, ob er es damit je bis zu einer Wursttheke geschafft hat. Aber er bekommt viel Applaus.
Ein paar Meter weiter brüllt sich jemand von der Kleinstpartei Die Föderalen heiser. Er sei gegen das Infektionsschutzgesetz, aber er distanziere sich von Reichsbürgern und allen, die die BRD für eine GmbH halten. Man müsse sich mit rechtsstaatlichen Mitteln wehren. Schon rufen die Ersten, wie das denn gehen solle. Applaus gibt es kaum.
Demonstrationen gegen Corona-Politik:
Kein Mindestabstand zu Neonazis
Querdenken:
Kinder sind keine Schutzschilde
Corona-Proteste:
Berlins Verfassungsschutz beobachtet Teile der Querdenker-Bewegung
Ob nun auf juristischem Wege, mit selbst gemachten Papieren oder mit Trillerpfeifen, auf jeden Fall soll sich gewehrt werden, finden hier alle. Gegen eine Diktatur, ob sie nun das Präfix Masken-, Merkel,- Impf- oder Corona- trägt, ist eigentlich egal. Gewehrt wird sich hier gegen die Änderung des Infektionsschutzgesetzes, die der Bundestag an diesem Tag einige Meter von hier entfernt mehrheitlich beschließt. So wie sie gegen praktisch jede Corona-Maßnahme sind.
Es hat sich was verändert
Es kam schon häufiger vor, dass die Querdenker durch Berlin ziehen. Das erste Mal kamen sie in großer Zahl im vergangenen August. Damals wie heute war es ein Mix aus Verschwörungsgläubigen, Familien auf Ausflug und Neonazis. Doch es hat sich etwas verändert.
Anfangs bemühten sich Organisatoren wie Michael Ballweg noch, zumindest nach außen so was wie Mindestabstand zum rechten Rand zu wahren. Bis dahin wollten Teilnehmerinnen und Teilnehmer etwa im vergangenen August entweder keine Rechtsextremen mit Reichsflaggen gesehen haben oder stellten klar, dass die ja gar nicht Teil der großen Demo seien.
Aber wie das so ist, wenn man sich Woche für Woche in verschiedenen Städten auf den gleichen Veranstaltungen begegnet: Man nähert sich an. Und wie sich im Laufe des Tages in Berlin zeigte, nicht nur in den Ansichten, sondern auch in der Bereitschaft zur Konfrontation. Schon vorab war in Telegram-Gruppen zum Aufstand aufgerufen worden.
Gemeinsame Wut auf die Welt
Einen wirklichen Austausch von Inhalten kann man hier kaum noch beobachten. Es sind eher Stichworte, die alle zum Kochen bringen, selbst wenn es inhaltlich nicht zusammenpasst. Irgendwer ruft "Bill Gates", andere nicken wissend. Ein anderer sagt "Lügenpresse", die Umherstehenden grölen.
Die Bundesrepublik ist mal DDR-Unrechtsstaat, mal ein Unternehmen, mal die Inkarnation eines neuen Faschismus. Das Virus ist erfunden und die Impfung ein tödlicher Pilz. Die Polizei soll sich mal verpissen und dann wieder der Gruppe anschließen. Mal ist Jesus die Antwort, mal Liebe, mal Widerstand. Es wehen russische Fahnen neben israelischen und amerikanischen, solchen mit Smileys drauf und mit Regenbogen, mit Stadtwappen von irgendwo und dem Logo von Hertha BSC. Die Bewegung wird anscheinend nur zusammengehalten von einer gemeinsamen Wut auf die Welt.
Männer in Anoraks, Reichsbürger und Hooligans
Hier treffen sich Frauen in den Fünfzigern mit Rucksäcken voller Stullen oder Wecken, je nachdem, aus welchem Teil Deutschlands sie angereist sind. Männer in Funktionsjacken, die sie als Anorak bezeichnen, und die Pappschilder an Holzlatten geklebt haben. Männer, die sich Neonazi-Chiffren ins Gesicht, den Nacken oder auf die Waden tätowiert haben, und andere Rechtsextreme, die bloß optisch nicht so glatzenhaft daherkommen wie die Hooliganfraktion.
Compact-Chefredakteur Jürgen Elsässer, der Corona-Leugner und Ex-AfDler Heinrich Fiechtner, der sächsische Neonazi Sven Liebich, der am Nachmittag in einem Pullover mit gelbem Stern drauf und dem Tagebuch von Anne Frank in der Hand vor dem Holocaustmahnmal posiert und dafür dann von der Polizei festgesetzt wird.
Sie alle sind Teil einer laut Polizeiangaben etwa 8.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer umfassenden Versammlung. Einige Kundgebungen hatte das Verwaltungsgericht Berlin zuvor verboten, andere konnten stattfinden unter der Auflage, dass Abstände eingehalten und Masken getragen werden. An beides hält sich der Großteil nicht, also warnt die Polizei mehrfach per Lautsprecherdurchsage und erklärt die Versammlung gegen Mittag für aufgelöst, versehen mit der Aufforderung, die Straße durch den Tiergarten in Richtung Süden zu verlassen.
Dahin wollen die allermeisten Demonstrierenden aber gar nicht, sondern sie wollen vor allem zum Reichstagsgebäude, Bilder produzieren wie die vom vermeintlichen Sturm auf den Reichstag im vergangenen August oder wie von dem der Trump-Anhänger auf das Kapitol in Washington. Randnotiz: Ein paar schaffen es auf anderem Wege offenbar sogar in das Gebäude rein, weil der AfD-Abgeordnete Hansjörg Müller sie mitnimmt. Doch das Gros der Menge wird von der Polizei weiträumig von Reichstagsgebäude und Brandenburger Tor ferngehalten.
Beamte werden zu Boden gezerrt
Die hat dann allerdings einige Mühe, die Menge dort aufzulösen. Nicht nur, weil die Polizeiketten durch die Sträucher und Bäume nur in kleinen Gruppen vorwärtskommen. Sondern auch, weil die Gruppe mehr und mehr den Konflikt sucht. Immer wieder werden Polizisten von Neonazis angegriffen, wenn die gerade versuchen, jemanden aus der Menge zu ziehen. Beamte werden mit Flaschen und Ästen beworfen, zu Boden gezerrt, geschlagen, getreten und zurückgedrängt. Polizisten reagieren ihrerseits mit Schlägen, Tritten, Schwitzkasten und Pfefferspray.
Das hat es auch vorher auf Querdenker-Demos gegeben, aber noch vor einem Jahr waren die Hooligans ein geschlossener Pulk, fasziniert und misstrauisch beäugt von anderen Demonstranten, von älteren Herren und Müttern mit Kindern auf den Schultern. Die Kinder haben sie diesmal zu Hause gelassen, zumindest sieht man davon viel weniger. Mitgebracht haben sie stattdessen Taucherbrillen und Schutzmasken. Nicht gegen Corona, sondern gegen Pfefferspray.
Es ist ein sich wiederholendes Bild an diesem Tag. Beamte ziehen einzelne Personen aus der Menge, Hooligans greifen die Polizisten an, empörte Querdenker rennen ins Getümmel. Sie machen jetzt gemeinsame Sache mit den Rechtsextremen. Für die sind sie willkommene Prellböcke.
Wann hört das endlich auf?
Die Polizei hat entschlossener reagiert als noch auf anderen Querdenker-Veranstaltungen, anders als in Kassel oder in Stuttgart. Sie hat 152 Personen festgenommen. Den Demonstrierenden ist das egal, sie haben das, worum es ihnen den ganzen Tag zu gehen schien: den vermeintlichen Beleg, unterdrückt worden zu sein.