Hoppla, das Posting ist mir entgangen und da ich dazu bisher keine Antwort sehe, beantworte ich das jetzt trotzdem mal noch, auch wenn es schon deutlich später ist.
Die ziemlich lange Entscheidung scheint aber, wenn ich das richtig deute, darauf hinauszulaufen, dass unter Bezugnahme auf eine (für mich nicht auffindbare) Studie aus Großbritannien (Jaafar et.al.) vom September 2020 behauptet wird, die PCR-Testpraxis in Westeuropa laufe auf 97 Prozent (!) falsch-positive PCR-Test hinaus (s. S. 31 f. mit Fn. 2):
Kleiner Tip vorneweg: Für biowissenschaftliche oder medizinische Veröffentlichungen ist die
Pubmed die Datenbank, in der man suchen will. Dazu möglichst viele Autorennamen und Stichwörter (oder den exakten Titel, wenn man ihn hat) in die Suche eingeben. Hier führt der Erst- und der Letztautor bereits direkt zur entsprechenden Veröffentlichung:
Correlation between 3790 qPCR positives samples and positive cell cultures including 1941 SARS-CoV-2 isolates .
Dann enthält das von
@Knallfrosch verlinkte PDF auf Seite 2 einen entscheidenden Schreibfehler, hier steht einmal negativ, wo positiv stehen sollte, ich habe mal einen Screenshot gemacht und die entsprechende Stelle markiert. Es ist sehr gut möglich, das die Querdeppen hier falsch abgebogen sind und daraus dann ihren "Beweis" konstruiert haben. Es zeigt aber auch, das "accepted manuscripts" mit Vorsicht zu geniessen sind und man am besten erst fertig editierte Artikel bewertet.
Im unten zitierten Ausschnitt (das ist ansonsten exact dieselbe Stelle) ist dieser Fehler bereits korrigiert.
... that at a cycle threshold (ct) of 25, about 70% of samples remained positive in cell culture (i.e. were infectious); at a ct of 30, 20% of samples remained positive; at a ct of 35, 3% of samples remained positive; and at a ct above 35, no sample remained positive (infectious) in cell culture (see diagram)
This means, that if a person gets a "positive" PCR test result at a cycle threshold of 35 or higher (as applied in most US labs and many European labs), the chance that the person is infectious is less than 3%. The chance that the person received a "false positive" result is 97 % or higher".
Ich kann mir das nicht vorstellen, kenne aber den Zusammenhang der zitierten Textstelle nicht und kann das deshalb nicht einordnen (womöglich hat das Gericht da etwas sehr gründlich in den falschen Hals bekommen). Kann das jemand übersetzen oder gar debunken?
An der Stelle müssen wir jetzt etwas weiter ausholen und ein wenig in die Theorie der dahinterstehenden PCR einsteigen.
Die PCR ist eine Methode, bei der DNA vervielfältigt wird, dazu werden die beiden Stränge der DNA getrennt (denaturiert, das passiert durch erhitzen), dann lässt man einen Primer binden (annealing), der spezifisch für die Region ist, die man vervielfältigen (amplifizieren) will und der als Anfangspunkt für das Enzym die (die sog. Taq-Polymerase) die dann den Strang wieder auffüllt. Details finden sich beispielsweise in der
Wikipedia. Die Reaktion verläuft in Zyklen aus Denaturierung, Annealing und Amplifikation und beginnt dann wieder von vorne. Idealerweise verdoppelt sich die DNA Menge zwischen zwei Zyklen, in der Praxis liegt der Wert oft zwischen 1,75 und 2, das kann man aber durch Versuche exakt bestimmen.
Für die diagnostische Anwendung beim SARS-CoV-2 Test wird die so genannte "Real-time PCR" verwendet, bei der man die Menge des entstehenden DNA Produkts direkt über eine Zunahme der Fluoreszenz während der Reaktion ausgelesen werden kann. Hierbei bindet eine Sonde (ein weiteres DNA-Stück) das entstehende PCR-Produkt und gibt dann ein Fluoreszenzsignal ab, was man messen kann. Das ganze ist jetzt stark vereinfacht, das Verfahren heisst "
TaqMan-PCR", wer mag kann dem Link folgen und dort weiter nachlesen. Wichtig ist, das die Zunahme der Fluoreszenz hochspezifisch mit der Zunahme an PCR-Produkt erfolgt und die Sonde nicht irgendein PCR-Produkt bindet, was zufälligerweise amplifiziert wird. Damit ist diese Methode zwar komplizierter und teurer (da man neben den beiden Primern eben auch eine fluoreszenzmarkierte Sonde braucht), aber eben auch viel spezifischer als klassische realtime-PCR Verfahren, wo unspezifisch die Zunahme der DNA gemessen wird.
Für die Laufzeit der realtime-PCR nimmt das Fluoreszenzsignal stetig mit steigender Laufzeit zu. Da wir bei solchen Verfahren immer ein Hintergrundrauschen haben (Empfindlichkeit des eingesetzen Detektors, Grundrauschen bei der Fluoreszenz, zufällig freigesetzte Fluorophore etc.) dauert es eine Weile, bis man das entstehende Signal sicher über die Hintergrund detektieren kann. Der Zyklus in dem das passiert wird wird je nach Hersteller des Geräts als Ct (cycle threshold) oder Cp (crossing point) bezeichnet, ab diesem Moment ist die Signalzunahme sicher zu detektieren und später zu analysieren. Dabei hängt die Ct Wert direkt proportional von der eingesetzten DNA Menge ab.
Das sieht dann beispielsweise so aus (von
hier):
Das Bild stammt aus einer Anleitung für ein SARS-CoV-2 Nachweiskit, zwischen den einzelnen Kurven ist die eingesetzte DNA Menge jeweils um den Faktor 10 unterschiedlich. Was hier auffällt, ist, dass die Signalstärke am Ende der Reaktion mit sinkender DNA-Menge abnimmt und die Kurven auch weniger "schön" aussehen.
Das Problem der PCR ist, das sie zwar mit sehr hoher Sicherheit und Spezifität Virus-RNA nachweisen, aber keine Aussage darüber treffen kann, ob ein Patient infektiös ist, weil die Methode das schlicht nicht hergibt. Möglich ist das, indem man aus dem Abstrichstäbchen eine Zellkultur animpft und schaut, ob sich hier im Zellkulturüberstand nach einer Inkubationszeit Viren nachweisen lassen. Idealerweise führt man dann sogar einen zweiten Schritt durch und infiziert mit diesem Überstand eine weitere Kultur. Das ist aber bereits im einstufigen Verfahren verglichen mit der PCR sehr aufwändig (sowohl von der Zeit, als auch von den Kosten), das man es im Forschungslabor machen kann, nicht aber in der breiten Routinediagnostik.
In der Veröffentlichung hat man genau dieses Verfahren angewendet, zum einen hat man eine PCR durchgeführt, um überhaupt zu testen, inwiefern der Patient infiziert ist und dann alle positiven Proben versucht in Zellkulturexperimenten anzuzüchten. Dabei stellte sich dann heraus, das bei einem Ct-Wert von 25 70% der Proben infektiös waren, bei einem Ct von 30 noch 20%, bei einem Ct von 35 nur noch 3% und bei Ct-Werten über 35 keine Infektiosität mehr nachweisbar war. Da hier 1941 Proben analysiert worden sind, kann man für die Arbeit auch eine hinreichend sichere Datenbasis annehmen.
Typischerweise führen moderne realtime-PCR Geräte 40 Reaktionszyklen durch (man kann aber natürlich auch mehr einstellen), einfach weil die empirische Erfahrung zeigt, das mehr extrem selten sinnvolle Ergebnisse zeigen und man zusätzlich einen stark steigenden Aufwand für Kontrollen machen muss. Aus eigenen Erfahrungen damit kann ich sagen, das wir im Labor Ergebnisse bis 35 ausgewertet haben und auch da Proben, die so spät kamen, in der Regel ein zweites Mal mit mehr eingesetzter DNA getestet haben, um sicherzugehen.
Edith hat dazu schon eine Frage formuliert: Wenn nach 35 Testzyklen festgestellt wird, dass die positiven Ergebnisse bei 3 % liegen, dann müsste sich dieser Wert auf anderweitig ermittelte 100 Prozent positive Ergebnisse beziehen, damit die Fehlerrate 97 % betragen kan. Es fragt sich, ob diese Bedingung überhaupt zutrifft, wenn in Westeuropa typischerweise die Zahl der Testzyklen 35 beträgt.
Achtung, aufpassen: Bei Proben, die einen Ct von 35 aufweisen, sind 3% der Proben in der Zellkultur noch infektiös. Das heisst nicht, das 3% der Proben positiv waren, sondern das 3% noch in der Lage waren, Zellen zu infizieren. Die Reaktion war aufgrund ihrer Spezifität bei 100% (oder 99,999%) der Proben, die einen entsprechenden Ct-Wert aufweisen positiv, da man hier das Virus nachgewiesen hat. Es ist halt praktisch nur kein ansteckendes Virus vorhanden.
Mit den Daten aus beiden Experimentreihen lässt sich aber eine Abschätzung treffen: Wer eine positive PCR mit einem Ct-Wert von über 35 hat, ist nach aktuellen Stand der Forschung höchstwahrscheinlich nicht (mehr) ansteckend.
Das war jetzt sehr lang, sollten noch Unklarheiten bestehen, bitte nochmal nachfragen.