Querdenker mit Querverbindungen zu SHAEF.
Spoiler
Im Prozess vor dem Landgericht Rottweil um die 1.-Mai-Krawalldemo 2021 von Corona-Gegnern in Tuttlingen kam es zu einem selten dagewesenen Eklat: Am späten Abend des vierten Verhandlungstages rückte die Polizei nach fortgesetzten Unmutsbekundungen der Zuhörer an.
Der Tag beginnt mit der schon bekannten Prozedur: Der Angeklagte demonstriert seine Abneigung gegen das Gericht, indem er jedes Wort verweigert und inständig die Hände vor dem Gesicht verschränkt. Richter Dr. Thomas Geiger muss die Zuhörer im vollbesetzten Gerichtssaal erneut „bitten“, aufzustehen, wenn das Gericht eintritt - auch sie können und wollen ihre Protesthaltung, trotz aller Warnungen, nicht zurückhalten.
Was Sie hier beantragen, ist völliger Blödsinn.
Der Staatsanwalt
Nicht zuletzt: Die beiden Gutachter berichten einmal mehr, der Angeklagten habe „nicht kooperiert und nichts gesagt“, sei aber trotzdem verhandlungsfähig. Nur eins ist anders: Der Staatsanwalt, der das turbulente Geschehen zuletzt schweigend verfolgt hatte, wirkt plötzlich wie ausgewechselt. Von Beginn an mischt er sich engagiert ein.
Spöttische Kommentare aus dem Publikum
Als der Richter berichtet, dass sich Thomas Straub, der frühere Tuttlinger Amtsgerichtsdirektor, der als Zeuge vernommen werden soll, sich krank gemeldet habe, kommen spöttische Kommentare aus dem Publikum. „Im Namen des Volkes“, ruft eine Frau ironisch. Die Atmosphäre wird immer hitziger, der Richter ruft schließlich zurück: „Sie sprechen nicht für das Volk!“
Verteidiger Rainer Schad beharrt darauf, dass Straub aussagen müsse. Der Staatsanwalt versteht die Begründung („Wir müssen klären, ob der Datenschutz eingehalten worden ist!”) nicht und kontert: „Das ist völlig irrelevant!“ Schad beantragt zehn weitere Zeugen-Vernehmungen, vor allem Corona-Experten, und zeigt damit, dass er den juristischen Prozess auch zu einem Corona-Aufarbeitungsprozess machen will.
Seine Liste gipfelt darin, dass er auch Gesundheitsminister Karl Lauterbach und seinen Vorgänger Jens Spahn herbeizitieren will. Das bringt den Staatsanwalt auf die Palme: „Was Sie hier beantragen ist völliger Blödsinn“, schimpft er, „das ist völlig unbedeutend!“
Alle sind genervt
Es ist mit Händen zu greifen: Hier sind alle nur noch genervt. Richter Geiger versucht zwischendurch zu beruhigen und klar zu machen, dass die entscheidende Beweisfrage in diesem Prozess „relativ einfach“ sei: Es gehe ausschließlich darum, betont er, ob der Angeklagte damals, am 10. Oktober 2022 in Tuttlingen, zu Recht oder zu Unrecht, dem Prozess ferngeblieben sei. Dem Gericht lag ein ärztliches Attest mit der kurzen Begründung „akute Erkrankung“ vor.
Außerdem wurde eine Erklärung des Angeklagten bekannt, wonach das Amtsgericht Tuttlingen nach den „SHAEF-Gesetzen“ nicht zuständig sei. Bei SHAEF handelt es sich um eine Verschwörungsideologie von Reichsbürgern. Sie geht davon aus, dass Deutschland immer noch ein besetzter Staat sei.
Als der Richter beiläufig erwähnt, die beiden Gutachter seien neutral, schallt ihm lautes, höhnisches Gelächter entgegen. Zum wiederholten Mal droht Geiger den Zuhörern mit einem Ordnungsgeld.
Alle 20 Minuten zur Toilette
In der Folge kommt es immer wieder zu Unterbrechungen, mal weil der Angeklagte etwa alle 20 Minuten eine Toiletten-Pause benötigt, aber vor allem, weil die Strafkammer über die neuen Verteidiger-Anträge berät.
Die Entscheidung fällt eindeutig aus: Alle Anträge abgelehnt. Das verbessert die Stimmung im Saal nicht, im Gegenteil. Zum endgültigen Eklat kommt es, als Dr. Frank Wehner, der medizinische Sachverständige von der Universität Tübingen, eine Frage beantwortet und schallendes Gelächter erntet.
Es ist 19.15 Uhr, und dem Richter platzt jetzt endgültig der Geduldsfaden. Er kündigt an, dass er „wegen der mehrfachen Störungen“ die Polizei rufen werde und unterbricht die Sitzung. Nach etwa 20 Minuten erscheinen fünf Beamte im Gerichtssaal, auf dem Flur stehen zeitweise etwa fünf weitere.
„Da war es mucksmäuschenstill“, berichtet ein Augenzeuge. Das Gericht setzt die Verhandlung in Anwesenheit der Polizisten, die nicht eingreifen müssen, fort. Es bleibt ruhig. Am Schluss, kurz nach 21.15 Uhr, stellt Verteidiger Schad noch einen Befangenheitsantrag gegen Richter Geiger. Darüber entscheidet ein unbeteiligte Richter des Landgerichts. Auf Anfrage erklärt sie, „vorerst“ werde Richter Geiger weiterverhandeln.
Der Prozess soll am Freitag, 17. Mai 2024, fortgesetzt werden.
Auf den Bericht über den Fortsetzungstermin bin ich gespannt.