Ich finde leider den Live-Stream bzw. die Aufzeichnung nicht. Die BZ scheint da auf Youtube hinterherzuhinken. Vielleicht kommt es ja noch. Scheint aber ein interessantes Gespräch gewesen zu sein.
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Auch die Freiheit hat Grenzen
Thomas Loisl Mink
Von Thomas Loisl Mink
Mo, 21. September 2020
Lörrach
Aus Anlass des Tages der Demokratie erörterte ein trinationales Trio um Oberbürgermeister Jörg Lutz das Thema Demokratie in den Zeiten der Corona-Pandemie.
Am Montag vor 172 Jahren ließ Gustav Struve am Lörracher Marktbrunnen die rote Fahne der Revolution hissen und rief vom Balkon des Rathauses Republik und Demokratie aus. Im Rahmenprogramm zum Tag der Demokratie am 21. September diskutierten Vertreter aus dem Dreiland über Demokratie in Zeiten der Corona-Pandemie.
In der von SWR-Redakteur Matthias Zeller moderierten Runde saßen Esther Keller, Großrätin im Kanton Basel-Stadt (Grünliberale Partei), Daniel Adrian, Co-President Agglomeration St. Louis und Bürgermeister von Landser, sowie Lörrachs Oberbürgermeister Jörg Lutz. Die Diskussion fand vor wenigen Besuchern im Dreiländermuseum statt, wurde aber parallel via Livestream übertragen. Zellers erste Frage betraf die Grenzschließungen zu Beginn der Pandemie. Diese habe sie als Schock erlebt, sagte Esther Keller, als eine Erfahrung, die sie nicht für möglich gehalten hätte, da man den gemeinsamen Kultur- und Lebensraum für selbstverständlich gehalten habe.
Plötzlich aber standen Soldaten mit Sturmgewehr an der Grenze. Da sei eine Unsicherheit entstanden, die die Menschen noch länger prägen werden, meinte sie. In der damaligen Situation sei die Entscheidung wohl richtig gewesen, aber man müsse die richtigen Lehren daraus ziehen, sagt Lutz. In Frankreich gab es sogar eine zweimonatige Ausgangssperre. Der größte Schock für die Elsässer sei es gewesen, dass Emmanuel Macron in seiner Ansprache sieben Mal das Wort "Krieg" verwendet habe, sagte Daniel Adrian. Eine schlimme Erfahrung sei es auch gewesen, dass die trinationale Zusammenarbeit lahmgelegt wurde und sich nicht als krisentauglich erwiesen hat.
Matthias Zeller berichtete, laut neusten Umfragen hielten nur elf Prozent der Deutschen die Corona-Einschränkungen für zu streng. In der Schweiz sehe es ähnlich aus, während in Frankreich sehr viele mit der Regierung in Paris unzufrieden sind, dafür die Meisten die Bürgermeister vor Ort loben. Der Zentralismus habe in der Krise nicht funktioniert, stellte Adrian fest. Enttäuscht war er aber auch, dass nationalistische Regungen in den Vordergrund traten und es gedauert hat, bis deutsche Kliniken Kranke aus dem besonders stark betroffenen Departement Haut-Rhin aufgenommen haben. In der Schweiz, wo sonst die Kantone alles selbst regeln, hat der Bund schnell Großveranstaltungen verboten. Über die Initiative des Bundes sei man anfangs erleichtert gewesen, sagte Esther Keller. Die Basler Regierung hätte sich vielleicht nicht getraut, die Fasnacht abzusagen. Einheitliche Regelungen seien aber auch sinnvoll, weil es kaum nachvollziehbar sei, dass man im Kanton Baselland eine Maske brauchte, 100 Meter weiter im Kanton Basel-Stadt aber keine.
Die Demonstrationen gegen die Corona-Politik hätten Leute wie Reichsbürger, die die Verwaltung schon länger beschäftigen, und andere, die die Demokratie schon immer in Frage gestellte hätten, sichtbarer gemacht, sagt Jörg Lutz. Doch das sei eine kleine, lautstarke Minderheit, die Allermeisten sind mit dem Krisenmanagement zufrieden. "Es muss klar sein: Die eigene Freiheit hat Grenzen, wenn es darum geht, andere zu gefährden", betonte Lutz. Die Demokratie müsse wehrhaft sein und dürfe Auswüchse wie bei Demos in Berlin nicht zulassen. "Corona hat Sport und Kultur lahmgelegt, und die Energie, die dort nicht mehr umgewandelt werden kann, ist ein Teil der Energie, die in die Demos einfließt", sagte Esther Keller. Die Bereitschaft, den Regeln zu folgen, sei in der Schweiz aber sehr hoch, stellte sie fest. "Erst war es nur eine Empfehlung, im öffentlichen Verkehr eine Maske zu tragen, da hat das keiner gemacht. Als es zur Pflicht wurde, hatten von einem Tag auf den anderen 99,9 Prozent eine Maske auf", berichtete sie.
In der Schweiz stehen Wahlen an. Beim Wahlkampf auf der Straße merke man die Zurückhaltung, und bei Podiumsveranstaltungen fehle das Publikum. "Aber man kann nicht alles in digitale Räume verlagern, irgendwann geht das Gefühl für die Menschen verloren", sagte Keller. Wahlen zu verschieben wäre aber ein zu massiver Eingriff in die Demokratie. Das Wichtigste sei, aus der Krise zu lernen. "Es darf nicht mehr passieren, dass unser Lebens- und Wirtschaftsraum zerschnitten wird", betonte sie. Dem stimmten Daniel Adrian und Jörg Lutz zu. "Wir müssen dafür sorgen, dass die Regierungen begreifen, dass wir drei Länder sind, aber ein Lebens- und Wirtschaftsraum", sagte Adrian. Die Einschränkungen werden zwar noch andauern, aber die Maxime müsse lauten: So viel Freiheit wie möglich, und so viel Einschränkungen wie notwendig, befand Lutz.