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Hannover. Drei Wochen nach der Sommerpause ging es gleich mit einem Paukenschlag weiter im Prozess gegen den mutmaßlichen Mörder Walter Lübckes: Der Hauptangeklagte Stephan Ernst wolle sich von einem seiner beiden Verteidiger trennen, so die Schlagzeilen.
Eigentlich hätte es an diesem Verhandlungstag lediglich um die Verlesung von Dokumenten gehen sollen, doch das Gericht musste sich mit etwas anderem beschäftigen: dem offenen Konflikt zwischen Mustafa Kaplan und Frank Hannig, dem Anwalts-Duo von Neonazi Stephan Ernst.
Es ist nicht das erste Mal, dass der Angeklagte im Zusammenhang mit seiner Verteidigerwahl für Aufsehen sorgt. Zu Beginn des Ermittlungsverfahren gegen Stephan Ernst hatte zunächst Rechtsanwalt Dirk Waldschmidt das Mandat übernommen, was grundsätzlich wenig überraschte. Waldschmidt aber – selbst langjähriger NPD-Funktionär in Osthessen und Gesinnungsgenosse – wurde nur wenige Wochen später durch Ernst von seinem Mandat entbunden.
Zeitgleich widerrief er sein umfassendes, vierstündiges Geständnis, Walter Lübcke ermordet zu haben. Das hatte er kurz nach seiner Festnahme im Juni 2019 in einem Besprechungsraum im Polizeipräsidium Kassel abgelegt – in Abwesenheit des Verteidiger Waldschmidts.
Seitdem belastet Stephan Ernst seinen Freund und Mitangeklagten Markus H., bei der Tat dabei gewesen zu sein und mit Ernsts Waffe versehentlich einen Schuss auf den Regierungspräsidenten abgegeben zu haben. Auf diese Version gibt es laut Anklage aber bis heute keine Hinweise.
Der Pegida-Anwalt und Ex-Stasimitarbeiter
Grund für diesen Sinneswandel im Juli 2019 war offenbar: der Rat seines neuen Pflichtverteidigers Frank Hannig (50) aus Dresden – ein Mann, dessen Name ebenfalls in der rechten Szene ein Begriff ist. Bekannt geworden ist Hannig nämlich vor allem als “Pegida-Anwalt”.
Nach Recherchen von Correctiv und der “Sächsischen Zeitung” hatte er 2015 sogar die Gründungsversammlung des Pegida Förderverein e. V. geleitet – neben Lutz Bachmann, jener Schlüsselfigur der islamfeindlichen Bewegung. Ein Amt soll Hannig bei Pegida nie innegehabt haben. Als Gastredner besuchte er aber durchaus Pegida-Versammlungen, etwa im April 2017.
Ein Youtube-Video von diesem Auftritt zeigt, wie er dem jubelnden Publikum seine Rolle im “Arnsdorf-Prozess” erklärt. Dort erreichte er als Verteidiger die Einstellung des Verfahrens gegen vier Männer, die einen psychisch kranken Flüchtling an einen Baum gefesselt hatten. Auf der Bühne spricht Hannig von einer “Hexenjagd” und bezeichnet die Medien als “neue Henker”. Der Fall sei bloß aufgebauscht worden.
Zu DDR-Zeiten war Hannig inoffizieller, angeblich aktiver Mitarbeiter der Staatssicherheit. 2010 verklagte er außerdem, damals noch CDU-Mitglied, Bundeskanzlerin Angela Merkel wegen des Kaufs von Datensätzen über Steuerbetrüger. Wie der Kontakt zum Angeklagten Stephan Ernst zustande kam, ist unklar.
Familienvater Hannig gilt als sehr gut vernetzter Jurist – weit über Dresden hinaus. Als Anwalt für Rechtsextreme oder Rechte sieht er sich selbst nicht. Stets betont er: Er vertrete zwar gefährliche Straftäter und auch Mörder, aber nicht deren Ansichten.
Der NSU-Opferanwalt und Erdogan-Verteidiger
Ähnlich gibt sich auch der zweite Verteidiger von Ernst, der erst im Februar 2020 hinzukam – und gegensätzlicher kaum sein könnte: Mustafa Kaplan aus Köln. Der türkischstämmige Jurist kam mit acht Jahren nach Deutschland, erhielt 1999 seine Anwaltszulassung.
Erstmals in die Öffentlichkeit rückte der 51-Jährige als Opferanwalt im Prozess um den Nationalsozialistischen Untergrund (NSU). Dort vertrat er einen Mann, der 2004 beim Nagelbombenanschlag durch die Terroristen Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos in Köln verletzt worden war.
Außerdem vertrat Kaplan den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Rechtsstreit gegen den Satiriker Jan Böhmermann. Während der Zeit als NSU-Opferanwalt erhielt Kaplan selbst Drohmails von Rechtsextremisten. Nun vertritt der Rheinländer einen – an der Seite von “Pegida-Anwalt” Hannig.
Fragwürdige Anträge von Anwalt Hannig
Wie lange die zwei Juristen noch gemeinsam Ernst verteidigen werden, ist nun unklar. An diesem Montag eskalierte der Konflikt zwischen den beiden in der Verhandlung am Frankfurter Oberlandesgericht derart, dass der bekanntermaßen sehr besonnene Vorsitzende Richter Thomas Sagebiel sich “einigermaßen sprachlos” zeigte – und die Verteidigung des Angeklagten offen infrage stellte.
Die Anträge, die Hannig stellte, seien “gequirlter Unsinn”und stünden in keinem vernünftigen Zusammenhang mit dem Verfahren.
Es verwunderte nicht nur, dass Hannig Beweisermittlungsanträge stellte, ohne sie mit dem Angeklagten und seinem Verteidigerkollegen Kaplan abzusprechen und dass diese nach Aussage des Richters Sagebiel zudem “handwerklich Unsinn” sind.
Auch inhaltlich sind sie einigermaßen fragwürdig: Hannig hatte unter anderem beantragt, dass ein Einbruch im Regierungspräsidium Kassel untersucht werden solle, bei dem im Juli 2019 Akten entwendet worden seien. Er begründete seine Forderung damit, dass diese Hinweise auf eine Beteiligung des getöteten Lübcke an Windkraftfirmen seiner beiden Söhne enthielten.
Verteidiger Kaplan und Ernst distanzierten sich ausdrücklich von den Anträgen Hannigs: “Damit soll suggeriert werden, dass der Getötete und seine Familienangehörigen in krumme Geschäfte verwickelt sind”, sagte Kaplan, “mein Mandant hat kein Interesse daran, dass der Getötete und seine Familienangehörigen mit Dreck beworfen werden.” Nach einer Sitzungspause nahm Hannig die Anträge schließlich zurück. Eine weitere gemeinsame Verteidigung scheint unwahrscheinlich.
Das Gericht will zeitnah über die Entpflichtung von Hannig entscheiden. Ernst könnte dann einen weiteren Anwalt verpflichten oder allein von Kaplan vertreten werden. Während Szeneanwalt Dirk Waldschmidt und auch Pegida-Fan Hannig schon die eigenen politischen Ansichten angreifbar machen, verbleibt mit Kaplan der strategisch vielleicht klügste Verteidiger in dem ersten Prozess der Nachkriegsgeschichte, bei dem es um die Ermordung eines Amtsträgers durch einen Neonazi geht.