Autor Thema: Thomas Fischer  (Gelesen 30051 mal)

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Re: Thomas Fischer
« Antwort #150 am: 2. August 2020, 08:42:05 »
Da kann man doch sagen: "Beim SSL haben wir etwas gelernt!"
https://www.youtube.com/watch?v=9uZLrHiCMhQ
 
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #151 am: 15. August 2020, 16:18:26 »
Heute widmet sich der Kolumnist befangenen Staatsanwälten.
Und den empörten Medien. Wieder mal.




Zitat
Berliner Justiz
Blinde Augen des Gesetzes?

Eine Kolumne von Thomas Fischer

Schon eine Woche keine Alarmmeldung mehr über den Zustand der deutschen Gerechtigkeitsmaschine. Da wird es Zeit für einen kleinen Skandal mit großem Potenzial. Wir fahren nach Berlin!
14.08.2020, 16.22 Uhr
Spoiler
Einstimmung
Zur Einstimmung eine fiktive Meldung: "Regierungspräsident versetzt Leiter der Kfz-Stelle im Landratsamt!" Oder noch eine: "OLG-Präsidentin entlässt Gerichtsvollzieherin!" - Kommen Ihnen diese Meldungen bekannt vor? Können Sie sich an die Fälle erinnern? In diesem Fall kommen Sie vermutlich auch mit der Meldung "Generalstaatsanwältin versetzt zwei Staatsanwälte wegen Verdachts der Befangenheit" gut zurecht. Es gibt allerdings Gründe, das noch einmal zu überdenken.

Ähnlich lauteten kürzlich Alarm- oder Freudenmeldungen: In Berlin, Hauptstadt der BRD, ist wieder Justizkrise, weil die dortige "Chefanklägerin" zwei Personalentscheidungen getroffen hat. Bevor wir uns dem Inhalt nähern, zunächst Folgendes: Regierungspräsidenten sind nicht die Personalchefs der Landsratsämter, OLG-Präsidenten nicht Dienstvorgesetzte der Gerichtsvollzieher. Die Generalstaatsanwältin ist nicht unmittelbar für Besetzungen von Dienstposten in den Staatsanwaltschaften bei den Landgerichten zuständig. Und der Titel "Chefanklägerin", der in Pressemeldungen der Generalstaatsanwältin beim Kammergericht (Oberlandesgericht) Berlin verliehen wird, klingt zwar nach "Bahnchef" und "Schalke-Boss", kommt aber im deutschen Beamtenrecht nicht vor.

Er ist eine der Seltsamkeiten, die sich im Zuge der notorisch missverständlichen Übernahme angloamerikanischer Begriffe ("Chief Prosecutor") verselbstständigen und ein unheilvolles Eigenleben im deutschen Sprach- und Verständnisschatz führen. "Chefankläger" gab's beim Kriegsverbrecherprozess in Nürnberg und beim Jugoslawien-Tribunal, und es gibt einen solchen beim IStGH in Den Haag. Aber nicht in Berlin. Und die Umsetzung von Beamten der Staatsanwaltschaft beim Landgericht nimmt deren Dienstvorgesetzter vor, der als Behördenleiter tätige Leitende Oberstaatsanwalt.

Was ist los?
Wie es sich für einen Skandal dieser Gewichtsklasse gehört, liegen die Wurzeln im Ungewissen, wo es heißt: Kann sein, kann auch nicht sein. In diesem Nebel passiert dann irgendetwas Dezidiertes, damit "Klarheit" geschaffen werde; die Motive hierfür bleiben wiederum im Spekulativen. Dies wiederum führt zu alsbaldiger Verästelung in einen Ereignisstrom "…gerät zunehmend in die Kritik", einen zweiten Strom "…verteidigt konsequentes Vorgehen" und einen dritten Strom "…fordert umfassende Aufklärung". Es beginnt die Phase "…gerät immer mehr unter Druck", was den Übergang der Sache in die große Politik bedeutet. Von hier an ist alles möglich.

Bei der Staatsanwaltschaft (StA) Berlin gibt es eine Abteilung für politisch motivierte Straftaten. Der Abteilungsleiter hat den Dienstgrad "Oberstaatsanwalt". Dies ist eine Stufe in der Beamtenlaufbahn des Höheren Justizdienstes (es gibt auch den einfachen, den mittleren und den gehobenen). Es ist also keine Funktionsbezeichnung (ebenso wie "Oberregierungsrat", "leitende Regierungsdirektorin", "Kriminaldirektor"). Deshalb ist es immer ein bisschen albern, wenn ein Staatsanwalt, wenn es um die Ausübung seiner Funktion geht, in der Presse "Oberstaatsanwalt" (ohne Namen) genannt wird. Man schreibt gewöhnlich auch nicht, "Oberinspektorin" habe diese oder jene Auskunft gegeben, sondern, dies habe Frau Meier gesagt, die Leiterin der Kostenstelle bei der StA. Dass sie Oberinspektorin ist, ist von minderem allgemeinem Interesse.

Wie auch immer: In dieser Sache sind gleich zwei Oberstaatsanwälte tätig - oder auch nicht, wie es eine rechtsgelehrte Journalistin einer großen Frankfurter Zeitung formulieren würde ("FAZ", 13.3.2016). Der genannte Abteilungsleiter war bis vor wenigen Tagen zuständig für die Ermittlungen wegen der sogenannten Anschlagserie von Neukölln, einer Serie von über 70 offensichtlich rechtsradikal motivierten Straftaten insbesondere in den Jahren 2016 bis 2018, durchweg gegen "linke" oder als "Nazigegner" aufgetretene Personen. Der Tatkatalog reicht von Sachbeschädigungen und Beleidigungen bis zu schweren Brandstiftungen. Obwohl es zahlreiche Ermittlungsansätze und drei sogenannte Hauptverdächtige gibt, sind die Ergebnisse der Ermittlungen bisher - gelinde gesagt - unbefriedigend, was zu Unruhe und Kritik geführt hat (Auswahl: "Tagesspiegel" vom 9.2.2019 "Das Feuer, der Verdacht und das Vertrauen in den Staat", vom 21.12.2019 "Die Wut der Menschen in Neukölln wächst", vom 7.7.2020 "Warum Berlin-Neukölln ein Rechtsextremismus-Problem hat").

Nun hat kürzlich eine Rechtsanwältin die ihr zustehende Akteneinsicht in eine Ermittlungsakte mühsam auf dem Weg einer Aufsichtsbeschwerde (zuständig: Generalstaatsanwaltschaft) erlangt und in der Akte das Protokoll einer Maßnahme der Telekommunikationsüberwachung gegen zwei Tatverdächtige gefunden. Ob es ein Chatprotokoll war oder die Verschriftlichung eines abgehörten Telefongesprächs, wird in den Meldungen nicht ganz klar, ist aber auch unerheblich. Der hier interessierende Inhalt wurde von "rbb24" unter Verweis auf eine Auskunft der Generalstaatsanwältin wie folgt beschrieben:

'Es gab eine Unterhaltung von zwei der rechtsextremen Szene zugehörigen Personen', sagte Generalstaatsanwältin K. Demnach soll einer der zuständigen Staatsanwälte in einer Vernehmung erklärt haben, dass er AfD-nah sei oder AfD-Wähler sei. Daraufhin habe der Vernommene einer weiteren Person erzählt, man könne sich 'gut aufgehoben fühlen bei der Staatsanwaltschaft wegen dieser Äußerung', so K. Wie rbb24 erfuhr, soll der Hinweis auf diese Aussagen zu den Akten gelegt und nicht weitergeleitet worden sein. (RBB24, 6.8.2020)

Das ist etwas kryptisch formuliert. So weiß man nicht, was mit dem Wort "daraufhin" gemeint sein soll und von welchen "Aussagen" die Rede ist. Tatsächlich war es wohl so, dass mit "einer der zuständigen Staatsanwälte" hier der genannte Abteilungsleiter gemeint ist. Die "Aussagen" waren keine Aussagen, sondern das abgehörte Gequatsche des Tatverdächtigen, der seinem Gesprächspartner erzählt haben soll, dieser Abteilungsleiter habe sich entsprechend geäußert, als er - in einem ganz anderen Verfahren - den Sprecher vernahm, nicht als Beschuldigten, sondern wohl als potenziellen V-Mann und/oder Zeugen.

Im Twitteraccount des Republikanischen Anwaltsvereins, dem die akteneinsichtig gewordene Rechtsanwältin angehört, wird über das Geschehen unter dem Titel "Einige Fakten zu den Gründen der Versetzung der beiden Staatsanwälte" berichtet: 

Staatsanwalt F. war seit vielen Jahren Leiter der Abteilung (…) für politische Delikte. Staatsanwalt S. leitete die konkreten Ermittlungen. 2017 wird das Telefon eines rechtsradikalen Tatverdächtigen überwacht. Der Mann ist Mitglied der AfD und kurz zuvor von StA F. vernommen worden. In einem Chat teilt er einem anderen AfDler mit, der Staatsanwalt habe angedeutet, auf ihrer Seite zu stehen und auch die AfD zu wählen. Damit liegt der Verdacht der Befangenheit von StA F. vor. Die Protokolle dieser Abhörmaßnahme sind Bestandteil der Akten zu den Neuköllner Anschlägen. Weder Staatsanwalt S., noch die ermittelnden Beamten der Berliner Staatsschutzpolizei nehmen das überwachte Gespräch zum Anlass, hieraus Konsequenzen zu ziehen.

Ein rechtsradikaler mutmaßlicher Wichtigtuer erzählt einem anderen, der Leiter der "politischen" Abteilung der StA sei "auf ihrer Seite". Der Kumpel fragt: "Hat er das gesagt?" Und der erste antwortet: "Angedeutet." So könnte es, einer Erzählung zufolge, gewesen sein. Aber es gibt eine Menge Erzählungen, und den Wortlaut kennt nur, wer das Protokoll gelesen hat. Keine Rede war aber davon, der Staatsanwalt habe ausdrücklich erklärt, er sei auf der Seite der Rechtsradikalen. Und was mit "angedeutet" angedeutet sein soll, ruht in den Tiefen des Text-, Lebens- und Sprachverständnisses eines Berliner Neonazis und den empathischen Intelligenzmustern seiner Kommunikationspartner.

Wie geht es weiter? Der "Tagesspiegel" titelte am 6.8.2020:

Koppers greift gegen Oberstaatsanwalt F. durch - was ist da los? Berlins Generalstaatsanwältin übernimmt das Verfahren zu rechtsextremistischen Anschlägen, der Senator stützt sie. Ermittler sind fassungslos.

Fassungslosigkeit ist das Mindeste, was man hier erwarten kann, vom "Durchgreifen" ganz zu schweigen. Aber was gab es eigentlich "durchzugreifen"? Was hat OStA F. falsch gemacht? Beispielhaft gefragt: Müsste man gegen eine Staatsanwältin "durchgreifen", über die ein Verdächtigter zu einem anderen Verdächtigten gesagt hat, sie habe den Anschein erweckt, sie habe Dreck am Stecken? Über StA F. wurde berichtet, er sei "rechtskonservativ". Das ist bekanntlich erlaubt, kommt unter Staatsanwälten wie Journalisten, Rechtsanwälten wie Ministern vor und ist für sich allein gewiss kein Grund "durchzugreifen". Ob eine dezidiert "politisch" auftretende Person unter dem Gesichtspunkt der internen Stimmung und der Funktionalität der Behörde als Leiter einer Abteilung für Staatsschutz der StA eingesetzt werden sollte, mag Geschmackssache sein, vielleicht auch eine Frage der Fürsorgepflicht des Dienstherrn. Es ist auch eine Frage, die Aspekte der Versuchung, der Selbstüberschätzung und der Tendenziösität berühren kann. Allerdings hat auch selten eine parteipolitisch interessierte oberste Dienstbehörde gezögert, strategisch herausgehobene Positionen der Exekutive mit solchen Personen zu besetzen, die "dezidierte" Meinungen vertraten und in ihrer Arbeit umsetzten. Gar so schrecklich scheint ein "Verdacht der Befangenheit" also meist nicht zu lasten, als dass gegen Behörden- und Abteilungsleiter mit politischer Agenda ein allgemeines "Durchgreifen" Platz griffe.

Es habe eine "Anhörung" stattgefunden, wird berichtet. Sodann habe "die Berliner Generalstaatsanwaltschaft (GenStA) die Ermittlungen zu einer rechtsextremen Anschlagsserie an sich gezogen und zwei Staatsanwälte wegen Verdachts der Befangenheit versetzt" ("Legal Tribune Online" [lto], 12.8.2020). Da stecken gleich drei Kröten drin: an sich ziehen, Versetzung, Verdacht der Befangenheit. Zwei lassen sich rasch aufs Normalformat schrumpfen: das An-sich-Ziehen ist in § 145 Abs. 1 Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) geregelt:

Die ersten Beamten der Staatsanwaltschaft bei den Oberlandesgerichten und den Landgerichten sind befugt, bei allen Gerichten ihres Bezirks die Amtsverrichtungen der Staatsanwaltschaft selbst zu übernehmen oder mit ihrer Wahrnehmung einen anderen als den zunächst zuständigen Beamten zu beauftragen.

Da steckt auch die "Versetzung" mit drin. Auch hier muss man ein bisschen genau sein: "Versetzung" ist eine beamtenrechtliche Maßnahme: die auf Dauer angelegte Übertragung eines anderen Amtes (im abstrakt-funktionalen Sinn) bei einer anderen Dienststelle (beim selben oder einem anderen Dienstherrn). Wer "eine andere Aufgabe übernimmt", wird nicht versetzt, sondern "umgesetzt". Wenn hier die Generalstaatsanwältin unter Übergehung des Leiters der StA Berlin ohne Antrag und Zustimmung der Beamten Versetzungen vorgenommen hätte, wäre das äußerst ungewöhnlich; es ist nicht naheliegend. In einem Großunternehmen würde so etwas ziemlich lautlos exekutiert und meist vom pflichtgemäßen Jubel der Betroffenen begleitet, die sich auf ihre jeweils neuen Aufgaben freuen.

Befangene Staatsanwälte
Bleibt "der Verdacht der Befangenheit", von dem (angeblich) die Generalstaatsanwältin, jedenfalls aber vielfach die Presse sprach. Der Begriff wird behandelt, als sei er längst vertraut und beschreibe ein Phänomen, das alle zum einen verstehen, zum anderen für furchtbar schlimm halten. Beides ist, vermute ich, nicht ohne Weiteres gegeben.

Dass ein Staatsanwalt "befangen" zu sein habe, ist eine Forderung, die nach schweren Straftaten, aber auch zwecks allgemeiner "Bekämpfung der Kriminalität" vielfach erhoben wird; es gilt Abermillionen von Kriminologen und Krimizuschauern sozusagen als vornehmste Staatsanwaltspflicht. Auch in konkreten Hauptverhandlungen wird selten ein besonders "scharf" auftretender Staatsanwalt wegen Besorgnis der Befangenheit kritisiert. In der Strafprozessordnung (StPO) ist in den §§ 22 bis 31 vom Ausschluss und von der Befangenheit der Richter, der Schöffen und der Urkundsbeamten die Rede; Befangenheit von Staatsanwälten kommt dort nicht vor. Das liegt daran, dass Staatsanwälte nicht zur "Unbefangenheit" im engeren Sinn verpflichtet sind; es verletzt nicht die Rechte von Verfahrensbeteiligten und überrascht niemanden, wenn ein Staatsanwalt im Verfahren frühzeitig ausdrücklich zu erkennen gibt, dass er den Beschuldigten - den er vielleicht selbst angeklagt hat - für schuldig hält. Bei Richtern ist das anders: Sie können nach § 24 Abs. 2 StPO abgelehnt werden, wenn ihr Verhalten in oder außerhalb der Hauptverhandlung "die Besorgnis der Befangenheit begründet".

Einen "befangenen" Staatsanwalt kann man nicht ablehnen. Es gibt aber eine Grenze der Zumutbarkeit und Regeln des Fair Trial, die es verhindern müssen, dass ein über die Maßen voreingenommener, sachwidrig einseitiger Staatsanwalt die Durchführung eines fairen Verfahrens verhindert oder gefährdet. In einem solchen Fall kann das Gericht - auch auf Antrag eines Prozessbeteiligten - den leitenden Oberstaatsanwalt bitten, den Beamten durch einen anderen Vertreter zu ersetzen. Das kommt in der Praxis durchaus vor, ist aber nicht häufig. 

Aber ist "Befangenheit" hier überhaupt der richtige Begriff? Wenn die unterschwellig insinuierten Vorwürfe stimmen würden, würde es um "Befangenheit" im rechtstechnischen Sinn gar nicht gehen. Ein Staatsanwalt ist verpflichtet, seine Aufgabe "ohne Ansehen der Person" und nach Recht und Gesetz zu erfüllen. Wer das nicht tut und Brandstifter oder Körperverletzer nicht verfolgt, weil er politisch mit ihnen sympathisiert, ist nicht "befangen", sondern macht sich zum Komplizen der Täter. Er begeht (versuchte) Strafvereitelung im Amt und, sofern er Entscheidungen trifft, auch (versuchte) Rechtsbeugung. Das sind schwere Straftaten, wegen derer man nicht "versetzt" wird, sondern strafverfolgt, verurteilt und aus dem Dienst entfernt. Nichts davon steht hier zur Rede; solche Vorwürfe sind gegen die beiden Staatsanwälte von niemandem erhoben worden. Die Rede vom "Durchgreifen" verzerrt daher das tatsächliche Bild und suggeriert das Vorliegen eines skandalösen Verhaltens, das, läge es vor, mit "Durchgreifen" durch Umsetzung gar nicht zu erledigen wäre. Dann ginge es, wie derzeit bei der GenStA Frankfurt und dem dortigen Leiter der "Antikorruptions-Abteilung" (er sitzt wegen Korruptionsverdacht in Untersuchungshaft), ganz anders zu.

Bewertung
Nun kommen zum Schluss die weiteren Mitspieler aufs Feld. Ein (ziemlich kleiner) Verein namens Vereinigung der Berliner Staatsanwälte, der in der Regel nicht durch Aktivitätsdrang auffällt, erklärte öffentlich seine Fassungslosigkeit:

"An einen vergleichbaren Vorgang in meiner fast drei Jahrzehnte währenden Tätigkeit kann ich mich nicht erinnern", sagte (der Vorsitzende) K. am Montag zu lto. "Der Vorwurf, dass in der Berliner Staatsanwaltschaft ein rechtes Netzwerk bestehe, ist nicht nur grotesk und hat die Kolleginnen und Kollegen verunsichert, sondern darüber hinaus zu einem unfassbaren Vertrauensverlust in die Justiz geführt." "Lto-online", 12.8.2020).

Oha! Unfassbarkeit droht! Man muss da vielleicht ein wenig Luft herauslassen. Der "Jungen Freiheit" erklärte der Vereinsvorsitzende am 4.7.2019, der Rechtsstaat in Deutschland sei "in weiten Teilen nicht mehr funktionstüchtig", und belegte das unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass in manchen Staatsanwaltschaften zwei Staatsanwälte in einem Dienstzimmer (aneinander) leiden müssen. Na ja.

Ich weiß nicht, wie aus dem "Befangenheits-verdächtigen" OStA F. und dem sachbearbeitenden StA K., über den, soweit ersichtlich, nichts Negatives berichtet wurde, ein "rechtes Netzwerk" wurde und ob ernsthaft jemand behauptet hat, ein solches existiere - was immer es sein mag. Fragt man Menschen aus der Berliner Strafverteidigerpopulation, erhält man Schilderungen und Einschätzungen, die eine "Sympathie" zu rechtsradikalen Straftaten nicht nahelegen. Die metaphorische Illustration "Netzwerk" ist inzwischen  zum Minimalstandard jeglicher Unmutsäußerung über irgendetwas auf der Welt verkommen: Wo zwei oder drei zusammenkommen, ist das Netzwerk nicht weit. Das eigene ist dabei stets Ausdruck sozialer Kompetenz, das fremde stets Beweis für den Verfall der Sitten.

Sie werden bemerkt haben, dass es in dieser Kolumne nicht um die Straftatserie von Neukölln geht. Der Kolumnist hat keine Ahnung, wer die Taten begangen hat. Niemand hat auch plausibel behauptet oder gar nachgewiesen, dass bei der StA jemand etwas konkret falsch, nicht oder "befangen" ermittelt hat. Ob nun alles besser wird, bleibt abzuwarten. Mitarbeiter der GenStA werden sich jedenfalls gefreut haben, als sie alle Akten aller Fälle in ihrem Fach vorgefunden haben, verbunden mit der Bitte, die Sache zügig einer überzeugenden Erledigung zuzuführen - selbstverständlich unter ständigem "Berichten" an die Senatsbehörde (Ministerium) für Justiz.

Denn da hängt es ja nun mal: Nachdem die Generalstaatsanwältin und der Justizsenator, dem die Opposition vorhält, er sei "mehr an gendergerechten Toiletten als an der Sicherheit Berlins interessiert", einander die Hand in Solidarität beim "Durchgreifen" gereicht haben und "dem bösen Schein" entschlossen entgegentreten möchten, wird die Sache in ihrer Eigenschaft als "Skandal", falls nicht im Abgeordnetenhaus noch eine Eruption oppositioneller Kreativität erfolgt, wohl in den Berliner Herbst hinein verdümpeln. Das wäre an sich nicht schlecht, auch wenn ein paar Verbitterte und ein paar Fassungslose und ein paar Verschwörungstheoretiker vielleicht auf der Strecke bleiben werden.

Mir scheint es, wenn ich die Spuren und Echos des Falles anschaue, als schreite die Pegidisierung der Gesellschaft weiter voran. Damit meine ich eine Bereitschaft, Unzulänglichkeiten, konkrete Fehler oder auch nur Befürchtungen ohne Scheu und mit wenig Anstand alsbald auf ein möglichst hohes Empörungs- und Verdächtigungsniveau zu heben, verbunden mit einer bedrückend schlichten Einteilung in Freund und Feind, "wir" und "sie".  Ein bisschen Amerika muss sein, und die erregende Lust an der fantasierten Apokalypse steht im Streit mit der tiefen Furcht vor der Ungenauigkeit des Wetterberichts oder einer Verspätung der Bahn.

Erforderlich ist es, die Straftaten von Neukölln aufzuklären. Es handelt sich nicht um eine Staatskrise, und nichts spricht dafür, dass die Berliner Justiz nicht in der Lage und willens wäre, ein paar wirre Straftäter zu finden. Es gibt Fehler, Borniertheiten, Voreingenommenheiten bei der Justiz. Nazi-"Netzwerke" gibt es dort nicht.
[close]
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/blinde-augen-des-gesetzes-kolumne-von-thomas-fischer-a-1880b825-fe46-4681-9c14-af2848c7b50b
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #152 am: 17. August 2020, 10:30:56 »
Thomas Fischer ist diesmal nur mittelbar involviert, aber bei dem heutigen Bericht zu den angeblich schleppenden Ermittlungen gegen Dieter Wedel
https://www.tag24.de/justiz/gerichtsprozesse-muenchen/dieter-wedel-vergewaltigung-gerichtsprozess-jany-tempel-ewige-ermittlungen-anwalt-sauer-1614221

fällt mir nicht nur ein, daß der "Opferanwalt" Stevens schon seine eigene Mandantin verklagt hat

https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/lg-hamburg-klage-opferanwalt-anwaltskosten-die-zeit-dieter-wedel-verdachtsberichterstattung-nicht-verjaehrt/

sondern vor allem die Anmerkungen von Fischer dazu

https://meedia.de/2018/01/29/das-sternchen-system-thomas-fischers-zeit-kritische-anmerkungen-zum-medien-tribunal-gegen-dieter-wedel/

die deshalb bei Meedia erschienen, weil der Text ursprünglich bei der ZEIT erscheinen sollte, diese aber daraufhin die Zusammenarbeit mit Fischer kündigte.
Denn die eigenen Journalistinnen machen natürlich keine Fehler!

Es gab noch einen weiteren Text:
https://meedia.de/2018/03/08/dieter-wedel-die-zeit-und-der-kameltester-thomas-fischer-ueber-die-selbstgerechtigkeit-eines-leitmediums/


Erst nachdem Fischer einige Artikel bei Meedia geschrieben hatte, ging's dann zum SPIEGEL.
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #153 am: 21. August 2020, 22:59:35 »
Fischer hat sich zum Urteil des BVerfG zum "Containern" ausgelassen. Diesmal konnte ich ihm tatsächlich folgen. Vor allem seinem Fazit ...

"Die wahnwitzige Überproduktion von nicht benötigten Lebensmitteln lässt sich mittels "Containern" nicht beeinflussen oder gar stoppen. Sie wird von der Gesellschaft gewünscht, weil sie für niedrige Preise sorgt, und mit Zähnen und Klauen verteidigt, weil sie "marktwirtschaftlich" – oder was man auf dem Agrarmarkt dafür hält – organisiert ist und daher genau das voraussetzt, was in seinen Auswirkungen dann als "unmoralisch" bejammert wird. Es ist, bei Licht betrachtet, auch nicht recht einsehbar, warum man alte Joghurts wegnehmen dürfen sollte, alte Autos, Bücher, Kleider oder Möbel aber nicht."
... vermag ich etwas abzugewinnen.

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/containern-bleibt-strafbar-ist-das-gerecht-kolumne-a-88820720-75a9-422f-b450-fb1eb32d73dd?sara_ecid=soci_upd_Uq2hqMON3gd2xMveMRJpi0TDOYLaYY&fbclid=IwAR240peQRXUpTChliuAXUJAgfdJMJM2r3GayDNdT-YL5HIoD0UWtux2CLKI

Dass das hier nicht Thema ist, weiß ich. Ich habe seine Kolumne weiter verfolgt, obwohl ich ja irgendwie nicht so überzeugt war von ihm. Mir scheint, ich muss mich da weiter einlesen.
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #154 am: 30. August 2020, 07:56:09 »
Passt nicht nur in den Cov♥♥♥en-Thread, sondern natürlich auch hier:
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corrona-protest-aushalten-a-77fc803d-2e15-4877-a4e0-3123f951b184
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #155 am: 30. August 2020, 09:00:40 »
Fischers Ausführung in allen ehren aber ich befürchte, dass wir es hier mit einem Radikalisierungsprozess zu tun haben der unter dem Schutz geltenden rechts immer weiter läuft bis es irgendwann mal richtig knallt.

Ich möchte daran erinnern, dass die Nazis ihrer Zeit auf legalem Weg, nämlich durch Wahlen an die Macht gekommen sind. Sie haben explizit die legalen Wege der Demokratie genutzt um diese abzuschaffen. Dazu kommt noch das man aus rechtsradikalen Kreisen schon mehrfach Äußerungen gehört hat es den Nazis gleich zu tun.

Bei mir entsteht daher der Eindruck, dass Herr Fischer den Ernst der Lage nicht erfasst hat.

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Re: Thomas Fischer
« Antwort #156 am: 30. August 2020, 09:33:37 »
Ich möchte daran erinnern, dass die Nazis ihrer Zeit auf legalem Weg, nämlich durch Wahlen an die Macht gekommen sind.


Nein, nicht ganz!

Bei den letzten freien Reichstagswahlen vom 5. März 1933 erhielten sie nur 43,9%, obwohl sie die Absolute Mehrheit angestrebt hatten.

Und das unter dem Terror, den sie seit dem Reichstagsbrand veranstaltet hatten.

Alles andere war Rechtsbeugung (begonnen beim Hitlerprozeß 1923/24, bei dem ein verfassungswidriges Gericht, das seit dem 1. Januar 1924 gar nicht mehr hätte existieren dürfen, in rechtsbeugender Weise über einen Angeklagten richtete, der vor den Staatsschutzsenat des Reichsgerichts zu Leipzig gehört hätte, und dessen Existenz bis zum 1. April 1924 die Bayerische Staatsregierung nicht nur förderte, sondern der auch von der Reichsregierung gegen Reichsrecht geduldet wurde).

Es folgten Verfassungsbrüche wie die verfassungswidrige Ernennung Hitlers durch Hindenburg am 30. Januar 1933 (der Reichswehrminister war von Hindenburg zeitlich vor dem Vorschlag Hitlers ernannt worden) und Terror wie die Mordaktion vom 30. Juni 1934 und weitere Verfassungsbrüche wie die illegale Volksabstimmung über die Zusammenlegung der Ämter des Reichskanzlers und des Reichspräsidenten nach dem Tode Hindenburgs und der verfassungswidrige durch den General von Reichenau formulierte Soldaten-Eid auf Hitler.

Aus diesen Gründen wurde nach dem Krieg einiges an der Verfassung geändert und durch das BVerfG, das mit Gesetzeskraft entscheidet, der Verfassung und ihrer Einhaltung bzw. der Gesetze zum Durchbruch verholfen.

Einhaltung der Formalien ist ein wesentlicher Bestandteil zur Aufrechterhaltung von Demokratie und Rechtsstaat!
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #157 am: 30. August 2020, 10:12:24 »
...
Bei mir entsteht daher der Eindruck, dass Herr Fischer den Ernst der Lage nicht erfasst hat.

...

Man sollte den Fischer - wie alle anderen auch - schon gelesen haben, bevor man ihn verdammt.

Zitat
...
Der Polizeipräsident hatte prognostiziert, die Demonstrationsteilnehmer würden, von den Veranstaltern toleriert oder sogar gefördert, gegen die Auflagen nach der InfektionsschutzVO massiv und demonstrativ verstoßen. Nach Erstreiten des Rechts, das Gegenteil zu beweisen und die Demonstration durchzuführen, taten die Rechtsfreunde genau das, was prognostiziert worden war: Sie missachteten alle Auflagen und Mahnungen der Polizei. Sie waren nicht gekommen, um sich an Recht und Gesetz zu halten, sondern zum "Aufstand" gegen ein in ihrer Fantasie oder in ihren bewussten Lügen bestehendes Unrechts-Regime. Daher ist die Kundgebung/Versammlung aufgelöst worden.  Das geht natürlich nicht schnell und nicht einfach. Es wird gewaltige Polizeikräfte das ganze Wochenende binden, für viel Aggression, auch Gewalt sorgen und sehr hohe Kosten verursachen.

Das ist der Preis der Freiheit: unserer Freiheit – könnte man sagen; und offenbar stimmt es ja auch. Es ist müßig, nachträglich begeistert darüber sein zu wollen, dass man Recht und die Gerichte Unrecht gehabt haben. Denn so stimmt das nicht: dass die positiven Prognosen der gerichtlichen Entscheidungen sich nicht bestätigt haben, spricht nicht gegen sie, sondern gegen die Antragsteller. Das ist ja auch ein Trost: Der Staat, der Regeleinhaltung von seinen Bürgern verlangt, hält seine eigenen Regeln ein. Das ist der Kern von "Rechtsstaat" – nicht eine nach Bedarf fantasierte "Gerechtigkeit", die meist nicht mehr als eine vornehme Umschreibung der eigenen Interessen ist.

...

Die erste Frage ist nun, ob die Deppen nur Deppen sind und ihren Spaß wollen oder, wie Du meinst, zielgerichtet solange provozieren, bis die Prognoseentscheidung des Verwaltungsgerichts sich mit der der Versammlungsbehörde deckt und der Staat sie nicht mehr rumdödeln läßt, sich ihre Behauptung von der Diktatur also scheinbar verwirklicht. Es dürfte sowohl solche, als auch solche geben. Die zweite Frage wäre, ob es darauf ankommt. Nachdem ein scheinbar immer größer werdender Teil des Publikums verstrahlt genug ist, Widersprüche jeglicher Art ohnehin nicht wahrzunehmen, könnte man es für müßig halten, die noch auflösen zu wollen. Diesen Teil vergrößern die Rechtsextremen aber auch dadurch, daß sie ihre Lügen immer wieder wiederholen und die Widersprüche weiter verwischen.

Verwaltungsrichter sind, da hat Fischer Recht, nicht das letzte Bollwerk der Demokratie. Deren Job ist es nicht, den Deppen in die Parade zu fahren. Auch mit einem Versammlungsverbot schafft man, wenn es zukünftig denn irgendwann mal Bestand hätte, nur die häßlichen Bilder, aber nicht die häßlichen Deppen und ihre Breitenwirkung aus der Welt. Und Du änderst auch nichts, wenn Du einen im Kern zutreffenden Vorwurf an die falschen Adressaten richtest, nur weil die sich dagegen nicht zur Wehr zu setzen pflegen.

Auch Fischer ist Richter, unterscheidet sich aber von seinen Kollegen dadurch, daß er die Gesellschaft auf ihre Irrtümer aufmerksam macht. Wer das nicht verträgt, weigert sich ihn zu drucken bzw. zu lesen.

« Letzte Änderung: 30. August 2020, 10:22:31 von dtx »
 
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #158 am: 12. September 2020, 09:43:18 »
Unnachahmlich, wie der Kolumnist es schafft, die BLÖD für ihr schamloses Leichenschütteln zu geißeln, ohne auch nur einmal ihren Namen oder den ihres Chefredakteurs zu nennen.

Der Presserat hat den Artikel der BLÖD übrigens gerügt.
Bei der BLÖD zittert man schon.




Zitat
Kindermord von Solingen
Gefühlsstau

Eine Kolumne von Thomas Fischer

In Solingen hat eine junge Frau vermutlich fünf ihrer Kinder getötet. Das Entsetzen sucht sich, wie nicht anders zu erwarten, Wege der Erklärung und der Sicherheit.
11.09.2020, 18.32 Uhr

Anstand
Das Thema bedarf einer kleinen Vorbemerkung: Wir haben anlässlich des fünffachen Tötungsdelikts von Solingen einmal mehr erfahren, dass die selbstgekrönte Spitze des deutschen Kriminaljournalismus nicht nur zu allem fähig, sondern auch ganz unwillig ist, sich für etwas zu schämen, und sei es die öffentliche Erniedrigung 11-jähriger Kinder. Wer das ein weiteres Mal kaum glauben kann, mag das Interview anhören oder nachlesen, das der Chefredakteur jenes Mediums, das am 4. September mit dem bebilderten Bericht "Vor der Tür stehen noch die Schuhe der toten Kinder" und einem entsprechenden Video aufmachte, am 7. September dem DLF ("medias res") gab. Es ist freilich gerade deshalb müßig, sich näher damit zu befassen. Wer stolz darauf ist, unter einschlägig Interessierten als Kaderschmiede eines von Gewissen jeder Art unbelasteten Journalismus des Buckelns nach oben und Tretens nach unten zu gelten, hat keine Probleme mit eigener Unanständigkeit, sondern empfindet möglicherweise Stolz über die Verachtung der Anständigen, ähnlich einem im Dreck liegenden Bürgerschreck, der sich am Ekel der Braven ergötzt.

Spoiler
Katastrophe
Bei Katastrophen von der Art der Tat von Solingen wird schmerzlich deutlich, wie groß das menschliche Bedürfnis ist, ein plötzliches Hereinbrechen von Schrecken und Unsicherheit klaren, übersichtlichen Ursachen zuzuschreiben. Das ist weder verwerflich noch verwunderlich, sondern macht deutlich, wie fragil die Sicherheiten sind, auf denen unser Lebensgefühl beruht. Unter allen Katastrophen der übersichtlichen, persönlichen, zwischenmenschlichen Art ist es die denkbar größte und furchterregendste, dass eine Mutter heimtückisch ihre Kinder tötet, ohne Ankündigung und ohne erkennbaren äußeren Anlass. Die Angst, die ein solches Ereignis in jedem auslöst, der damit konfrontiert ist, schleicht sich tief ins Empfinden und muss vom Einzelnen bewältigt, verarbeitet, in das eigene Alltagsleben integriert werden. Dafür gibt es verschiedene Strategien auf der individuellen Ebene. Sie reichen von einer unverhältnismäßigen, hysterisierten Identifikation mit Tatopfern, deren Schicksal und Leiden auf diese Weise quasi zum eigenen gemacht werden, bis zu scheinbar abgebrühtem, desinteressiertem Zynismus. Viel wichtiger aber sind kollektive Methoden der Verarbeitung: Deutungen, Abgrenzungen, Zuordnungen, Konsequenzen. Ist die Tat, die geschehen ist, ein Teil der Normalität? Ist der Täter oder die Täterin eine(r) von uns? Gibt es Erklärungen, die auf allgemeine, vertraute, sozial verträgliche Ursachenbehauptungen gestützt sind? Und welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen? Was geht das alles uns oder jeden Einzelnen an? Wer ist zuständig für die Verarbeitung?

All diese Fragen findet man, so oder so, mehr oder weniger verdreht, versteckt oder verzerrt, regelmäßig wieder, wenn katastrophale Ereignisse wie in Solingen öffentlich bekannt werden. Dabei ist, wie man nicht vergessen darf, dieses Bekanntwerden auch selbst schon ein Teil der Bühne, auf welcher sich alles entfaltet: Was überhaupt wahrgenommen, wichtig genommen und berichtet wird, ist nicht zufällig. Es gibt Filter der Wahrnehmung und Bewertung. Selbst ein so schreckliches Ereignis wie der Tod von fünf Kindern ist nicht singulär; noch viel weniger gilt das von zahllosen anderen Ereignissen, die eine große Zahl von Menschen aufwühlen und beschäftigen. Ein fünffacher Mord in Solingen ist objektiv nicht "schlimmer", als es dieselbe Tat in Kapstadt oder Shanghai wäre. Sie scheint uns gleichwohl näher, obwohl es nicht auf die räumliche Entfernung ankommt. Die Nähe ergibt sich vielmehr aus der Vertrautheit der Situation: Wir gehen gefühlsmäßig davon aus, dass wir wissen, wie es in Solingen aussieht, riecht und sich anfühlt, wie man dort wohnt, einkauft oder arbeitet. "Solingen" erscheint also als vertraute Nähe, in die mit umso grausamerer Plötzlichkeit Gewalt und Angst einbrechen. Kapstadt oder Shanghai dagegen sind für die meisten hier lebenden Menschen eine weite, unbekannte Ferne, die schon im Grundsatz als gefahrvoll und unberechenbar wahrgenommen wird. Es ist also nicht eigentlich ein persönliches Interesse an Opfern oder Tätern, das uns an Gewalttaten im näheren sozialen Raum besonders bewegt. Sondern es ist das Interesse an uns selbst, an der eigenen Sicherheit und dem Vertrauen in die Einrichtung, Umgebung und Routinen des eigenen Lebens.

Öffentliche Berichterstattung in Medien ist ein sehr wichtiger Motor und Filter der kollektiven wie individuellen Verarbeitung. Sie kann sich traditionell auf die organisatorische und inhaltliche Distanz stützen, welche "die Presse" vom schlichten Stammtisch- und Treppenhaus-Gequatsche unterscheidet - nicht in der Wirklichkeit vielleicht, aber im Prinzip. Die formalisierte, professionelle Herstellung "öffentlicher Meinung" in der Presse hat insoweit einen hohen Vertrauensvorschuss, als sie eine soziale Autorität außerhalb der individuellen, ersichtlich kleinrahmigen, oft erbärmlichen Subjektivität darstellt und so eine Aufgehobenheit des individuellen Lebensgefühls in einer als gemeinsam empfundenen sozialen Struktur symbolisiert. Das funktioniert, wie man täglich erleben kann, selbst noch auf einem extrem eingeschränkten intellektuellen und sozialen Glaubwürdigkeitsniveau: Die wohl weitaus meisten Leser der eingangs erwähnten "größten" deutschen Tageszeitung halten diese intellektuell für durchweg unglaubhaft, sensationsgeil und moralisch fragwürdig. Sie wird aber gleichwohl konsumiert, weil sie in ebendieser fragwürdigen Funktion als Teil sozialer Orientierung wahrgenommen wird und eine Quasiverlässlichkeit herstellt. Das ist ein ähnlicher Effekt, wie ihn der deutsche "Volksmusik"-Schlager oder die standardisiert ♥♥♥ische TV-Vorabendserie erzeugen.

Die Wirklichkeit des Internets und die Revolutionierung der Kommunikation haben die Restgewissheiten dieser Art durchgreifend infrage gestellt, wirken allerdings in unterschiedlichen Alters- und Sozialgruppen verschieden stark. Es gelingt bislang aber nicht, die Funktionen einer quasiautoritativen Öffentlichkeit durch die Chaotisierung der "digitalen Räume", Chats, Blogs und Foren tatsächlich zu ersetzen: Die meisten Nutzer wissen oder ahnen zumindest, dass auf "Twitter" oder "Instagram" nichts Gültiges entsteht, sondern chaotische Blähungen sich entfalten. Das ändert sich auch nicht dadurch, dass aus Funk und Fernsehen bekannte Komiker ihre Twitter-Tweets ausdrucken und zwischen zwei Buchdeckel binden lassen: Mehr als ein Tagebüchlein der Beliebigkeit kann keinesfalls entstehen.

Mitnahme
Für das Strafrecht sind sogenannte Mitnahmesuizide meist nur von Interesse, wenn sie - ganz oder teilweise - scheitern. In der Lebenswirklichkeit ist das nicht die Mehrzahl; von den gelungenen Taten erfährt die Öffentlichkeit aber seltener. In der Kriminologie und der Rechtsmedizin, soweit sie sich mit tatsächlichen Abläufen, Ursachen und Folgen von rechtswidrigen Handlungen befassen und nicht mit dem Suchen und Bestrafen von Schuldigen, sind Mitnahmesuizide eine Fallgruppe von speziellem Interesse. Die Annahme, dass der Fall aus Solingen als solcher anzusehen sei, beruht vorläufig auf Vermutungen und Presseberichten. Ob sie stimmen, weiß man bisher nicht genau. Es gibt auch keine Notwendigkeit, auf der Basis von Berichten aus zweiter und dritter Hand zu abschließenden Urteilen oder Kategorisierungen zu kommen.

Beim Begriff "Mitnahmesuizid" liegt das inhaltliche Gewicht auf der Selbsttötung. Ob dies in der Wirklichkeit der Fall ist, ist aber oft gerade die Frage. Der Begriff "Mitnahme" ist, in aller Regel, ein zynischer Euphemismus. Das würde auffallen, wenn in der Presse begonnen würde, terroristische sogenannte Selbstmordattentate als "Mitnahmesuizid" zu bezeichnen. Denn beim Attentat unter Inkaufnahme oder Gewissheit des eigenen Tods kommt es inhaltlich nicht auf letzteren, sondern auf die Tötung der anderen, "Mitgenommenen" an.

In der Bezeichnung einer Tat als "Mitnahmesuizid" liegt daher stets schon eine Wertung, die stimmen kann, aber nicht muss - wobei auch dieser Begriff schon eine Mehrzahl von möglichen Deutungen enthält, welche sich aus unterschiedlichen Motiven ergeben. Die sozusagen klassische Zuschreibung ist die, das Täter oder Täterin aus einem Motiv in der Nähe des Gefühls von Mitleid, Sorge oder Zugewandtheit gehandelt habe. Das kommt vor, ist aber natürlich nur eine von zahlreichen Deutungen. Überdies ist sie sehr schlicht und eindimensional. Selbst unter extremer situativer Verengung der Wahrnehmung und Verhaltenssteuerung werden Gefühle und Motive nicht als schlichte Schlagworte, als Gefühlsgesamtheiten ("Mitleid") wahrgenommen. Das ahnt man, wenn man versucht, sich eigene Affekte und Handlungsmotive in kritischen Situationen zu vergegenwärtigen: Man denkt nicht "Wut", "Angst" oder "Mitgefühl", sondern empfindet eine große Vielzahl meist unklarer, teils seltsam konkretisierter, teils vager Emotionen, Assoziationen, Entschlüsse oder Erwägungen.

Von der Tat in Solingen konnte man in den vergangenen Tagen vielfach lesen, die mutmaßliche Täterin habe sich möglicherweise "überfordert" oder "total überlastet" gefühlt. Das ist eine recht seltsame Beschreibung eines Zustands, durch welchen die aktive Tötung von fünf (eigenen) Kindern erklärt werden soll. Denn jedermann kennt aus dem Alltag das Dauergeräusch allgegenwärtiger "Überlastung" und des angeblich ununterbrochen kaum erträglichen "Stresses", deren wechselseitiges Bejammern den Kern zahlloser Gespräche in den Sphären von Arbeit, Freizeit, Familie und sonstigem sozialem Umfeld darstellt. "Überlastung" und "Überforderung" sind daher für gewöhnlich keine naheliegenden oder auch nur plausiblen Mordmotive, sondern Beschreibungen eines angeblich notwendigen, jedenfalls unvermeidlichen Zustands des sozialen Alltags: Der "Stress" beginnt beim Frühstück, reicht über die Anforderungen der Arbeit, der Familie, der Beziehungskonflikte, der Bankgeschäfte bis zum Shopping, zum Leistungssport und zur Abendgestaltung. Wer fünf Arbeitskollegen umbringt, weil er vom Akteneinlauf oder vom Frühstückschaos seiner Kinder gestresst war, kann nicht auf Sympathie und Mitgefühl hoffen.

"Überforderung" ist daher allenfalls eine vage Annäherung an einen Gemütszustand und eine Motivationslage, die sich die große Mehrheit der Bevölkerung, wenn man den Verlautbarungen des Schreckens glauben darf, schlechterdings "nicht vorstellen" kann. Daran könnte man zweifeln, wenn man die Chaträume aufsucht, in denen gemeinhin und zu gegebener Gelegenheit über die angeblich angemessenen Foltern und Strafen für Kindermörder und Kindermissbraucher gefachsimpelt wird. Mit gutem Willen zur Menschenfreundlichkeit könnte man annehmen, dass die dort regelmäßig vorgeschlagenen Grausamkeiten und Gewaltexzesse Ausgeburten nicht allein des Seelen- und Gewissenszustands, sondern auch der schlichten Dummheit sowie der emotionalen Verarmung und Unfähigkeit sind, das zu empfinden, was angeblich die Fantasien hervorbringt: Mitgefühl und Empathie.

Die Motive, Dritte, namentlich auch enge Angehörige zu töten, können bekanntlich extrem vielfältig und verschieden sein. Das gilt auch dann, wenn im Zusammenhang mit einer solchen Tat vom Täter ein - ernsthaft erscheinender - Versuch unternommen wird, sich selbst zu töten. Natürlich muss man stets sorgfältig prüfen, wie viel Ernsthaftigkeit dem gescheiterten Unternehmen des Suizids zugrunde lag, insbesondere wenn dieser eher kläglich scheitert, nachdem zuvor andere Personen mit hohem Aufwand und erheblicher Tatenergie getötet wurden. Aber nicht jeder gescheiterte Suizid legt den Verdacht einer bloßen Täuschung nahe. Es ist nicht "vorgeschrieben", dass Mörder und Suizidenten mutig, schmerzfrei, hart gegen sich selbst und unerbittlich in der Umsetzung ihrer Pläne und Impulse sein müssen. Anders gesagt: Es ist durchaus sehr naheliegend, dass man Todesangst bekommt, wenn man sich selbst die Pistole an den Kopf oder das Messer an den Hals hält oder am offenen Fenster im zehnten Stockwerk steht. Und es kann durchaus sein, dass das Erleben der eigenen Todesangst den "Lauf" durchbricht und zum Innehalten bringt, der das vorherige Tatgeschehen trug. Das alles gilt natürlich erst recht, wenn das Scheitern des Suizids auf einer quasitechnischen Panne beruht: Ladehemmung, Bewusstlosigkeit, Verfehlen des Ziels, Eingreifen von Rettern.

Im Fall von Solingen muss man schlicht sagen: Man weiß es nicht. Es gibt bislang keine angemessene Untersuchung der Hintergründe und Abläufe, und wenn es sie gäbe und geben wird, ist niemand verpflichtet, als Erstes oder baldmöglichst die Leser, Zuschauer und Empörungshungrigen darüber aufzuklären. Das gilt für den gesamten Zusammenhang, einschließlich der Gründe, Anlässe, Motivation und Folgerichtigkeit der Tat. Dass "eine Mutter" ihre Kinder nur töte, wenn sie "verzweifelt" oder "überfordert" sei, ist eine Vermutung mit Rührungs- und Plausibilitätspotenzial, aber genauso spekulativ wie irgendeine andere aus dem Ärmel geschüttelte "Story" von "zurückgezogenem Leben", Geld- und Beziehungsproblemen, Scheidungsstress oder jugendlicher Schwangerschaft. Es kann eine psychische Erkrankung eine Rolle spielen, aber auch ein verwerfliches Motiv. Alles möglich, alles Fantasie, alles Projektionen. Die Beschuldigte kann, wie wir wissen, froh sein: Der Schritt von der überforderten, verlassenen jungen Mutti bis zum selbstsüchtigen Monster ist in mehr als einer Redaktion extrem kurz und weniger eine Frage der Tatsachenlage als der Markteinschätzung.

Affekt
Schwere Gewalttaten werden in fast allen Fällen in affektiv hoch angespannten Situationen begangen. "Coole", gefühllose, emotional unbeteiligte Killer, wie sie als Fantasiehelden durch die Unterhaltungswelt streifen, sind erstens extrem selten und zweitens regelmäßig nicht ansatzweise so sympathisch oder auch nur erträglich, wie es die Bewohner von Beverly Hills die Jugend der Welt Glauben machen wollen.

Affekt, Erregung, Angespanntheit ist daher nicht die Ausnahme, sondern die Regel bei Begehen von Tötungsverbrechen. Wie genau die Affektlage sein könnte, wenn man nacheinander mehrere Menschen tötet, die zudem noch enge Angehörige, ja eigene Kinder sind, kann man sich nur sehr schwer vorstellen. Wer sich bei Gelegenheit solch schrecklicher Taten stets viel auf seine "Empathie" zugutehält, mag einmal die Probe machen und sich nur vier oder fünf Minuten (das ist sehr lang!) auf die emotionale Sicht der mutmaßlichen Täterin zu konzentrieren versuchen. Voraussetzung dafür ist, dass man nicht zu früh und zu furchtsam abbricht und nicht jede Gelegenheit nutzt, um sich ins belanglose "Das kann ich mir nicht vorstellen" und in den sozial erwünschten Empörungsaffekt flüchtet. Es gilt vielmehr, den "Plan" durchzuhalten und sich ernsthaft anzustrengen, sich die Konzentration und Fixiertheit, die Entschlossenheit und all die kleinen Randbedingungen vorzustellen, welche die Täterin erfüllt haben könnten. Man wird feststellen, dass das schwierig ist, aber auch ziemlich lehrreich. Teddybären und Kerzen auf die Straße zu stellen aus Mitleid mit toten Kindern, die einen bis vor wenigen Tagen nicht im Geringsten interessiert haben oder hätten, ist rührend und gut gemeint, aber emotional nicht sehr anstrengend. Viel schwieriger, aber mindestens ebenso wichtig ist es, sich ernsthaft auf den Gedanken einzulassen, was das Geschehen mit einem selbst zu tun haben könnte - nicht im Sinne von "Schuld" oder "Verantwortung", sondern auf der Ebene des Verstehens.

Die Fragen, die nun ein ums andere Mal gestellt werden, sind so vorhersehbar wie unvermeidlich und regelhaft: Wie konnte es kommen? Wer ist schuld? Hätte man es verhindern können? Wer könnte versagt haben? Welche Schlussfolgerungen sind zu ziehen? Man muss diese Fragen hier nicht diskutieren. Sie gehen ihren Weg, fast unbeeinflussbar wie die Vermutungen, Behauptungen und Aufregungen um mögliche Antworten. Irgendjemand wird sagen, das Jugendamt hätte die Familie enger kontrollieren müssen, andere werden sagen, das könne man so nicht sagen, wieder andere, der Staat sei schuld, eine weitere Gruppe, die gesellschaftliche Kälte sei schrecklich. Alles wahr, alles unwahr.

Interessant ist vielleicht die Frage: Muss man "verrückt" sein, um solche eine Tat zu begehen? Ist es denkbar, dass eine Frau, die fünf ihrer Kinder nacheinander heimtückisch tötet, dabei "voll schuldfähig" ist, also "zurechnungsfähig" - fähig, Schuld zugerechnet zu bekommen, weil sie sich nicht so beherrscht und gesteuert hat, wie es der normale Bürger in normaler Lage tun sollte? Oder muss man als Vergleichsmaßstab den normalen Bürger nehmen, während er fünf Morde begeht?

Diese Frage ist ziemlich vereinfachend, berührt aber Grundlagen unserer "Zurechnung" von Verantwortung, unseres Verständnisses von "Schuld" und unserer Anforderungen an die Widerstandskraft, Selbstkontrolle, Normalität und soziale Orientierung des Denkens, Fühlens und Handelns. Es wäre ganz verfehlt, an dieser Stelle in Spekulationen hierüber zum konkreten Fall abzugleiten. Wir wissen es schlicht nicht; niemand weiß es zurzeit. Wenn sich der dringende Tatverdacht gegen die Beschuldigte noch mehr bestätigt, werden professionelle Fachleute versuchen, mit den Methoden ihrer Wissenschaften den Fragen nachzugehen. Sie betreten dabei nicht in jedem neuen Fall Neuland; die Karte mit den Koordinaten des "Normalen", Zumutbaren, Voraussetzbaren einerseits und des "Verrückten", Unzumutbaren, Fremden ist keine terra incognita, sondern wird stetig fortgeschrieben auf der Basis des schon Bekannten, Postulierten und Vertretbaren. Wer sich für das menschlich Mögliche und für die Ursachen solcher Katastrophen interessiert, muss sich darauf einlassen und bereit sein, Geduld, Distanz und Selbstkritik aufzubringen.

Das Strafrecht hat zahlreiche Möglichkeiten entwickelt, mit "normalen" und unnormalen Affekten umzugehen. In § 20 StGB, der von der "Schuldfähigkeit" handelt, ist unter anderem bestimmt, dass ohne Schuld handelt, wer sich zur Zeit der Tat in einem Zustand tief greifender Bewusstseinsstörung befand und deshalb entweder das Unrecht seines Tuns nicht erkannt hat oder nicht fähig war, dem Tatimpuls zu widerstehen. Als Anwendungsfall der "tief greifenden Bewusstseinsstörung" wird meist vor allem der "Affektsturm" genannt, der Taten mit "Durchbruchscharakter" hervorbringen soll, "Abrisse der Kontinuität des Erlebens", Explosionen lang angestauten Hasses. Taten solcher Art zeichnen sich oft durch überschießende, irrationale Gewaltexzesse aus, weiterhin durch typische Vortat-Anläufe, durch weitgehendes Fehlen von Sicherungen gegen Scheitern oder Entdeckung sowie durch emotionale "Abstürze", tiefe Erschütterung, Starre und Leere nach der Tat. Man kann dasselbe auch andersherum formulieren: Taten, die solche Kennzeichen aufweisen, werden in der forensischen Psychiatrie "Affekttaten" genannt. Denn ob all die Beschreibungen und "Notwendigkeiten" stimmen und im Einzelfall Einfluss hatten, weiß man keinesfalls allgemein und im konkreten Fall stets nur annähernd. Das Leben richtet sich nicht nach Diagnosen und Begriffen, sondern diese müssen versuchen, die Lebenswirklichkeit wahrhaftig zu beschreiben und verständlich zu machen.

In allen Fällen affektgetragenen Verhaltens, das fremde Rechtsgüter verletzt oder vernichtet, stellt sich die Frage, wie viel Selbstkontrolle dem Einzelnen zugemutet werden kann. Das erstreckt sich sogar auf das zeitliche und emotionale Vorfeld der Tat: Wer sich selbst schuldhaft in einen Zustand versetzt oder ihm nicht entgegenwirkt, der sich als ursächlich für eine Straftat erweist, trägt Schuld und Verantwortung hierfür: Ein solches "Vorverschulden" kann eine zur Tatzeit bestehende Unfähigkeit, sich zu steuern, kompensieren und eine Bestrafung legitimieren. Voraussetzung dafür ist aber selbstverständlich, dass es dem Täter oder der Täterin nach den konkreten Umständen möglich war, den Ablauf vorauszusehen und zu vermeiden.

Über die Tat von Solingen wird gewiss noch viel gesprochen, geschrieben und nachgedacht werden. Es wäre sehr erfreulich, wenn sich alle bemühen würden, den Beteiligten der Katastrophe den Anstand zuteilwerden zu lassen, den sie und wir alle verdient haben.
[close]

https://www.spiegel.de/panorama/justiz/solingen-mord-an-fuenf-kindern-gefuehlsstau-kolumne-a-d9ee6816-4d7d-4565-946f-c03e34a2af38
Merke: Es genügt natürlich nicht, dämlich zu sein. Es soll schon auch jeder davon wissen!

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Re: Thomas Fischer
« Antwort #159 am: 12. September 2020, 11:42:02 »
Unnachahmlich, wie der Kolumnist es schafft, die BLÖD für ihr schamloses Leichenschütteln zu geißeln, ohne auch nur einmal ihren Namen oder den ihres Chefredakteurs zu nennen.

Der Presserat hat den Artikel der BLÖD übrigens gerügt.
Bei der BLÖD zittert man schon.

...

Es stellt sich ja nicht nur bei dem Blatt die Frage, ob man etwas bringt

- weil es für die Leser und ihr Leben wichtig ist,
- weil es sich gut verkauft oder
- weil das Blatt nun einmal mit irgendwas gefüllt werden muß.

Im Detail merken das dann Leute, deren lange bestellte Artikel nicht abgenommen (nicht gedruckt und daher auch nicht bezahlt) werden, weil jemand es nachts unternommen hat, im Suff mit seinem Auto einen Baum zu fällen. Eine Zeitung hatte es kürzlich wenigstens zu kritischer Selbstreflektion gebracht, die sucht man in der Regel aber vergebens. Dabei müßte man sich in Anbetracht der zunehmenden, meist unter die Gürtellinie gehenden Kritik häufiger fragen, ob Transparenz in den Redaktionsentscheidungen gegenüber der zahlenden Kundschaft nicht nur dann angebracht wäre, wenn wieder mal etwas kräftig in die Hose ging. Schließlich impliziert die Frage, warum man über etwas berichtet, ja stets auch die, warum über anderes nicht ...

Wo man die Inhalte der B**d in den drei Kategorien einordnet, dürfte nicht allzu schwierig zu erfassen sein. Die sprechen aus moralischer Sicht eher gegen unsere Gesellschaft, als gegen die Redaktionen, auch wenn viele das anders sehen. Schließlich würden "Hass, Titten und der Wetterbericht" nicht mehr gebracht, gingen die Boulevard-Ausgaben nahezu vollständig in die Retoure.
 
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #160 am: 25. September 2020, 15:48:28 »
Der Kolumnist war wieder tätig.

Wir erfahren von allerlei Gesetzesinitiativen, insbesonders der afd.




Zitat
Gesetzgebung
Alles neu!
Eine Kolumne von Thomas Fischer

Es wird Herbst. Eine neue Lieferung von Gesetzesvorschlägen läuft aus dem Drucker. In schwierigen Zeiten helfen nur höhere Strafen gegen die Furcht. Oder etwa nicht?
25.09.2020, 13.17 Uhr
Spoiler
Heute wollen wir einmal wieder auf die Tätigkeit des nimmermüden Gesetzgebers Düsentrieb und seiner vielen Helferlein schauen, die unser Leben schöner und vor allem immer sicherer machen in diesen, wie man hier unbedingt sagen muss, "unsicheren Zeiten". Nur als Fußnote sei darauf hingewiesen, dass die künstliche Intelligenz des Helferleins, konzentriert in einer einzigen Glühfaden-Birne, als leuchtendes Vorbild nicht nur für Virologen, Grundschüler und Skifahrer, sondern für uns alle geachtet werden sollte.

Katzen

Das Wichtigste zuerst: Sind Sie in dieser Woche schon gecatcallt worden? Wenn Ja, ergibt sich das Folgende von allein. Wenn Nein: Seien Sie froh. Und wenn Sie gar nicht wissen, was das sein soll, hatten wir bis gestern etwas gemeinsam. Das schöne Zeitwort "Catcallen" ist ein neues Highlightchen im Kosmos des Moderntalk; es schmiegt sich grammatikalisch an "Googeln", "Chillen", "Celebraten" oder "Drinken" und ist daher allenfalls Menschen wie dem Kolumnisten noch sperrig im Mund, der, wie er kürzlich einer Kolumne entnehmen musste, einer "ohnehin schon aussterbenden semisenilen Männergeneration" angehört, sich also, wenn ihm sein armseliges Restleben lieb ist, nicht beklagen sollte. Da wir nun bei der geschlechtsspezifischen Herabwürdigung angekommen sind, geben wir unserem Erstaunen darüber Ausdruck, dass in der großen Online-Petition einer Würzburger Studentin (des - ja, richtig: Medienmanagements) sowie in allen Berichten darüber der Begriff "Cat" ohne jegliche Distanz für die Opfergruppe "Frauen" steht. Nicht schlecht, mein Kätzchen!

Etwas einfacher ausgedrückt: "Catcallen" (Katzenrufen) bedeutet: Menschen im öffentlichen Raum durch Rufen, Reden, Pfeifen, Grunzen, Schnalzen oder Deuten mit sexuell konnotierten Lebensäußerungen zu belästigen. Ein Gang durch die heimische Fußgängerzone zeigt, was gemeint ist, denn dort lungern bekanntlich Hundertschaften von Debilen aus aller Welt herum, die jedem Kätzchen "Na wer kommt denn da?" und jedem Knackarsch "Na, mein Süßer?" hinterherschnalzen.

Nun kann man gewiss, hart am Puls der schwierigen Zeiten, das Katzenrufen als bescheuerte und überdies äußerst selten erotisch erfolgreiche Belästigung brandmarken und die Jugend der Welt mittels unterfränkischem Hashtag  aufrufen, die Minima Moralia des Anmachens zu beachten. Es scheint mir aus der Erfahrung eines sich dem Ende zuneigenden langen Lebens fast so, als habe die Häufigkeit und soziale Akzeptanz des allgemeinen Hinterher-Pfeifkonzerts während der letzten fünfzig Jahre recht stark abgenommen. Die 18-jährigen Söhne unserer italienischen Mitbürger der frühen Sechziger auf Kreidler und Garelli sind in die Jahre gekommen, küssen als Patrone pandemisch verbreiteter Edel-Italiener die gepflegten Händchen ihrer allerliebsten Stammgästinnen und halten sich auch sonst an den international style. Und die Bauarbeiter verschwinden bei der Annäherung von Katzen wie von Zauberhand in den Containern, damit nicht am Ende die Hauptkommissarskatze sie um Vorlage ihrer Arbeitserlaubnis bittet.

Aber bitte: Die Blödheit stirbt nicht aus, und neue Generationen von Katzenrufern sind uns aus den von SUV-Karawanen durchzogenen Wüsten und den letzten unberührten Urwaldparadiesen der Welt erwachsen.  Ihnen das Handwerk zu legen ist der Beruf der Online-Petition "Catcalling sollte strafbar sein" (mit einer kleinen grafischen Anleihe bei einem King Crimson-LP-Cover von 1969), die bislang knapp 50.000 Unterzeichner aufzuweisen hat. Die social networks und die channels der early-evening-Formate sind voll mit interessanten Visualisierungen und erschütternden Berichten von Menschen, die gecatcallt wurden.

Frankreich voran! Ein Caller soll dort kürzlich zu "Geldstrafe" oder "Geldbuße" in Höhe von 300 Euro verurteilt worden sein, da das Catcallen als Form sexueller Belästigung strafbar ist im Land der Liebe und der Diskretion. Das kam, weil ein Catcaller, dem die Gecallte sagte, er solle seine blöde Anmache für sich behalten, seinem Opfer einen Aschenbecher (!) an den Kopf warf. Da reicht natürlich die Strafbarkeit von Beleidigung und von Körperverletzung nicht aus! 

Gerade eben, rechtzeitig zum Indoor-Oktoberfest, haben wir erlebt, dass eine Online-Petition gegen das "Downblousing" sowie das "Upskirting" zu dem schönen Erfolg eines neuen § 184k StGB führte: Zwei Jahre Freiheitsstrafe fürs Blousen-Fotografieren, allerdings nur, wenn die darunter liegenden (weiblichen) Körperteile "gegen Anblick geschützt" sind. Da sind wir sehr gespannt auf die Anzeige- und Verfolgungsdichte. Nun also, warum nicht, ein weiterer Ansatz: Ein paar Jahre Knast sollten schon drin sein fürs Katzenrufen. Das Dingfestmachen der Millionen von Tätern darf man sich auch hier als interessante Aufgabe vorstellen.  Übrigens: "Die Petition wird unterstützt von The Female Company GmbH" – Man findet diese im Netz unter: "Bio-Tampons online bestellen – Hol Dir jetzt Dein Periodenpackage". Helferlein überall!

Überleben I
Die AfD sorgt sich bekanntlich sehr um die Existenzsicherung des deutschen Volks. Insbesondere der Braunkohle-Tagebau ist, wie wir wissen, von unverantwortlichen Kräften bedroht, "die Versorgung der Bevölkerung mit lebenswichtigen Gütern gefährdet". Einmal, so lesen wir erschüttert in der Bundestagsdrucksache 19/22539 ("Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Strafgesetzbuches"), sind "Kohlezüge mit verringerter Geschwindigkeit unterwegs gewesen" und zwischen Cottbus und Frankfurt/Oder gänzlich versiegt. Schuld daran waren Elemente, die dies mittels Sitzblockade bewirkten!

Darf das straflos bleiben? Natürlich nicht! Zwar gibt es, nach Meinung des Bundesverfassungsgerichts, den Art. 8 Absatz 1 GG (Versammlungsfreiheit, Demonstrationsfreit). Aber "das Wohl der Allgemeinheit überwiegt in diesen Fällen, was sich zwanglos aus Art. 2 Absatz 2 GG ergibt" (Gesetzentwurf, S. 1). Er lautet: "Jeder hat das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit". Und ohne Braunkohle kein Leben, das ist zwanglos klar, oder? Also jedenfalls wenn man in der Lausitz über die 25-Prozent-Hürde kommen möchte. Daher: § 316b StGB ("Störung öffentlicher Betriebe") soll dahin ergänzt werden, dass (auch) die Teilnahme an Sitzblockaden vor Betrieben, die der Versorgung mit Energie dienen, mit Freiheitsstrafe bis fünf Jahre bestraft wird. Mit freundlichen Grüßen in die Lausitz: Dr. Weidel, Dr. Gauland und Fraktion.

Überleben II
§ 86a StGB stellt das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe (Freiheitsstrafe bis drei Jahre). Das sind "vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärte Parteien oder Parteien und Vereinigungen, (die) Ersatzorganisationen einer solchen Partei sind" (§ 86 Abs. 1 Nr. 1), weiterhin "Vereinigungen, die unanfechtbar verboten (sind)" (§ 86 Abs. 1 Nr. 2). Da gibt es ein paar anerkannte Beispiele: Kennzeichen der NSDAP zum Beispiel, solche anderer NS-Organisationen, ihnen nachempfundene, verwechslungsfähige Kennzeichen; aber auch Kennzeichen der verbotenen KPD. Übers FDJ-Hemd wollen wir heute nicht sprechen.

Nun gut, dachte sich die von Frau Unternehmensberaterin a.D. Dr. Weidel und Herrn Staatssekretär a.D. Dr. Gauland geführte Fraktion der AfD im Deutschen Bundestag: Was könnte man gegen die Seuche der Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unternehmen? Vermutlich hat man in der Fraktion der AfD sorgfältig die abstoßenden Kennzeichen und Symbole betrachtet, die kürzlich auf so genannten "Demonstrationen gegen Corona" (oder gegen was auch immer) gezeigt wurden. Und dann stellte man fest: Da fehlt doch was im Strafgesetz, da klafft doch eine Lücke! Mit dem Entwurf eines Strafrechtsänderungsgesetzes (Bundestags-Drucksache 19/22542) hat die alternative Partei daher vorgeschlagen, in §§ 86, 86a StGB die Begriffe "terroristisch" und "Rote Armee Fraktion (RAF)" einzufügen. Zum Beweis der Dringlichkeit des Anliegens hat die Fraktion eine sorgfältige namentliche Zusammenstellung aller Opfer beigefügt, die "im Kugelhagel der RAF" gestorben sind.

Nun ist, wie die AfD bemerkt hat, ein bisschen störend, dass die "RAF" ja gar keine Partei war und auch nicht vom Bundesverfassungsgericht verboten worden ist. Aber hier hilft die bekannte Rechtsfigur des "hypothetischen Ersatzeingriffs": Wenn eine staatliche Maßnahme rechtswidrig auf eine falsche Rechtsgrundlage gestützt wurde, schadet das danach nicht, wenn man denselben Eingriff auf einer anderen gesetzlichen Grundlage hätte vornehmen dürfen. Das ist im Einzelnen sehr umstritten, vor allem im Strafprozessrecht, aber das soll hier einmal dahinstehen. Jedenfalls hat sich die AfD den Gedanken in typisch volksnaher Spitzfindigkeit zu eigen gemacht: Die RAF wurde nur deshalb nicht verboten, so meint sie, weil sie sich frecherweise vorher aufgelöst hat. Hätte sie sich nicht aufgelöst, hätte man sie verbieten können. Und was verboten werden kann, ist eigentlich genauso schlimm wie das, was verboten ist. Und schon haben wir’s.

Jetzt könnten wir alle nochmal ein bisschen darüber nachdenken, welche terroristischen, verfassungswidrigen oder verfassungsfeindlichen Kennzeichen uns sonst noch stören. Und auch da hilft das Wennschon-Dennschon – Argument durchaus weiter: Wenn schon terroristische Kennzeichen strafbar sind, müssten es doch eigentlich auch die allgemein kriminellen sein. Natürlich sind hier nicht die Labels führender deutscher Banken oder Automobilhersteller gemeint! Aber es fällt den Vertretern der AfD im Rechtsausschuss des Bundestags gewiss noch was näherliegendes ein. Fantasie an die Macht! Gerade im Strafrecht ist dieses Motto jahrhundertelang erprobt.

Überleben III
Finden Sie auch, dass viel zu viele Kinder dauernd schwere Straftaten begehen? Kaum schlägt man die richtige Zeitung oder das richtige Online-Portal auf, springen einen die minderjährigen Schwerverbrecher an. Höchste Zeit, etwas dagegen zu unternehmen, dachte sich die AfD-Fraktion im Deutschen Bundestag. Sie ist mit den zahllosen kleinen Anfragen, die sie zu extrem nahe liegenden Themen ständig stellt, um die verachtete Ministerialbürokratie auf Trab und ihr Volk bei Laune zu halten, vielleicht nicht ausgelastet. Daher nichts leichter als ein Gesetzentwurf eines "Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderdelinquenz" (Bundestags-Drucksache 19/22549). Vorschlag einer Änderung von § 1631b Bürgerliches Gesetzbuch (BGB): "Auch auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann das Familiengericht eine Unterbringung des Kindes … anordnen (…) Bei Wiederholungsgefahr oder hat das Kind wiederholt rechtswidrige Taten … begangen, wird die Erforderlichkeit der Unterbringung vermutet."

Es geht also einmal mehr um das gute alte Anliegen, den Strafvollzug unter dem Namen "Heim" auch für Personen unter 14 Jahren zu öffnen. Während andere das für Kinder ab 12 Jahren vorschlagen, geht die AfD-Fraktion dem Übel an die Wurzel und dehnt die Sache auf alle Kinder ohne Altersuntergrenze aus. Denn man weiß ja: Kaum hat man die siebenjährigen Verbrecher aus dem Verkehr gezogen, übernehmen die Sechsjährigen das Geschäft. Selbstverständlich soll auch ein neues Festnahmerecht in die StPO eingeführt werden: Die Beamten des Polizeidienstes "sind zur vorläufigen Festnahme eines Kindes befugt, wenn dieses der Begehung einer rechtswidrigen Tat dringend verdächtig ist und eine Vorführung vor den Familienrichter … erfolgen soll" (Entwurf § 127 StPO).

Pädagogik ist gut, Familienrecht ist besser. Und die Beamten des Polizeidienstes waren ja auch einmal jung. Sie wissen, dass ein paar hinter die Löffel zur rechten Zeit Wunder wirken. Der Familienrichter ermittelt dann den dringenden Tatverdacht im Freibeweisverfahren der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Wir lernen: Die Volksrepublik China soll sich bloß nicht so viel einbilden auf ihr präventiv wirksames Rechtssystem. Unter der Führung der China-Spezialistin Dr. W. kann das die Alterative für Deutschland schon lange!

Sicherheit I
Sicherheit und Strafrecht hängen, wie man täglich erfährt, existenziell und glücklich vereint zusammen. Nun stört manche schon länger, dass unverbesserliche Elemente, gegen die die Maßregel der so genannten Führungsaufsicht verhängt wurde, gegen Weisungen verstoßen, die ihnen von der "Führungsaufsichtsstelle" erteilt wurden. Führungsaufsicht (§§ 68 ff. StGB) tritt entweder – nach Strafverbüßung – von Amts wegen ein oder wird gesondert angeordnet. Wer gegen Weisungen verstößt, die ihm die Führungsaufsichtsstelle erteilt hat, wird nach § 145a StGB mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahre bestraft. Mögliche Weisungen können zum Beispiel sein (siehe § 68b StGB): Den Wohnort nicht zu wechseln; sich nicht an bestimmten Orten aufzuhalten; bestimmte Tätigkeiten nicht auszuüben; keine alkoholischen Getränke oder Drogen zu sich zu nehmen; eine "elektronische Fußfessel" nicht kaputt zu machen.

Im Jahr 2019 wurden 3.100 Fälle des § 145a StGB angezeigt (2015: 2.200; 2017: 2.800), die "Aufklärungsquote" liegt bei 99,9 %. Die Anzahl der Führungsaufsichten ist stark gestiegen (nach einer Studie im Auftrag des Bundesamts für Justiz in den Jahren 2008 bis 2012 von 24.000 auf 33.000). Nun hat der Bundesrat festgestellt: "Bei den Probandinnen und Probanden handelt es sich in aller Regel um hafterfahrene Personen, die durch kurzzeitige Freiheitsstrafen … nicht in ausreichendem Maß davon abgehalten werden können, gegen … Weisungen zu verstoßen (…) Die Missachtung eines Kontaktverbots mit Kindern durch einen verurteilten Sexualstraftäter … kann in vielen Fällen der erste Schritt zur Begehung von weiteren erheblichen Straftaten sein" (Bundesrats-Drucksache 362/20, S. 2). Daher hat der Bundesrat den Entwurf eines "Gesetzes zur Stärkung der Führungsaufsicht" eingebracht.

Wie könnte man wohl die Führungsaufsicht "stärken"? Mehr Personal für die Aufsichtsstellen? Bessere Ausbildung? Engere Betreuung und Kontrolle der Probanden? Mehr Angebote zur Re-Integration und zur Vermeidung von Rückfall-Gefahren? Na ja – nächstes Mal vielleicht. Vorerst machen wir’s mal so: "In § 145a Satz 1 StGB wird das Wort 'drei' durch das Wort 'fünf' ersetzt". Anders gesagt: Fünf statt drei Jahre Freiheitsstrafe für einen Verstoß gegen eine Weisung. Wohlgemerkt: Nicht etwa für eine neue Straftat! Die würde natürlich extra und zusätzlich bestraft. Nein, es geht um Folgendes: Fünf Jahre für einen Verstoß gegen die Weisung, Alkohol zu trinken, sich in einer Spielhalle aufzuhalten oder sich in der Nähe von Kinderspielplätzen oder Schulen herumzutreiben. Das ist ein Wort! Da wird die Rechtstreue nach oben schnellen bei den hafterfahrenen Probandinnen und Probanden. Mal schauen, was aus dem Gesetzentwurf wird. Aber ein bisschen Strafrahmenerhöhung hat ja, wie wir wissen, eigentlich noch nie geschadet. Die Gerichte werden das schon angemessen umsetzen.  Unter diesen Umständen könnte man die Strafdrohung fürs heimliche Biertrinken eigentlich auch gleich auf zehn Jahre heraufsetzen. Da spart man die nächste Erhöhung in drei Jahren.

Alles wird gut!
Zum Schluss noch ein Ausblick in das kommende Reich der Kindersicherheit. Ich meine nicht den Entwurf des Bundesrats eines "Gesetzes zur Verbesserung des strafrechtlichen Schutzes von Kindern" (Bundesrats-Drucksachen 518/18, 502/20). Er soll die Strafdrohungen des § 235 StGB (Kindesentziehung) ausweiten und erhöhen.

Nein, es geht um einen neuen Referentenentwurf des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz (BMJV): "Gesetz zur Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder". Man findet ihn auf der Homepage des Ministeriums unter "neue Gesetzesinitiativen". Er beginnt mit den Worten: "Die ungestörte Entwicklung von Kindern ist ein besonders hohes Gut." Die Behauptung, dass "Entwicklung" ein "Gut" sei, könnte den Leser schon gleich zu Anfang in eine Sinnkrise stürzen, aber wir wollen den guten Willen für die Tat nehmen und einfach sagen, was man immer sagt: Man soll die potenzielle, eingeschränkte und vorhandene sexuelle Selbstbestimmung und die psychische Integrität von Kindern nicht verletzen.

Haupt- und Einstiegsidee des Entwurfs ist nicht der – erwartungsgemäße – Vorschlag, endlich einmal wieder die Strafen für den sexuellen Missbrauch von Kindern zu erhöhen, nachdem alle bisherigen Erhöhungen und Ausweitungen, entgegen allen Versprechungen des Gesetzgebers, in der Vergangenheit immer noch nicht dazu geführt haben, alle Straftaten zu verhindern. Vielmehr soll eine ganz neue begriffliche Systematik eingeführt werden: Schluss mit dem "Missbrauch von Kindern" als Gesetzesbegriff!  Stattdessen heißt es nun: "Sexualisierte Gewalt gegen Kinder". Dieses Konzept wird zunächst in fünf (bisher: drei) neuen Vorschriften umgesetzt. Nebenbei werden auch gleich noch die übrigen "Missbrauchs"-Tatbestände des StGB geändert, die aber weiterhin "Missbrauch von…" heißen sollen, nicht "sexualisierte Gewalt gegen…".

Was das bedeuten soll und worauf es beruht, ist unklar. Zwar ist es richtig, den Begriff eines "Missbrauchs von … Kindern" aufzugeben, denn nicht das Kind (oder in §§ 174 ff. StGB der Schutzbefohlene, der Gefangene, der Patient) wird ja missbraucht, sondern die Macht des Täters, die Abhängigkeit oder das Vertrauen des Opfers. Es ist aber verfehlt, im Strafgesetzbuch den Begriff der "Gewalt" an den Sprachgebrauch der therapeutisch orientierten Psychologie und der "Traumaforschung" anzupassen. Als "Gewalt" gilt dort und in den Redaktionen der Achtsamkeit alles, was Leib oder Seele verletzt, bedrängt, in Gefahr bringt oder stört. Neben die körperlich ausgeübte und die körperlich wirkende tritt die "psychische", die "verbale", die "digitale", die "missbrauchende", ja auch die "unbemerkte" Gewalt.  Dort, wo diese Begriffe – meist relativ wahllos – verwendet werden, kommt es auf Abgrenzungen oft nicht an, weil die Begrifflichkeiten ganz andere Ziele verfolgen. Im (Straf-) Recht kommt es aber auf Abgrenzungen in höchstem Maß an; ein großer Teil seiner Legitimität ist darauf aufgebaut (siehe "Bestimmtheitsgrundsatz, Art. 103 Abs. 2 GG). Den Gewalt-Begriff aus lauter Opfer-Empathie auf völlig unterschiedliche Handlungen und Wirkungsformen auszudehnen ist, als würde man in der Anatomie nur noch den einheitlichen Begriff "Ader" verwenden, um nicht die Arterien und die Venen zu diskriminieren. 

An vielen Stellen im geltenden Strafgesetzbuch und zahlreichen anderen Gesetzen wird der Begriff der "Gewalt" verwendet. Seine Bedeutung und Anwendung ist im Einzelnen gelegentlich zweifelhaft diskussionswürdig – siehe z.B. das "Sitzblockaden"-Urteil des BVerfG, das eine Anwendung des Tatbestands der Gewaltnötigung auf allein "psychisch wirkenden" Zwang als verfassungswidrig aufgehoben hat. Im Kern ist der Gewalt-Begriff der Gesetze seit 200 Jahren erprobt, vertraut und tragfähig. Wirklich nichts außer einer etwas ideologisiert wirkenden Sprach-Moralisierung spricht dafür, ihn durch einen vage pychologisierenden Begriff – noch dazu nur für einzelne Anwendungen – zu ersetzen.

Ein Begriff "sexualisierte Gewalt" setzt zum einen voraus, dass "Gewalt" definiert ist, zum anderen, dass man weiß, was "Sexualisieren" bedeuten soll. Gemeint sein soll vermutlich "sexuell motivierte Gewalt"; dass die Gewalt als solche "sexualisiert" worden ist, ist ein eher fernliegendes Sprachbild, wahrscheinlich einmal mehr eine gut gemeinte Übersetzung aus dem Amerikanischen, bekanntlich der Muttersprache der Gewaltlosigkeit. Wenn es "sexualisierte" Gewalt gibt, dann müsste es zwingend auch nicht sexualisierte geben. Und wenn das bloße Überreden eines Kindes zu sexuellen Handlungen "Gewalt" sein soll: Warum ist es dann nicht das Überreden einer anderen Person, einen Vertrag abzuschließen (§ 263, Betrug)? Darüber wird gewiss noch zu reden sein.

Im Übrigen enthält der Entwurf: 13 neue oder zu ändernde Vorschriften; durchweg Straferhöhungen und Ausweitungen der Tatbestände. Mindeststrafe ein Jahr für (einfachen) sexuellen Missbrauch von Kindern. Erneute Verschärfung von § 184b (Kinderpornografie): Ein Highlight ist der Vorschlag von einem Jahr Mindeststrafe für den Versuch (!), einer (!) anderen Person einen (!) kinderpornografischen Inhalt zu verschaffen.

Der Zug rollt, der Tanker läuft geradeaus. Das Ruder klemmt.
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https://www.spiegel.de/panorama/justiz/gesetzgebung-alles-neu-kolumne-von-thomas-fischer-a-c0a57139-23af-447c-b163-5dbe1cfa19ba
Merke: Es genügt natürlich nicht, dämlich zu sein. Es soll schon auch jeder davon wissen!

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Re: Thomas Fischer
« Antwort #161 am: 10. Oktober 2020, 08:27:01 »
Fischer mit einer schönen Beurteilung der "knallharten" Richter und wie üblich mit einer passenden Pressebeschimpfung:
https://www.spiegel.de/panorama/justiz/knallhart-richter-johann-krieten-gegen-rapper-gzuz-strafen-fuers-schlichte-gemuet-a-1b782f77-c70d-40b7-a129-772ec11a241f
Da kann man doch sagen: "Beim SSL haben wir etwas gelernt!"
https://www.youtube.com/watch?v=9uZLrHiCMhQ
 
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Re: Thomas Fischer
« Antwort #162 am: 16. Oktober 2020, 19:12:39 »
Heute widmet sich der Meister dem Dummschwatz der Politiker und Corona im Besonderen:



Zitat
Pandemische Pechsträhne
Corona, Staat und Winterzeit

Eine Kolumne von Thomas Fischer
Es ist gekommen wie vorhergesagt: Auf den Sommer folgt der Herbst. Corona bleibt, das Schicksal droht, und niemand spricht ein Machtwort zum Leben und Sterben. Wie lang doch ein Jahr sein kann!
Spoiler
16.10.2020, 16.11 Uhr

Hoch im Norden
Am 12. Oktober erschien auf "Welt"-Online ein Kommentar mit dem Titel "Wenn die Kreuzberger Infektionszahlen wichtiger sind als Hunger und Krieg", Autorin ist Susanne Gaschke, zeitweise Oberbürgermeisterin von Kiel. Die Schlagzeile ist nützlich, weil sie beispielhaft zeigt, wie man in der wahllosen Kombination neutraler Fakten mittels unscheinbar wirkender Wörtlein (hier: "wenn" und "wichtiger") kompletten Nonsens, harte Lüge, haltlose Spekulation oder einfach nur tendenziöse Verwirrung erschaffen kann. Das Gift findet seinen Weg dann aus der Headline in die Sinnstrukturen des Darunterliegenden von ganz allein. Wir kennen das aus dem Markt der Sachbücher mit W-Titel: Warum alles immer schlimmer wird; Wie die Regierung uns betrügt; Wozu könnten Männer gut sein; Wieso ich nicht reich und berühmt wurde usw. Mit dem Finden eines solchen Titels ist die intellektuelle Leistung im Wesentlichen erbracht, sie ereignet sich im Verlag. Der von Autor oder Autorin zu erbringende Rest besteht in der in angebliche Kapitel geteilten Wiederholung irgendeiner Behauptung aus dem Klappentext, gestützt auf bewährte Quellen ("Immer mehr Steuerzahler haben den Eindruck, dass…") oder auf Beweise im Pingpong-Modus ("Die NYT schrieb schon 2011, es werde böse enden…"). 

Im vorliegenden Fall kündigte die Autorin eingangs an, uns zu sagen, was los sei, wenn Kreuzberg-Corona wichtiger ist als "Hunger und Krieg". Na ja: wenn! Also gleich wieder neue Fragen: Was heißt "wichtiger"? Für wen? Wer misst das und mit welchem Wichtometer? Und vor allem: Was heißt "wenn"? Ist es so oder nicht? Wenn nein: Warum dann fragen? Wenn ja: Worauf ist die Behauptung gestützt? Es ist ein Kreuz mit den W-Titeln: Sie kommen seifenblasenleicht daher und enthalten dann nichts als Schwefelwasserstoff. Schauen wir kurz auf die Beweisführung:

Es ist nicht mehr vernünftig, wie einseitig sich Politik und große Teile der Medien gerade auf eine einzige Krankheit fokussieren. Hunger, Not, Elend und Krieg in anderen Teilen der Welt? Unschön, aber nicht so wichtig wie die Infektionszahlen aus Berlin-Kreuzberg… Die Ungerechtigkeit, wenn eine 17-Jährige von einem Amokläufer erschossen wird oder ein 25-Jähriger an Leukämie zugrunde geht? Schlimm, aber Schicksal… Einzig bei Corona darf es nicht einmal den Rest eines Schicksalsanteils geben. Corona muss zu 100 Prozent besiegt werden, koste es, was es wolle an Grundrechtseingriffen…

Eines ist also sicher: Die Autorin ist überzeugt, dass Covid-19 faktisch, aber unrichtigerweise "wichtiger" sei als Hunger & Krieg, jedenfalls für "Politik und große Teile der Medien", was zwei etwas vage, aber doch vertraute Bösewichter sind. Um ihr Wirken (Infektion) und Nichtwirken (Hunger & Krieg) anzuprangern, schrieb die Autorin in einem Pressemedium einen Kommentar - nicht über Hunger & Krieg, sondern über Corona und die Infektionszahlen. So ist das, sagt Niklas Luhmann: Recht kann nur aus Recht kommen, und Journalismus entsteht aus Journalismus.

Der Leitsatz des Kommentars lautet:

Da gegenwärtig kaum noch jemand an Corona stirbt …, fixieren sich Exekutive und Bürokratie nun auf die Infektionszahlen.

Eine analoge Anwendung dieser bizarren Nachricht lässt Zweifel aufkommen: Weil kaum noch jemand an ampelgeregelten Fußgängerüberwegen stirbt, fixiert sich die Verkehrspolizei auf Rotlichtverstöße. Weil nur wenige Menschen an Typhus sterben, fixieren sich die Stadtwerke auf Ausbau und Sanierung der Kanalisation. Höhepunkte der Kausalitätstheorie! Das Problem steckt in der Sinnlosigkeit der Verknüpfung und in der Fehlbewertung der Korrelation, diesmal mit umgekehrten Vorzeichen. Vielleicht stirbt ja deshalb kaum noch jemand, weil Exekutive und (?) Bürokratie (!) sich auf Minimierung von Infektionszahlen "fixieren". Und vielleicht müssten wir ja nur ein bisschen länger warten und müssten die Infektionszahlen weiter steigern, und schon würde wieder jemand sterben! Und überhaupt: Auf was sonst sollte sich die Exekutive "fixieren" und die Bürokratie gleich dazu? O.k., die letzte Frage ist unfair, denn Frau Gaschke hat die Antwort gegeben: Hunger & Krieg. Das stimmt einfach immer, kann also gar nicht falsch sein.

Alles hängt am Komparativ "wichtiger". Wer hat das eigentlich festgestellt? Stimmt es überhaupt? Nehmen zum Beispiel Kieler als solche die Kreuzberger Infektionszahlen wichtiger als die Geisteslage des POTUS oder die phänomenale Spannkraft seines jugendlichen Challengers? Ist für den Flensburger die Pandemielage in Friedrichshain wichtiger als das Heringsaufkommen in der Ostsee? Ich glaube es nicht wirklich, aber wer weiß! Wahrscheinlich meint die Autorin es auch gar nicht wörtlich, sondern irgendwie im übertragenen Sinn, also stimmungsmäßig. Es stinkt ihr, dass in Deutschland nicht über Hunger & Krieg geredet und nicht wie üblich mit ganzer Kraft und maximaler Fixierung gegen Hunger, Krieg und Seuchen auf der Welt angekämpft wird, als da sind Malaria, Masern, Denguefieber, Tuberkulose, Aids und andere. Das ist ja ein ehrenwerter Ansatz.

Weite Welt
Es könne von niemandem verstanden werde, sagte Herr MP Laschet am 14. Oktober im Frühstücksfernsehen, dass zwar hunderttausend Pendler jeden Tag zwischen Brandenburg und Berlin, Hauptstadt der Pandemie, verkehren, man aber nicht im Wald übernachten dürfe. Das stimmt! Ob dieses Beispiel das Herz des Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga) getroffen hat, ist natürlich eine andere Frage, denn ein massenhaftes Übernachten im Wald könnte zwar für Wald-Catering-Start-ups einen Cashflow generieren, ließe aber die für 9 Euro die Stunde gewienerten Junior-Suiten leer. Es muss jetzt einfach eine Hilfe her, weil ja die Tatsachen sich nicht an die Pläne halten, die wir im Frühjahr gemacht hatten: Überraschenderweise gibt es in diesem Jahr Herbstferien und in ungefähr zwei Monaten Weihnachtsferien. Das ist ein Schock! All die schönen Buchungen schmelzen dahin, und mit ihnen der Dispo! Wann wurden die Reisen eigentlich gebucht? Am Ende gar ab März? Könnte man dann nicht vielleicht sagen: Pech gehabt? Der Staat muss ja nicht einspringen, wenn man nicht im Lotto gewinnt. Und ist die heilige Marktwirtschaft nicht das System, das dem Menschengeschlecht einst versprochen wurde: Am Anfang war der Vertrag?

Gibt es eigentlich ein Grundrecht, dreimal im Jahr aus dem Einzugsgebiet eines risikofreien Erlebnisparks in den eines anderen zu verreisen? Gibt es ein Grundrecht darauf, dass kein einziges der zahllosen Risiken, über welche die Verbraucher unermüdlich aufgeklärt werden von Aberhunderten Warn-, Test-, Beratungs-, Interessen-, Aufklärungs- und Leicht-gemacht-für-Anfänger-Verbänden, sich einmal verwirklicht? Hatte man nicht hundertmal gehört, man solle sich nicht so hoch verschulden, dass man unerwartete Katastrophen (Krankheit, Tod, Arbeitslosigkeit, Scheidung), nicht überstehen könne? Ist es ein Menschenrecht, alle Hebel der Lebensplanung stets auf "Volle Kraft voraus" stellen zu dürfen, solange man die Prämien für die Hausrat-, Reiserücktritts- und Haftpflichtversicherung aufbringt?

Nun steht, wie vorhergesagt, dem Virus und uns zunächst der Herbst und sodann der Winter ins Haus. Danach folgt ein Frühjahr. In diesen Jahreszeiten kommt es oft zur Senkung der Durchschnittstemperatur sowie zu feuchtkalten Niederschlägen. Möglicherweise war dies vorübergehend aus dem Blickfeld geraten, weil die wirklich wichtigen Themen die Organisation der Sommerferien, die Fixkosten der Tourismusindustrie im Hochsommer sowie die Frage waren, welche Vorhersagen der Virologen, Epidemiologen, Pandemiologen und Respiratoren sich als unpräzise erwiesen haben und beim nächsten Mal unbedingt verbessert werden müssen. Im Moment herrscht Betroffenheit angesichts der Prognose, beim häufigen Lüften in Klassenträumen (Frischluft und Aerosol-Abfuhr) komme es im Winter zu Abkühlungen des Innenraums und in der Folge zu Verkühlungen des Schülermaterials. Elternverbände haben sogleich gefordert, sämtliche Schulen mit warmen Decken auszustatten. Nicht auszudenken, wenn Tausende von unschuldigen Kindern durch die Unvorsichtigkeit der Schulverwaltungen und mangels bundeseinheitlicher Lüftungsvorschriften sich einen grippalen Infekt (von Influenza wollen wir gar nicht reden!) einfingen und hierdurch ihre gerade eben in die Freiheit des Office-Office entlassenen Väter und insbesondere Mütter wieder ins heimische Burn-out zwängen! Am Rande bemerkt: Hinsichtlich der Platzierung der Kindlein nah oder fern der zu öffnenden Fenster lassen sich interessante Themen für virtuelle Elternabende und Video-Schulversammlungen ahnen.

Die Politik
Damit sind wir bei einem ernsten Thema: der Föderalismus in Deutschland an und für sich sowie seine Auswirkungen auf weltweite Seuchen. Es ist, wie man hörte, unerträglich für den Deutschen, dass eine Ordnungswidrigkeit des Verstoßes gegen eine ordnungsrechtliche Maskenpflicht in einem Bundesland keine Geldbuße, in einem anderen eine solche von 80 Euro und in einem dritten eine von 250 Euro zur Folge hat. Wo doch der durchschnittliche Bundesbürger täglich in vier verschiedenen Bundesländern die Maske nicht aufsetzen möchte. Und nun kann er sich nicht merken, wie viel es kostet. Er weiß natürlich, in welchen deutschen Kurstädten ein dauerhaftes und in welchen ein nur zeitlich befristetes Innenstadt-Parkverbot gilt, aber das ist was anderes. Diese Kleinstaaterei! Und die schrecklichen Beherbergungsverbote! Ein Kölner darf in Mainz nicht übernachten, aber nicht umgekehrt. Oder war es umgekehrt? Ministerpräsidenten sind erschüttert. Das ist, als dürften Deutsche frei nach Syrien reisen, aber nicht umgekehrt.

Was passiert eigentlich gerade mit dem Staat? Bekanntlich ist eine erstaunliche Zahl von Menschen davon überzeugt, die Covid-19-Seuche werde unweigerlich oder jedenfalls wenn nicht sofort etwas unternommen werde in eine Präventionsdiktatur der üblen Sorte führen oder habe dies bereits getan. Wobei sich alsbald die Frage stellt, was denn unternommen werden soll nach Ansicht der Kämpferinnen und Kämpfer für die freie Hasenheide und das freie "Feiern", das allein uns die Lebensqual ertragen lässt. Soweit ich sehe, gibt es nur zwei Arten von Plänen. Erstens: Alle Alten, Kranken, Dicken, Kurzatmigen und Hypochonder einsperren und es im Rest krachen lassen. Das ist aus der Sicht eines 20-jährigen Klubbesuchers mit Waschmaschine bei Mutti eine coole Lösung, hat allerdings Schwächen: Es müsste dann nämlich ungefähr die eine Hälfte der Leute eingesperrt und von der anderen Hälfte versorgt werden, die aber nicht rein dürften, weil sie draußen sind. Außerdem müsste man ein hartes Regime von Musterungsuntersuchungen aufbauen, um die zahllosen Trittbrettfahrer herauszufiltern, die sich plötzlich zu schwach für die Arbeit und für Corona fühlen würden.

Zweitens: Alles laufen lassen bis zum Endsieg Herdenimmunität. Das ist, flankiert von der Sagrotan-Injektion und der exklusiven Versorgung aller Einkommensmillionäre mit handgemixten Antikörper-Cocktails, die Methode Donald: Wer stirbt, ist ein Loser. Auch hier, liebe Jugend, lauern außer der Geldknappheit ein paar Gefahren: Die Sache mit der Herdenimmunität ist ein statistisches und ziemlich naturwüchsiges Phänomen, sprich: ziemlich nah dran an der Evolution. Es ist also nicht unwahrscheinlich, dass ihr für die Gesundheit einer Herde von sagen wir 20 Millionen durchschnittlichen Genies und Voll♥♥♥en einen individuellen Preis mit dem Leben eurer Eltern, eurer Lehrer und eures Lieblingsrappers bezahlen müsstet oder gar mit dem eigenen. Wem das egal ist, dem kann noch gesagt werden, dass die schöne Durchseuchung in Schweden es auf maximal 8 Prozent gebracht hat, bei zehnmal so viel Toten wie hierzulande. Und dass die Herdenimmunität nicht immer so will wie wir, was man daran sehen kann, dass erstaunlicherweise immer noch 20.000 Menschen in Deutschland an Influenza sterben oder an Masern oder Gürtelrose erkranken und weltweit viele Dutzend Millionen Menschen von Infektionskrankheiten getötet werden, die seit Jahrhunderten an der Immunität der Herden arbeiten dürfen. Als letztes noch: Wie es scheint, bleiben bei einer nicht ganz unwesentlichen Zahl von unspektakulär Covid-19-Infizierten langfristige Schäden zurück, die auf die Dauer eines derzeit noch jungen Lebens wirklich nicht erstrebenswert sind. Vielleicht stellt man sich mal zur Probe vor, es gäbe keinerlei Schutz vor Aids mehr, weil die Kondome nerven und ja auch kaum mehr einer daran stirbt, hierzulande. Nehmen wir an, die HIV-Infektionsrate läge bei zwei Prozent: Würden Sie dann auf jeden Schutz verzichten?

Prävention
Klar: Beispiele hinken. Und alles wäre anders, wenn es anders wäre. Und es ist superunverständlich, dass man auf dem einsamen Weg zum Restauranttisch eine Maske aufsetzen soll und im Kreis der frohen Esser nicht. Aber so ist es nun mal mit der Steuerung von Massenverhalten und großen Zahlen. Sie dürfen auch dann nicht über rote Ampeln fahren, wenn weit und breit kein Querverkehr zu sehen ist. Und man muss auf der rechten Straßenseite fahren, obwohl mancher vielleicht links besser führe. Wenn eine Brücke wegen Einsturzgefahr gesperrt ist, sollten auch kleine leichte Kinder nicht hinübergeschickt werden. Nehmen wir einmal an, draußen im Wald lebten schreckliche Ungeheuer, die Menschen mit roten Mützen anfallen und auffressen. Nehmen wir weiter an, von 100.000 Rotkappenträgern würden durchschnittlich 40.000 von den Ungeheuern verfolgt, 4000 erwischt und 1000 aufgefressen. Pro Monat. Was, meinen Sie, wäre dann wohl bei "Politik und großen Teilen der Medien", bei "Exekutive und Bürokratie" los?

Das ist nicht schwer, sich vorzustellen. Es reicht doch schon, wenn fünf Kinder von persönlichkeitsgestörten Kriminellen entführt und vergewaltigt und 5000 kinderpornografische Bilder pro Tag über das Land verteilt werden. Da ist von Herdenimmunität beziehungsweise der statistisch geringen Wahrscheinlichkeit keine Rede und vom Kampf um die Freiheit der Guten auch nicht, für die man halt ein paar vulnerable Opfer in Kauf nehmen müsse. Stattdessen: Vollüberwachung! Kameras überall! Vorratsdatenspeicherung! Datenvernetzung! Zugriff der Polizei auf private Computer, Handys, Kameras, Mikrofone! Fake-Pornografen und Fake-Kinder als Agents Provocateurs! Verdeckte Ermittler! Schluss mit der Verjährung, dem Datenschutz, der Unschuldsvermutung!

Wieder ein hinkendes Beispiel? Es geht um Gefahr und um Prävention. Und das Beispiel soll sagen: Es kommt immer darauf an. Manche finden die Wahrscheinlichkeit von drei sexuell motivierten Kindermorden pro Jahr unerträglich hoch, manche - oft dieselben - die von 20.000 vermeidbaren Infektionstoten völlig in Ordnung: Irgendwann stirbt man ja doch! Für das einzelne Infektionsopfer ist das Virus aber genauso schicksalhaft wie für das Schulkind am Zebrastreifen der angetrunkene Autofahrer.

Das heißt: Wir leben schon längst in einer vom Präventionsgedanken geradezu besessenen Gesellschaft, mit einem Sicherheits- und Vorsorgebedürfnis ohnegleichen, einem Versorgungsstatus wie nie zuvor in der Geschichte und einem bis über die Zähne aufgerüsteten Staat, der mit hoher Präzision Bedrohungen etwa durch Terrorismus erkennen und ausschalten kann. Wenn mal einer durch die Maschen rutscht und tödlichen "Erfolg" hat, gilt das als skandalöses Versagen der Sicherheitsbehörden. Bei zahllosen öffentlichen Einschränkungen von Freiheit, Geschwindigkeit oder Verdienstmöglichkeiten aus Gründen der Vorsorge und Gefahrenabwehr fragt kaum jemand ernsthaft, ob es nicht vielleicht auch preisgünstiger ginge oder ob DIN-Normen denn sein müssen: Ob es nicht ein akzeptables Lebensrisiko sei, vom Blitz oder von ungesicherten Elektrogeräten getötet, von herabfallenden Dachziegeln erschlagen oder von geisteskranken Gewalttätern erstochen zu werden - Schicksal halt. Könnte man mit dem Geld, das in Deutschland für Brandschutz ausgegeben wird, nicht auch prima Hunger, Krieg & Armut bekämpfen? Wenn's brennt, brennt's, könnten die versicherten Bewohner der Erdgeschosswohnungen sagen, und die gehbehinderten Alten sollen halt nicht in den vierten Stock ziehen.

Es geht also mit Covid-19 wie mit vielem anderen: Alles ändert sich, und die Maßstäbe müssen neu bestimmt, also zunächst einmal besprochen werden. Da hilft es wirklich nichts, nach irgendwelchen "Machtworten" oder dem Ende von albernen Scheinproblemen zu rufen. Dass das Leben insgesamt weitergeht, ist schon klar, hilft aber wenig, wenn man Angst hat. Es wird keine Erlösung geben, und die mutierenden, vom Tier auf den Menschen überspringenden Viren werden zukünftig häufiger auftauchen und sich viel schneller verbreiten als früher. Es ist alles eine Frage der Zeit, und in einer "globalisierten" Gesellschaft, in der alles gleichzeitig passieren muss, damit sie so funktioniert wie sie ist, vergeht die Zeit sehr schnell. Das nächste Virus kommt vielleicht vom niedersächsischen Schwein und tötet Menschen zu 60 Prozent, oder ein Container mit Ebola-Infizierten landet am Nordrand des Mittelmeers, mitten in Saint-Tropez, Rimini oder Rostock.

Man muss über Prävention als Konzept insgesamt und nicht nur je nach Tagesinteresse nachdenken. Die Fragen, wie man Weihnachten im Altenheim veranstalten und den schrecklichen Zumutungen von Arbeit, Familie und unbespaßter Freizeit standhalten soll, sind ein Teil davon. Hunger & Krieg, also das, was die Kommentatorin der "Welt" angeblich umtreibt, gehören natürlich auch dazu; erst recht die "Ungerechtigkeit", dass eine 17-Jährige von einem Amokläufer erschossen wird. Nicht dazu gehört der Subtext "Was interessiert mich Corona, wenn im Jemen Bürgerkrieg herrscht und ein 20-Jähriger an Leukämie sterben muss?" Das ist entweder zynischer Unsinn oder bloße Verbrämung der eigenen Null-Bock-Mentalität. Anders gesagt: Da müsste man dazusagen, was man im Kampf gegen Leukämie und im Bemühen um Frieden im Jemen zu unternehmen gedenkt oder von der Regierung erwartet. Wenn einem da nichts Dringendes einfällt, kann man, so meine ich, vorerst mal daheimbleiben, Sozialkontakte auf ein Minimum reduzieren, Ratschläge und Anordnungen befolgen und abwarten, ob demnächst mal jemand etwas Wichtigeres zu sagen hat, als dass es unerhört sei von diesem Virus, einfach dazubleiben und einem die Laune zu verderben.
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https://www.spiegel.de/panorama/justiz/corona-staat-und-winterzeit-wie-lang-doch-ein-jahr-sein-kann-kolumne-a-f4cea162-4640-4414-9a2b-4b496258a983
Merke: Es genügt natürlich nicht, dämlich zu sein. Es soll schon auch jeder davon wissen!

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Re: Thomas Fischer
« Antwort #163 am: 18. Oktober 2020, 11:00:17 »
Hat Thomas Fischer sowas nötig?

Es geht um den Doppelmord Schemmer in Koblenz-Horchheim.
Für mich, die ich seinerzeit die Medien mitverfolgte hoch interessant, es wurde das Urteil veröffentlicht https://openjur.de/u/841958.html

Nun soll dieser Fall erneut einer Betrachtung unterzogen werden:
https://www.presseportal.de/pm/amp/7169/4729599

Zitat
Reportage über einen umstrittenen Indizienprozess am 21. Oktober 2020, ab 20:15 Uhr im SWR Fernsehen / Profiler und SWR Team rollen Fall Henrike Schemmer neu auf

Ein gut situiertes älteres Ehepaar wurde brutal erstochen und die Polizei verhaftet die Schwiegertochter. In einem aufsehenerregenden Indizienprozess wird sie verurteilt - es gibt massive Zweifel an ihrer Schuld. Sie und ihr Mann kämpfen bis heute für eine Wiederaufnahme. Gemeinsam mit einem SWR Team macht sich der erfahrene Profiler Stephan Harbort auf die Suche. Er will die Indizien prüfen, Beweise finden und klären. Das SWR Fernsehen zeigt "Mord ohne Beweise - Wurde Henrike Schemmer zu Recht verurteilt?" am Mittwoch, 21.10.2020, ab 20:15 Uhr Parallel wird der Fall auch im SWR2 TrueCrime Podcast "Sprechen wir über Mord?!" mit dem früheren Bundesrichter und Strafrechtsexperten Thomas Fischer besprochen; und online in einem Multi-Media-Angebot vertieft.

Aber warten wir mal ab, was dabei rauskommt.
 

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Re: Thomas Fischer
« Antwort #164 am: 18. Oktober 2020, 12:20:18 »
Hat Thomas Fischer sowas nötig?

Es geht um den Doppelmord Schemmer in Koblenz-Horchheim.
Für mich, die ich seinerzeit die Medien mitverfolgte hoch interessant, es wurde das Urteil veröffentlicht https://openjur.de/u/841958.html

Nun soll dieser Fall erneut einer Betrachtung unterzogen werden:
https://www.presseportal.de/pm/amp/7169/4729599


Hört sich nach einem spannenden Fall an, warum sollte er sich nicht dazu äußern :scratch:
An Rüdiger Hoffmann: Der Faschist sagt immer, da ist der Faschist  (in Anlehnung an die Signatur des geschätzten MitAgenten Schnabelgroß)

Wir kamen
Wir sahen
Wir traten ihm in den Arsch