24.07.2020, 12.01 Uhr
Beeren und Pilze
Der unheimliche Geselle, der am 17. Juli um 17.17 Uhr im Wald bei Oppenau festgenommen wurde, "ernährte sich von Beeren" während er fünf Tage lang auf der Flucht war. Dies erfuhren wir vom "Merkur" (22.7.), und es erregte die Aufmerksamkeit des Kolumnisten, der in seiner Kindheit zahlreiche Bücher gelesen hat, in denen "Beeren und Pilze" die einzige Nahrung bewunderter Helden der Wildnis waren. In den heimatlichen Fichtenwäldern erwies sich das Angebot an Beeren allerdings als derart mager, dass doch meist eine Hunger-Geschichte von Jack London nachempfunden werden musste.
In Oppenau erklärte ein Polizeisprecher den Zuschauern: "Er saß im Gebüsch. Ob er sich verstecken wollte oder ob er dachte, ich habe keine Chance mehr, da versteck ich mich lieber, das wissen wir nicht." Hier prallen Alternativen aufeinander, die der kriminalistisch nicht geschulte Verstand eher für identisch halten möchte. Aber egal: Wenn es keine Probleme gibt, muss man halt welche erfinden. Jedenfalls ist die Polizei im Südwesten mit ihrem Problem-Waldmenschen schwer beschäftigt: "Die Ermittlungen laufen weiter auf Hochtouren" ("Merkur"), denn "auch fünf Tage nach der Festnahme des Pistolenräubers … sind noch viele Fragen zu seinem Verbleib nach der Flucht … offen" ("Südkurier", 21.7.). Der Leser weiß: Wenn Ermittlungen "auf Hochtouren" laufen oder gar "fieberhaft" verfolgt werden, bleibt kein Auge trocken, und die Fotos von vermummten "Elitepolizisten" im Unterholz erzeugen jenes Gefühl von polizeilicher Geborgenheit, das den Bürgern zuletzt ein wenig fehlte.
An der Suche nach dem als "Sonderling" bekannten Mann sollen zeitweise bis zu 2500 Polizeibeamte beteiligt gewesen sein; der Schwarzwald wurde tagelang durchkämmt, bis er dann "im Gebüsch saß", der Rambo. Das Gebüsch können Sie auf einem Foto in der "Bild"-Zeitung vom 18.7. besichtigen. Wenn man nicht per Überschrift erführe, dass "in diesem Gebüsch" der Waldmensch gesessen habe, könnte man die abgebildete Vegetation für einen schwarzwaldtypischen Nadelbaumbestand ohne einen einzigen Busch halten. Fichte oder Tanne, Hauptsache Laubbaum, sagt sich der "Bild"-Fotograf, der wahrscheinlich schon ganz andere extrem originale Schauplätze gesehen hat.
Ausgangspunkt des Dramas war ein "Pistolenraub" genanntes Ereignis am 12. Juli: Der Beschuldigte hatte im Wald eine Hütte aufgebrochen und hielt sich dort unerlaubt auf. Er war wohl mit Pfeil und Bogen bewaffnet. Nach Anzeige durch einen Privaten fuhren zwei Streifenwagen mit jeweils zwei Schutzpolizisten zu der Hütte, um die Sache zu prüfen. Sie stießen auf den Beschuldigten. Dieser bedrohte einen der Beamten mit einer Schreckschusspistole und forderte die Polizeibeamten auf, ihre Dienstwaffen auf den Boden zu legen und sich zu entfernen. Dann floh er unter Mitnahme der vier Pistolen, die er auch bei seiner Festnahme noch bei sich führte.
Wir wollen an dieser Stelle der Lebens- und Vor-Fall-Geschichte des Herrn Yves R. aus Oppenau nicht weiter nachspüren. Ich habe keinen Zweifel, dass in dieser Sache niemand im Umkreis von 20 Kilometern unbefragt und dazu keine Frage offen bleiben wird. Erste Eindrücke vermittelt ein "Bild"-Film vom 22.7., in dem der Schwiegervater einer Frau, die den Beschuldigten auf der Straße wandern sah, beim Traktorfahren gezeigt wird. Der Schwiegervater zeigt uns überdies das Gebüsch, vor welchem er stand, als er den Wandersmann von fern erblickte.
Gegenstand der heutigen Kolumne ist aber nicht die Rambo-Jagd im Schwarzwald; sie wird hier nur als Aufmerksamkeitsköder verwendet. Und dies trotz spannungsgeladener Fragestellungen wie der des "Südkuriers":
Spekulationen gibt es auch weiterhin darüber, welche reale Gefahr tatsächlich während der fünftägigen Flucht von dem schwer bewaffneten Mann für die Bevölkerung und die Beamten ausging. In der Bevölkerung von Oppenau gab es widersprüchliche Aussagen dazu. Sie reichten von 'völlig harmlos' bis zur Einschätzung 'dem trau ich alles zu'." ("Südkurier")
Dass sich "reale tatsächliche" Gefahr anhand von "Aussagen der Bevölkerung" ermitteln lasse und diese "widersprüchlich" seien, wenn eine Person einmal für harmlos gehalten und ihr ein anderes mal "alles zugetraut" wird, ist bemerkenswert. Eine Art Sinn ergibt es allerdings nur, wenn der Umstand, dass Teile der Bevölkerung einem Menschen "alles zutrauen", diesen "real gefährlich" machen würde. Eine Konstruktion, die sich ins Drehbuch schmiegt: "Waldrambo in Einzelhaft. Y. R. hat Zelle mit Waldblick" ("Bild", 20.7.).
Räuber im Wald
Noch interessanter hingegen war die Meldung, gegen den "Pistolenräuber" werde von der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Offenburg "wegen schwerer räuberischer Erpressung und unerlaubtem Waffenbesitz" ermittelt. So ein ganz besonderer Räuber weckt den Juristen im Juristen, der sich reflexhaft fragt, was es wohl bedeuten könnte. Wie schon in früheren Kolumnen erwähnt, bestehen das Recht überwiegend aus Kommunikation und die Gesetze überwiegend aus Worten. Diese haben, nicht anders als im Bäcker- oder Gärtnerwesen, vor allem die Aufgabe, verschiedene Gegenstände voneinander zu unterscheiden. Ob Sie "Brötchen", "Laugenstangen" oder "Himbeerschnitten" bestellen, macht einen Unterschied, selbst wenn Sie eine Woche lang nur Beeren gegessen haben. Und wenn Sie dem Gärtner sagen, er solle Rosen pflanzen, er Ihr Grundstück aber mit Löwenzahn verschönt, fühlen Sie sich missverstanden und lassen sich nicht mit dem Hinweis beruhigen, auf derlei Spitzfindigkeiten dürfe es nicht ankommen.
Beim Strafgesetz kommt hinzu, dass für Regeln, die eine Strafbarkeit begründen können, das sogenannte "Bestimmtheitsgebot" gilt, das in Art. 103 Abs.2 GG und in § 1 StGB sowie in Art. 7 Abs. 1 MRK festgeschrieben ist. Es ist eines der heiligen Gebote des Rechtsstaats: Niemand darf aufgrund von Gesetzen zu Strafe verurteilt werden, die entweder zur Zeit seiner Handlung noch gar nicht galten oder in denen die strafbare Handlung so unscharf beschrieben ist, dass sich eine klare Grenze zwischen "erlaubt" und "verboten" nicht finden lässt. Beispielhaft ist an dieser Stelle stets § 2 des Reichsstrafgesetzbuchs in der Fassung von 1935 zu zitieren, der (auszugsweise) lautete: "Bestraft wird, wer eine Tat begeht, die … nach dem Grundgedanken eines Strafgesetzes und nach gesundem Volksempfinden Bestrafung verdient." Die Menschenrechtswidrigkeit einer solchen Bestimmung ist offenkundig.
Das Beispiel muss auch deshalb immer wieder zitiert werden, weil das Bundesverfassungsgericht, das die Vereinbarkeit von Strafgesetzen mit dem Bestimmtheitsgrundsatz letzten Endes zu prüfen hat, eine phänomenale Zurückhaltung bei der Anwendung des Art. 103 Abs. 2 GG übt - aus "Respekt" vor dem Gesetzgeber, der sich vermutlich etwas Verfassungskonformes gedacht haben wird, auch wenn es nicht so aussieht. Außer ein paar "verfassungskonformen Auslegungen", z.B. des Begriffs der "Gewalt" (im Zusammenhang mit "Sitzblockaden"), fällt einem daher nicht viel Beispielmaterial zur (Un-)Bestimmtheit aus 70 Jahren Strafgesetzgebung ein. Und dies, obwohl der Vorwurf verfassungswidriger Unbestimmtheit in kaum einer der heute oft als Grundlagenwerke konzipierten strafrechtlichen Dissertationen fehlt und bei jedem neuen Gesetz so zuverlässig wie polyfon aus Rechtsanwaltschaft und Wissenschaft ertönt, um von einem Obersten Bundesgericht alsbald mit einem Dreizeiler erledigt zu werden.
Mit anderen Worten: Raub ist Raub und Diebstahl ist Diebstahl. Wäre es anders, bräuchte man die verschiedenen Wörter nicht, und auch nicht zwei verschiedene Tatbestände im StGB: § 242 (Diebstahl, 1 Monat bis 5 Jahre) und § 249 (Raub (1 bis 15 Jahre). Die Taten sind sich ähnlich: (1) Wegnehmen einer (2) fremden (3) beweglichen (4) Sache in der (5) Absicht, die Sache (6a) sich oder (6b) einer anderen Person (7) rechtswidrig (
zuzueignen. Das sind acht Tatbestandsmerkmale – eine Menge zu prüfen, bevor auch nur der "objektive Tatbestand" feststeht. Bei Diebstahl war's das dann. Was den Raub darüber hinaus auszeichnet, ist das Element der Nötigung, also des Zwangs. § 249 StGB lautet:
(1) Wer mit Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter einem Jahr bestraft.
2) In minder schweren Fällen ist die Strafe Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren.
Das ist auf jeden Fall mehr als § 242 voraussetzt:
"Wer eine fremde bewegliche Sache einem anderen in der Absicht wegnimmt, die Sache sich oder einem Dritten rechtswidrig zuzueignen, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
Der Unterschied liegt im Merkmal der "Gewalt gegen eine Person" (nicht: gegen eine Sache) oder der "Drohung mit gegenwärtiger (!) Gefahr für Leib oder Leben (!). Wer nicht glaubt, dass dies auch in der Realität ein Unterschied ist, mag sich zwischen folgenden Varianten eines Abenteuers entscheiden:
Fall 1: Sie gehen durch die Stadt, kommen nach Hause und bemerken, dass Ihnen von einem Taschendieb Ihr Geldbeutel aus der Tasche entwendet wurde.
Fall 2: Sie gehen durch die Stadt, ein 100 kg schwerer Mann tritt auf Sie zu, schlägt ihnen mit der Faust ins Gesicht und nimmt, nachdem Sie benommen zu Boden gestürzt sind, den Geldbeutel aus Ihrer Tasche. Ich bin mir fast sicher vorhersagen zu können, für welche Variante Sie sich entscheiden. Das kommt nicht daher, dass der erste Fall "Diebstahl" heißt und der zweite Fall "Raub"; vielmehr ist es so, dass die beiden tatsächlichen Sachverhalte sich (schmerzhaft) unterscheiden und deshalb verschiedene Namen haben. Das zeigt sich auch in den krass unterschiedlichen Strafdrohungen (Mindeststrafe Diebstahl: 5 Tagessätze à 1 Euro; Raub: 1 Jahr Freiheitsstrafe).
Das ist unabhängig davon, ob im Geldbeutel im ersten Fall 10.000 Euro waren, im zweiten Fall 10 Euro. Wie schlimm oder unverschämt die Taten im Konkreten sind, wird bei der Strafzumessung berücksichtigt. Man darf die Ebenen von "Tatbestand" und Rechtsfolge nicht durcheinanderbringen. Ein BMW wird nicht dadurch zum Fiat, dass er langsam fährt und umgekehrt.
Das ist gar nicht so selbstverständlich, wie es klingt. Seit fünf Jahren wird der Kolumnist von "Empathie"-Fachleuten dafür beschimpft, dass er einmal in einer TV-Talkshow einer Ladeninhaberin, die von Trickdieben bestohlen worden war, mitteilte, es handle sich entgegen der notorischen Behauptung der Moderatorin nicht um "Ausrauben", sondern um Diebstahl, was ebenfalls schlimm, aber eben kein Raub sei. Wie kann man, so meinte des Volksempfindens Stimme, so herzlos sein! Das arme Opfer! Erst ausgeraubt und dann von Bundesrichtern verhöhnt! Es ist heutzutage verbreitet, (straf)rechtliche Sachverhalte nicht nur gefühlsmäßig aufzublasen, bis alles als gleich "entsetzlich", "unfassbar", "grauenhaft" und "traumatisierend" gilt, sondern auch die Sach- und Rechtsfragen selbst nur noch in einem Vokabular der Dauererregung darzustellen.
Das hat drei Motive und Effekte: Das Hineinsteigern in angeblich permanent hochtouriges Mitfühlen erzeugt ein angenehmes Gefühl des Dabeiseins und der Verbundenheit mit der Welt; die bloße Vorstellung von Opferleiden erlaubt durch Identifikation eine Strukturierung der Welt in fremde Aggression und eigene Opferstellung; schließlich schützt es davor, von Dritten wegen angeblichen Mangels an Emotionalität kritisiert zu werden. Es gilt daher weithin als ausgemacht, dass eine Leberkässemmel plus Salatblatt Begeisterung, jeder blöde Witz Freudentaumel und ein schiefer Blick eines Fremden tiefe Depression auslösen müssen.
Raub und Erpressung
Von Raub ist im Zusammenhang mit dem "Waldrambo" bei Polizei und Staatsanwaltschaft nicht die Rede, wohl aber von räuberischer Erpressung, sogar von schwerer. Was das ist, ist gar nicht so einfach zu verstehen; mit ein bisschen gesundem Menschenverstand kommt man da nicht sehr weit. Die meisten Bürger dürften diesen Tatbestand weder kennen noch seine vielfältigen Abgrenzungen, Varianten und Konsequenzen auch nur ansatzweise durchschauen. Das ist leider ein allgemeines, beklagenswertes Phänomen: Die Strafgesetze, die für alle gemacht sind und von allen befolgt werden sollen, sind vielfach so gemacht, dass sie von denen, die sie angehen, kaum verstanden werden (können).
Zunächst muss man klären, was "Erpressung" ist. Sie ist in § 253 StGB geregelt:
(1) Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt und dadurch dem Vermögen des Genötigten oder eines anderen Nachteil zufügt, um sich oder einen Dritten zu Unrecht zu bereichern, wird mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.
(2) Rechtswidrig ist die Tat, wenn die Anwendung der Gewalt oder die Androhung des Übels zu dem angestrebten Zweck als verwerflich anzusehen ist.
Wer den Tatbestand aufmerksam liest, stellt fest, dass es hier nicht um "bewegliche Sachen", sondern um "Vermögen des Geschädigten" geht. Das ist nicht dasselbe, obwohl Sachen ein Teil des Vermögens sein können. Das Vermögen umfasst "alle geldwerten Gegenstände", also auch Rechte, Forderungen, Chancen usw. – alles, was sich "zu Geld machen lässt und für das es einen Markt gibt. Daher nimmt der BGH (m.E. zu Unrecht) an, dass auch der unrechtmäßige Rauschgiftbesitz eines BTM-Dealers zu seinem "Vermögen" zählt. (Aber das ist Stoff für eine andere Kolumne.)
Die Tatmittel des § 253 sind "Gewalt" (auch gegen Sachen) und "Drohung mit einem empfindlichen Übel". Das kann alles sein, was irgendwie "unangenehm" ist und dem Opfer nicht ohne Weiteres zumutbar ist. Beispiele: (falsche) Strafanzeige, Offenbarung von Geheimnissen, arbeitsrechtliche Konsequenzen, Kündigung von Verträgen, usw. Der Unterschied zwischen Raub und Erpressung ist, schlicht gesagt: Beim Raub wird vom Täter eine Sache weggenommen; bei der Erpressung wird vom Opfer ein Vermögensgegenstand herausgegeben. Die einfache Erpressung liegt also näher beim Betrug (§ 263: Herausgabe aufgrund von Täuschung) als beim Diebstahl.
Nun kommt § 255 StGB ins Spiel:
Wird die Erpressung durch Gewalt gegen eine Person oder unter Anwendung von Drohungen mit gegenwärtiger Gefahr für Leib oder Leben begangen, so ist der Täter gleich einem Räuber zu bestrafen.
Das ist die sogenannte "räuberische Erpressung": Tatmittel sind hier die Mittel des § 249 (Gewalt gegen Personen oder Drohung mit Gefahr für Leib oder Leben). Dadurch wird die Tat zum Verbrechen; die Strafdrohung steigt von 1 Monat bis 5 Jahre auf 1 Jahr bis 15 Jahre. Und weil der räuberische Erpresser "gleich einem Räuber" bestraft wird, gelten für ihn auch alle Erschwerungs- und Milderungsgründe des Raub-Tatbestands.
§ 250 ("schwerer Raub") lautet:
(1) Auf Freiheitsstrafe nicht unter drei Jahren ist zu erkennen, wenn
1. der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
a) eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug bei sich führt,
b) sonst ein Werkzeug oder Mittel bei sich führt, um den Widerstand einer anderen Person durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt zu verhindern oder zu überwinden,
c) eine andere Person durch die Tat in die Gefahr einer schweren Gesundheitsschädigung bringt oder
2. der Täter den Raub als Mitglied einer Bande, die sich zur fortgesetzten Begehung von Raub oder Diebstahl verbunden hat, unter Mitwirkung eines anderen Bandenmitglieds begeht.
(2) Auf Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren ist zu erkennen, wenn der Täter oder ein anderer Beteiligter am Raub
1. bei der Tat eine Waffe oder ein anderes gefährliches Werkzeug verwendet,
2. in den Fällen des Absatzes 1 Nr. 2 eine Waffe bei sich führt oder
3. eine andere Person
a) bei der Tat körperlich schwer misshandelt oder
b) durch die Tat in die Gefahr des Todes bringt.
(3) In minder schweren Fällen der Absätze 1 und 2 ist die Strafe Freiheitsstrafe von einem Jahr bis zu zehn Jahren.
Ich weiß: Das ist etwas unübersichtlich und nicht wirklich unterhaltsam. Aber wer über Raub und schweren Raub mitreden will, muss es lesen und verstehen. Das ist am Ende nicht schwierig; ich empfehle daher dringend, die Vorschrift ein- bis dreimal in Ruhe zu lesen.
In den Absätzen (1) und (2) sind zwei verschiedene Strafrahmen (3 bis 15 und 5 bis 15 Jahre) aufgeführt; ihnen sind verschiedene Tatvarianten zugeordnet. Dazu muss man sich noch den "Grundtatbestand" des § 249 denken (s.o.) - mit seinem Rahmen von 1 bis 15 Jahre. Für alle Tatbestände gibt's auch "minder schwere Fälle" mit niedrigerer Strafe.
Anwendung
Sicher ist: Ein "Pistolenräuber", wie einzelne Medien ihn nannten, ist der Beschuldigte von Oppenau nicht. Er hat nämlich keinesfalls "geraubt", sondern allenfalls "erpresst": Er hat ja nicht selbst aktiv etwas "weggenommen", sondern die Polizisten gezwungen, etwas herauszugeben.
Eine "schwere räuberische Erpressung", wie sie nach Ansicht der Staatsanwaltschaft vorliegen soll, setzt eine Erpressung nach § 253 StGB (hier: mittels Drohung) voraus, die nach § 255 StGB in einer Form des § 250 ("schwerer Raub") durchgeführt wurde. In § 250 besteht zwischen Abs. 1 und Abs. 2 noch einmal ein Strafrahmen-Sprung (Mindeststrafe von 3 Jahre auf 5 Jahre). Deshalb wird in der Rechtsprechung der Fall des Abs. 2 "besonders schwerer Raub" genannt, um die beiden Varianten zu unterscheiden.
Im Rambo-Fall kommt § 250 Abs. 2 Nr. 1 (Verwenden einer Waffe oder eines gefährlichen Werkzeugs) in Betracht, wenn die Schreckschusswaffe geladen war, Abs. 1 Nr. 1b, wenn sie ungeladen war. Wenn sich das nicht klären lässt und Zweifel bleiben (in dubio), muss man von Letzterem ausgehen.
Voraussetzung ist aber immer, dass überhaupt eine "Erpressung" nach § 253 vorlag. Der Tatbestand ist insoweit erfüllt, als es die Nötigung (Drohung mit empfindlichem Übel) und das Vermögen (Dienstpistolen als "geldwerte Gegenstände") angeht. Sehr fraglich ist aber, ob der Täter zum Tatzeitpunkt beabsichtigte, die Waffen "sich zuzueignen". Er müsste die Tat daher gerade zu dem Zweck begangen haben, sich die Waffen zu besorgen. Dafür spricht ausgesprochen wenig. Er wollte fliehen, dazu musste er die vier Polizisten entwaffnen. Was er getan hat, würde in jedem Action-Film als lustiger Gag beklatscht werden: Vier "Cops" lächerlich machen und in den Wald jagen - extrem cool und witzig, meint dazu der Kinofreund in der Regel.
Das Entwaffnen unter Drohung mit der Schreckschusspistole war in jedem Fall eine Nötigung (§ 240 StGB): zwingen zu einer Handlung mittels Drohung mit einem empfindlichen Übel. Eine Erpressung war es aber nur, wenn der Täter schon bei der Drohung vorhatte, sich die Pistolen anzueignen. Wenn es ihm erst später einfiel, die mitzunehmen, lag bei der Drohungshandlung keine "Absicht" im Sinn von § 253 vor. Dann ist in diesem Fall nur eine "Unterschlagung" gegeben (§ 246 StGB), die wie ein einfacher Diebstahl bestraft wird. Also: Ohne Bereicherungsabsicht ist die Strafdrohung wesentlich (!) geringer als mit: 5 Tage Geldstrafe bis 5 Jahre Freiheitsstrafe einerseits; 5 bis 15 Jahre andererseits. Eine Menge Zeit, ein riesiger Unterschied, eine das ganze Leben bestimmende Abwägungsentscheidung, die in der Lebenswirklichkeit nur an einer winzigen Kleinigkeit hängt: In welcher Sekunde entstand bei Y. E. R. der Vorsatz, die Pistolen mitzunehmen?
Solche "Feinheiten", gern als "juristische Spitzfindigkeiten" verhöhnt, bestimmen die Realität des Strafverfahrens. Es kommt auf sie an - nicht weil Juristen zu dumm sind, Gefühle zu verstehen, oder zu kompliziert, um einfache Sachverhalte lebensnah zu denken. Sondern weil es in der unendlichen Vielzahl von Fallkonstellationen des Lebens eindeutige, klare Grenzen geben muss: Es ist entweder Sonntag oder Montag, entweder Tee oder Kaffee, entweder Erpressung oder Unterschlagung. Erst wenn man das geklärt hat, kann man mit dem Jammern und Klagen und Empören beginnen. Nicht umgekehrt.
Mal schauen, was die Staatsanwaltschaft und die Polizei in Offenburg noch alles "mit Hochdruck" ermitteln! Und was dann rauskommt.