(Musikalisches Gegengift heute: M.I.A. mit Borders")
Liebes Tagebuch,
Entschuldige bitte, dass ich erst heute dazu komme über meine letzten Abenteuer zu schreiben, es ist zuletzt so viel passiert. Z.B. war ich mal wieder beim König, der hat zwar weder ein Schloss, noch ein Königreich, aber dafür umgibt er sich mit vielen Gauklern und Scharlatanen, die dem König nach dem Mund reden. Wenn ich einmal groß bin, möchte ich auch ein König sein.
Am Freitag war ich wieder vorm Reichstag, mein Freund Anselm hat nämlich schon wieder zu einer verfassungsgebenden Versammlung aufgerufen. Komisch, andere Freunde von mir, Olaf Sundermeyer vom RBB oder Fuad Musa wollten gar nicht mit mir sprechen. Das verstehe ich nicht, dabei hatte ich mir extra eine Maske aufgesetzt. „Also, Herr Sundermeyer, Experte für Rassismus, möchte nicht mit einem Rassisten sprechen.“ Der Ulli Gellermann hat mir sogar ein „Verpiss dich!“ entgegen gebrüllt, aber ich habe mir natürlich nicht anmerken lassen, wie sehr mich das gekränkt hat.
Der Michi Ohneball hat mich mit Handschlag begrüßt. Klaro, seine „Distanzierung“ war natürlich nur ein großer Quatsch. Mensch, was haben wir gelacht. Der Hendrik Sodenkamp hat mich rechts stehen lassen, einfach so, als ich ihn fragte, ob ich auch eine Rede halten könnte.
Bei Minute 9:10, das war schon peinlich, da kommt eine ältliche Frau auf mich zu, gibt mir die Hand und gibt mir gleichzeitig ein wenig Geld, ein „goldener Handschlag,“ das hat glaube ich aber niemand gesehen. Zum Glück hat es ihr gereicht, dass ich kurz mit ihr Rede, nichts von Bedeutung natürlich, die übliche abgestandene Luft, aber das hat sie gar nicht gemerkt.
Dann nimmt die bis dahin doch rechts fade Veranstaltung langsam Fahrt auf, Fuad disst Michi, ich wanze mich natürlich dran. Leider verplapper ich mich mal wieder, ich war aber auch furchtbar stolz, dass ich erkannt und angesprochen werde, und sage, dass die letzte Hausdurchsuchung nur ein Fake war. Inzwischen weiß ich selber nicht mehr, ob ich mir das ausgedacht habe oder ob es tatsächlich eine Hausdurchsuchung gab. Zwischendurch rette ich „Herrn Musa“ das Leben, der sich, da kommt sein südländisch-migrantisches Temperament zum Vorschein, partout nicht anfassen lassen will, ich habe da ja weniger Probleme, mich kann jeder anfassen, der will, macht nur niemand, aber das bleibt unter uns.
Zwischendurch stellte ich mich neben ein richtiges Kamerateam, ich hatte zwar keine Ahnung, um was es gerade ging, aber das ist auch egal.
Dann kommt endlich Anselm, auf dessen Scheitel ich schon ein wenig neidisch bin. Von dem, was er sagt, habe ich wie immer nichts verstanden, es war viel die Rede vom Grundgesetz; wieso muss er immer so reden, als wäre er eine Mischung aus einem arbeitslosen McKinsey-Berater und einem Theaterwissenschaftler, der sich an einem Text von Antoine Artaud verschluckt hat? Dass hinter ihm ein Plakat mit „Gib Rassismus keine Chance“ hing, hat er bestimmt nur gemacht, um mich zu ärgern! Auf mein „Das war jetzt zu kompliziert“ hat er leider nicht reagiert, vielmehr hat er wieder und wieder von Akklamation gesprochen, menno!
Was ich dir, liebes Tagebuch nicht verschweigen möchte: ich hatte wieder einen der unvermittelt einsetzenden Anfälle. Anselm sedierte mit seiner Rede gerade die Anwesenden und sprach von „Bundesbürgerinnen und Bundesbürgern und auch aller befreundeten anwesenden Leute anderer Nationalitäten,“ da konnte ich nicht anders, es wollte einfach heraus „Ich glaube, damit meint er die Zigeuner, die hier rumrennen die ganze Zeit und hier die Zeitungen verkaufen wollen, aber so befreundet sind die nicht immer unbedingt, manchmal klauen die auch, nicht alle.“ Und als Anselm vom Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, was ich ja schon lange praktiziere, sprach, da meinte er doch, dass er gegen Beschneidungen ist, oder sollte ich mich schon wieder geirrt haben? „Er ist ja energisch gegen Beschneidung! Löblich!“
Während eine Anke Wolf, ich mag ihren Nachnamen, der erinnert mich an so schöne Sachen wie die Wolfsschanze oder den Werwolf, von der Bühne eine „demokratische Gewerkschaft“ ausruft und rhetorisch nach den sechs Millionen Mitgliedern des DGB fragt, frage ich mich natürlich „Tja, wo sind die 6 Millionen???“ Da ich noch immer eine feige und rückratlose Sau bin, brülle ich das natürlich nicht heraus, sondern blende es nur in meinem Video ein.
Bei Minute 34:40 bekommt Hendrik eine verbalisierte Ohrfeige von einem eloquenten Cop, der auf Abstandsregeln hinweist, Lydia versucht mir derweil Crystal zu verticken. Da mir mein schlesisch-ostpreussisch-pommerscher Opa einen lebenslangen Vorrat an Pervitin hinterlassen hat, lehne ich dankend ab, auch wenn mich ihr Geruch immer an Opas alte Socken erinnert.
Michi wird von einem „Systemknecht“ befragt, wieso er sich nicht nachhaltig von Rechten distanziert und es fortwährend nur bei Lippenbekenntnissen belässt. O-Ton Michi „Also ich frage jetzt mal andersrum. Was möchten Sie denn mit den [rechten] Kräften machen, möchten Sie die in einen Bus stecken und deportieren, oder was würden Sie vorschlagen?“ Das ist mein Mann! Mir wird diese Debatte aber schnell zu langweilig, zumal mich mal wieder niemand gefragt hat; Frechheit!
Lydia hat inzwischen ihren Stoff, den sie mir eben noch verkaufen wollte, schnell selber eingeworfen und raunzt Gellermann an, der auf der Bühne steht. Ganz uncharmant sagt Uli „Kann mal einer diese Kröte [Lydia], die da immer quäkt, ausschalten?“
Dann, mir wäre beinah der Kopf geplatzt, aber zum Glück nur beinah, so das es den Anwesenden erspart blieb, zu sehen, dass ich außer Grütze nichts in diesem herumtrage, dann zeigt der Gellermann doch tatsächlich ein Logo für die zu initiierenden Gespräche über die Neugestaltung der sog. „Volksverfassungversammlung“ und... was soll ich sagen. Es besteht aus drei v-förmigen Winkeln, widerlich, die Verbrecher von den Verbrechenserfindern des VVN-BdA haben auch einen Winkel, IN ROT!
Bei Minute 45 quatscht mich Lydia mit ihren Psychosen voll und beantwortet mir Fragen, die ich gar nicht gestellt habe und faselt wirr vor sich hin. Ich hoffe, sie hat mein Desinteresse nicht gemerkt, wer weiß wozu ich sie mal noch gebrauchen kann.
Bei Minute 48 verabschiede ich mich, was aber natürlich kein Grund ist, das Video nicht doch noch fortzusetzen. Wie du, mein liebes Tagebuch, ja weißt, sind meine Fans so anspruchslos, dass sie sich an so etwas nicht stören, die meisten werden es nicht einmal bemerken.
Anselm verteilt bei Auflösung der Veranstaltung Fahnen, ich schnappe mir eine Regenbogenflagge, Opa wäre Stolz auf mich! Dann treffe ich endlich mal wieder meinen alten Lieblingsfreind Dennis, der sich als 1990er Berlin-Marzahner-Neonazi verkleidet hat, er schenkt mir eine Hugo-BoSS-Hose, was nett von ihm ist, so muss ich mich nicht durch die örtlichen Kleidercontainer wühlen. Auf meine Nachfrage, wie es ihm geht und ob sich seit unserem letzten Interview viele Frauen bei ihm gemeldet haben, sagt er nur mit grimassierendem Gesicht „Naja, wenn man das als Frauen bezeichnen möchte.“
Der Dingo ist schon ein Schlingel, da trägt ein Teilnehmer einen Pullover mit dem Druck „Pedophile Lives dont matter“ und er ergänzt „Wobei ich würde da noch ein paar andere Worte oben drüber schreiben, aber darf ich nicht genau sagen, welche Worte. Zuviel Wahrheit bringt Gefängnis.“ Hihi.
Dingo fordert mich im Armdrücken heraus, im Arm heben sind wir ja beide schon Weltmeister, ich strenge mich ganz doll an, schließlich geht es um 10,- Euro, und gewinne natürlich, haushoch! Das ist mal eine Geschäftsidee, ich bin brillant, mindestens!, und schnappe mir direkt den nächsten Kandidaten und gewinne natürlich gegen den jugendlichen Hänfling, schon wieder 10,- Euro verdient! Ich bin ganz aufgeregt, stelle mir vor, dass alle Menschen nur wegen mir hier sind und erklären unaufgefordert allen Anwesenden, dass die Volkskraftwochen weltweit stattfinden und für „alle Arier, alle echten Arier und Ehrenarier können mitmachen.“ Auch den dritten Kandidaten mache ich platt, schon wieder 10,- Euro gewonnen, ich sollte das hauptberuflich machen! Komisch, Anselm will nicht mit mir Armdrücken, naja, er ist bestimmt auch kein Arier, echter Arier oder wenigstens Ehrenarier.
Und dann war der Spaß auch schon wieder vorbei und ich musste leider wieder nach Hause, also zu den offenen Rechnungen, Mahnungen und dem Unrat in meiner Bruchbude.