Das stell' ich jetzt mal hier ein, obwohl die Schlußfolgerung beim Leererlein nichts bewirken wird.
Aber dann einfach so. Als Gegenentwurf.
ist das Bollwerk gegen Radikalisierung, meiner Meinung nach. Gerade, weil es auch um Geschichte geht.
Was ist da los? Als ich Anfang der 80er angefangen habe zu studieren, habe ich mir natürlich als erstes ein Studentenabo gekrallt. Ok, es war nicht die FAZ, sondern ein weiter südlich angesiedeltes Blatt...
Zugegeben, es gab noch ein Inet, aber die Prozentzahlen sind dann doch alarmierend, finde ich!
Die Erkenntnisse könnte man auch anhand des Wissens über den Nationalsozialismus haben.
Spoiler
STUDENTISCHES WISSEN ÜBER DDR :
Meinungsstark und kenntnisarm
VON KLAUS SCHROEDER -AKTUALISIERT AM 10.05.2018-12:47
Viele Studenten geben sich meinungsfreudig und gesellschaftskritisch. Doch über die DDR und den Sozialstaat fehlt ihnen etwas Entscheidendes – ausreichendes Wissen.
Studenten, zumal der Politikwissenschaft, geben sich zumeist meinungsfreudig und gesellschaftskritisch. Doch worauf basieren ihre Urteile? Diese Frage stellt sich mir seit unseren Befragungen von Schülern über ihre zeitgeschichtlichen Kenntnisse und Urteile. In zwei Proseminaren mit etwa 40 Teilnehmern pro Seminar über Geschichte und Strukturen der DDR sowie Geschichte und Strukturen des Sozialstaates habe ich die Studenten in den letzten vier Semestern erst zu ihren Urteilen und eine Woche später über ihre Kenntnisse befragt. In der ersten Sitzung bat ich sie, ihre Assoziationen und Urteile über das Thema des Seminars abzugeben, und in der zweiten Sitzung verteilte ich – ohne Vorankündigung – einen Fragebogen, den die Studenten ohne Namensnennung ausfüllten, um nicht den Eindruck zu erwecken, die Ergebnisse der Befragung würden in die Prüfungsnote eingehen. Sie sollten auch eine Antwort geben, wenn sie sich nicht sicher waren.
Die häufigsten Assoziationen zur DDR waren in beiden Seminaren: Stasi, Mauer, Sozialpolitik, soziale Gerechtigkeit und Sozialismus. Die SED als den entscheidenden Faktor für die Entwicklung und Prägung der DDR nannten nur wenige. Das Verhältnis SED zu Stasi fiel bei den Antworten in etwa 1:15 aus. Diese Tendenz hat sich im zweiten Seminar über die DDR noch verstärkt: Jetzt wurde die SED nur einmal genannt, während nahezu alle die Stasi unter den gewünschten drei Assoziationen/Charakterisierungen aufführten. Als Diktatur, geschweige denn als sozialistische Diktatur, kennzeichneten die DDR nur sehr wenige befragte Studenten.
Die in der zweiten Sitzung gestellten 13 Fragen zum politischen, wirtschaftlichen und sozialen System und zum Alltag wurden durchschnittlich zu etwa einem Drittel richtig beantwortet. In beiden Seminaren wussten nur 17 Prozent, dass es in der DDR bis 1987 die Todesstrafe gab, und nur etwas mehr als ein Viertel vermutete zu Recht, mindestens tausend Menschen seien dem DDR-Grenzregime insgesamt zum Opfer gefallen. Wie viele Wohnungen 1981 eine Innentoilette hatten – 60 Prozent – wusste oder ahnte ein gutes Drittel. Den geringen Anteil von Telefonen in Privathaushalten – 16 Prozent – konnten sich nur sechs Prozent vorstellen. Die Höhe der Rente und die Ungleichverteilung der Vermögen waren den meisten auch nicht bekannt. Sie glaubten mehrheitlich, die durchschnittliche Altersrente habe 1988 mindestens 680 DDR-Mark betragen, tatsächlich waren es 480 DDR-Mark. Nicht einmal jeder Dritte gab an, dass die reichsten zehn Prozent der Kontoinhaber 60 Prozent des Geldvermögens besaßen. Dass die Produktivität der zentralistischen Planwirtschaft im Vergleich zur sozialen Marktwirtschaft nur etwa 30 Prozent erreichte, wussten immerhin 40 Prozent der Befragten.
Die Stasi ist der Sündenbock, die SED existierte nicht
Auf Basis des mangelhaften Wissens konstruierte sich eine breite Mehrheit der Studenten eine DDR, wie sie nie existierte. In der anschließenden Diskussion zeigte sich, dass die überwiegende Mehrzahl zwar keine Sympathien für die DDR hatte, sie aber auf Stasi, Mauer und (vermeintliche) soziale Gerechtigkeit reduzierte und den Diktaturcharakter ausblendete. Die DDR erschien ihnen als Stasi-Staat und nicht als SED-Staat. Das kann sich die umbenannte SED – die Linke – als geschichtspolitischen Erfolg anrechnen lassen: Sündenbock ist die Stasi, die SED existierte überhaupt nicht bzw. war eine „normale“ Partei neben anderen.
Die Charakterisierung des Sozialstaates verlief in beiden Seminaren ähnlich: Er sei finanziell nicht gut ausgestattet, solle sozial absichern, was ihm aber immer weniger gelinge, da er ja schon seit Jahren abgebaut werde. Er müsse dringend reformiert werden, um seine Aufgabe – soziale Absicherung und Herstellung sozialer Gerechtigkeit – erfüllen zu können. Zusammengefasst: Der Sozialstaat ist wichtig und sollte stark ausgebaut werden; sein derzeitiger Zustand in Zeiten des Neoliberalismus sei aber erbarmungswürdig. Neoliberalismus ist inzwischen für nahezu alle Studenten kein ökonomischer Begriff, sondern eine politisch-ideologische Kampfformel: Der Profit bedeute alles, der Mensch hingegen nichts.
Angesichts der seit Jahren zu beobachtenden breiten Diskussion über Sozialpolitik, soziale Gerechtigkeit und Ähnliches erwartete ich bei diesem Themenkomplex einen vergleichsweise hohen Kenntnisstand. Schon bei den Antworten auf die ersten beiden Fragen – wie viel Geld wird insgesamt für den Sozialstaat jährlich ausgegeben und wie hoch liegt die Sozialleistungsquote – zeigte sich aber, dass die befragten Studenten offenbar in einem anderen Land und nicht in Deutschland leben. Nur fünf Befragte gaben einen dreistelligen Milliardenbetrag an (120, 350 und 750 Milliarden Euro). Die meisten votierten für einen einstelligen Milliardenbereich, etwa ein Drittel vermutete einen Betrag im zwei- oder dreistelligen Millionenbereich. Als ich bei der Auflösung der Fragen die tatsächliche Höhe – etwa 900 Milliarden Euro – nannte, erntete ich ungläubiges Staunen. Ein analoges Fehlurteil erbrachten die Antworten auf die Höhe der Sozialleistungsquote. Die Mehrzahl schätzte den Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt (BIP) auf höchstens 20 Prozent. Tatsächlich sind es knapp 30 Prozent. Die größte Überraschung zeigten die Antworten auf die Frage, wer den Sozialstaat finanziert. Eine breite Mehrheit nannte die versicherten Arbeitnehmer und/oder den Staat, nur drei wussten, dass die Arbeitgeber ebenfalls – und zwar mit dem höchsten Anteil – den Sozialstaat finanzieren.
Verteilung des Reichtums wird in Breite und Höhe überschätzt
Weitere Fragen bezogen sich auf die Themenfelder Armut/Hartz IV sowie Reichtum und Vermögen. Die Hartz-IV-Bezüge inklusive Miete wurden mit durchschnittlich genannten circa 400 Euro ebenso unterschätzt wie der Grenzwert für die Armutsgefährdung. Eine breite Mehrheit gab bis zu 800 Euro an. Dass es etwa 1000 Euro sind, wussten nur vier Befragte. Wer zu den obersten zehn Prozent der Einkommensbezieher gehört, muss nach Meinung einer absoluten Mehrheit 10.000 Euro und mehr netto im Monat zur Verfügung haben. Damit aber gehört man zu weniger als 1 Prozent. Die Verteilung des Reichtums wird in der Breite und in der Höhe überschätzt. Abschließend sollte anhand von fünf Schaubildern die materielle Ungleichheit in Deutschland eingeschätzt werden. Die meisten tippten auf eine breite Unterschicht und einen pyramidenförmigen Aufbau. Die tatsächliche Verteilung weist jedoch einen breiten Mittelschichtsbauch auf. Selbstverständlich kann man den Sozialstaat als unzureichend einschätzen, aber es sollten zumindest seine Leistungen bekannt sein. Das war bei den Studenten jedoch nicht der Fall. Dennoch gaben sie ein dezidiertes – überwiegend negatives – Urteil ab und forderten eine weitreichende Reform des Sozialstaates.
Neben den Ergebnissen dieser Befragungen zeigt sich in Seminaren immer wieder, dass viele Studenten ein pessimistisches Bild von der Welt im Allgemeinen und speziell von der Bundesrepublik haben. Um diese Meinung zu überprüfen, habe ich den Rosling-Test durchgeführt, den der kürzlich verstorbene Professor für internationale Gesundheit, Hans Rosling, vor einigen Jahren entwickelte. Dabei geht es um zentrale Entwicklungen wie der durchschnittlichen Geburtenzahl, die Alphabetisierung oder die Lebenserwartung. Die Antworten der Studenten habe ich den in einer Repräsentativumfrage für die Bundesrepublik ermittelten Zahlen gegenübergestellt. Dabei stellte sich heraus, dass der in großen Teilen der Bevölkerung vorhandene pessimistische Blick auf die Welt von ihnen noch deutlich übertroffen wurde. Bei der 2014 von der Zeitschrift „Spiegel“ in Auftrag gegebenen Umfrage gaben 30 Prozent korrekte Antworten, bei den Studenten waren es in einem Seminar 21 Prozent, in dem anderen sogar nur 18 Prozent. Die größten Diskrepanzen gab es bei den Fragen nach der weltweiten Alphabetisierungsrate Erwachsener, die 80 Prozent beträgt (Antworten der Bevölkerung: 28 Prozent; Studenten: 17 Prozent), dem Schulbesuch von Mädchen/Frauen von mindestens 7 Jahren (Bevölkerung: 44 Prozent; Studenten: 11 Prozent) sowie der Entwicklung der weltweiten absoluten Armut, die sich seit 1990 fast halbiert hat (die Frage wurde in der bundesweiten Erhebung nicht gestellt; Studenten: 22 Prozent). Bei den überaus sachlichen Diskussionen nach Auflösung der Befragungen erläuterten viele Studenten, in der Schule sei ihnen kein hinreichendes Wissen vermittelt worden, sondern es hätten weitgehend kenntnisfreie Einschätzungen – der DDR, des Sozialstaates, der Welt im Allgemeinen – im Vordergrund gestanden. Auf Nachfrage stellte sich zudem heraus, dass nur eine Handvoll Studenten regelmäßig seriöse Tageszeitungen oder Zeitschriften liest. Nach eigenen Angaben beziehen sie ihr Wissen aus dem Internet und Gesprächen mit Freunden.
Gefragt habe ich – das möchte ich hier ausdrücklich erwähnen – nicht, um bestätigt zu bekommen, was ich ohnehin vermutet hatte und seit Jahrzehnten in vielen Proseminaren erlebe, sondern um Studenten aufgrund zu ermuntern, sich ausreichend Wissen anzueignen, bevor sie Urteile abgeben. Für zukünftig als Geschichts- oder Sozialkundelehrer, im politischen Raum oder in der Weiterbildung Tätige sollte das selbstverständlich sein. Unerwähnt soll auch nicht bleiben, dass eine Minderheit der Studenten auf Kenntnissen basierende Urteile abgab und sie argumentativ gut vertreten konnte.
Der Autor leitet den Forschungsverbund SED-Staat der Freien Universität Berlin, sowie die Arbeitsstelle Politik und Technik des Otto-Suhr-Instituts.