Ach, Kinder.
Ihr habt alle Recht.
Das
@SchlafSchaf hat Recht damit, dass ein nicht rechtskräftiges Urteil von der Justiz (bzw. vom Staat allgemein) ignoriert wird. Wegen der Unschuldsvermutung und weil der Prozess bis zur Rechtskraft des Urteils nicht abgeschlossen ist. Das ergibt sich für die Berufung insbesondere aus
§ 316 Abs. 1 StPO, für die Revision steht das gleiche nochmal in
§ 343 Abs. 1 StPO. Der ursprüngliche Strafbefehl konnte aufgrund
§ 410 Abs. 3 StPO nicht rechtskräftig werden. Der Staat betrachtet in seinem Verhältnis zum einzelnen Bürger den Bürger deshalb und wegen der Unschuldsvermutung (
Art. 6 Abs. 2 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK)) als "nicht verurteilt" an.
Funfact am Rande
Das mit der Unschuldsvermutung steht explizit tatsächlich nur in der EMRK. Für unsere Verfassung können wir nur behaupten, dass die Unschuldsvermutung essentieller Bestandteil von Art. 20 Abs. 3 GG, dem Rechtsstaatsprinzip, ist. Das ist zwar richtig, aber etwas apodiktisch und das ist schlechter Stil.
Dieses besondere "nicht rechtskräftig verurteilt" lässt sich übrigens auch an anderer Stelle ablesen: Dem Gesetz über das Zentralregister und das Erziehungsregister (Bundeszentralregistergesetz - BZRG). Das legt nämlich in
§ 3 Nr. 1 BZRG fest, dass "strafgerichtliche Verurteilungen" ins Register eingetragen werden und unter der Überschrift
"Verurteilungen" in § 4 Hs 1 BZRG steht dann etwas von "rechtskräftigen Entscheidungen". Der Staat sieht seinen Bürger erst als verurteilt an, wenn er rechtskräftig verurteilt ist.
Auftritt Volksnikki.

Hallo Freunde! Seht Ihr? Ich bin nicht verurteilt! Ich darf nicht sagen, weswegen ich nicht verurteilt wurde, weil dann würde ich ganz sicher verurteilt, aber ich bin nicht verurteilt.
Läuft jemandem hinterher und ruft begeistert: Nicht verurteilt!
Dreht sich in die Kamera, achtet darauf, dass sein Mikro gut sichtbar ist. Nicht verurteilt, Freunde! Da haben wir es den Un-Rechten mal wieder so richtig gezeigt!
Jaja. Geh im Bunker spielen.

Wohlan! (ab)
Bisher hatte aber nur das
@SchlafSchaf Recht und ich hatte ja versprochen, dass der
@Volksleerer auch Recht haben darf. Also weiter im Text. Jetzt kommt nämlich das mit der Meinungsfreiheit.

Meinungsfreiheit? Die gibt es hier in der BRD, im freiesten Deutschland aller Zeiten gar nicht. Wenn es die gäbe, dann wäre ich nicht veurteilt worden. Aber das bin ich ja auch gar nicht, Freunde, erinnert Ihr euch? Nicht verurteilt!
Der Bunker, Volkshopser. (Hopser ab)
Also, Meinungsfreiheit. Wenn der
@Volksleerer über den _Volkslehrer sagt, letzterer sei wegen Volksverhetzung verurteilt, dann wird's ein bisschen kompliziert. Denn wenn jemand wegen Holocaustleugnung (= Volksverhetzung) verurteilt ist, dann ist das etwas, was in unserer Gesellschaft nicht gerne gesehen wird. Deswegen wird es ja auch bestraft. Außerdem machen das mit der Holocaustleugnung vor allem schlechte Menschen. Man könnte schon sagen, wenn jemand über jemand anderen sagt, dieser sei wegen Holocaustleugnung verurteilt, dann ist das geeignet, diesen verächtlich zu machen oder in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Und schon sind wir im Bereich des
§ 186 StGB, Üble Nachrede. Und wenn das mit der Verurteilung gar nicht stimmt und derjenige, der davon redet, das sogar weiß, sogar im Bereich der
§ 187 StGB, Verleumdung.

Anzeige! Anzeige! Ich will den anzeigen! Der hat gesagt, dass ich verurteilt bin, aber das ist noch gar nicht rechtskräftig! Deshalb will ich den jetzt anzeigen! Nicht rechtskräftig! Also, meine Verurteilung. Nicht meine Anzeige!
Hopser! Bunker! Jetzt! (Hopser ab)
Der
@Volksleerer hat schon das böse Wort "Tatsachenbehauptung" in den Mund genommen. Darum geht es nämlich in §§ 186 f. StGB. Tatsachen sind in dieser Beziehung übrigens das Gegenteil von Meinungen. Tatsachen kann man nämlich beweisen (draußen ist es 30 Grad warm), Meinungen nicht (draußen ist schönes Wetter). Jetzt spricht Art. 5 GG aber von "Meinungsfreiheit" und nicht von "Tatsachenbehauptungsfreiheit". Also müssen wir ein bisschen Jura machen (aber nur ein bisschen).
Obwohl sie nämlich das Gegenteil von Meinungen sind, werden auch Tatsachenbehauptungen von der Meinungsfreiheit geschützt. Zum Beispiel dann, wenn sie als Grundlage dienen, eine Meinung zu bilden. Wenn es darum geht, ob das Wetter schön ist, dann fällt auch die Info, dass es 30 Grad warm ist, unter die Meinungsfreiheit. Und die Tatsache, ob er verurteilt ist oder nicht, ist vielleicht nicht ganz unwichtig für die Frage, ob der Obersturmbannleerer ein schlechter Mensch ist. Sagen wir also der Einfachheit halber, dass die Behauptung, der Möchtegerntänzer sei verurteilt, erstmal unter die Meinungsfreiheit fällt.
Jetzt wissen wir alle, dass Grundrechte (auch die Meinungsfreiheit) einschränkbar ist. Deswegen ja auch das mit Nikolais noch-nicht-rechtskräftiger Verurteilung. Konkret sagt
Art. 5 Abs. 2 GG uns, dass man die Meinungsfreiheit einschränken kann, wenn es um den Schutz der Jugend oder den Schutz der persönlichen Ehre geht oder man ein allgemeines Gesetz dafür hat. Das einzig Jugendliche am Volkshopser ist sein schlichtes Gemüt und für diesen Vergleich muss ich mich jetzt in aller Form bei allen Jugendlichen älter als vier Jahre, entschuldigen. Also fällt das schonmal flach. Bleiben noch der Ehrschutz und das allgemeine Gesetz. Das mit dem Ehrschutz könnte klappen, wobei wir dann das Problem haben, dass wir uns schon fragen müssen, ob so einer wie Nikolai überhaupt einen Funken Ehre im Leib hätte, den man schützen könnte. Oder wir nehmen einfach das allgemeine Gesetz, das klappt auf jeden Fall. Allgemeines Gesetz heißt, dass es sich nicht gegen eine bestimmte Meinung richten darf (Ausnahme: Holocaustleugnung, aber das klären wir dann nach Rechtskraft der Verurteilung, okay?). Passt, denn es geht ja bei übler Nachrede und Verleumdung darum, irgendwas zu sagen, was nicht stimmt und nicht darum, irgendwas bestimmtes zu sagen.
Sieht bislang wirklich schlecht aus für den geschätzten Mitforisten. Warum erzähle ich das alles, wenn ich ihm doch eigentlich Recht geben wollte? Ganz einfach, weil es hier ja noch nicht aufhört.
Die Gerichte müssen, wenn sie die Gesetze (also zum Beispiel §§ 186 f. StGB) anwenden, die Grundrechte beachten. Also zum Beispiel die Meinungsfreiheit des geschätzten Mitforisten. Das führt bei der Einschränkung der Meinungsfreiheit dazu, dass es etwas gibt, was man als "Wechselwirkungslehre" bezeichnet. Das bedeutet, dass die Meinungsfreiheit mit dem Gesetz, das sie einschränkt, in Wechselwirkung tritt und im Rahmen dieser Wechselwirkung nun selbst das Gesetz wieder einschränkt. Knapp zusammengefasst: Ein Gesetz, das die Meinungsfreiheit einschränkt, muss selbst möglichst meinungsfreiheitsfreundlich sein bzw. ausgelegt werden. Das ist der Teil mit dem freiesten Deutschland, das es je gab. In der Praxis führt die Wechselwirkungslehre dazu, dass man nur dann verurteilen kann, wenn ausschließlich etwas verurteilenswertes mit einer Aussage gemeint sein kann.
Funfact am Rande
Es gibt dazu wirklich lesenswerte Rechtsprechung zur Beleidigung von Polizisten. So sind Leute schon damit durchgekommen, Polizisten bei der Geschwindigkeitskontrolle am Fahrbahnrand als "Wegelagerer" zu bezeichnen oder Polizisten in damals noch grüner Uniform in Waldnähe mit "Herr Oberförster" anzureden. Eine andere Entscheidung hat sich in den Gründen ausführlich damit auseinander gesetzt, welche besonderen und geschätzten Qualitäten den "Bullen" aus der Masse der gewöhnlichen Rindviecher herausheben, usw. usf.
Das bedeutet, dass wir die Aussage des geschätzten Mitforisten nicht scheuklappenbesetzt buchstabengetreu verstehen dürfen. Wir dürfen nicht einfach sagen "Ja, aber wegen der Unschuldsvermutung und der StPO ist der Hopser ja technisch gesehen gar nicht strafrechtlich verurteilt." Sondern wir müssen seine Aussage auslegen und uns damit beschäftigen, was er denn eigentlich gemeint hat. Und gemeint hat er, das lasen wir hier zur Genüge: "Der Antänzer, der stand mal vor Gericht und das Gericht hat über ihn gesagt: 'Der Angeklagte wird wegen Volksverhetzung verurteilt.' Die haben das sogar aufgeschrieben, in ein Urteil." Und wenn ein Gericht sagt, dass jemand verurteilt wird, dann kann man schon sagen, dass der danach verurteilt (worden) ist.
Der Umstand, dass die Verurteilung nicht rechtskräftig ist und für den Leerer weiterhin die Unschuldsvermutung streitet, steht dieser wahren Tatsachenbehauptung nicht entgegen.
So ist es nämlich. Und deshalb hat auch der Kollege Volksleerer (nur
@echt? mit 2 e!) Recht.
Jedenfalls fast.
Die Unschuldsvermutung (...) bindet allerdings nur den Staat und die Presse (...).
Das kann ich so nicht stehen lassen. Natürlich bindet die Unschuldsvermutung als solche nur den Staat. Alles andere macht keinen Sinn. Die Presse verpflichtet sich zwar, dem Rechnung zu tragen (vergleiche den Pressekodex), aber das kommt von der Presse selbst und nicht vom Gesetzgeber. Ist auch gut so. Und auch die Presse darf deutlich machen, dass sie glaubt, dass an der Schuld einer Person durchaus "etwas dran ist". Das nennt sich dann "Verdachtsberichterstattung". Im Prinzip folgt es den gleichen Mustern wie ich sie in Bezug auf den geschätzten Kollegen und seine Auffassung zum Verurteilungsstatus des Antänzers geschildert habe. Der Unterschied liegt darin, dass eine Presseberichterstattung ungleich schwerer wiegt als ein Foren-Beitrag. Deshalb muss man da insbesondere hinsichtlich der Folgen des Betroffenen nochmal etwas genauer hinschauen und kommt dann manchmal zu einem anderen Ergebnis. Aber nicht immer.
Die Presse dürfte z.B. über den Attentäter von Halle als "den Schützen von Halle" schreiben. "Der mutmaßliche Schütze von Halle", wo es doch ausreichend Videobeweis gibt, wäre auch reichlich lächerlich.
Und Lächerlichkeit ist nun wirklich nicht das, was Gesetze bezwecken.

Und jetzt habt Euch alle lieb. Danke.