Spoiler
Jeder Präsident der Vereinigten Staaten hebt bei seinem Amtsantritt die Hand zum Schwur und erklärt, dass er die Verfassung der Vereinigten Staaten „beschützen und verteidigen“ werde; auch Donald Trump hat diesen Eid geschworen. In einem Interview, das am Abend des 12. Juni 2019 vom Fernsehsender ABC ausgestrahlt wurde, hat Präsident Trump aber gesagt, dass er im kommenden Wahlkampf gegen die amerikanischen Gesetze verstoßen werde, wenn sich ihm die Gelegenheit biete.
Genauer gesagt äußerte Trump in einem Interview mit dem ABC-Journalisten George Stephanopoulos, dass er, wenn im Wahlkampf 2020 ein Ausländer auf ihn zukäme, um ihm schmutzige Geheimnisse über einen Kontrahenten zu verraten, nichts gegen diese Wahlkampfhilfe einzuwenden hätte. Trump erklärte wörtlich: „Das ist keine Einmischung. Es ist eine Information. Ich denke, ich würde sie annehmen.“
Der Präsident sprach von dem hypothetischen Fall, dass „jemand kommt und sagt: Hey, ich habe Informationen über deinen Gegenspieler. Ruft man dann das FBI an? Ich glaube, ich habe in meinem Leben noch nie das FBI angerufen. Hör auf, so funktioniert das Leben nicht.“
Als Stephanopoulos den Präsidenten darauf hinwies, dass Christopher Wray – der von Trump eingesetzte Direktor des FBI – deutlich erklärt habe, dass ein solches Vorgehen ungesetzlich ist, reagierte er mit dem kurzen Satz: „Der FBI-Direktor hat unrecht.“ Trump fügte hinzu: „Wenn jemand aus einem Land – aus Norwegen – anruft und sagt, ich habe Informationen über deinen Gegenspieler … oh, ich glaube, ich würde das hören wollen.“
Die Gesetzeslage ist jedoch sehr klar. In Kapitel 52 des amerikanischen Strafgesetzbuches steht unter Paragraf 30121: „Es ist illegal, wenn ein ausländischer Staatsbürger direkt oder indirekt einen Beitrag oder eine Spende von Geld oder Geldwertem … im Zusammenhang mit einer Bundes-, Staats- oder örtlichen Wahl macht“; und es sei ungesetzlich für eine Person, um eine solche Spende von einem Ausländer „zu bitten, sie anzunehmen oder zu akzeptieren“.
Nixon hat nichts getan, was in die Nähe dessen käme
Das Entscheidende ist hierbei, dass nicht nur die Annahme von Geld, sondern auch von anderen Gütern, die Geldwert haben, verboten ist. „Oppo research“, also das Sammeln von Informationen über politische Gegenspieler, gehört in den Vereinigten Staaten zum Wahlkampf dazu. Und diese „oppo research“ wird mit baren Dollars bezahlt: Es gibt eigene Firmen, die sich auf dieses Feld spezialisiert haben.
Noch einmal zum Verständnis: Der amerikanische Präsident hat öffentlich seine Bereitschaft erklärt, im Wahlkampf 2020 das Gesetz zu brechen. Er hat gesagt, dass ihm ausländische Hilfe recht wäre, wenn er nur seinen Gegenspieler besiegt. Natürlich ist das beispiellos. Auch Richard Nixon hat nichts getan, was auch nur in die Nähe dessen käme. Aus juristischer Sicht ist übrigens vollkommen gleichgültig, ob jene Hilfe aus Russland, China, Saudi-Arabien, Tadschikistan, Nordkorea oder – wie im hypothetischen Beispiel des Präsidenten – aus Norwegen stammt.
Das Pikante daran ist, dass Donald Trumps Aussage, er würde sich gern mit ausländischen Diensten gegen seinen demokratischen Kontrahenten verbünden, einen Monat nach der (teilweisen) Veröffentlichung des Mueller-Berichts erfolgt. Darin steht, dass Russland 2016 in den amerikanischen Wahlkampf eingegriffen hat und Trumps Team sich mehrfach mit Vertretern des Putin-Regimes getroffen hat, diese Kontakte aber nicht ausreichen, um einen Straftatbestand zu begründen.
Die Basis wird sich bestätigt fühlen
Die Frage ist, was sich aus alldem ergibt. Lebten wir in normalen Zeiten, müsste nun der FBI-Direktor zurücktreten. Auch Dan Coats, der Direktor der nationalen Nachrichtendienste, müsste eigentlich seinen Rücktritt erklären; ebenso wie Gina Haspel, die Chefin des CIA. Ihnen allen hat Trump ja ins Gesicht gesagt, dass er ihre Versuche, die Vereinigten Staaten vor Einmischungen aus dem Ausland zu beschützen, nicht nur nicht honoriert, sondern sich gern über sie hinwegsetzen würde. Freilich ist anzunehmen, dass die Genannten auf ihren Posten ausharren werden – in dem Glauben, sie könnten Schlimmeres verhüten. Auch die Republikaner im Senat werden sich nicht gegen ihren Präsidenten stellen.
Stattdessen werden wahrscheinlich zwei Dinge passieren. Erstens wird Trumps Basis sich bestätigt fühlen: Schließlich gibt es für sie nichts Besseres, als den verhassten Demokraten ein Bein zu stellen. Wenn eine ausländische Macht dabei hilft, was ist schon dabei? Vor ein paar Monaten wurde auf Twitter ein Foto veröffentlicht, das zwei Trump-Anhänger zeigte, die T-Shirts mit dem Aufdruck trugen: „Ich wäre lieber ein Russe als ein Demokrat.“ Es gibt keinen Grund zu der Annahme, dass sich an dieser Stimmung etwas geändert hat. Wenn Trump sagt, dass er nicht vorhabe, das FBI zu informieren, wenn ihn ein ausländischer Agent anspricht, so spricht er damit seiner Basis aus dem Herzen.
Zweitens wird Trumps Fernsehauftritt bei den Demokraten die Diskussion um ein Amtsenthebungsverfahren anfachen. Bisher war die Demokratische Partei in dieser Frage eher zögerlich. Das demokratische Establishment, namentlich Nancy Pelosi, fürchtete, dass der Versuch eines Impeachment nach hinten losgehen könnte. Denn er würde Trumps Basis mobilisieren: Trump könnte erklären, dass seine Feinde im „Deep State“, dem angeblichen Geheimstaat im Staate, hinter ihm her seien. Die Demokraten würden 2020 wahrscheinlich nur noch vom Impeachment sprechen können, statt das Gewicht auf Sachthemen zu legen – Krankenversicherung, Trumps Strafzölle, den Klimawandel, soziale Ungleichheit.
Außerdem hätte ein Amtsenthebungsverfahren keine Chance auf Erfolg. Das von den Demokraten kontrollierte Repräsentantenhaus könnte zwar mit Leichtigkeit ein Impeachment einleiten, aber der republikanische Senat würde es scheitern lassen. Dies könnte Trump dann als weiteren Sieg über seine Feinde verbuchen.
Aber wenn der amerikanische Präsident jetzt offen erklärt, dass er zum Gesetzesbruch bereit sei; wenn er in die Fernsehkameras sagt, dass er keineswegs vorhat, die amerikanische Verfassung „gegen alle Feinde, sei es im In- oder Ausland“, zu verteidigen – dann bringt er die Gegenseite unter Zugzwang. Denn genau für solche Fälle ist das Amtsenthebungsverfahren einst von den Gründervätern der amerikanischen Republik in die Verfassung geschrieben worden.