Eine Konfrontation mit dieser Frau ist schon VW nicht gut bekommen ...
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Ihr Name ist in Kalifornien kaum bekannt, geschweige denn im Rest Amerikas – und trotzdem zählt Mary Nichols zu den einflussreichsten Personen des Landes. Für das «Time»-Magazin gehörte sie 2013 gar zu den 100 einflussreichsten Personen der Welt. Nach Meinung von Experten hat die 73-Jährige in den vergangenen Jahrzehnten so viel für den Umweltschutz getan wie wenige andere. Das brachte ihr den Spitznamen «Queen of Green» ein.
Nichols verzieht das Gesicht, wenn sie das hört. «Wir leben in einer Zeit, in der die Menschen mehr Demokratie verlangen, nicht weniger. Sich selbst die Königin von Irgendwas zu nennen, ist keine gute Idee», sagt sie lachend am Rande einer Energiekonferenz in San Francisco. Die kleine, untersetzte Frau mit den kurzen grauen Haaren erinnert an eine gutmütige Grossmutter, ständig lächeln ihre Augen durch die Gläser ihrer Harry-Potter-Brille. Doch unterschätzen sollte man sie nicht.
Gefürchtet und bewundert
Nichols ist die Vorsitzende des California Air Resource Board (Carb), eines Aufsichtsgremiums innerhalb des kalifornischen Umweltschutzministeriums, das international für seine strengen Vorschläge zur Luftreinhaltung gefürchtet oder bewundert wird, je nach Standpunkt. «Wir haben die Problematik des Smogs als Erste erkannt und sind bis heute weltweit führend», sagt Nichols. Carb teile seine Erkenntnisse mit Besuchern aus aller Welt. Vor allem Vertreter aus Smog-belasteten asiatischen Ländern kämen häufig an den Carb-Hauptsitz nach Los Angeles, wo Nichols auch wohnt.
Dort war die Luftverschmutzung jahrelang so schlimm, dass Einwohner Atemmasken trugen und die umliegenden Berge an zwei von drei Tagen hinter einem Smog-Vorhang verschwanden. Gouverneur Ronald Reagan schuf daraufhin 1967 die Luftreinhaltebehörde. Carb führte die ersten Abgasgrenzwerte weltweit ein und war damit auch der Bundesregierung um einige Jahre voraus. Deswegen ist Kalifornien bis heute der einzige Gliedstaat, der sich nicht den Vorgaben aus Washington anschliessen muss, sondern eigene, strengere Regeln beschliesst. Dreizehn Gliedstaaten übernehmen Kaliforniens Standards, wie Nichols mit einem gewissen Stolz betont.
Schlüsselrolle im Diesel-Skandal
Die studierte Juristin leitete Carb Ende der siebziger Jahre schon einmal. 2007 berief sie der republikanische Gouverneur Arnold Schwarzenegger erneut auf den Posten, «weil sie die Beste dafür ist», wie er sagte. Dabei ist Nichols leidenschaftliche Demokratin; aus ihrer Handtasche zieht sie Michelle Obamas Biografie «Becoming». Ihr Vater gehörte dem sozialistischen Flügel der Demokratischen Partei an; als Bürgermeister traute er jahrzehntelang Homosexuelle, bevor das legal wurde.
Im Laufe der Jahre hat Carb seine Kompetenzen massiv ausgebaut. Kritikern stösst besonders auf, dass Nichols und ihr Führungspersonal nicht demokratisch gewählt, sondern vom Gouverneur ernannt wurden. Über Nichols selbst äussert sich jedoch kaum jemand kritisch. Sie gilt als faire Verhandlerin, die zu heiklen Gesprächen auch einmal Schokokekse mitbringt, um die Stimmung aufzulockern.
Nichols sagt, als Allererstes habe Merkel ihr bei einem Treffen an den Kopf geworfen, dass die strengen Stickoxid-Grenzwerte ein Hindernis für die deutschen Hersteller seien.
Carb muss alle Produkte genehmigen, die die Luft in Kalifornien verpesten könnten, egal ob Deoflaschen, Insektenmittel oder Rasenmäher. Auch Fahrzeugmotoren testet die Behörde in eigenen Laboren. So entdeckten junge Ingenieure 2013, dass einige Dieselfahrzeuge deutlich mehr Abgase ausstiessen als ausgewiesen. Nichols und ihre Mitarbeiter gingen den Hinweisen nach. Sie deckten die Manipulationen von Volkswagen und anderen Herstellern auf, die letztlich Milliardenbussen zahlen mussten. «Aus dieser hässlichen Angelegenheit ist auch Gutes entstanden», sagt Nichols. «Wir als Behörde haben gelernt, wachsamer zu sein, und haben dafür neue Methoden entwickelt. Und die Autoindustrie investiert nun stärker in Elektrofahrzeuge, den Markt der Zukunft.»
Wegen Kaliforniens Abgasvorschriften geriet Nichols auch mit Angela Merkel aneinander. Gouverneur Schwarzenegger hatte die Kanzlerin 2010 nach Kalifornien eingeladen, in LA sollten sie mit der Carb-Leiterin frühstücken. Nichols sagt, als Allererstes habe Merkel ihr an den Kopf geworfen, dass die strengen Stickoxid-Grenzwerte ein Hindernis für die deutschen Hersteller seien. Nichols war sprachlos. Schliesslich tausche sich ihre Behörde zu konkreten Streitfällen nicht mit Regierungen, sondern nur mit betroffenen Herstellern aus. Über das Gespräch sagte die Carb-Leiterin später vor dem deutschen Abgas-Untersuchungsausschuss aus.
Derzeit liefert sich Mary Nichols ein Kräftemessen mit ihrem bis dato wohl mächtigsten Gegner. Die Regierung von Präsident Trump will die Abgasvorschriften für Personenfahrzeuge massiv lockern. Zudem will sie die unter Präsident Obama geplante starke Reduzierung des Treibstoffverbrauchs von Autos aufheben und Kalifornien nicht mehr erlauben, eigene, strengere Standards zu setzen. «Am liebsten wäre ihnen, Kalifornien würde gar nichts regulieren», sagt Nichols und lacht.
Im Streit mit Washington um neue Abgaswerte drängen nun sogar einzelne Autohersteller Trumps Regierung zu strengen Abgaswerten.
Seit zwei Jahren schon streiten Washington, Kalifornien und die Autoindustrie um neue Abgaswerte. Das Weisse Haus hat die Verhandlungen im Februar ergebnislos abgebrochen. Von echten Verhandlungen habe man ohnehin nicht sprechen können, sagt Nichols. «Die Regierung fragte uns vielmehr, ob wir uns den linken oder den rechten Arm abhacken wollen.» Amerika droht nun ein geteilter Automarkt: hier Kalifornien und die dreizehn Gliedstaaten, welche die Standards übernehmen, mit insgesamt 130 Millionen Konsumenten; dort der Rest des Landes. Das wäre ein Albtraum für die Autohersteller. Doch die Alternative ist nicht besser: ein jahrelanger Rechtsstreit. Deswegen haben sich einzelne Hersteller auf die Seite von Carb geschlagen und drängen die Regierung zu strengen Abgaswerten. Eine bemerkenswerte Allianz.
Ein Hund namens «Mutti»
Nichols wirkt müde und frustriert, als sie von dem Streit mit Washington berichtet; ihr Mitarbeiter bringt ihr Kaffee und Schokolade. Doch über eine Pensionierung will sie nicht reden. «Der Gouverneur hat mich berufen, und ich arbeite so lange, wie ich noch etwas bewirken kann», sagt sie.
Wenn Nichols sich entspannen will, zieht sie sich in ihr Haus in Los Angeles zurück und spielt mit ihren Enkelkindern oder ihrem Hund. Sie hat den Mischling aus dem Tierheim geholt und ihn «Mutti» genannt. Weiss sie, dass das Merkels Spitzname ist? Ja, aber daran habe sie bei der Namenswahl nicht gedacht. Mit einem zuckersüssen Lächeln fügt Nichols hinzu: «Es zeigt sich immer wieder: Manche Dinge passen einfach.»