Bolsterlang: Hat sich die Schwäbische die Kritik etwa zu Herzen genommen? Diesmal hat man einen wirklich guten Artikel zum Thema "Bürgermeisterin mit gelbem Schein" verfasst.
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04.05.2017
Uwe Jauß
Ein Bergdorf und der Reichsbürger-Verdacht
Die Bürgermeisterin von Bolsterlang im Oberallgäu soll vom wirren Gedankengut der Staatsverweigerer-Szene infiziert worden sein. Die bayerische Landesanwaltschaft hat daher ein Disziplinarverfahren eingeleitet.
Bolsterlang sz Fremde sind in Bolsterlang gerne gesehen – zumindest wenn sie betuchte Touristen sind. Das schmucke Oberallgäuer Bergdorf mit seinen 1000 Einwohnern lebt zu wesentlichen Teilen von Feriengästen. Quartiere haben hier zauberhafte Namen wie Almliesel und Himmelswies. Gegenwärtig sollte man aber bei einem Besuch ein spezielles Thema lieber ausklammern, sonst könnten unfreundliche Reaktionen folgen. Das Stichwort lautet sogenannte Reichsbürger, betrifft also jene wirre Szene von Staatsverweigerern, für die der gegenwärtige deutsche Staat nicht existiert.
Ausgerechnet Bürgermeisterin Monika Zeller hat Bolsterlang in den Verdacht gebracht, neben einer Ferienidylle auch ein Reichsbürgernest zu sein. Die robust gebaute 56-jährige Frau von der örtlichen Unabhängigen Wählergemeinschaft hat laut lokalem Geflüster früher den Tante-Emma-Laden des Dorfes geführt. Seit 2008 ist sie ehrenamtliche Bürgermeisterin – und seit Jahresbeginn mehren sich die Anzeichen, Zeller könnte seltsame Abwege beschritten haben. Inzwischen läuft vor der bayerischen Landesanwaltschaft ein Disziplinarverfahren gegen sie. Die Aufregung im Ort ist groß. Man will dabei aber wohl unter sich bleiben. Auswärtige stoßen schon mal auf eisiges Schweigen – oder erhalten den Tipp, abzureisen. Ebenso ist es möglich, erst eine lautstarke Verdammung der Bürgermeisterin präsentiert zu bekommen – gefolgt vom genervten Hinweis, hierzu sei bereits genug gesagt worden, Ende der Debatte.
Geburtsstaat: Königreich Bayern
Die jüngste Entwicklung hat mit einer sonderbaren Verortung Bolsterlangs durch Monika Zeller zu tun. Dabei geht es um das Königreich Bayern. Unbestritten ist, dass das Dorf vor langer Zeit ein Teil davon war. Seit 1918 existiert die Monarchie jedoch nicht mehr – auch ein klarer Sachverhalt. Wie es aber scheint, hat Zeller hierzu eine ganz andere Meinung. In einem Antrag auf ein amtliches Dokument hat sie offenbar zu ihrem Geburtsstaat geschrieben: „Königreich Bayern, Deutschland als Ganzes.“ Kein Stammtischscherz, kein Gerede mit zwei Promille Alkohol im Blut. Die volle Wirkung entfalten die Worte durch das Dokument, das Zeller bekommen wollte: den sogenannten gelben Schein. Der Normalbürger dürfte darunter die Krankschreibung durch den Arzt verstehen. Da gibt es auch einen gelben Zettel. Bei Zeller ging es jedoch um den Staatsangehörigkeitsausweis der Bundesrepublik Deutschland.
Sie war in der Dorfregierung nicht die Einzige, die ihn wollte. Vier ihrer Gemeinderäte fanden das Papier auch anregend und stellten den Antrag. Man muss nicht gleich Böses dabei denken. Doch für den Verfassungsschutz gilt der Staatsangehörigkeitsausweis inzwischen als eine Art Einstiegsdroge in die Reichsbürgerszene. Eine kürzlich durchgeführte Recherche des bayerischen Innenministeriums unterstreicht dies. Demnach hat es 2015 rund 2000 Anträge auf den gelben Schein mit möglichem Reichsbürger-Hintergrund gegeben. Vergangenes Jahr waren es 3400 verdächtige Anträge. Wobei es sich bei diesem Ausweis wirklich zu allererst um ein amtliches Dokument der Bundesrepublik handelt, auch wenn es in weiten Teilen der Bevölkerung völlig unbekannt ist.
Anders als etwa der Personalausweis dokumentiert der Schein den Besitz der deutschen Staatsangehörigkeit mit urkundlicher Beweiskraft. Beamte müssen dies in Einzelfällen noch nachweisen – oder im Ausland geborene Deutsche, die bei der Bundeswehr dienen wollen. Im Zweifelsfall sollte die Abstammung bis in die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg nachverfolgt werden. Als deutsche Vorfahren gelten jene, die in den verschiedenen historischen Reichsgrenzen Staatsbürger waren. Familienstammbücher können beim Nachforschen helfen, oder auch der Ariernachweis aus der Nazizeit.
Richtig prickelnd wird der gelbe Schein für Staatsverweigerer aber durch seine Herkunft. Er basiert auf dem 1913 erlassenen Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz des Deutschen Reichs. Dass Zeller vom Königreich schrieb – und ebenso von einem ominösen ganzen Deutschland – weist in Richtung Reichsbürger. Denn im Glauben der Wirrköpfe entfaltet der ansonsten harmlose Ausweis nur dann seine gewünschte Wirkung, wenn die deutschen Länder des damaligen Kaiserreichs unter Geburtsort eingegeben werden. So wäre als weiteres Beispiel etwa für einen reichsbürgerlich gesinnten Stuttgarter der Eintrag Königreich Württemberg wichtig. Der normale Eintrag als Baden-Württemberger hätte hingegen aus Reichsbürgersicht keinen Wert.
Keine Steuerlast
Hält ein entsprechend infizierter Mitmensch das Papier endlich in seinen Händen, bietet es ihm Raum für wunderliche Definitionen. Nur so werde auf Grundlage des Reichsgesetzes von 1913 wirklich bestätigt, dass man Deutscher sei und nicht etwa staatenlos, heißt es. Bloß der Schein sichere seinem Besitzer Eigentumsrechte auf deutschem Boden zu, lautet der Glaube. In der abseitigen Welt dieser Sorte von Staatsverweigern gilt die Bundesrepublik als Firma, als Deutschland GmbH. Durch den Staatsangehörigkeitsausweis sei es möglich, sich aus diesem Verbund zu verabschieden. Steuerzahlungen könnten unterbleiben, bildet sich mancher ein.
Was nun in Bürgermeisterin Zeller wirklich vorging, bleibt unklar. Die Landesanwaltschaft Bayern als ermittelnde Behörde sieht aber bei ihrem Verhalten Anhaltspunkte, „die den Verdacht eines Dienstvergehens rechtfertigen“ würden. Gemeint ist damit, dass Zeller nicht einer Gemeinde vorstehen könnte, sollte sie tatsächlich die Existenz der Bundesrepublik leugnen. Die Bürgermeisterin wiederum hat in ihrer jüngsten Stellungnahme einmal mehr jegliche Verbindung zur Reichsbürgerszene zurückgewiesen. Sie verfolge definitiv kein „verfassungswidriges Gedankengut“, ließ die Frau schriftlich wissen. Darüber hinaus herrscht Schweigen. Zeller verweist auf das laufende beamtenrechtliche Verfahren. Alles, was die Bürgermeisterin sagt, könnte gegen sie verwendet werden. Wobei es über die Schein-Anträge von ihr und den vier Gemeinderäten hinaus eben weitere irritierende Vorfälle gab.
Offenbar nimmt die Affäre 2015 ihren Anfang. Sie geht wohl zurück auf das Wirtshaus Hirsch in Betzigau, einer Allgäuer Gemeinde bei Kempten. Dort trafen sich nach den vorliegenden Informationen mehrmals Hunderte von Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und Anhänger ominöser Geheimlehren. In solchen Kreisen wird alles mögliche besprochen, das nicht ganz von dieser Welt ist – so die Fremdbestimmung durch Außerirdische oder durch die bereits erwähnte Deutschland GmbH. Zeller muss seinerzeit von diesen Treffen gewusst haben. Nach einem Bericht der „Süddeutschen Zeitung“ war sie zumindest einmal anwesend.
Im Herbst 2015 beantragte sie dann ihren gelben Schein. „Aus Interesse und Neugier“, wie Zeller später sagte, als die Angelegenheit langsam ruchbar wurde.
Den Ausschlag gab ein Vortrag von Markus Hailer vergangenes Frühjahr in Bolsterlang. Der Mann gehört zu den zentralen Figuren des letztlich schwer überschaubaren Gemenges aus Staatsverweigerern, wunderlichen Gesellen und auch braun Gesinnten. In seinen Internet-Auftritten hält er einiges für die Szene bereit: Tipps für den gelben Schein, aber auch Hinweise darauf, dass Kondensstreifen von Flugzeugen in Wirklichkeit Giftwolken seien, um die Bevölkerung hinterrücks zu drangsalieren. Diese beliebte Verschwörungstheorie wird unter dem Begriff Chemtrails zusammengefasst. Jedenfalls soll Zeller aktiv daran beteiligt gewesen sein, dass Hailer in einem Raum der Gemeinde über entsprechende Seltsamkeiten referieren durfte. Ihr wird zudem vorgeworfen, an der Veranstaltung teilgenommen und dem Hailer’schen Geschwurbel nicht widersprochen zu haben.
Simpler Erwerb
Womöglich wurden weitere Mitbürger von diesem Gedankengut infiziert. „Es gab da welche, die liefen wie nach einer Gehirnwäsche herum“, berichtet ein Einheimischer hinter der Hand. Es habe zudem Versuche gegeben, den Staatsangehörigkeitsausweis als letzten Ausweg vor vermeintlichen Enteignungen anzupreisen. „Selbst ich wurde bedrängt, den Schein zu beantragen“, sagt der Mann. Erfolglos, wie er ergänzt. Wobei der Erwerb simpel gewesen wäre. Zuständig sind die zunehmend genervten Landratsämter – genervt deshalb, weil die Zahl der Schein-Anträge in die Höhe geschossen ist. Das Ansinnen ist billig: 25 Euro Gebühr kostet der Erwerb des Staatsangehörigkeitsausweises.
Hätte sie das Geld nur nicht investiert, soll Zeller zwischenzeitlich mal geäußert haben. Nach wie vor hat sie in Teilen der Bürgerschaft Rückhalt. In diesen Kreisen wird die Affäre als Pipifax betrachtet. Von den Oberallgäuer Freien Wählern, für die Zeller nebenbei noch im Kreisrat sitzt, bekommt sie Rückhalt. Ihr könne kein Anschluss an die Reichsbürgerszene unterstellt werden, heißt es.
Andererseits hat es im Dorf bereits eine Demonstration mit 70 Teilnehmern gegeben. Sie forderten den Rücktritt der Bürgermeisterin. Die vier mitbetroffenen Gemeinderäte sind bereits gegangen. Bei Zeller scheint es auf den Ausgang des Disziplinarverfahrens anzukommen. Eine Entscheidung wird noch im Mai erwartet. „Dann ist wieder Ruhe“, hofft ein örtlicher Gastwirt. Bolsterlang habe schließlich noch andere Probleme. Er meint den zunehmenden Schneemangel im Winter. Da geht es um die Attraktivität des Ortes – und damit ums Geld. Dies sei ja wohl wichtiger als irgendwelche „Spinnereien“, lässt der Gastwirt durchblicken.