Spoiler
Mannheim, 29. April 2017. (red/pro) Das neue Album der "Söhne Mannheims" und Xavier Naidoo sorgt politisch mindestens für Irritation. Doch das ist zu wenig. Es fehlt als klares Zeichen eine eindeutige Distanzierung von der Band, die Reichsbürgerpositionen und antisemitische Symbolik verbreitet, sowie unzweideutig zur Gewalt gegen den Staat aufruft.
Kommentar: Hardy Prothmann
Nein, das ist nicht irgendwie zu interpretieren, sondern deutlich in der Aussage:
Wenn ich so einen in die Finger krieg, dann reiß ich ihn in Fetzen. Da gibts auch kein Verstecke hinter Paragraphen und Gesetzen.
"So einer" sind im Lied "Marionetten" Bundestagsabgeordnete. Xavier Naidoo und die "Söhne Mannheims" rufen damit offen und unmissverständlich zum gewalttätigen, anarchistischen Umsturz und zum Mord an Politikern auf. Wer das Lied mitsingt, ich mit einem Mal nicht nur lyrisches Ich, sondern das persönliche Ich. (Eine ausführliche Einordnung finden Sie in diesem Artikel.)
Man kann Naidoo nicht falsch verstehen
Diese Liedzeile wie andere in "Marionetten" sind schon deshalb nicht falsch zu verstehen, weil Herr Naidoo sich fortlaufend derart äußert und dabei steigert. Deutschland sei immer noch ein besetztes Land und kein souveräner Staat, behauptet er schon seit Jahren. Im Oktober 2014 trat er in Berlin vor Reichsbürgern auf und meinte, der 11. September 2001 sei der "Warnschuss", wer glaube, was "dazu erzählt" werde, der habe den "Schleier vor den Augen, ganz einfach".
Xavier Naidoo grüßt Reichsbürger und andere "BRD"-Gegner bei seinem Auftritt im Oktober 2014 in Berlin. Quelle: JFDA e.V.
Angeblich wusste er nicht, vor wem er da aufgetreten war, erklärte er. Dabei waren die Plakate und Fahnen um in herum eindeutig. Später meinte er, er würde auf alle zugehen, auch auf die NPD. Seine Botschaft sei die Liebe. Und das T-Shirt mit dem Aufdruck "Freiheit für Deutschland" habe er nur zufällig dabei gehabt und angezogen.
Klingt so die Botschaft der Liebe? Volksverräter zerfetzen? Mit der Mistgabel?
2012 sang der Botschafter der Liebe noch im Lied "Wo sind sie jetzt" auf dem Album "Gespaltene Persönlichkeit":
Ich schneid’ euch jetzt mal die Arme und die Beine ab, und dann ficke ich euch in den Arsch, so wie ihr es mit den Kleinen macht. (...) Warum liebst du keine Möse, weil jeder Mensch doch aus einer ist?
"Euch" sind da ominöse "Kinderschänder" einer geheimen Sekte. Wer das genau sein soll, erfährt man nicht - wie so häufig belässt es Herr Naidoo bei Andeutungen. Das Menschen nicht aus Mösen entstehen, lasse ich mal unkommentiert. Die "Kinderschänder"-Metaphorik ist insbesondere bei der NPD und anderen Rechtsradikalen ein gängiger Topos.
Naidoo ist ein Wiederholungstäter
Der Mannheimer Sänger ist ein Wiederholungstäter, dessen Aussagen immer konkreter und deutlicher werden. Ging es früher gegen Kinderschänder und "Baron Totschild" als Hinweis auf das "Judenkapital" der Rothschild-Familie, geht es jetzt konkret gegen Bundestagsabgeordnete. Wiederum mit einer antisemitischen Metapher auf "Puppenspieler", die an geheimen Fäden andere wie "Marionetten" steuern.
Immer wieder haben sich die Stadt Mannheim und die Kunstszene schwer getan, sich eindeutig und entschlossen gegen diese "Botschaften" des Herrn Naidoo zu stellen. "Der spinnt halt ein bisschen", "muss man nicht ernst nehmen", wurde dann ausgewichen. Umgekehrt positioniert man sich eindeutig gegen eine solche Hetze, wenn sie von der AfD, der NPD oder anderen radikalen Gruppierungen kommt.
Seine Fans und Musikerkollegen meinen, ein "Farbiger" könne kein Nazi sein. Dabei hat niemand behauptet, dass Herr Naidoo ein "Nazi" ist. Rassismus, Antisemitismus, Radikalismus und Extremismus ist keine Frage der Hautfarbe, sondern der inneren Einstellung.
Xavier Naidoo und die Söhne Mannheims haben aktuell den Schleier gelüftet, wie sie wirklich drauf sind. Staatsfeindlich, gewaltverherrlichend, anarchistisch und verschwörungstheoretisch.
Dass wir über diese Entwicklung nicht glücklich sind, versteht sich von selbst. Welche Konsequenzen sich daraus für uns ergeben, werden wir besprechen. Wir erwarten allerdings auch eine Erklärung der Söhne Mannheims zu den antistaatlichen Aussagen in den Songtexten,
erklärte die Stadt Mannheim auf Anfrage der Zeitungen Mannheimer Morgen und Rhein-Neckar-Zeitung. Auf Anfrage hat die Stadt uns dieses Zitat bestätigt. Es handelt sich allerdings nicht nur um "antistaatliche Aussagen", sondern klar um angedrohten Totschlag und den Aufruf zur Gewalt gegen Staatsvertreter. Laut Mannheimer Morgen könnten sich Herr Naidoo und die "Söhne Mannheims" aktuell nicht äußern, weil man probe. Gehts noch?
Kunst- und Meinungsfreiheit sind hohe Güter
Mit Strafanzeigen wird man der Band aktuell nicht beikommen. Im Text versteckt man sich mit "Teile Eures Volks nennen Euch schon Hoch- beziehungsweise Volksverräter", ohne genau zu werden, wer "Teile Eures Volks" sein soll. Tatsächlich ist jedem klar, wer damit gemeint ist: Reichsbürger, libertäre Bewegung, Rechtsradikale, sonstige "Systemkritiker" und sonstige, die dem Staat ablehnend bis feindlich gegenüberstehen. Auch wenn Herr Naidoo selbst Politiker als "Volksverräter" bezeichnen würde, dürfte er das im Rahmen der Meinungsfreiheit. Das tun bereits Politiker der AfD, der NPD und die Reichsbürger-Szene. Willkommen im Club.
Richtig ist, dass die Kunstfreiheit wie die Meinungsfreiheit hohe Güter sind und sehr weitreichend. Freiheit schließt aber auch immer den verantwortungsvollen Umgang damit ein. Absurd ist, wenn "Systemkritiker" irgendetwas raunen, man dürfe seine Meinung nicht sagen und es werde "alles" verschwiegen. Antikriegsbewegung, Friedensdemos haben diese Spinner anscheinend nie mitbekommen. Ebenso nicht den Einigungs- und Friedensprozess in Europa. Auch nicht, dass es jede Menge kritische Stimmen und politische Gruppen gibt, die sich für Frieden und gegen Krieg einsetzen. Allerdings mit demokratischen Mitteln, einem respektvollen Umgang und ohne Gewaltaufrufe.
Richtig ist, dass nicht alles, was Herr Naidoo kritisiert, falsch oder unwahr ist. Deutschland war bis zu den Zwei-Plus-Vier-Verträgen kein absolut souveräner Staat - wie auch, nach den Verbrechen im Dritten Reich. Dass die Alliierten die Bundesrepublik Deutschland auch nach 1949 weiterhin besetzten, war logisch und unausweichlich. Richtig ist auch, dass die Bundesrepublik Deutschland Rechtsnachfolger des Dritten Reiches ist - das geht geschichtlich gar nicht anders und das hat mit der oben genannten Verantwortung auch nach der Befreiung vom Hitler-Regime zu tun. Die Zusammenhänge sind allerdings wesentlich komplexer, als ein Herr Naidoo sie versteht. Und wer einfache Botschaften sendet, ist immer realitätsfern.
Capitol in höchster Not
Ebenso absurd ist, wenn ein Sänger von sich meint, er sei ein Botschafter der Liebe, sich aber gleichzeitig in Gewaltfantasien ergeht. Die Inszenierung als einsamer Rächer, der pars pro toto handelt, kommt allerdings bei vielen Fans an - einer uninformierten Masse, die alles ausblendet, was nicht in ihr Weltbild passt. Die sich von Naidoo an den Fäden ziehen lassen und selbst die Marionetten sind.
Am 01. und 02. Mai treten die "Söhne Mannheims" mit Xavier Naidoo in der "Heimspielstätte" Capitol auf. Beide Konzerte sind ausverkauft. Sind das Capitol und dessen Chef Thorsten Riehle, der auch SPD-Stadtrat ist und sich engagiert gegen Hass und Gewalt einsetzt, nicht in der Pflicht, diese Konzerte abzusagen, wenn Herr Naidoo und die "Söhne Mannheims" sich vorher nicht "erklären", wie die Stadt Mannheim, die das Capitol unterstützt, fordert?
Die Liedzeilen in "Marionetten" erzeugen höchste Not - ausgerechnet bei denen, die Naidoo und den "Söhnen Mannheims" immer zugeneigt waren, denn Stadt Mannheim und Capitol stehen klar und eindeutig gegen diese "Botschaften", aber auch klar zur Kunstfreiheit. Was also tun? Den Auftritt der Band abzusagen, wäre konsequent wegen dieses unsäglichen Liedes. Andererseits würde man in die Kunstfreiheit eingreifen und Xavier und dessen Jünger zu Märtyrern machen.
Keine Konsequenz wäre ein Support für die Botschaft, "Volksverräter zu zerfetzen"
Lässt man die Aufführung dieses Liedes hingegen zu, beschämt man alles, wofür man einsteht. Freiheit, Rechtsstaat, Demokratie. Dann lässt man mitten im Herzen in einer historischen Spielstätte Volksverhetzer ihre gefährlichen Botschaften aufführen - im Namen der "Kunstfreiheit". Man würde kommentarlos und ohnmächtig erlauben, dass "Volksverräter zu zerfetzen sind". Was für ein Wahnsinn.
Eine mögliche Lösung wäre, dass Herr Naidoo und die "Söhne Mannheims" auftreten, dieses Lied aber nicht spielen, diese Botschaften nicht aussprechen, sondern sich eindeutig vor Publikum dafür entschuldigen und klar stellen, dass sie die freiheitlich-demokratische Grundordnung unseres wunderbaren Landes respektieren und sich für alle Errungenschaften nach 1945 einsetzen. Gegen Volksverhetzer, gegen Hassprediger, gegen alle, die unsere demokratische Grundordnung beschädigen und abschaffen wollen. Sie dürften sich gerne gegen Krieg und für Frieden aussprechen - kein Problem.
Das darf man nicht nur, das muss man von Herrn Naidoo und den "Söhnen Mannheims" erwarten. Schließlich haben Herr Naidoo und die "Söhne Mannheims" viel Unterstützung von der Stadt und dem Capitol erhalten, als sie noch nicht so bekannt waren. Und zuletzt haben Herr Naidoo und die "Söhne Mannheims" gerne Geld für die Auftragsproduktion "Willst du mich begleiten" zum 200. Radjubiläum genommen - also von denen, die sie in "Marionetten" Volksverräter nennen.
Wie nennt man eigentlich jemanden, der für Geld sein Gewissen verrät? Judas?