Da zahlt man doch gerne seine GEZ ... äh Dings ... Gebühren ... Beiträge ...
Spoiler
Heller hakt nach und erklärt, dass ihre Frage sich ja auf das aktuelle Infektionsgeschehen um Memmingen beziehe. Dann empfiehlt die Moderatorin:
„Und ich mein’, da können Sie sich ja irgendwie rausreden, indem Sie sagen, das ist auf jeden Fall segensreich und hilfreich und toll, dass so viele Leute das nützen. Oder wie auch immer.“
Es frage sich natürlich jeder, ergänzt Heller, ob die Corona-Warn-App hier eine Rolle gespielt habe. Dann schlägt sie der Ministerin noch vor: „Vielleicht können Sie sich einfach mit so einem vagen Satz: Grundsätzlich ist das ne große Hilfe und in diesem Fall haben, was weiß ich, die Gesundheitsämter, und so…“
„Kriegen wir hin“, antwortet die Ministerin.
„Ja? Klasse! Super! Wunderbar, vielen Dank!“, sagt Heller.
Warm-up ja – aber nicht so
Dass Fernseh- oder auch Radiojournalisten die Minuten vor einem Interview für lockere Plauderei nutzen, um mit einem Gesprächspartner warm zu werden, ist üblich. Wobei sich Spitzenpolitiker nicht aufwärmen müssen, sie geben täglich Statements im Radio oder vor der Kamera ab. Manchmal geben Moderatoren auch noch letzte organisatorische Hinweise, zum Beispiel zur geplanten Länge des Gesprächs. Konkrete Fragen vorher abzusprechen gilt aber als No-Go, gerade bei Interviews mit Politikern. Denn das Ziel von Journalisten ist es ja nicht, vorbereitete und aalglatte Statements zu bekommen, sondern etwas Neues herauszufinden, kritisch nachzuhaken und das Gespräch dahin zu lenken, wo es aus ihrer Sicht interessant wird.
Dass Heller die Ministerin überhaupt darauf vorbereitet, dass sie die Corona-Warn-App im Interview ansprechen will, obwohl der Pressesprecher darum gebeten hatte, es nicht zu tun, könnte man vielleicht noch unter Fairness verbuchen. Wobei eine Spitzenpolitikerin wie Huml auch mit unbequemen, unerwarteten oder unerwünschten Fragen rechnen muss. Dass Heller der Ministerin dann auch noch nahelegt, sie könne sich ja „rausreden“, und ihr Formulierungshilfen gibt („segensreich und hilfreich und toll“), hat mit Journalismus ungefähr so viel zu tun: gar nichts.
BR-Hochhaus in München
BR-Hochhaus in MünchenFoto: IMAGO / S. Gottschalk
Der BR, der die Echtheit des Videos bestätigt, weist auf Anfrage von Übermedien darauf hin, dass das Video „im Kontext betrachtet“ werden müsse:
„Am 10. Juli 2020, dem Tag des Interviews, wurde ein weltweiter Rekordanstieg bei Neuinfektionen registriert. Mehr als jeder zweite Smartphone-Nutzer ab 16 Jahren wollte die Corona-Warn-App nach einer am Sendungstag veröffentlichten Bitkom-Umfrage dauerhaft nutzen. Es gab damals noch keine Impfung, die Angst vor Corona und den Folgen war extrem groß. Die Moderatorin Ursula Heller hat deshalb im Vorgespräch darauf beharrt, dass im nachfolgenden Interview über die Corona-Warn-App gesprochen wird, was ja dann auch der Fall war.“
Wobei die Angst vor Corona und den Folgen sowie die Bereitschaft, die neue Warn-App herunterzuladen, keine Begründung für das Verhalten der Moderatorin sind. Es macht die Fragen ja noch relevanter: Was bringt diese Warn-App wirklich? Hilft sie nach einem Covid-Ausbruch nachweislich? Und wenn die Ministerin darauf (noch) keine konkreten Antworten hat, weil ihr Zahlen und andere Infos zur Wirksamkeit der App fehlen, dann sollten die Zuschauer das erst recht wissen. Darüber erfährt das Publikum aber nichts.
Als das Interview beginnt, lautet Hellers erste Frage an die Ministerin: „Wie hat denn, Frau Huml, die Nachverfolgung, das Tracking der Infektionskette funktioniert? Hat da auch die Corona-Warn-App geholfen?“ Huml sagt, die Kooperation der Gesundheitsämter habe in ihren Augen gut funktioniert. Und die Warn-App helfe insgesamt natürlich, das Ausbruchsgeschehen ein Stück weit mehr zu erkennen – maximal schwammiges Geschwafel. Eine konkrete Nachfrage bleibt aus – obwohl oder gerade weil Heller ja weiß, dass Huml nichts Qualifiziertes zum Nutzen der App sagen kann. Es scheint, als wäre es der Moderatorin gar nicht wichtig, eine genaue Antwort zu bekommen. Die Ministerin soll offensichtlich einfach nur sagen, dass die App eine gute Sache sei.
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BR verteidigt Moderatorin
Im Grunde liefert das gesamte Interview mit der Ministerin keinen wirklichen Mehrwert. Vielleicht war es der Redaktion angesichts der Lage wichtig, die zuständige Gesundheitsministerin in der Sendung zu haben, und sei es nur für ein paar Minuten. Und dann hatte die eben gar nicht so viel beizusteuern, wie erhofft. Das aber spielt bei der fatalen Wirkung des Mitschnitts keine Rolle mehr: Denn es scheint, als mache sich die BR-Moderatorin freiwillig zum verlängerten Sprachrohr der Gesundheitsministerin.
Auf unsere Frage, ob der BR nachvollziehen könne, dass dieser Mitschnitt dem Vertrauen der Zuschauer in öffentlich-rechtliche Medien schadet, verteidigt der Sender seine Moderatorin:
„Die journalistische Integrität von Ursula Heller steht außer Zweifel. Die hat sie in unzähligen kritischen Interviews unter Beweis gestellt. Insgesamt gilt es festzustellen: Der Bayerische Rundfunk hat selbstverständlich auch kritische Stimmen zur Corona-Warn-App zu Wort kommen lassen. Dies schon weit vor dem besagten Interview. So zum Beispiel im Format ‚Possoch klärt‘ am 20. April 2020. Hier kritisierten die Virologen Streek und Kekulé den Einsatz der App.“
Aber nur weil man kritische Stimmen bereits im Programm hatte, ist das ja kein Grund, Politiker an anderer Stelle nicht kritisch zu befragen. Zudem ist es absurd, auf einen Beitrag zu verweisen, der fast drei Monate zuvor lief, als die App noch nicht einmal verfügbar war.
„War das die Wahrheit?“
Bemerkenswert ist auch der Schluss des Interviews, als Ursula Heller wissen will, wie „coronasichere Sommerferien“ bei Familie Huml aussehen. Die Ministerin antwortet, dass sie mit ihrer Familie „im Bayerischen“ bleibe. Die Interview-Aufzeichnung ist danach zu Ende. „Wunderbar! Prima!“ lobt die Moderatorin und fragt die Ministerin, nun off the record: „War das die Wahrheit?“
Diese Nachfrage ist krass. Weil man sie so verstehen kann, dass die Moderatorin davon ausgeht, dass die Politikerin sie belügt. Und weil sie sich damit offensichtlich trotzdem zufrieden gibt. Warum stellt die Moderatorin so eine Frage dann überhaupt? Wollte sie ihren Zuschauern unbedingt ein Vorbild präsentieren? Nach dem Motto: Guckt her, die Ministerin bleibt auch brav daheim in Bayern!
Es mag sein, dass Ursula Heller aus einem Verwantwortungsgefühl heraus gehandelt hat, das zu Beginn der Pandemie viele Journalisten hatten: Sie haben die Lage ernst genommen und wollten dazu beitragen, Infektionen zu verhindern. Was ja erstmal nichts Verwerfliches ist. Ihre Aufgabe war es dabei aber, zu hinterfragen, ob Maßnahmen wie die Warn-App sinnvoll sind, und nicht, diese zu promoten.