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Die Länder erzwingen mit der Blockade eine Art rechtsfreien Raum
Die Lage ist paradox. Selbst wenn man der tiefen Überzeugung ist, dass die überdimensionierten Öffentlich-Rechtlichen keinen einzigen Cent mehr bekommen dürfen und alles anders werden muss, kann man nur feststellen: Gegend diese Blockade sollten die Sender unbedingt klagen. Sie müssen es sogar.
Denn die Länder erzwingen gerade ihren politischen Willen - Nein zur Beitragserhöhung -, indem sie eine Art rechtsfreien Raum für sich verlangen. Sie halten das offenbar nicht einmal für anrüchig. Deshalb geht es bei der Klage nicht nur um den Rundfunk, sondern, wenn man es ganz hoch hängt: um die Rundfunkfreiheit.
Der frühere FDP-Innenminister Gerhart Baum, ein leidenschaftlicher Kämpfer für einen besseren öffentlich-rechtlichen Rundfunk, nennt das "Beitragspopulismus". Und tatsächlich geben sich Teile des politischen Personals gerade erstaunlich enthemmt einer anti-öffentlich-rechtlichen Stimmung hin. Geht es darum, wenigstens beim Medien-Shaming der AfD mitzuhalten?
Landespolitiker quer durch die Parteien tun jedenfalls im Landtagswahljahr 2024 gern so, als hätten sie - als Gesetzgeber, der theoretisch im Konsens sofort vier der neun ARD-Anstalten abschaffen könnte zum Beispiel - mit der Höhe dieses Beitrags und mit dem Zustand dieses bösen Rundfunks nichts zu tun.
Das ist falsch, es ist diffamierend, und die Länder docken damit entsetzlicherweise genau an einen ignoranten Zerstörungsimpuls an, den man schon kennt: So stimulieren Populisten gern das vermeintliche Bauchgefühl vermeintlicher Wähler.
Niemand anderer als die Länder legt in den Mediengesetzen fest, was der öffentlich-rechtliche Auftrag ist und wie viele Sender es gibt. Alle zwei Jahre prüft die KEF als ein von den Ländern berufenes Sachverständigengremium mit gesetzlich verankerter Aufgabenbeschreibung, wie viel Geld die Sender für diesen Auftrag brauchen, wenn sie sparsam wirtschaften. Alle vier Jahre berechnet die KEF einen neuen Beitrag. Im Gesetz steht nicht, dass die Länder von der KEF-Empfehlung nicht abweichen dürfen. Jedoch: "Abweichungen sind zu begründen."
Alle Versuche, den Rundfunkbeitrag nach Gusto zu machen, sind juristisch gescheitert
Die Versuche der Länder (es gab mehrere), den Rundfunkbeitrag nach Gusto statt nach der Rechnung ihrer eigenen KEF zu machen, scheiterten alle vor dem Bundesverfassungsgericht. Es urteilte, zuletzt 2021, dass die Länder von der - bewusst staatsfernen - Beitragsermittlung nur im Ausnahmefall abweichen dürfen. Konkret bei einer "nachweisbar nicht angemessenen Belastung der Bürger". Das Gericht betonte besonders, es sei "zwischen der allgemeinen Rundfunkgesetzgebung und der Festsetzung des Rundfunkbeitrags" zu trennen.
Das heißt also keineswegs, dass die Länder ARD, ZDF und Deutschlandradio nicht rundum verändern können. Nur dürfen sie es nicht über die Beitragsschraube.
Es ist wirklich nicht so kompliziert. Die Länder könnten, wie gesagt, als Gesetzgeber jederzeit die Zahl der Sender in Deutschland halbieren - das würde den Beitrag senken. Das tun sie nicht. Medienpolitik braucht Einstimmigkeit, und irgendwer hat immer Standortinteressen. Was sie tun, aber nach allen Regeln der Rechtsstaatlichkeit nicht dürfen: jahrelang nichts ändern, sich darüber ärgern, zur Strafe das eigene Rundfunkmodell nicht finanzieren - und das als energische Politik verkaufen.
Es ist, so dramatisch das klingt, zum Verzweifeln. Denn mehr denn je bräuchte diese Gesellschaft unabhängige Information als Nahrung für den Kopf, damit man im Idealfall selbst politisch denken kann. Sie bräuchte also einen verkleinerten und reformierten öffentlich-rechtlichen Rundfunk - der von den Ländern nach Kräften stark gemacht wird.
Was stattdessen bisher geschah: 2020 blockierte Sachsen-Anhalt die damalige Beitragserhöhung. Das Bundesverfassungsgericht setzte sie nach einer Klage der Sender aber in Kraft; Sachsen-Anhalt blieb erklärtermaßen bei seiner Haltung. So weit, so konsequent.
Den Beitrag nicht zu erhöhen, sollte den Druck auf die Sender erhöhen, sich zu reformieren
Darum war klar, dass auch die nächste Beitragsrunde wieder vor die Wand fährt, wenn alles so bleibt. Aber man hatte ja drei Jahre Zeit. Es passierte nur: nichts Wirksames. Ein neuer Staatsvertrag gibt den Sendern zwar die Möglichkeit, Spartenkanäle nur noch digital zu verbreiten, aber klare Ziele fehlen.
Ein Grund für das lasche Handeln dürfte gewesen sein, dass die Länder mit der Blockadedrohung Druck auf die Sender erzeugen wollten, sich im bestehenden System selbst zu reformieren und zu sparen. Das klappte übrigens. Vor allem die ARD bot einen interessanten Anblick, wie sie sich unter dem Druck der Verhältnisse davon verabschiedete, die eigene föderale Unregierbarkeit als Veränderungsverhinderungsverfassung zu begreifen. Der Plan ging auf. Doch leider verselbständigte sich die Sache dann.
Ziemlich zur gleichen Zeit nämlich grätschte der RBB-Skandal rein und, davon ausgelöst, allgemeine verständliche Wut über Intendantenbezüge, Ruhegehälter, Verschwendung, Kontrolldefizite. Ungefähr ab diesem Zeitpunkt, lässt sich von heute aus sagen, begannen mehrere Länder, sich um die Regeln der Beitragsermittlung nicht zu scheren, und mischten sich lieber unters empörte Volk.
Eine Blitzreform sollte der 2023 noch schnell berufene Zukunftsrat finden. Der hatte aber eher langfristige Ideen, keine für das schon laufende Beitragsverfahren. Dann legte die KEF im Februar 2024 termingerecht ihre Empfehlung vor: Der Beitrag soll 2025 auf 18,94 Euro steigen, also um moderate 58 Cent. Fast zwei Milliarden Euro hatte die KEF den Sendern da schon gestrichen.
Ein Fragenkatalog der Länder, was bestimmte Maßnahmen bringen könnten, wurde verschickt
Die 58 Cent bis Anfang 2025 auch noch wegzusparen (sie entsprechen nach dem Rechenschema der KEF 1,1 Milliarden auf die vier Jahre 2025 bis 2028, bei Ausgaben von 41,7 Milliarden in dem Zeitraum für ARD, ZDF und Deutschlandradio) ginge aus Zeitgründen nur noch freihändig: ohne KEF-Verfahren, ohne Staatsvertrag, ohne jede gesetzliche Grundlage.
Genau in die Richtung läuft unter dem Radar ein neuer Last-Minute-Versuch: Die Länder haben einen Fragenkatalog an die KEF verschickt, es geht darum, wie viel diese oder jene Idee noch in Geld gerechnet brächte. Nach Einschätzung Beteiligter sind die Fragen ein "Sammelsurium", vieles lasse sich auf die Schnelle überhaupt nicht beziffern, heißt es. Natürlich ist die Aktion prinzipiell gut - sie könnte den Beitrag langfristig senken.
Der Hintergedanke des Fragebogens aber ist ein anderer. Es ist die Hoffnung, noch schnell um eine Entscheidung zum Jahresende herumzukommen: Nächsten Sommer, nach den Landtagswahlen, könnten sich die Länder auf eine niedrigere Erhöhung dann vielleicht doch noch irgendwie einigen.
Ein Plan mit vielen Wenns und einem großen Aber. ARD, ZDF und Deutschlandradio geben ihr Recht auf verlässliche Finanzierung, also ihre Existenzgarantie auf, wenn sie dieses Chaos hinnehmen.
Am Donnerstag vergangene Woche wurde Kai Gniffke, der SWR-Intendant und ARD-Vorsitzende gefragt, ob die ARD klagt, wenn die Beitragserhöhung nicht kommt. Gniffke wich aus, er spricht als Diplomat. In Sendern wie dem WDR und dem MDR ist der Wille zur Klage dem Vernehmen nach längst da. Das ist auch vernünftig. Ohne einen Kopf taugt das beste Bauchgefühl nichts.
Angeblich wird das Geld auch zur Digitalisierung gebraucht.
Nur: Warum darf ich dann bestimmte Sendungen nicht über PC angucken (Arte, aber durchaus auch BR), wenn ich genau wegen dieses Geräts Beiträge zahlen soll?
Man könnte die Verträge ja schon längst entsprechend gestalten, wenn man was einkauft.