Erst dachte ich, der Richetr habe womöglich zugegegen, ARD und ZDF gesehen zu haben ...
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Düsseldorf, Wien. Die Ausstattung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist üppig: Knapp acht Milliarden Euro geben die Deutschen Jahr für Jahr für die Sender aus – die Summe macht ARD, ZDF und das Deutschlandradio zu den größten öffentlich-rechtlichen Medienanbietern der Welt. Daran gibt es viel Kritik.
Der Rundfunkbeitrag wird für jeden Haushalt abgerechnet – unabhängig davon, wie viele Menschen darin leben und ob überhaupt Empfangsgeräte vorhanden sind. Die 17,50 Euro pro Monat sind eine Zwangsabgabe. Wer sie nicht zahlt, wird abgemahnt, verklagt. Und es gibt Menschen, die sich von den Gebühreneintreibern verfolgt fühlen.
Nun hat der Streit die höchste juristische Instanz erreicht, die es in Deutschland gibt: Am 16. Mai und 17. Mai soll das Bundesverfassungsgericht prüfen, ob die Art und Weise, wie die Zwangsabgabe erhoben wird, mit dem Grundgesetz vereinbar ist. Zu den Klägern zählen neben dem Autovermieter Sixt auch mehrere Privatleute. Und bevor der Erste Senat des Gerichts mit der Verhandlung überhaupt beginnen kann, gibt es den ersten Einspruch.
Gutachten wird Gesetz
Zwei der privaten Kläger lehnen einen der Richter ab. Ihre Begründung: Der Robenträger ist mit dem Kronzeugen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks verwandt. Paul Kirchhof, selbst ehemaliger Bundesverfassungsrichter, gilt quasi als Autor der Gebührenreform. Die Kläger wollen nicht hinnehmen, dass nun ausgerechnet ein Richter mitentscheiden soll, der Paul Kirchhof sehr nahe steht: Sein Bruder.
Ferdinand Kirchhof ist sieben Jahre jünger als sein Bruder Paul und seit 2010 Vorsitzender des Ersten Senates des Bundesverfassungsgerichts. Das macht ihn befangen, kritisieren die Gebührengegner. Es war sein Bruder, der im April 2010 im Auftrag der ARD, des ZDF und des Deutschlandradios ein „Gutachten über die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“ verfasste. Paul Kirchhof kam dabei zu der Auffassung, es sei rechtens, auch bei denen zu kassieren, die gar kein öffentlich-rechtliches Programm konsumieren.
„Kirchhofs Gutachten ist quasi Eins zu Eins in Gesetzesform gegossen worden“, erinnert sich Christoph Degenhart, emeritierter Professor für Staats-, Verwaltungs- und Medienrecht an der Universität Leipzig. Der 68-Jährige vertritt im Streit gegen die Gebühren den Autovermieter Sixt. Degenhart hält Ferdinand Kirchhof nicht für befangen, sagt aber, die Rolle seines Bruders für die Begründung der Gebühren könne kaum überschätzt werden.
Sein Anwaltskollege Thomas Koblenzer, der den Befangenheitsantrag gegen Ferdinand Kirchhof geschrieben hat, geht deshalb einen Schritt weiter. Auch Richter seien Menschen. Ganz gleich, wie unabhängig der Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof sein mag. Eine Entscheidung, die gravierende finanzielle Folgen für seinen Bruder haben könnte, dürfe man ihm nicht zumuten.
In seinem Befangenheitsantrag schreibt Anwalt Koblenzer: „Sollte der Erste Senat die Verfassungswidrigkeit feststellen, hätte dies für Professor Paul Kirchhof nicht nur einen enormen Reputationsschaden zur Folge, sondern würde auch dazu führen, dass die Landesrundfunkanstalten Ansprüche auf Schadensersatz gegen ihn geltend machen können.“
Im Prinzip ist auch Paul Kirchhof ein Anhänger der Unabhängigkeit. Noch 2017 betonte er in einem „Gutachten zur Transparenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks“, wie wichtig die Freiheit und Unabhängigkeit der Verantwortlichen in den Sendeanstalten sei. Nur sie könne eine freie Berichterstattung gewährleisten. Der Gesetzgeber müsse deshalb verhindern, dass Entscheider „in intransparenter Weise von außen unter Druck geraten und unsachlichen Einflussnahmen ausgesetzt sind“.
Nun soll die Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks gerade von dem Richter geprüft werden, dessen Bruder der wichtigste juristische Fürsprecher der Sender ist. Das Gutachten von Paul Kirchhof über die Rundfunkgebühren umfasst 85 Seiten.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk unterliege „besonderen normativen Erwartungen“, schreibt der Professor. Er müsse ein Angebot bereitstellen, dass sich von rein kommerziellen und gewinnstrebenden Konkurrenz unterscheide.
Kirchhof legitimiert die Gebühren auch damit, dass ARD und ZDF möglichst unabhängig von Werbereinnahmen sein sollen. „Ein Verzicht auf die Finanzierung des Rundfunks durch Werbung und Sponsoring bietet die Chance, das Reformanliegen eines Rundfunkbeitrags sinnstiftend bewusst zu machen, die Identität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks einprägsam hervorzuheben.“
Von einem Verzicht auf Werbung sind ARD und ZDF freilich auch nach Umstellung der Gebührenordnung weit entfernt. Zudem gleichen viele Produktionen von ARD und ZDF denen der Privatsender bis ins Detail. Sind Sendungen wie „Sturm der Liebe“ von der ARD oder „Das Traumschiff“ vom ZDF wirklich Gebührengelder wert? Rate-Shows und Quizsendungen gibt es auch bei RTL oder SAT1 zuhauf.
Sportgroßereignisse kosten die Gebührenzahler hunderte von Millionen Euro – auch wenn sie Sport nicht interessiert. Viele Radiokanäle von NDR, WDR, BR und Co. sind Dudelsender, die sich von der privaten Konkurrenz nicht unterscheiden.
Hans Demmel, Chef des Privatsenderverbandes VPRT, fordert schon, die Öffentlich-Rechtlichen sollen sich „auf das beschränken, was sich im Markt nicht refinanzieren lässt. Das bedeutet im Kern Kultur, Information und Bildung.“
Über die Qualität des öffentlich-rechtlichen Programms streiten sich Experten und Zuschauer seit Jahren. Tatsache ist: Was immer die Sender ausstrahlen – die deutschen Steuerzahler müssen es auch bezahlen, wenn sie es nicht empfangen. ARD, ZDF und Deutschlandradio sollen Paul Kirchhof für sein Gutachten nach Schätzungen von Medienrechtsprofessoren mindestens 100.000 Euro oder mehr gezahlt haben. ARD und ZDF selbst haben keine Kosten des Kirchhof-Gutachtens genannt.
Auch zur Befangenheit üben sich die öffentlich-rechtlichen Rundfunksender in Zurückhaltung. „Über Befangenheitsanträge entscheidet ausschließlich das Gericht“, sagte ein ZDF-Sprecher. Auch die ARD wollte sich auf Anfrage des Handelsblatts „aus Respekt vor dem Gericht“ nicht äußern.
Das Bundesverfassungsgericht selbst antwortete, es sei die Berufung eines Vertreters möglich, falls das Gericht einem Befangenheitsantrag stattgebe. Ein Entscheidungstermin sei aber nicht absehbar.
Hat der Antrag Chancen? Experten wie der Staats- und Medienrechtler Hubertus Gersdorf sind skeptisch. In einen anderen Fall vor einigen Jahren scheiterte ein vergleichbarer Antrag.
Gebührengegner Christoph Degenhart ist in der Sache selbst trotzdem zuversichtlich. „Dass eine Verhandlung beim Bundesverfassungsgericht über zwei Tage anberaumt wurde, ist sehr ungewöhnlich“, sagt der Professor. „Es deutet darauf hin, dass der Senat erheblichen Klärungsbedarf sieht. Wir stehen offenbar vor einer Grundsatzentscheidung.“