Herrenmenschen" sind in der AfD letztendlich einfach in der Überzahl. Daran ändert auch ein Rausschmiss von Kalbitz und Pasemann nichts, die "nächste Reihe" hat sich schon lange in Stellung gebracht.
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AfD in Tarnkleidung
Von Rainer Roeser
21.08.2020 -
Drei Wochen vor den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen gestaltet sich die Kampagne der AfD eher zäh. Dafür wird aber intern gestritten.
Er sieht eher nicht aus wie der Kandidat, den sich jene AfD-Oberen wünschen, die seriös daherkommen wollen. In Tarnkleidung steht er im Wald an einen Baum gelehnt, eine Zigarette auf den Zähnen. Per Profilbild auf Facebook präsentiert er selbst sich so. Auf dem Kopf trägt er eine Mütze, die an eine Wehrmachtskappe erinnert. Vorne an der Mütze ist etwas unkenntlich gemacht. Kappenträger Stefan Fiene ist Spitzenkandidat der AfD in Schwerte an der Ruhr. Und seine Partei hat nun ein Problem.
Nicht nur das Outfit wirkt verstörend. Da ist auch sein Jargon. „Vergesst nicht den Massenmord an der deutschen Zivilbevölkerung durch anglo-amerikanischen Bombenterror!“, schreibt er zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens auf Facebook – und klingt nicht viel anders als gewöhnliche Rechtsextremisten. Erklärungsbedürftig könnte auch sein, dass er von einer Skandinavien-Tour „allen Kameraden und Freunden“ einen „Gruß von der Eismeerfront“ entrichtet und dabei auch noch den Hashtag „Unternehmen Weserübung“ unterbringt, den Decknamen für den Überfall von Nazi-Deutschland auf Dänemark und Norwegen.
Schadensbegrenzung
Sogar nicht wenigen in der eigenen Partei ist ihr Listenerster in der 46.000-Einwohnerstadt im Südosten des Ruhrgebiets hochgradig peinlich. Einige von ihnen saßen Anfang des Monats zusammen, darunter der zurückgetretene Kreisvorsitzende Michael Schild und sein noch amtierender Vize Holger Sitter. Ein anderer aus der Runde, der Listenzweite Sebastian Rühling, berichtete den „Ruhr Nachrichten“ danach, wie nach dem Willen der Runde der Schaden zu begrenzen wäre: Man wolle Fiene bitten, nach der Wahl nicht den Fraktionsvorsitz zu übernehmen, sondern sich eher „erstmal zurückzunehmen“. Und um dem Ganzen mehr Gewicht zu verleihen, betonte Rühling, das sei „mit Unterstützung des Kreises und auch der höheren Parteigremien“ so beschlossen worden.
Doch prompt kam Widerspruch. „Die Mehrheit des Kreisvorstandes unterstützt Stefan Fiene“, erklärte Ulrich Lehmann, neben Sitter der andere Kreisvize. Fiene sei „in freier, gleicher und geheimer Wahl demokratisch von den AfD-Mitgliedern aus Schwerte auf Platz eins der Reserveliste gewählt“ worden. Lehmann: „Wir wehren uns gegen jeden Versuch, die demokratisch gewählte Reserveliste hintenrum verändern zu wollen.“ Fiene sei „ein untadeliges und loyales Mitglied unserer Partei und steht auf dem Boden unseres Grundgesetzes“.
Bürgerlichkeitssimulation
Die Schwerter Reibereien wirken wie lokale Ränkespiele, weit, weit hinten in der Provinz. Doch sie sind mehr als das. Sie zeigen, wie sehr die AfD vom Bund über die Länder bis hin zu Kreis- und den letzten Ortsverbänden zerrissen ist. Zerrissen zwischen denen, die auf eine Seriositäts- und Bürgerlichkeitssimulation setzen – und damit eher auf eine Tarnkleidung mit Schlips und Kragen –, und denen, die den radikalen Klartext bevorzugen. Letztere haben in Schwerte den Kandidaten Fiene erst möglich gemacht, während die vorgeblich „Gemäßigten“ jetzt überlegen, wie sich der Spitzenmann bestmöglichst verstecken ließe.
Dabei geht es im parteiinternen Streit durchaus rabiat zu. Der Schwerte übergeordnete AfD-Kreisverband Unna etwa wird zur Kommunalwahl nicht mit einer Reserveliste antreten können. Angesichts des nordrhein-westfälischen Wahlrechts bedeutet das: Die AfD wird im neuen Kreistag absehbar überhaupt nicht vertreten sein. Dass es so gekommen ist, hat ebenfalls mit dem Kampf der beiden Lager in der AfD zu tun. Eine Mitgliederversammlung hatte den damaligen Kreischef und „Flügel“-Gegner Schild bei der Wahl der Liste krachend durchfallen lassen. Der war erzürnt und legte sein Amt nieder. Doch der Bezirksvorstand für Südwestfalen – Schild fungiert dort als stellvertretender Sprecher – grätschte dem Kreisverband dazwischen und zog die Liste beim Wahlleiter zurück. Widerspruch vom Landesvorstand musste der Bezirksverband nicht befürchten. Auch dort ist Schild Mitglied – sogar als Landesvize.
Auge um Auge
In der NRW-AfD herrscht das Prinzip „Auge um Auge“. Die Revanche für Schilds tatsächliches oder vermeintliches Foulspiel in Unna folgte denn auch. Im 60 Kilometer entfernten Coesfeld zog „Flügel“-Mann Steffen Christ, Bezirksvorsitzender im Münsterland, seinerseits die „Gemäßigten“-Liste für den Kreistag zurück. Dass es Coesfeld traf, war kein Zufall. Dort fungiert Martin Schiller, Landesvize, Ober-„Gemäßigter“ in der NRW-AfD und damit Lieblingsfeindbild aller „Flügel“-Anhänger, als „Notvorsitzender“. Auch dessen Kandidatur in Münster hatte Christ verhindern wollen – freilich ohne Erfolg.
Das Duo auf der gecancelten Coesfelder Reserveliste bot sich hingegen als Opfer geradezu an: Dorothe van Suntum und Ulrich van Suntum waren einst in der AfD. Sie gingen, als Bernd Lucke ging, waren erst in dessen „Allianz für Fortschritt und Aufbruch“ (Alfa), dann bei seinen „Liberal-Konservativen Reformern“ (LKR) aktiv. Ulrich van Suntum fungierte sogar als deren Landesvorsitzender und Bundesvize. Im Landesverband werde es positiv gesehen, wenn er wieder zur AfD zurückkehre, sagte Schiller. Doch Christ verhinderte den möglichen ersten Schritt zum Comeback. Er verwies darauf, dass der Kreisverband seine Kandidatenkür immer wieder habe verlegen müssen, zuletzt sogar nur einen Tag vor der vorgesehenen Veranstaltung in den Nachbarkreis nach Herten. Die Folge: Nur drei stimmberechtigte Mitglieder seien erschienen. „Da ist ein Wahlergebnis entstanden, das normalerweise vielleicht anders ausgefallen wäre und nun nicht mehr im Sinne der Mitglieder ist“, sagte er der „Allgemeinen Zeitung“ in Coesfeld.
Landeschef droht
Neben seiner ideologischen Nähe zum völkisch-nationalistischen Lager hat Christ auch ein ganz persönliches Motiv für Querschüsse gegen vorgeblich „Gemäßigte“. Vor zwei Jahren hatte er Europaabgeordneter werden wollen. Doch beim entscheidenden Bundesparteitag in Magdeburg brachten ihn die Fragen von AfD-internen Gegnern so aus der Fassung, dass er das Handtuch warf. Die Revanche folgte nun.
Über diesem Konglomerat an Missgunst, Rachsucht und gegenseitiger Abneigung thront der Landesvorsitzende Rüdiger Lucassen. An die Mitglieder in NRW schrieb er in diesen Tagen, er habe es „sehr bedauert, dass zu einem kleinen Teil auch Widerstand aus den eigenen Reihen kam und Funktionsträger aus unterschiedlichen Motiven eingereichte Listen torpediert haben oder nicht zustande kommen lassen wollten“. Er wolle, versicherte Lucassen, „wo immer es geht, für einen gemeinsamen Erfolg – auch bei unterschiedlichen parteiinternen Strömungen – werben“. Die Drohung folgte umgehend: „Allerdings werde ich auch den ganz Wenigen, die meinen, sich auf Kosten der weitaus überwiegenden Zahl von gutwilligen und engagierten Parteikollegen austoben zu müssen, die Grenzen aufzeigen.“ Wen genau er meinte, verriet er nicht. Christ darf sich sicher angesprochen fühlen, Schild eher nicht.
Vergiftetes Lob
In Lucassens Rundbrief folgte das Lob für die Wahlkämpfer: „Es ist eine große Freude mit anzusehen, wie durch die Kreisverbände Info-Stände besetzt, Flyer verteilt, Plakate aufgehängt und Veranstaltungen durchgeführt werden. Wir brauchen uns vor nichts und niemandem verstecken.“ Es klingt wie das Pfeifen im Walde. Basisnähere Parteifunktionäre lassen durchblicken, dass es in keinem anderen Wahlkampf in der mittlerweile siebenjährigen Geschichte der AfD so schwergefallen sei, die Mitglieder zu mobilisieren. Und auch der landesweite Wahlkampfauftakt am vergangenen Sonntag in Ennepetal vermittelte keinerlei Aufbruchgefühle. Die vorderen Reihen im Saal waren kameragerecht gut gefüllt. Weiter hinten aber herrschte gähnende Leere. Das Publikum lauschte unter anderem der niedersächsischen Landesvorsitzenden Dana Guth, dem Bundestagsabgeordneten Gottfried Curio und Lucassen.
Einer der Beteiligten der Streitereien in Schwerte heuchelte nachher Anerkennung: „Das war ein rundherum gelungener Wahlkampfauftakt für NRW“, schrieb er, um dann fortzusetzen: „Viele bekannte Gesichter, unter den ca. 70-80 anwesenden Zuhörern, vermittelten das Gefühl einer erweiterten Landesvorstandssitzung. Schön aber auch, auf diesem Wege einmal deren Angestellte kennen gelernt zu haben.“ Er wollte wohl sagen: Die NRW-AfD bewegt sich in einer ganz eigenen Filterblase. Unrecht hätte er nicht.