Das Sommerinterview mit Bernd war wohl keine besondere Glanzleistung. Was wohl Joseph dazu sagt?
Die Zeit nennt Höcke einen "Gernegroß", während die NZZ eine Entzauberung feststellt.
Meiner Auffassung nach ist es nicht notwendig, zweckdienlich und förderlich Verfassungsfeinden Bühnen im ÖR zu ermöglichen.
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Björn Höcke: Ein Gernegroß
Eine Analyse von Dirk Peitz
9-11 Minuten
Fernsehinterviews mit Politikerinnen und Politikern sind Zeugenbefragungen vor Gericht wesensverwandt. Das macht sie auf den ersten Blick auch oft so zäh, statisch, vorhersehbar: Es werden sehr viele Fragen gestellt, deren Antworten absehbar sind. Aber sie müssen nun einmal zu Protokoll gegeben werden, auch damit sich die Zuschauenden ein umfassendes Bild des Denkens dieser Politikerinnen und Politiker machen können. Deren Ziel ist es ja nun einmal, das eigene Denken irgendwann in Handeln zu übersetzen. Und das betrifft dann im Zweifel das Leben aller.
Der Moderator Lars Sänger hat Björn Höcke, den Chef der AfD-Landtagsfraktion und des AfD-Landesverbands in Thüringen, im MDR-Sommerinterview nun entsprechend viel zum Protokoll gefragt. Zur Klimakatastrophe etwa und zu Höckes persönlichen politischen Ambitionen womöglich über Thüringen hinaus auf Bundesebene, durch das mögliche Anstreben eines Bundestagsmandats im kommenden Jahr.
Das stellenweise sehr effektiv erzielte Ergebnis dieses Interviews ist, dass Sänger herausarbeitet, was Björn Höcke jenseits seiner zweifellos demagogischen Kapazitäten vor allem auszeichnet: Er ist auch nur das, was er sonst anderen vorwirft – er ist ein Berufspolitiker, der sich berufspolitikerhaft windet, wenn man ihm höflich seriöse Fragen stellt.
Björn Höcke erzählt lieber irgendetwas, was er erzählen möchte. Im englischsprachigen Raum nennt man diese Politikertechnik pivot: Man nimmt sich nur ein Stichwort aus der Frage heraus, um in der nur vermeintlichen Antwort seine eigenen Inhalte zu platzieren. In Höckes Fall ist das hart rechtes, die parlamentarische Demokratie bewusst angreifendes Gedankengut. Mitunter ist es auch einfach dummes Zeug. Zu Letzterem gehören etwa professionelles Corona-Leugnen und die Idee, dass die Energiewende laut Höcke in Deutschland im Grunde überflüssig sei, sie nutze auch nichts gegen die Klimakatastrophe (weil ja die anderen Länder mitmachen müssten). Der Mann, lernt man so fast en passant noch einmal beim Verfolgen dieses Interviews, ist offenbar Apokalyptiker. Das ist, zumindest in der legeren Offenheit preisgegeben wie hier, vielsagend.
Und bei der Frage nach einem möglichen Wechsel nach Berlin sagt Höcke nun sogar explizit, dass er derzeit dazu nichts sage. Er spart sich die Antwort auf: Das ist so konventionelle politische Taktik, dass man fast enttäuscht ist von Höcke, vor dem man als Figur doch so gut, aber vielleicht auch zu bereitwillig Angst haben kann. "Ich wäre kein Politiker, wenn ich mir das nicht offenhalten würde", sagte Höcke zu einer möglichen Kandidatur für den Bundestag. Er schließe es nicht aus. So also klingt die selbst beschworene Alternative für Deutschland: wenn es um Mandate geht, dann exakt wie Vertreter des von ihr so verhassten politischen Mainstreams.
Und auch das leistet dieses Interview, dessen Ansetzung man natürlich grundsätzlich infrage stellen oder gar ablehnen kann, wenn man glaubt, Ansichten seien virushaft ansteckend und ihre Weiterverbreitung damit per se abzulehnen: Sollte man Höcke seit jenem berüchtigten dritten Wahlgang im Thüringer Landtag im Februar, der den FDP-Politiker Thomas Kemmerich für ein paar Tage zum Ministerpräsidenten machte, für einen gewieften Strategen halten, wird man nun nachhaltig eines Besseren belehrt.
Auch nach mehrmaligem Nachhaken Sängers kann Höcke zum Beispiel nicht seriös erklären (und um Seriosität ist er hier doch sonst so bemüht), warum die AfD-Fraktion auf sein Geheiß hin damals ihren eigenen Kandidaten noch einmal aufgestellt, dann aber nicht gewählt hat. Das war ganz offensichtlich eine Showeinlage, ein Manöver zugleich zur Verunglimpfung parlamentarischer Gepflogenheiten wie zur Behauptung vermeintlicher Meisterschaft in parlamentarischen Winkelzügen. Doch Björn Höcke hat sich auch mehr als ein halbes Jahr später (das ist viel Zeit im Homeoffice!) dafür keine gute Erklärung zurechtgelegt, keine Pointe überlegt. Erstaunlich.
Offenes Hemd, Dad-Jeans
Für einen Mann, vor dem es offenkundig vielen Menschen graut, ist das schwach. Wie viel, fragt man sich während der rund 35 Minuten MDR-Interviewzeit und angesichts der Bilder (offenes Hemd, Dad-Jeans), ist an Höckes Außenwirkung eigentlich ernst zu nehmen, wie viel ist eingebildet, fantasiert? Was macht ihn zu so einem Schreckgespenst? Die Rede von der "Banalität des Bösen" bedeutet ja umgekehrt nicht, dass alles Banale automatisch böse ist. Oder gar gefährlich. Vielleicht ist es auch bloß intellektuell mittelbelichtet.
Die Sommerinterviews der öffentlich-rechtlichen Fernsehsender sind (nicht erst zuletzt) ja in die Kritik geraten, der rbb zum Beispiel will sie gar ganz abschaffen. Der MDR Thüringen hat in Gestalt von Lars Sänger aber ein Beispiel geliefert, wie man das Format durchaus im aufklärerischen Sinne gebrauchen kann. Sänger war offenkundig gut vorbereitet und wurde von keinen Einspielern unterbrochen, konnte also eine nachvollziehbare Abfolge von Fragen entwickeln, die das Weltbild Höckes oder zumindest dessen politische Meinungen kenntlich machen sollte; Sänger hakte beständig nach, ohne die Geste des Nachhakens schon für eine journalistische Tugend zu verkaufen, die man nur demonstrativ genug vorzeigen muss, um für einen guten Journalisten(-darsteller) gehalten zu werden. Denn man kann nur den Inhalt eines Weltbildes durch Insistieren kritisch hinterfragen, aber nicht, dass jemand ein Weltbild hat, und sei es noch so abstrus. Und das Showhafteste an dem oft showhaft überformten Format Sommerinterview (in Berlin redet man gern in luftiger Höhe über Spree-Niveau, mit dem Reichstag als historischer Hintergrundkulisse) war die fast etwas unfreiwillig lustige Sommerhaus-Wintergarten-Deko im Studio in Erfurt.
Eine Passage in dem Interview mit Höcke ist besonders aufschlussreich, in der geht es um den Flügel der Partei, den der Verfassungsschutz (vor der offiziellen Selbstauflösung des Flügels durch dessen Anführer Höcke im Frühjahr) als "gesichert rechtsextremistisch" eingestuft hat: Es gebe darin Bestrebungen "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung".
Höcke nennt den nun angeblich ehemaligen Flügel im MDR-Interview einerseits eine "Gesinnungsgemeinschaft", stellt ihn andererseits aber als eine Art lockeres Organisationskomitee für die Ausrichtung des "Kyffhäuser-Treffens" dar, wo zu Blasmusik das Völkische beschworen wird. Nach Höckes Darstellung hat der Verfassungsschutz da also eine Art Schützenverein beobachtet, der einmal im Jahr "patriotische" Kirmes gefeiert hatte, ansonsten aber eigentlich nicht existierte.
Wie, fragt Sänger, muss man sich aber die Auflösung von etwas vorstellen, das es angeblich gar nicht gab? Wurden die Chatgruppen abgestellt, die Verbindungen des Netzwerks gekappt?
Die Leute, die dem Flügel angehörten, seien alle noch in der Partei, sagt Höcke (tatsächlich wurde unter anderem mit Andreas Kalbitz gerade jemand ausgeschlossen), und sie seien noch immer miteinander befreundet. Höcke lächelt da Höcke-haft spitz, so als wolle er sagen: Seht her, der Verfassungsschutz hat einen Geist gejagt! Dabei scheint er gar nicht zu merken, wie er, indem er den Flügel kleinredet, selbst zu etwas sehr Kleinem wird. Er hat sich im Interview (und hat sich vielleicht auch politisch) in eine Lage manövriert, in der er vor allem abschrecken kann: als vorgeblicher Demokrat, der aber im Rahmen der Demokratie nur zu trollen versteht. Oder als Extremist, dem es aber eigentlich auch nur schaden kann, in einem solchen Interview normalisiert zu werden. Zu einem phraselnden Provinzpolitiker, einem Gernegroß.
Das herauszuarbeiten, kann auch die Funktion eines Politikerinterviews sein. Eine gute Anwältin stellt vor Gericht nur Fragen, auf die sie die Antworten vorher kennt. Ein Interviewer muss manchmal auch nicht mehr tun. Den Rest erledigt der Interviewte. Sich selbst zum Beispiel.
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Radikal in der Defensive: Ein Fernsehinterview mit dem AfD-Politiker Björn Höcke zeigt, wieso die Partei nicht vom Fleck kommt
Die Corona-Pandemie schadet der AfD, die nur noch wegen interner Machtkämpfe in den Schlagzeilen ist. Im «Sommerinterview» mit dem MDR konnte der AfD-Rechtsaussen Björn Höcke kaum punkten – und nicht nur deshalb war das Gespräch sehenswert.
Jonas Hermann, Berlin
25.08.2020, 15.36 Uhr
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«Dieses Land geht gerade vor die Hunde»: Der AfD-Politiker Björn Höcke gab dem öffentlichrechtlichen Sender MDR ein ausführliches Interview.
«Dieses Land geht gerade vor die Hunde»: Der AfD-Politiker Björn Höcke gab dem öffentlichrechtlichen Sender MDR ein ausführliches Interview.
Stefan Boness / Imago
Experten weltweit treibt die Frage um, wie sich die Corona-Pandemie entwickeln wird. Der AfD-Politiker Björn Höcke kennt die Antwort: «Corona ist vorbei und wird auch nicht wiederkommen», sagte er in einem Fernsehinterview mit dem Mitteldeutschen Rundfunk. Höcke lieferte damit unfreiwillig ein perfektes Beispiel für die Definition von Populismus: Einfache Antworten auf komplexe Fragen geben und sich dabei für jemanden halten, der die Wahrheit verkündet und im Sinne der Mehrheit spricht.
Höcke war am Dienstag zu Gast beim «Sommerinterview» mit dem Mitteldeutschen Rundfunk (MDR). In diesem Format lädt der öffentlichrechtliche Sender die wichtigsten Politiker im ostdeutschen Bundesland Thüringen zu ausführlichen Gesprächen ein. Höcke führt dort die AfD, die bei der Wahl im vergangenen Herbst fast ein Viertel der Stimmen erhielt und stärkste Oppositionspartei ist. Der MDR kam daher nicht an Höcke vorbei, weil öffentlichrechtliche Sender parteipolitisch neutral sein sollen und die Vielfalt der Meinungen abbilden müssen. Dennoch sah sich der Sender im Vorfeld mit Kritik konfrontiert, weil Höcke nicht nur Landespolitiker, sondern auch der wichtigste Vertreter des radikalen rechten Lagers in der AfD ist. Ihm dürfe man keine Plattform bieten, hiess es vielfach in den sozialen Netzwerken.
Diese Kritik kam der objektiven Bewertung des Interviews zuvor; tatsächlich führte der Moderator Lars Sänger fair und souverän durch das Gespräch. Obwohl man in Höcke durchaus einen Rechtsradikalen sehen kann, war Sänger kein Belastungseifer anzumerken. Leicht machte er es dem AfD-Mann freilich nicht und unterbrach immer wieder, wenn dieser zu Rechtfertigungsmonologen ansetzte. In diesen stellt sich Höcke als Opfer von «Mainstream-Medien» oder «systematischem Mobbing» dar. Bundeskanzlerin Angela Merkel betrachtet er als eine Art Monarchin, als «Gottkanzlerin». Ihre Regierung müsse vom Verfassungsschutz beobachtet werden, weil Deutschland wegen deren Asyl- und Energiepolitik in Schieflage sei. Vollends «vor die Hunde» gehe die Bundesrepublik nun wegen der Massnahmen gegen die Ausbreitung des Coronavirus.
Bundestagsabgeordneter aus Partei ausgeschlossen
Die AfD verfügt über einen grossen Resonanzboden für solche Thesen. Dennoch wird für Höcke und seine radikalen Parteifreunde die Luft etwas dünner. Andreas Kalbitz, der einstige Brandenburger Landeschef, musste im Mai nach einem Beschluss des Parteivorstands die AfD verlassen. Vergangene Woche schloss der Landesverband Sachsen-Anhalt den weit rechts stehenden Bundestagsabgeordneten Frank Pasemann aus. Der interne Machtkampf zwischen Gemässigten und Radikalen kostet die AfD Zeit und Energie. Die Corona-Pandemie bringt die Rechten zusätzlich ins Schlingern. Sie können das Thema nicht für sich nutzen und scheinen noch immer keine einheitliche Haltung dazu entwickelt zu haben. Das schlägt sich in den Umfragewerten nieder. Die AfD liegt derzeit bei etwa 10 Prozent auf Bundesebene und würde somit nicht mehr ihr Wahlergebnis aus dem Jahr 2017 erreichen, als sie bei der Bundestagswahl 12,3 Prozent der Stimmen holte.
Wer in der Pandemie eine globale Verschwörung sehe, um die individuellen Freiheiten einzuschränken, solle «seinen Geisteszustand überprüfen lassen», hatte der Parteichef Jörg Meuthen vor zwei Wochen gesagt. Höcke warnte im Gespräch mit dem MDR hingegen vor einer Diffamierung von Corona-Skeptikern. Die steigenden Infektionszahlen führte er auf die Zunahme der Virustests und einen signifikanten Anteil von angeblich falsch positiven Tests zurück. Höcke verteidigte seinen Appell zur Teilnahme an einer Demonstration gegen die Corona-Massnahmen in Berlin, zu der am kommenden Samstag rund 20 000 Teilnehmer erwartet werden.
Dass auch rechtsradikale Parteien wie die NPD zu der Kundgebung aufrufen, scheint ihn nicht zu stören. Auf Nachfrage des Moderators sagte er, man habe keinen Einfluss darauf, wer bei Demonstrationen mitlaufe. AfD-Politiker in Interviews zu entlarven, dieses Credo wurde immer wieder an Journalisten herangetragen, als die AfD noch ein neues Phänomen in der deutschen Parteienlandschaft war. Die Entlarvung gelang nur sehr selten. Das «Sommerinterview» mit Höcke zeigte indes erneut, dass es oft reicht, eine professionell-kritische Haltung einzunehmen – und die Entzauberung dem Gesprächspartner zu überlassen.