Rechter Raumkampf vor dem Gerichtssaal
Vor dem Gerichtsgebäude ist es ruhig, nur der vor dem Eingang geparkte Polizeiwagen weist darauf hin, dass hier ein besonderer Prozess stattfindet. Nach einer Einlasskontrolle am Haupteingang geht es über eine Treppe hinauf zum Gerichtssaal. Prozessbeobachter*innen sowie Unterstützer*innen der Angeklagten stehen hier in Grüppchen herum, unterhalten sich leise und warten, bis der Einlass in den Saal beginnt.
Das war nicht immer so. „Bereits zu Beginn des Prozesses wurde deutlich, dass Personen aus dem näheren und weiteren Umfeld von Knockout 51 versuchten, diesen Angstraum, der in Eisenach besteht, auch im und vor dem Gerichtssaal fortzuführen“, berichtet Theresa Lauß von der Betroffenenberatung ezra im Gespräch mit Belltower.News. Bekannte Neonazis, die zur Unterstützung der Angeklagten aus Eisenach, Dortmund und anderen Städten angereist waren zeigten sich zu Beginn des Prozesses im Sommer 2023 im Gericht mit rechtsextremen Kleidungsmarken (u.a. vom Neonazi-Kampfsportevent „Kampf der Nibelungen“) und notdürftig abgeklebten verfassungsfeindlichen Tätowierungen. Zudem beleidigten, bedrohten und bedrängten sie andere Prozessbesucher*innen. Am zweiten Prozesstag verschaffte sich der gesamte Unterstützer*innenkreis der Angeklagten durch Gewaltandrohungen und körperliche Übergriffe Zugang zum Gerichtssaal; nur wenige Plätze blieben für kritische Prozessbeobachter*innen übrig. Die in großer Zahl anwesende Polizei schritt dabei nur zögerlich ein und duldete im Großen und Ganzen das dominante und aggressive Auftreten der Neonazis. „Das hätte man sehen können, aber die haben nichts gemacht, der Schutz war also nicht da“, beschwert sich eine Prozessbeobachterin. Ab dem dritten Prozesstag änderte das Gericht dann das Einlassverfahren, indem Nummern nach der Reihenfolge des Erscheinens vergeben wurden. Zudem sank relativ bald die Anzahl an rechten Unterstützer*innen, die für den Prozess anreisten.
Inzwischen hat sich eine gewisse Routine eingestellt. Als Unterstützer*innen der Angeklagten erscheinen meist zwei bis sieben Personen. Besonders regelmäßig sind Mutter und Schwester von Leon R. vor Ort, die beide offensichtlich die Neonazi-Ideologie der Angeklagten teilen und deren Rolle im Knockout 51-Komplex bislang noch ungeklärt ist. Dem gegenüber steht eine Mehrheit an kritischen Prozessbeobachter*innen, von denen je nach Verhandlungstag 15 bis 30 die Plätze im Saal füllen.
Rechter Raumkampf in Eisenach
In den ersten 13 Prozesstagen wurden vor allem Zeug*innen der insgesamt 14 Taten gehört, die den Angeklagten vorgeworfen werden. Auch wenn diese Befragungen insgesamt wenig neue Erkenntnisse über das Agieren der Neonazi-Gruppe erbrachten, machten sie vor allem eins deutlich: Mit einem „Klima der Vergeltungsaktionen“, wie ein Zeuge es nennt, versuchte sich Knockout 51 in Eisenach mutmaßlich zur „Ordnungsmacht“ aufzuspielen. Eine Person soll auf einer Kirmes vom Angeklagten Bastian A. angegriffen und verletzt worden sein, weil ihr vorgeworfen wurde, an einem Angriff auf die rechte Szenekneipe Bull’s Eye, die bis zu seiner Verhaftung von Leon R. und jetzt von dessen Mutter geführt wird, in Eisenach beteiligt gewesen zu sein. Eine andere Person wurde nach einer vermeintlichen Beleidigung einer Knockout 51-Anhängerin vermutlich in eine Falle gelockt und dann von einer Gruppe um den Angeklagten Eric K. mit Pfefferspray besprüht und mit Quarzsandhandschuhen geschlagen. Aber auch der Kontakt zur Freundin eines Angeklagten, eine Ausbildung zum Polizeibeamten oder Drogenkonsum scheinen ausgereicht zu haben, um von Mitgliedern der Gruppe krankenhausreif geprügelt zu werden.
Viele der Zeug*innen, die zu diesen Vorfällen befragt wurden, wirken vor Gericht stark eingeschüchtert, als wollten sie ja kein Wort zu viel sagen. Auch als später Polizeibeamte befragt werden, die die Zeug*innen direkt nach den Angriffen vernommen hatten, wird deutlich, dass viele Zeug*innen Angst vor den Folgen ihrer Aussage haben und befürchten, dass sie dafür von noch nicht inhaftierten Knockout 51-Unterstützer*innen in Eisenach „tyrannisiert“ werden könnten. Theresa Lauß von ezra erklärt, dass Aussagen vor Gericht, in denen Zeug*innen vor der Verteidigung und den Angeklagten noch einmal von Angriffen auf sie erzählen müssen, immer eine enorme Belastung darstellen. Im Fall von Knockout 51 gehen diese Aussagen zusätzlich mit konkreten Bedrohungssituationen einher: „Einschüchterungsversuche hat es auch vor dem Gerichtsverfahren gegeben, zum Beispiel in einer Shisha-Bar, in der Angeklagter und Zeug*in aufeinandertrafen. Dies trägt sich im Gerichtssaal fort.“
Das Gericht hätte hier mehr Möglichkeiten, Zeug*innen zu schützen: „Wir sehen es als fatales Signal, wenn das Gericht hier nicht adäquat reagiert: Das meint, Zeug*innen und Geschädigte auf Unterstützungs- und Beratungsangebote hinzuweisen, aber auch einen entsprechenden Zeug*innenschutz zum Beispiel durch Zeug*innenräume, einen gesonderten Einlass oder Zeug*innenbegleitung anzuwenden.“ Ein Zeug*innenraum existierte bisher nicht, was dazu führte, dass Zeug*innen teilweise gemeinsam mit bekannten Eisenacher Neonazis vor dem Gerichtssaal warten mussten, bis sie hereingerufen wurden. ezra hatte im September in einem Brief an das Gericht darum gebeten, die entsprechende Umsetzung des Opferschutzes zu prüfen. Bis heute gibt es keine Rückmeldung vonseiten des Gerichts.
Eine beträchtliche Zahl an geladenen Zeug*innen musste gar nicht aussagen, da sie von einem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen konnten. Dies wird gewährt, wenn die Möglichkeit besteht, dass man sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst belasten könnte. Auf einige Zeug*innen traf das zu, weil sie von Partys berichten sollten, die aufgrund der damals geltenden Pandemiemaßnahmen eigentlich verboten gewesen wären. Andere Zeug*innen konnten hingegen von ihrem Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch machen, weil sie im Verdacht stehen, Knockout 51 selbst aktiv unterstützt zu haben. Einzelne, die trotzdem aussagten, bleiben wortkarg und haben haben große Erinnerungslücken. Ungewohnt deutlich erklärte ein Zeuge: „Für Sie [die Staatsanwaltschaft] geht es um Knockout, für mich ist das mein Freundeskreis, unabhängig davon, was jetzt vorgeworfen wird“. Hier wird deutlich, dass es neben den konkreten Mitgliedern von Knockout 51 noch ein weitaus größeres Umfeld an Personen in Eisenach gibt, dass die Neonazi-deologie der Gruppe vielleicht nicht aktiv unterstützt, aber doch duldet – und damit zu einer Normalisierung rechter Gewalt beiträgt.
Auch die Vertreter*innen des Solidarischen Kollektivs Eisenachs betonen, dass die Duldung und Akzeptanz von rechten Strukturen in Eisenach ein größeres Problem darstellt: „Das Aufspielen zu einer Ordnungsmacht [durch Knockout 51] wurde von der Stadtgesellschaft kaum wahrgenommen oder kritisch betrachtet.“ Auch der Prozess würde daran wenig ändern: „In manchen Köpfen gibt es ein Umdenken, aber viele beschäftigen sich trotzdem einfach nicht damit, weil sie ja selbst nicht betroffen sind.“ Für einen tieferen Einblick in Kontext und Bedingungen dieser Normalisierung der extremen Rechten empfiehlt sich die 2021 erschienene Studie „Rechtsextremismus in Eisenach” von Axel Salheiser und Jennifer Joyce Rieck vom Institut für Demokratie und Zivilgesellschaft Jena.
Kritische Prozessbeobachtung gegen rechts
Ab 2024 geht der Prozess in seine zweite Phase: Die Beweisaufnahme mithilfe von Telefonmitschnitten, Fahrzeuginnenraumüberwachungen und Chatprotokollen beginnt. Die Verteidigung hatte am 19. Dezember Widerspruch gegen die Verwertung dieser Beweismittel eingelegt. Der Richter hat dem Antrag jedoch nicht stattgegeben. Auch wenn einzelne Überprüfungen noch ausstehen, geht das Verfahren erstmal wie geplant weiter.
Auch diese Phase des Prozesses wird von vielen Personen begleitet werden, die den Prozess aus kritischer und antifaschistischer Perspektive beobachten. Damit wollen sie Präsenz gegen rechts und Solidarität mit Betroffenen rechter Gewalt zeigen. „Die antifaschistischen Prozessbeobachter*innen sind sehr wichtig für die Grundstimmung im Gericht und vor allem für die Zeug*innen, denn wer sagt schon gern gegen Neonazis aus, wenn im Zuschauerraum gewaltbereite Faschos sitzen“, erklärt eine Vertreterin des Solidarischen Kollektivs Eisenach. Theresa Lauß von ezra ergänzt: „Kritische Prozessbeobachtung ist auch wichtig, um Erkenntnisse aus dem Prozess der Öffentlichkeit zur Verfügung zu stellen, damit zum Beispiel Narrative der Verteidiger nicht unkritisch reproduziert werden. In Thüringen hat sich in den letzten Jahren gezeigt, dass in Gerichtsprozessen Taten häufig entpolitisiert und nur ungenügend aufgearbeitet werden. Unerlässlich ist es für eine umfassende Aufklärung deswegen auch, dass das im Prozess deutlich werdende Handeln der Strafverfolgungsbehörden kritisch und unabhängig beobachtet und im besten Falle dokumentiert wird.“ Besonders kritisch ist es deswegen auch zu sehen, dass Prozessbesucher*innen weder Stift noch Papier mit in den Gerichtssaal nehmen können. Ausgenommen von dieser Regelung sind akkreditierte Journalist*innen.
Aus der Sicht einer Prozessbeobachterin geht die Bedeutung der Prozessbeobachtung noch weiter: „Es geht nicht nur um Knockout 51. Vor 30 Jahren war Jena von Faschos überflutet und jetzt laufen sie wieder auf den Straßen rum. Jena ist nicht so links, wie alle immer denken, es ist keine ‘rote Insel im braunen Meer‘. Deswegen wollen wir zeigen, dass wir hier sind und uns den Raum nehmen.“ Sie hofft, dass der Prozess Gerechtigkeit herstellt und den Rechten endlich Grenzen aufzeigt: „Wenn nur geringe Strafen dabei herauskommen, sehen alle, dass man mit sowas durchkommen kann.“ Bereits jetzt beobachten zivilgesellschaftlich Engagierte in Eisenach eine neue, noch jüngeren Gruppe von rechten Kampfsportlern, die mit körperlichen Drohungen und Angriffen versuchen, in die Fußstapfen von Knockout 51 zu treten. Unabhängig vom weiteren Verlauf des Prozesses bleibt ein entschiedenes Eintreten gegen rechte Ideologien, Strukturen und Aktivitäten somit bitter notwendig – in Eisenach, Jena und darüber hinaus.
Ausführliche Berichte zu den einzelnen Verhandlungstagen des Knockout 51-Prozesses am OLG Jena werden derzeit auf
https://prozessdoku-thueringen.de/ regelmäßig veröffentlicht.