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Leichtes Spiel für Schurken
Ein Neonazi-Kamerad wird offiziell zur Kameradin – vermutlich, um das Selbstbestimmungsgesetz lächerlich zu machen. Die neuen Regeln für trans Personen öffnen auch jenen Tür und Tor, die sie offenbar ad absurdum führen wollen.
Der Mensch, der sich Marla Svenja Liebich nennt, wirkt auf Fotos eher grimmig. Auch für ein freundliches Wesen gibt es keine Indizien. Seit Ende der Neunzigerjahre ist Liebich im Neonazi-Milieu von Sachsen-Anhalt eine feste Größe, betrieb einen Onlineshop, der Baseballschläger mit der Aufschrift »Abschiebehelfer« verkauft haben soll.
2021 erschien Liebich mit Gesinnungsgenossen vor der KZ-Gedenkstätte Buchenwald
und postete anschließend ein Selfie auf Telegram. Dazu den Text: »Vergesst nicht, heut’ wieder 22 Uhr in Euren Baracken zu sein.« Der Landesverfassungsschutz bescheinigte Liebich in seinem Jahresbericht 2021 eine »ideologische Nähe zum Nationalsozialismus«. Im August 2024 verurteilte das Landgericht Halle in zweiter Instanz den NS-Fan unter anderem wegen Volksverhetzung zu einer Haftstrafe von 18 Monaten ohne Bewährung. Liebich ging in Revision.
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Irgendwann um diese Zeit muss Liebich beantragt haben, fortan als Frau das Andenken Hitlers und seiner Helfer hochzuhalten. Seit Anfang November hat Liebich offiziell ein anderes Geschlecht. Mithilfe des neuen Selbstbestimmungsgesetzes wurde aus dem Kameraden Liebich die Kameradin Liebich. Dafür reichten eine einfache persönliche »Erklärung mit Eigenversicherung«, die drei Monate vorher angemeldet werden musste, sowie 50 Euro Bearbeitungsgebühr beim Standesamt in Schkeuditz.
Der Verdacht liegt nahe, dass die Änderung des Geschlechtseintrags und der Namenswechsel nur Propaganda sind, um »den ganzen Transgenderzirkus mit seinen eigenen Waffen zu schlagen«, wie es in einem Neonazi-Forum heißt. Der Thüringer Rechtsextremist Tommy Frenck frohlockte in seinem Telegram-Kanal: »Genau so muss man das System der Links/Grünen vorführen.«
Liebich hatte noch im September 2023 Teilnehmer einer Christopher-Street-Day-Veranstaltung als »Schwuletten« verhöhnt und über »Transfaschismus« schwadroniert. Auch mit der Rechtsprechung deutscher Gerichte hatte Liebich gehadert: »Wenn man einen Mann als Mann bezeichnet, obwohl er sich selbst als Frau sieht, dann kriegt man ’ne Anzeige.« Dass die Anzeigeerstatter anschließend vor Gericht auch noch recht bekämen, brandmarkte Liebich als »induzierten Irrsinn«.
Man könnte den Fall Liebich als Show eines Neonazis abtun, würfe er nicht grundsätzliche Fragen auf. Denn das Selbstbestimmungsgesetz öffnet auch jenen Tür und Tor, die es ad absurdum führen wollen. Es sind keine objektivierbaren Kriterien mehr nötig, um den Wunsch nach einem Wechsel des Geschlechts zu begründen; das persönliche Bekenntnis reicht aus. So haben Schurken und Spaßvögel leichtes Spiel.
Judith Froese, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Konstanz, hat dies bereits als Sachverständige im Gesetzgebungsverfahren moniert. Sie sagte »gravierende absehbare Folgeprobleme« vorher, etwa im Strafvollzug oder in Rechtsverhältnissen unter Privaten, »in denen es auf das Geschlecht einer Person ankommt«.
Zum Beispiel im Presserecht, wo Liebich sich von einem Rechtsanwalt vertreten lässt, der unter Rechtsextremisten geschätzt wird. Der Anwalt verlangt im Namen seiner Mandantin Geld von diversen Medien, getreu den Buchstaben des Selbstbestimmungsgesetzes. Paragraf 13 regelt ein »Offenbarungsverbot«. Demnach ist es unzulässig, die zuvor »eingetragene Geschlechtsangabe« oder die früheren Vornamen ohne Zustimmung der betroffenen Person offenzulegen.
Genau das aber hatten der SPIEGEL und andere Medien in ihren Berichten über die wundersame Wandlung des Neonazis zur Neonazistin getan. Mit Schreiben vom 17. Januar forderte Liebichs Anwalt den SPIEGEL auf, eine strafbewehrte Unterlassungserklärung abzugeben. Werde dagegen verstoßen, sei »für jeden Fall eine Vertragsstrafe in Höhe von 10.000 Euro zu zahlen«.
Und: Die Offenbarung des früheren Namens stelle »einen schwerwiegenden Eingriff in die Persönlichkeitsrechte« dar und habe zu einer »öffentlichen Bloßstellung« der frisch gebackenen Marla Svenja Liebich geführt. Daher müsse auch »ein angemessenes Schmerzensgeld in Höhe von 15.000 Euro« herbei.
Der Rechtsextremist feixt
Die Aktion ist so offenkundig fadenscheinig wie die seiner Mandantin. Zumal ein öffentliches Interesse, das die Berichterstattung im Fall Liebich in all seinen Facetten rechtfertigt, auf der Hand liegen dürfte. Nicht zuletzt, weil die Neonazi-Ikone und ihre Gesinnungsgenossen die Debatte nach Kräften befeuern.
Das zeigt ein Post des österreichischen Rechtsextremisten Martin Sellner. Er teilte ein Video von »Welt TV«, in dem sich die Redakteurin zwischen den Pronomen »er« und »sie« verhaspelt und schließlich kapituliert: »Um diese Person nicht zu misgendern, muss ich jetzt auch von sie sprechen.« Rechtsextremist Sellner feixt: »Danke Sven (ja). Seht, wie sie sich winden und um eine klare Aussage drücken. Sie wissen, dass er sie veräppelt, aber dürfen nicht sagen, was Sache ist.«
»Schon ein Fall kann zu viel sein, das kann man nicht einfach als Einzelfall abtun«
Judith Froese, Professorin für Öffentliches Recht an der Universität Konstanz
Juraprofessorin Froese erinnert an die Hoffnung vieler Befürworter und Befürworterinnen des Gesetzes, es werde schon keinen Missbrauch geben. Das habe sich nun als naiv herausgestellt: »Schon ein Fall kann zu viel sein, das kann man nicht einfach als Einzelfall abtun.« Ihrer Ansicht nach hat es sich »der Gesetzgeber zu einfach gemacht und die Last der Auseinandersetzung nach unten weitergereicht«.
Nun hat der erste bekannt gewordene Fall die Rechtsabteilungen deutscher Medienunternehmen erreicht. Danach könnte er die Behörden treffen, die für den Strafvollzug zuständig sind. Sollte das Urteil gegen Liebich in Halle rechtskräftig werden, müsste die dortige Staatsanwaltschaft entscheiden, wo Liebich seine Strafe verbüßt. Im Frauenknast?
Eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft versichert, es gebe »in einem solchen Fall keinen Automatismus«. Die Unterbringung müsse sich nicht an dem neuen Geschlechtseintrag orientieren. Man prüfe im Einzelfall auch, ob »die Änderung eines Geschlechtseintrags missbräuchlich vorgenommen« wurde.
Das war bereits im alten Transsexuellengesetz so geregelt, wie der Bundesverband Trans* betont: »Die Unterbringung in den Einrichtungen der Justiz« folge den »Regelungen im jeweiligen Landesstrafvollzugsgesetz.«
In Berlin etwa sei das Geschlecht dabei nicht »das allein handlungsleitende Merkmal«, berücksichtigt würden auch »Aspekte der Sicherheit und Ordnung, körperliche Gegebenheiten und der Wunsch der zu inhaftierenden Person«. Andere Bundesländer entscheiden solche Fälle wohl ähnlich.
Zum konkreten Fall Liebich äußern sich die Interessenverbände der queeren Szene sehr zurückhaltend. Womöglich fürchten sie, dass der Propaganda-Coup alte Debatten neu befeuern könnte.
Lange hatten trans Personen auf eine Reform des Transsexuellengesetzes von 1980 gewartet. Das Gesetz hatte bis 2011 Menschen verpflichtet, sich sterilisieren zu lassen, um im geänderten Geschlecht rechtlich voll und ganz anerkannt zu werden. Zuletzt waren noch zwei psychologische Gutachten und die Zustimmung eines zuständigen Gerichts dafür nötig.
Bedenken feministischer Organisationen
Nachdem die Ampelregierung 2023 erste Vorschläge für das neue Selbstbestimmungsgesetz vorgestellt hatte, begann eine ebenso emotionale wie kontroverse Debatte. Immer wieder äußerten Organisationen aus dem feministischen Spektrum ihre Bedenken, dass trans Frauen Schutzräume wie etwa Frauenhäuser gefährden könnten.
Solche Argumente wurden auch vom rechten Lager übernommen, um die grundsätzliche Existenz von trans Personen infrage zu stellen. Und stets hatten trans Verbände argumentiert: Das neue Gesetz müsse umgekehrt trans Menschen vor Schikanen und Diskriminierung schützen, das Geschlecht dürfe weder medizinisch bewertet noch anderweitig überprüft werden.
»Transfrauen sind Frauen«, lautete ihr Slogan, der nun von Liebichs Nazi-Freunden in sozialen Netzwerken geteilt wird. Der »Kulturkampf«, den Ferda Ataman, die Antidiskriminierungsbeauftragte der Bundesregierung, in der Debatte über das Selbstbestimmungsgesetz ausgemacht hatte, steht womöglich vor einer Neuauflage.
Denn wirklich befriedet sind die Auseinandersetzungen bis heute nicht. »Wir schaffen das Selbstbestimmungsgesetz der Ampel wieder ab«, steht etwa im Programm von CDU/CSU für die anstehende Bundestagswahl.
Der Fall Liebich könnte zum Beschleuniger werden. Auch wenn vieles für eine PR-Nummer spricht, wollen auch die Interessenverbände Liebich das Frau-Sein offenbar nicht einfach absprechen. Das liefe dem jahrelang vorgetragenen Mantra zuwider.
Im Fall Liebich bestehe »eine gewisse Wahrscheinlichkeit«, dass es sich um »rechtsradikale Propaganda« handle, schreibt die Deutsche Gesellschaft für Trans* und Inter*geschlechtlichkeit auf Anfrage. Der Bundesverband Trans* fände es offenbar gut, wenn über die ganze Angelegenheit möglichst wenig gesprochen würde. Ein Sprecher des Verbands schreibt: Sollte sich herausstellen, »dass die Vornamens- und Personenstandsänderung Liebichs ein PR-Stunt ist, wäre es besser gewesen, den Raum, den die Medien dieser Änderung einordnen, bei einer Fußnote zu belassen«.
Und der LSVD* – Verband Queere Vielfalt fordert: Strategien der Angstmache, die in den vergangenen Jahren gezielt geschürt worden seien, müssten klarer benannt werden, um den Fall Liebich einzuordnen. Niemand könne der Strafverfolgung durch die Änderung des Vornamens entgehen.
In der Tat ist die Anzahl der international bekannt gewordenen Fälle, bei denen solche Gesetze missbraucht wurden, verschwindend gering. Die Verbesserungen für trans Personen durch das Gesetz hingegen gelten in der queeren Szene als Meilenstein .
Dass die ganze Aufregung auch die erwartbare Folge eines gut gemeinten, aber schlecht gemachten Gesetzes sein könnte, scheinen die Verantwortlichen der queeren Interessenverbände allem Anschein nach nicht so gern hören zu wollen. Angesichts der Schadenfreude in Neonazi-Kreisen eine nachvollziehbare Reaktion. Doch die Probleme des Gesetzes könnten bleiben.
Jegliche Gewerbetätigkeit untersagt
Immerhin ist auch in Liebichs Reich offenbar einiges ins Wanken geraten. Den Onlineshop hat inzwischen ihre Schwester Anja Liebich übernommen. Schon im Februar 2023 hat die Stadt Halle Liebich die Ausübung jeglicher Gewerbetätigkeit untersagt. Ein Umstand, der auch mit einer Verurteilung wegen Steuerhinterziehung zusammenhängt. Liebichs Anwalt ließ eine Anfrage zu dem Thema unbeantwortet.
Im Onlineshop gibt es, neben Reichsadlern und Hitler-Emojis, nun auch T-Shirts mit dem Aufdruck: »Transfrauen sind Frauen«. Natürlich in altdeutscher Schrift, das ist man den Kameradinnen schuldig.