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Wie ganz rechts ein positives Russland-Bild entstand
Volker Weiß schreibt von „Umdeutungen“ der deutschen Geschichte. Und er beginnt seine konkrete Untersuchung dann beim für die radikale Rechte derzeit so erstaunlich erbaulichen Blick auf Russland. Die Putin-Bewunderung von rechts kommt eigentlich eher überraschend. Der ältere deutsche Chauvinismus blickte auf Russland ja eher herab, definierte den ganzen „Osten“ abschätzig als kolonialen Expansionsraum, als „deutsches Indien“.
Nach dem russischen Totalangriff auf die Ukraine am 24. Februar 2022 gab es hierzulande dann auch einen Moment des Zögerns. Verschiedener rechte Sichtweisen konkurrierten erst einmal miteinander – zwischen nationalistischer Ukraine-Solidarität gegen Moskauer Vielvölkerstaat-Imperialismus einerseits, Putin-Bewunderung andererseits. Wenn heute Dmitrij Medwedjew, der Vizechef des Sicherheitsrats in Moskau, raunt, jahrzehntelang habe „das angelsächsische Kapital“ gewirkt, um Russland kleinzuhalten – dann hat die deutsche Rechte am Ende aber in dieser Verschwörungserzählung den größten Reiz gesehen.
Der Russland-Korrespondent von Tumult und Ernst-Jünger-Spezialist, Alexander Michailowski, gehörte zu denen, die schon früh nach Kriegsbeginn eine mit dieser Verschwörungserzählung verbundene positive Sehnsucht herausstrichen. Nämlich: Es sei das Ziel der USA, ein Zusammengehen der Industriemacht Deutschland mit den enormen Energiereserven Russlands zu verhindern – weil sonst echte, gewichtige Konkurrenz für die USA entstehen würde. Zwei „Erdmächte“ im Bund gegen die angelsächsischen „Seemächte“ – so hat das Dimitrios Kisoudis, seit 2022 der Grundsatzreferent von AfD-Chef Tino Chrupalla, schon 2015 in seinem Buch „Goldgrund Eurasien“ ausgeführt.
Während Putin für sein heimisches Publikum jetzt „Kiew entnazifizieren!“-Propaganda verbreitet, die vor Weltkriegsassoziationen nur so trieft und Russlands heutigen Krieg ins Licht einer historisch gerechten Sache rücken soll, rezipiert man das in der deutschen Rechten indessen lieber nicht so sehr.
Hitler wollte die Arbeiter bewusst irrtieren
Zweites Beispiel: Volker Weiß blickt auch auf die Umdeutung der historischen NS-Ideologie zu einer „linken“ Angelegenheit, gerade jüngst wieder vorgeführt durch die wahlkämpfende AfD-Chefin Alice Weidel im Gespräch mit dem amerikanischen Tech-Milliardär Elon Musk. Volker Weiß beginnt damit, akribisch und anhand von Goebbels- und Hitler-Äußerungen zu zeigen, dass schon die historischen Nationalsozialisten hier bewusst ein Verwirrspiel anlegen wollten.
Ging es ihnen damals darum, durch die Übernahme der Signalfarbe Rot und die Verwendung des Begriffs „Arbeiterpartei“ das linke Lager zu irritieren und aufzubrechen, so gehe es der heutigen AfD darum, so schreibt Volker Weiß, „die gesamte historische Schuld für die zentrale Katastrophe der deutschen Geschichte einfach dem Gegner zuzuschieben“. Das biete „die Gelegenheit, die lästige ‚Vergangenheitsbewältigung‘ nicht einfach zu beenden, sondern im eigenen Sinne umzuwerten (...): Wenn die Nazis ‚eigentlich‘ Linke waren, dann ist damit die politische Rechte vollständig rehabilitiert.“
Und damit zum vielleicht wirkmächtigsten AfD-Geschichtsnarrativ derzeit, dem Volker Weiß das letzte Drittel seines Buchs widmet. „Noch unmittelbar nach der Wende hatte die neurechte Publizistik sehr misstrauisch auf das ‚Erbe der DDR-Bewußtseinsindustrie‘ geblickt und sich gefragt, welche Einflüsse nun auf das Land wirken würden“, schreibt der Historiker. „Die Skepsis ist allmählich der Begeisterung gewichen, und heute beutet dasselbe Milieu die antiliberalen Hinterlassenschaften der SED schamlos aus.“
Volker Weiß zitiert dazu ein seit vielen Jahren durchs Netz schwappendes Meme, das heißt ein Internet-Bildchen zum Teilen. „Ostdeutsch“, so heißt es da, sei „ja heutzutage ein Kompliment“. Es folgt eine Aufzählung der angeblich im Westen verlorenen Tugenden: „abgeschlossene Ausbildung, saubere Ahnentafel, Allgemeinbildung, rationales Denken, technisches Grundverständnis, ideologiefreie Weltanschauung“.
Weiß braucht nur wenige Worte, um festzuhalten, dass das natürlich alles andere als ideologiefrei formuliert ist. Wichtiger und interessanter ist aber, die hohe Bedeutung dieser heute vor allem von rechts gepflegten Ost-Romantisierung herauszuarbeiten – ein Kunststück der nachträglichen Umdeutung. Volker Weiß: „Aus der autoritären Kontrollgesellschaft des Staatssozialismus wird eine anheimelnde, identitätsstiftende Gemeinschaft, in der Recht und Ordnung herrschten.“
Was findet die AfD an der Ex-DDR so gut?
In diesem Sinne bekennt sich heute etwa Jürgen Elsässer, Kopf von Compact, zu einer angeblich aus „Patriotismus“ gespeisten „Ostalgie“. Und in diesem Sinne hofiert die rechte Wochenzeitung Junge Freiheit heute sogar einen Autor, der einst DDR-Grenzsoldat war. Hätte man das vor 40 Jahren in der alten Bundesrepublik prophezeit, als Rechtsradikale von der roten Gefahr sprachen und Nationalzeitung lasen, man wäre sehr schräg angesehen worden.
Interessant wäre jetzt die Frage, ob die AfD da nicht sogar einen Punkt hat. Gibt es nicht auch Kontinuitätslinien? War doch die DDR, bei aller „Brudervölker“-Rhetorik, real existierend ein Staat, der auf Absonderung, gar Kasernierung seiner „Gastarbeiter“ setzte. Auf gewaltsame Niederdrückung von Jugendlichen, die sich für rebellische (und kosmopolitische) Jugendkultur interessierten. Auf vorgezeichnete Lebenswege statt Individualismus.
Ob die heutige AfD wirklich so eine große Geschichtsverdrehung nötig hat, um ihre Sehnsucht nach einem von 1968 „unverdorbenen“ Deutschland mit einem historischen Bild zu illustrieren, wie Volker Weiß nahelegt? Jedenfalls zeigt er auf, wie viel Gewinn sie heute aus dieser Geschichtspolitik zieht. Das geht so weit, dass AfD-Politiker wie Björn Höcke sich sogar noch als legitime Erben der DDR-Montagsdemonstranten inszenieren (AfD-Slogan 2024: „Vollende die Wende“). Volker Weiß: „Selbst dieser scheinbare Widerspruch zwischen DDR-Lob und aufgerufener Bürgerrechtstradition ist ein kluger Winkelzug. Durch ihn wird der Vertretungsanspruch doppelt exklusiv, da er die gesamte DDR-Geschichte eingemeindet.“
Und das alles beschreibt der Historiker Weiß so elegant, anschaulich und detailgenau, auf 230 kurzweiligen Seiten, dass umso unverständlicher wird, wieso der Verlag Klett Cotta diesem Buch einen kryptischen Titel wie „Das Deutsche Demokratische Reich“ und einen fast genauso rätselhaften Untertitel verpasst hat.
Der Jurist Steinen war es, der kürzlich von „Berufsverbot“ schrieb, als es um die Referendarin mit Einträgen im ZStV ging.
Insofern hätte ich mir einen anderen Rezensenten gewünscht, das Buch selbst scheint interessant.