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Diese Verharmlosung erfolgte öffentlich im Sinne des § 130 Abs. 3 StGB. Dies ist dann der Fall, wenn die Äußerung – unabhängig von der Öffentlichkeit des Ortes – von einem größeren nach Zahl und Individualität unbestimmten und durch nähere Beziehungen nicht verbundenen Personenkreis unmittelbar wahrgenommen werden kann (vgl. Rackow in: Beck OKStG, 52. Ed. 1.2.2022, StGB § 130 Rn. 35). Die Verwendung des gelben Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ erfolgte auf dem öffentlich einsehbaren Telegram-Profil des Beschuldigten. Sie war damit für jeden Nutzer des Messengerdienstes Telegram zugänglich. Deren stetig wachsender Nutzerkreis ist zahlenmäßig nicht überschaubar und nicht durch nähere Beziehungen miteinander verbunden, sodass die Verwendung des verfahrensgegenständlichen Profilbildes im Sinne des § 130 Abs .3 StGB öffentlich erfolgte.
Die Äußerung war darüber hinaus geeignet den öffentlichen Frieden zu stören. Eingriffe in die verfassungsrechtlich garantierte Meinungsfreiheit dürfen nicht darauf gerichtet sein, Schutzmaßnahmen gegenüber rein geistig bleibenden Wirkungen von bestimmten Meinungsäußerungen zu treffen. Dementsprechend ist dem Begriff des öffentlichen Friedens ein eingrenzendes Verständnis zugrunde zu legen. Der öffentliche Friede umfasst dabei den Zustand allgemeiner Rechtssicherheit und des befriedeten Zusammenlebens der Bürger sowie das Bewusstsein der Bevölkerung, in Ruhe und Frieden zu leben. Nicht tragfähig ist dagegen ein Verständnis, das auf den Schutz vor subjektiver Beunruhigung durch Konfrontation mit provokanten Meinungen und Ideologien zielt. Ziel ist vielmehr der Schutz vor Äußerungen, die erkennbar auf rechtsgutgefährdende Handlungen hin angelegt sind. Die Wahrung des öffentlichen Friedens bezieht sich demnach auf die Außenwirkung von Meinungsäußerungen etwa durch Appelle oder Emotionalisierungen, die bei den Angesprochenen Handlungsbereitschaft auslösen oder Hemmschwellen herabsetzen oder Dritte unmittelbar einschüchtern können. Zwar ist die Volksverhetzung nach § 130 Abs. 3 StGB ein abstraktes Gefährdungsdelikt und erfordert demnach keine konkrete Gefährdung oder gar tatsächliche Störung des öffentlichen Friedens. Im Lichte der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts muss jedoch die Tat bei einer objektiven ex-ante Betrachtung nach Inhalt, Ort oder anderen Umständen konkret geeignet gewesen sein, das Vertrauen in die Rechtssicherheit zu erschüttern oder das psychische Klima aufzuhetzen. Dies ist aufgrund einer Gesamtwürdigung von Art, Inhalt, Form, Umfeld der Äußerung, Stimmungslage der Bevölkerung und politischer Situation zu bestimmen, wobei bereits die Verhetzung eines aufnahme-/gewaltbereiten Publikums genügt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.06.2018 – 1 BvR 2083/15; Fischer, Strafgesetzbuch mit Nebengesetzen, 68. Auflage 2021, § 130 Rn. 13 ff.; MüKoStGB/Schäfer/Anstötz, 4. Aufl. 2021, StGB § 130 Rn. 23 f., 86; Rackow in: Beck OKStG, 52. Ed. 1.2.2022, StGB § 130 Rn. 22 f.). Unter Berücksichtigung dieses Prüfungsmaßstabes besteht nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen zumindest ein Anfangsverdacht für eine Eignung zur Störung des öffentlichen Friedens. Nach den bislang vorliegenden Ermittlungserkenntnissen ist der Beschuldigte seit über zwei Jahren in der Querdenkerszene aktiv. Er ist Mitglied in 59 systemkritischen Telegram-Gruppen, deren Namen und Inhalte auf eine extreme rechte politische Gesinnung schließen lassen. Insbesondere im „P. Netzwerk“ werden fortlaufend antisemitische und holocaustleugnende Äußerungen getätigt und Beiträge geteilt. Den freiheitsbeschränkenden staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie und den jeweiligen politischen Entscheidungsträgern wird in diesen Gruppen bisweilen nicht bloß kritisch, sondern offen feindselig entgegengetreten. Das Diskussionsklima ist aufgeheizt und vergiftet. Man stilisiert sich zum Opfer einer staatlichen Willkürherrschaft und in diesem Zusammenhang kommt es mitunter auch zu Gewaltaufrufen. Bezeichnenderweise zeigen weitere Profilbilder des Beschuldigten „Wo Unrecht zu Recht wird, wird Widerstand zur Pflicht“, „Söder muss weg“ und „Volksbegehren Landtag abberufen“. Aus der kürzlich veröffentlichten Statistik des Bundeskriminalamtes für das Jahr 2021 ergibt sich, dass die Zahl der politisch motivierten Straftaten im Vergleich zum Vorjahr um 23 % auf insgesamt 55.048 angestiegen ist. Dies gilt nicht nur für die Propagandadelikte. Auch bei den Gewalttaten stieg die Zahl um 15,5 % auf 3.899 an. Einen Anstieg verzeichneten insbesondere antisemitische Delikte. Deren Zahl stieg im Vergleich zum Vorjahr um knapp 29 % auf 3.027. Den stärksten Zuwachs (147 %) verzeichneten allerdings Straftaten, die von der Polizei keiner speziellen Ideologie zugeordnet wurden, allerdings nach bisherigen Erkenntnissen in weiten Teilen mit Protesten gegen staatliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie zusammenhingen. Deren Anzahl betrug insgesamt 21.399. Vor dem Hintergrund dieser Zahlen und in dem derzeitigen Diskussionsklima erscheint die Verwendung des gelben Judensterns mit der Inschrift „NICHT GEIMPFT“ dazu geeignet, den empfundenen Opferstatuts und das Gefühl vermeintlicher Unterdrückung zu bestärken, die ohnehin bereits aufgeheizte politische Stimmung weiter zu verschärfen, die Hemmschwelle für gewaltsame staatsfeindliche Handlungen herabzusetzen und eine latent vorhandene Gewaltbereitschaft zu entfesseln. Die Tatsache, dass der Beschuldigte – zumindest soweit bislang bekannt – den gelben Judenstern ausschließlich als Profilbild seines Telegram-Accounts benutzt hat, steht dieser Annahme nicht entgegen. Die forensische Erfahrung der letzten Jahre hat zunehmend gezeigt, dass die Anzahl derer, die sich über das Internet radikalisieren und Gewaltbereitschaft zeigten, stetig zunimmt. Dementsprechend ist die in der Verwendung dieses speziellen Profilbildes zum Ausdruck kommende Meinungsäußerung über die bloße Meinungsbildung hinaus mittelbar auf Realwirkung angelegt und kann unmittelbar rechtsgutgefährdende Folgen auslösen.
Aufgrund der allgemein bekannten historischen Bedeutung des gelben Judensterns muss sich dem Beschuldigten die eklatante Diskrepanz seines Vergleichs und damit dessen verharmlosende Wirkung aufgedrängt haben. Demnach ist ebenfalls davon auszugehen, dass dem Beschuldigten die provozierende Wirkung seines haltlosen Vergleichs bewusst gewesen ist. Schließlich dürfte der Beschuldigte angesichts des aufgeheizten Diskussionsklimas und nicht zuletzt wegen seiner langjährigen beruflichen Erfahrung die potentielle Gefährlichkeit seines Verhaltens erkannt haben. Dass er sich in Anbetracht all dieser Umstände dennoch zur Tatbegehung entschloss, legt nahe, dass er eine Gefährdung des öffentlichen Friedens zumindest billigend in Kauf genommen hat.
Schließlich bestehen nach dem derzeitigen Stand der Ermittlungen keine Anhaltspunkte für einen Ausschluss des Tatbestands nach § 130 Abs. 7 StGB i. V. m. § 86 Abs. 3 StGB (Sozialadäquanzklausel).”
Dieser Beitrag wurde am 13. Juni 2022 von Detlef Burhoff in Corona, Entscheidung, StGB, Strafrecht veröffentlicht. Schlagworte: "Nicht geimpft", Gelber Judenstern, LG Würzburg, Volksverhetzung.