Ich würde auch Sachsen-Anhalt dazugeben...
der gesamte Artikel leider hinter einer Paywall, aber der Verlag ist so blöd dass er gebührenpflichtige Artikel auf Papier druckt und verteilt...
Spoiler
Auf der anderen Seite
CORONA Protest in Sangerhausen
Rund 450 Teilnehmer fanden sich ein, um gegen eine Impfpflicht und eine Spaltung der Gesellschaft zu demonstrieren. Welche Argumente werden vorgebracht?
VON JOEL STUBERT
SANGERHAUSEN/MZ - Es ist kurz vor 18 Uhr am Freitagabend, das Thermometer zeigt 0 Grad, Atemwolken steigen aus vielerlei Mündern auf, es wird gelacht, geredet, gewartet.
Dann durchbricht eine weltbekannte Melodie die Szenerie auf dem Marktplatz von Sangerhausen, geschrieben vor über 200 Jahren von Ludwig van Beethoven. Drei markante Achtel auf G, danach ein langgezogenes Es, so beschreiben Musikexperten den markanten Anfang der 5. Sinfonie. Dramatik, Pathos und Aufmerksamkeit sind nun da, dazu die heimelige Weihnachtsatmosphäre im Dunkeln. Musik und Licht waren seit jeher eine gute Kombination, um Emotionen zu schaffen. Aber eigentlich sind diese in Sangerhausen an diesem Freitagabend im Advent auch schon so vorhanden. Denn es geht um ein Thema, das die Gesellschaft derzeit in zwei Pole einteilt: Die Impfung gegen das Coronavirus.
Jens Herold hat sie nicht. ,,Ich habe Angst davor, geimpft zu werden", so Herold. Viel zu wenig sei ihm bekannt, die Impfstoffe nicht ausreichend erprobt. Sein Wissen habe er bei Youtube gefestigt. Die Wissenschaftler dort hätten Ahnung,
Neu-Gesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) nicht. Zwei Nachbarn hätten nach der Impfung einen plötzlichen Herztod erlitten, das sei ihm Warnung genug. Er steht mit seiner Frau im Publikum und hört den Reden zu, die auf dem kleinen Podium gehalten werden. Zwischendurch nickt er oder reiht sich in den allgemeinen Beifall ein, wenn etwa Landtagsmitglied Hans-Thomas Tillschneider (AfD) davon spricht, dass das Gesundheitswesen in Deutschland in einem schlechten Zustand ist. ,,In den Krankenhäusern dreht sich alles nur ums Geld", pflichtet Herold bei.
Unter Azubi-Aufsicht
Seit es 2- und 3G gibt, habe sich sein Leben als Ungeimpfter deutlich verschlechtert. Er habe erst kürzlich in Eisleben zum Friseur gehen wollen, erzählt er. ,,Da musste man sich unter Aufsicht eines Azubis vor Ort testen, um sich die Haare schneiden zu lassen", sagt er. Woher solle denn der Friseur-Azubi wissen, ob er sich richtig teste, so Herold. Er spricht es nicht aus, aber es schwingt eine gewisse Erniedrigung mit, als er das Beispiel schildert. „Ich habe nun beschlossen, ich lasse die Haare so lange wachsen, bis die Pandemie vorbei ist", sagt der 57-Jährige. Die Tatsache, dass unter der Mütze kaum Haare hervorgucken, lässt den Schluss zu, dass zumindest in dieser Hinsicht die Pandemie noch etwas Zeit hat. Aber für Jens Herold, der seit vier Jahren einen Imbiss in der Lutherstadt führt, ist der Friseurbesuch ein Beispiel, um an diesem Abend nach Sangerhausen zu kommen. Es geht ihm um die Sicherheit des Impfstoffes, dem er misstraut, aber vielleicht noch mehr geht. es ihm um die vermeintliche Stigmatisierung der Ungeimpften. “Ich habe viele Freunde verloren, weil im Fernsehen vorgebetet wird, dass man sich impfen lassen und es eine Pandemie der Ungeimpften sein soll." Er wolle nicht zu einer Impfung gezwungen werden.
Ärztin und Organisatorin
Angemeldet worden ist die Veranstaltung in Sangerhausen von Annette Müller, einer Frauenärztin aus Sangerhausen, die in Teutschenthal ihre Praxis hat. Jeder könne sich impfen lassen, wer dies aber nicht will, solle nicht gezwungen werden, sagt sie in ihrer Rede vor den 450 Demonstranten, die ihre Empfehlung, bei einem geringeren Abstand als 1,50 Metern Maske zu tragen, ignorieren. ,,Es besteht das Recht auf körperliche Unversehrtheit." Es gehe ihr darum, gegen die Spaltung der Gesellschaft einzutreten. Es ist nicht das erste Mal, dass Müller solche Veranstaltungen in Sangerhausen organisiert, auch ihr Mann, Arzt im Krankenhaus von Sangerhausen, ist bei derartigen Veranstaltungen bereits als Redner aufgetreten. Doch mittlerweile ist der Protest politischer geworden. Während es sonst so war, dass sich die AfD-Politiker von sich aus den Protesten anschlossen, wurde Tillschneider dieses Mal offenbar als Redner direkt eingeladen.
Appell an den Frieden
Während Tillschneider die Schuld an der Lage im Wesentlichen den verantwortlichen Politikern gibt und dafür viel Zustimmung erntet, hat die Rede von Jana Peter-Kleemann einen anderen, unpolitischen Dreh. Sie ist Sangerhäusern als Darstellerin der historischen Figur Jutta von Sangerhausen bekannt. Diese soll als Wohltäterin Anfang des 13. Jahrhunderts in der Stadt gewirkt haben und gilt in der katholischen Kirche als selig, da sie zwar durch einen Ortsbischof, aber nicht durch die katholische Kirche in Rom heiliggesprochen wurde. Peter-Kleemanns Worte appellieren dann auch an Frieden und einen Krieg mit Worten", sagt sie. Diese Spaltung sieht auch Ines Heutz aus Kelbra. Die 60-Jährige hat eine Kerze mitgebracht. ,,Die Spaltung wird immer mehr zunehmen", sagt sie. ,,Wenn sich nicht bald etwas ändert, gibt es einen Bürgerkrieg." Ungeimpfte wie sie würden zunehmend unter Druck gesetzt. Viele Freundschaften seien ob der Diskussionen kaputt gegangen, sie meide das Thema lieber. Dabei hat sie eine klare Meinung, die durch Vorträge von Ärzten auf Youtube untermauert werde: Eingeschränkte Freiheit, eine Impfung, die viel gefährlicher ist als die Krankheit und ein Regierungsapparat, der Meinung und Presse steuert. Argumente, die flüssig und offenbar häufig vorgetragen werden. Bei Facebook sei sie zweimal je 30 Tage gesperrt worden, nur bei Telegram sei man vor Zensur sicher, sagt Heutz, die sich für die Partei „Die Basis" engagiert und ursprünglich aus dem Raum Göttingen kommt.
Wird sich etwas ändern? Mittlerweile ist eine Stunde vergangen, die Redner haben alles gesagt. Den historischen Bogen soll nun Marius Müller-Westernhagen schlagen. Sein Song „Freiheit", eine der Hymnen, die mit der Wiedervereinigung in Verbindung gebracht werden. Handylichter gehen an, die Kerzen der Moderne. Ines Heutz sagt noch, dass die Menschen einfach frustriert seien. „Viele hätten nach der zweiten Impfung gedacht, sie haben es geschafft. Doch dann noch eine dritte und so weiter. Wo soll das hinführen?" Diese Frage bleibt bestehen. Aber als sich der Marktplatz leert, deutet nicht viel darauf hin, dass sich an der derzeitigen wahrgenommenen Spaltung bald etwas ändern wird.