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Der sich selbst vertretende Antragsteller wendet sich mit seinem Antrag nach § 47 Abs. 6 VwGO gegen die Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 (Corona-Verordnung - CoronaVO) vom 30.11.2020 zuletzt in der Fassung der Achten Verordnung der Landesregierung zur Änderung der Corona-Verordnung vom 13.02.2021 und hilfsweise gegen § 13 Abs. 1 Nr. 6 CoronaVO - bei sachdienlicher Auslegung - in Verbindung mit § 1d Abs. 1 Satz 1 CoronaVO.
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Der gemäß § 1a CoronaVO bis zum 07.03.2021 den übrigen Regelungen der Corona-Verordnung grundsätzlich vorgehende § 1d Abs. 1 Satz 1 CoronaVO untersagt den Betrieb aller Einrichtungen nach § 13 Abs. 1 CoronaVO für den Publikumsverkehr. Die Vorschrift des § 13 Abs. 1 Nr. 6 CoronaVO untersagt mit der Ausnahme von Onlineangeboten für den Publikumsverkehr den Betrieb folgender Einrichtungen: öffentliche und private Sportanlagen und Sportstätten, einschließlich Fitnessstudios, Yogastudios, Skiaufstiegsanlagen und ähnliche Einrichtungen sowie Bolzplätze, mit Ausnahme einer Nutzung für den Freizeit- und Amateurindividualsport allein, zu zweit oder mit den Angehörigen des eigenen Haushalts sowie zu dienstlichen Zwecken, für den Reha-Sport, Schulsport, Studienbetrieb, Spitzen- oder Profisport.
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Der Antragsteller, ein Rechtsanwalt, trägt vor, er sei seit mehreren Jahren Mitglied in einem Fitnessstudio in .... Außerdem sei er seit einiger Zeit Anhänger der „anerkannten Glaubensgemeinschaft ‚Kirche des Bizeps‘“. Bestandteil der Religionsausübung sei der regelmäßige Besuch des Fitnessstudios. Mit der angegriffenen Verordnung werde ihm das Praktizieren der von seiner Glaubensgemeinschaft geforderten religiösen Rituale im Fitnessstudio, wie beispielsweise das Gewichte stemmen, verboten. Er werde in seiner Glaubensgemeinschaft nicht mehr als vollwertiges Mitglied anerkannt und müsse täglich aufgrund seiner ständig nachlassenden körperlichen Fitness den Rauswurf aus der Glaubensgemeinschaft befürchten. Durch die staatlich verordnete Schließung hätten sich bei ihm in den letzten Wochen zunehmend unter anderem psychische wie physische Beeinträchtigungen und mangelnde Leistungsfähigkeit im Beruf gezeigt. Alternativen zu dem Besuch des Fitnessstudios, in dem er Mitglied sei, bestünden für ihn nicht. Insbesondere ließen es die widrigen Witterungsbedingungen nicht zu, dass er unter freiem Himmel anderen Sportarten nachgehe.
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Die angegriffene Verordnung sei evident rechtswidrig. Sie sei schon formell unwirksam. Sie sei zu kurzfristig erlassen und nicht ordnungsgemäß bekannt gegeben worden und missachte das Zitiergebot aus Art. 19 Abs. 1 Satz 2 GG. Sie greife außerdem in unverhältnismäßiger Weise in sein Grundrecht auf Religionsfreiheit (Art. 4 Abs. 1 und 2 GG) ein. Die Schließung von Fitnessstudios sei zu Erreichung des vom Antragsgegner verfolgten, zugestandenermaßen legitimen Zwecks bereits nicht geeignet und unabhängig davon weder erforderlich noch angemessen. Die angegriffene Verordnung sei erkennbar ein Ausdruck aktionistischer Willkür und einer auf undifferenzierte Totalverbote setzenden Politik. Es liege ein Akt bloßer staatlicher Willkür vor, der ohne parlamentarische Beteiligung allein von der Exekutive verfügt worden sei. Bei der Bewertung der Verhältnismäßigkeit sei auch zu beachten, dass die vom Robert-Koch-Institut (RKI) veröffentlichen Inzidenzzahlen eine Schließung von Fitnessstudios nicht rechtfertigen könnten. Das RKI sei dem Antragsgegner zuzuordnen. Falls der Senat erwäge, anhand der Zahlen des RKI eine Schließung aufrechterhalten zu wollen, sei dies offensichtlich rechtswidrig. Denn dann argumentiere der Staat mit den Erkenntnissen der eigenen staatlichen Institutionen, womit jeglichem Rechtsmissbrauch durch staatliche Gewalt Tür und Tor geöffnet wäre, was maximal weit von dem freiheitlich-demokratischen Grundanspruch entfernt wäre. Der Staat könne nicht mit staatlich erhobenen Daten und „Fakten“ (Anführungszeichen vom Antragsteller) staatliche Handlungen rechtfertigen. Es liege darüber hinaus ein rechtswidriger Eingriff „in Art. 2 GG“ vor (gemeint wohl: sowohl in sein Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG als auch in sein Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG). Der Verordnungsgeber missachte außerdem Art. 3 GG, insbesondere dessen Absatz 3, weil er Glaubensgemeinschaften unterschiedlich behandle. Die Verordnung verstoße außerdem gegen Art. 1 GG (gemeint: dessen Absatz 1), weil er (der Antragsteller) durch die absolut nicht nachvollziehbare und nicht auf neutrale Daten gestützte Corona-Verordnung zum bloßen Objekt staatlichen Handelns verkomme.
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Der Antragsteller beantragt,
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die Verordnung der Landesregierung über infektionsschützende Maßnahmen gegen die Ausbreitung des Virus SARS-CoV-2 in der seit dem 15.02.2021 geltenden Fassung, hilfsweise - für den Fall, dass sich der Senat „aus nicht nachvollziehbaren Gründen außerstande sehen sollte, die vollständige angegriffene Regelung zu suspendieren“ - deren § 13 Abs. 1 Nr. 6, im Wege einer einstweiligen Anordnung außer Vollzug zu setzen.
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Weder der Haupt- (1.) noch der Hilfsantrag (2.) haben Erfolg.
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(d) Für den Antrag in der Hauptsache und den nach § 47 Abs. 6 VwGO liegt im oben genannten Rahmen ein Rechtsschutzinteresse vor. Denn der Antragsteller kann mit einem Erfolg dieser Anträge seine Rechtsstellung jeweils verbessern.
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Keiner Entscheidung bedarf es im Rahmen der Zulässigkeit, ob der Vortrag des Antragstellers zu seinen religiösen Überzeugungen glaubhaft ist. Zwar ist ein Rechtsanwalt als Organ der Rechtspflege (§ 1 BRAO) in einem verwaltungsgerichtlichen Verfahren auch dann zu wahrheitsgemäßem Vortrag verpflichtet, wenn er sich selbst vertritt (vgl. zur prozessualen Wahrheitspflicht nur BVerwG, Urt. v. 01.03.2021 - 10 C 5.11 - BVerwGE 142, 99). Der Umstand allein, dass in einem Einzelfall zur Begründung eines Antrags unglaubhafte Sachverhaltsangaben gemacht werden, lässt das Rechtsschutzbedürfnis jedoch insbesondere dann noch nicht entfallen, wenn sich aus der gebotenen Gesamtschau des Antragsvorbringens ergibt, dass mit dem Antrag zumindest auch nicht verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden. Letzteres ist hier der Fall.
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(2) Überwiegende Erfolgsaussichten in der Hauptsache ergeben sich auch nicht aus den materiell-rechtlichen Einwänden des Antragstellers gegen § 1d Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 13 Abs. 1 Nr. 6 CoronaVO.
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(a) Ohne Erfolg macht der Antragsteller eine Verletzung seines Grundrechts auf Religionsfreiheit aus Art. 4 Abs. 1 und 2 GG geltend. Es ist bereits weder dargelegt noch sonst erkennbar, dass der Schutzbereich dieses Grundrechts eröffnet sein könnte. Es fehlt an einem glaubhaften und plausiblen Vortrag von diesbezüglichen Tatsachen.
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Art. 4 GG garantiert in Absatz 1 die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses, in Absatz 2 das Recht der ungestörten Religionsausübung. Beide Absätze enthalten ein umfassend zu verstehendes einheitliches Grundrecht. Es erstreckt sich nicht nur auf die innere Freiheit, zu glauben oder nicht zu glauben, das heißt einen Glauben zu haben, zu verschweigen, sich vom bisherigen Glauben loszusagen und einem anderen Glauben zuzuwenden, sondern auch auf die äußere Freiheit, den Glauben zu bekunden und zu verbreiten, für seinen Glauben zu werben und andere von ihrem Glauben abzuwerben. Umfasst sind damit nicht allein kultische Handlungen und die Ausübung und Beachtung religiöser Gebräuche, sondern auch die religiöse Erziehung sowie andere Äußerungsformen des religiösen und weltanschaulichen Lebens. Dazu gehört auch das Recht der Einzelnen, ihr gesamtes Verhalten an den Lehren ihres Glaubens auszurichten und dieser Überzeugung gemäß zu handeln, also glaubensgeleitet zu leben (vgl. BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015 - 1 BvR 471/10 u.a. - BVerfGE 138, 296 m.w.N.).
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Bei der Würdigung dessen, was im Einzelfall als Ausübung von Religion und Weltanschauung zu betrachten ist, darf das Selbstverständnis der jeweils betroffenen Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften und des einzelnen Grundrechtsträgers nicht außer Betracht bleiben (BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015, a.a.O.). Der Grundsatz religiös-weltanschaulicher Neutralität verwehrt es dem Staat auch, Glaube und Lehre einer Religionsgemeinschaft als solche zu bewerten. Mangels Einsicht und geeigneter Kriterien darf der neutrale Staat im Bereich genuin religiöser Fragen nichts regeln und bestimmen (BVerfG, Urt. v. 19.12.2000 - 2 BvR 1500/97 - BVerfGE 102. 370). Dies bedeutet allerdings nicht, dass jegliches Verhalten einer Person allein nach deren subjektiver Bestimmung als Ausdruck der Glaubensfreiheit angesehen werden muss. Die staatlichen Organe dürfen prüfen und entscheiden, ob hinreichend substantiiert dargelegt ist, dass sich das Verhalten tatsächlich nach geistigem Gehalt und äußerer Erscheinung in plausibler Weise dem Schutzbereich des Art. 4 GG zuordnen lässt, also tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation hat (BVerfG, Beschl. v. 27.01.2015, a.a.O.; vgl. zur „Kirche des Fliegenden Spaghettimonsters“ auch dass., Nichtannahmebeschluss v. 11.10.2018 - 1 BvR 1984/17 - juris)
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An diesen Maßstäben gemessen, ist nichts dafür vorgetragen oder sonst erkennbar, dass der Schutzbereich von Art. 4 Abs. 1 und 2 GG im vorliegenden Einzelfall eröffnet ist. Der Antragsteller hat keine Tatsachen vorgetragen, die es plausibel erscheinen lassen, dass seinen Fitnessstudiobesuchen und den dort ausgeübten Tätigkeiten wie dem Gewichtheben tatsächlich eine als religiös anzusehende Motivation zugrunde liegen könnte. Er hat zu der angeblichen Glaubensgemeinschaft der „Kirche des Bizeps“ nichts Substantiiertes vorgetragen, sondern sich im Wesentlichen auf einen Hinweis auf „diverse Äußerungen“ der „Glaubensführer“ in sozialen Medien beschränkt. Weder der vom Antragsteller andeutungsweise in Bezug genommene Facebook-Auftritt (
https://www.facebook.com/diekirchedesbizeps/) noch die Angaben auf der Website „https://die-kirche-des-bizeps.de/“ (letzter Abruf jeweils am 25.02.2021) bieten indes Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei der von dem Antragsteller in Bezug genommenen „Kirche“ um mehr als eine beim Kraftsport ansetzende Religionsparodie handeln könnte. Als solche unterfällt sie nicht dem Schutzbereich des Art. 4 Abs. 1 und 2 GG (vgl. hierzu BVerfG, Beschl. v. 11.10.2018, a.a.O.; Brbg. OLG, Urt. v. 02.08.2017 - 4 U 84/16 - juris). Keine der dort eingestellten „Himmlischen Schriften“ oder „Papyri der Bizepskirche“ lassen einen ernsthaft glaubensgeleiteten Inhalt erkennen. Sie beschränken sich im Wesentlichen auf Parodien christlicher und jüdischer Glaubenstexte (vgl. exemplarisch das „Papyrus #9“: „Und als der Herr an den Kabelzug trat, wandte er sich noch einmal an seine Jünger: ‚So wie vom Leberkäs, sollt ihr euch auch von mir eine dicke Scheibe abschneiden.‘ Dann hob er Gewicht von ochsenhaften Ausmaßen.“).