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Ein Gutachter kam laut Beschluss des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt zu dem Ergebnis, dass Inna Z. dement ist und an wahnhaften Störungen leidet. Zudem bestehen körperliche Grunderkrankungen, die einen schweren Verlauf im Falle einer Covid-19-Erkrankung begünstigen könnten. (Quelle: Telegram / Amtsgericht Stuttgart-Bad Cannstatt; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Richterin erklärte, Impfung gegen Covid-19 sei „erforderlich“ – umgesetzt wurde dies wegen einer Beschwerde bislang nicht
Zur Begründung, weshalb die Patientin geimpft werden müsse, heißt es im Beschluss: Die Durchführung der Impfung gegen Covid-19 gegen den Willen der Betroffenen sei erforderlich, um einen drohenden erheblichen gesundheitlichen Schaden von ihr abzuwenden. Weiter heißt es: „Es wurde zuvor erfolglos versucht, die Betroffene von der Notwendigkeit der ärztlichen Maßnahme zu überzeugen.“ Trotz dieser Versuche habe die Frau „keinerlei Krankheitseinsicht“, erkenne die Notwendigkeit nicht an, und sei hinsichtlich medizinischer Entscheidungen „zu keiner freien Willensbildung […] in der Lage“.
Dieser Beschluss wurde aber nicht umgesetzt. Am 12. Januar schrieb der Rechtsanwalt Holger Fischer in einem Telegram-Beitrag, er habe einen Eilantrag beim Landgericht Stuttgart im Fall Inna Z. gestellt.
Die Beschwerde brachte den Fall vor die nächste Instanz – das Landgericht Stuttgart setzte den Beschluss vorerst aus
Eine Pressesprecherin des Amtsgerichts Stuttgart-Bad Cannstatt schrieb uns am 12. Januar, Inna Z. habe Beschwerde eingelegt, woraufhin das Landgericht Stuttgart den Beschluss für die Impfung aussetzte. „Es schließt sich nun eine eingehende Prüfung der Beschwerde durch das Landgericht an. Bis dahin kann die Zwangsbehandlung nicht vollzogen werden.“ Dies betraf aber zunächst nicht die Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung.
Am 18. Januar berichtete Report24, die Ukrainerin sei „durch die Unterstützung von Helfern“ der gerichtlich angeordneten Impfung „entkommen“. Dazu war ein Video der damals 85-Jährigen zu sehen, in dem sie jedoch nicht über ihre Haltung zur Impfung spricht, sondern darüber, wie wichtig es ihr ist, weiterhin Musik machen zu dürfen.
In einer Telegram-Nachricht am 31. Januar erklärte der Anwalt von Inna Z., dass schließlich auch die zwangsweise Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung vorübergehend ausgesetzt worden sei.
Telegram-Nachricht vom Anwalt von Inna Z. zur Aussetzung der Einweisung (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Wer entscheidet, ob Menschen, die unter Betreuung stehen, geimpft werden?
Das Amtsgericht schrieb uns, dass auch Menschen, die unter Betreuung stehen, grundsätzlich selbst über medizinische Maßnahmen und ärztliche Behandlungen entscheiden dürften. Nur wenn der Patient oder die Patientin eine Maßnahme ablehnt, die der Betreuer für dringend geboten hält, kann ein Antrag auf Durchführung einer Zwangsmaßnahme gestellt werden. Vor der richterlichen Genehmigung dürfe die Maßnahme nicht durchgeführt werden, so die Pressesprecherin. Im Fall von Inna Z. sei ein „fachpsychiatrisches Gutachten zu den Voraussetzungen der Maßnahmen eingeholt“ worden und die Frau „wurde im Beisein des Verfahrenspflegers von der zuständigen Richterin in ihrer gewohnten Umgebung angehört“.
Ob eine Person grundsätzlich selbst entscheiden kann und darf, ist eine Frage der sogenannten Einwilligungsfähigkeit, wie uns ein Sprecher des Bundesjustizministeriums per E-Mail mitteilte. Streitpunkt bei Inna Z. dürfte die Frage sein, ob sie der Impfung zustimmen würde, wenn sie nicht dement wäre. „Der rechtliche Betreuer darf bei der Frage der Einwilligung in die Impfung nicht seine eigenen Wertmaßstäbe oder seine persönliche Meinung zur Grundlage seiner Entscheidung machen, sondern hat einzig und allein danach zu fragen, ob die von ihm betreute Person einer Impfung generell oder jedenfalls in diesem Fall zustimmt oder zustimmen würde“, so der Sprecher.
Report24 meint dazu: „eine Indikation einer Zwangsimpfung angesichts der offiziell beendeten Pandemie lässt sich weder medizinisch noch juristisch begründen“. Auf welcher Basis dem Gericht hier widersprochen wird, bleibt offen. Argumente liefert der Artikel nicht. Angeblich kontaktierte „medizinische Fachleute“ hätten von „Böswilligkeit“ des Gutachtens gesprochen. Wer diese Fachleute sind, bleibt im Dunkeln.
Kritik am Beschluss: Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg gibt an, dass Inna Z. schon früher gegen die Impfung war
T-Online und der Zeitungsverlag Waiblingen berichteten ebenfalls über den Fall. Eine Stellungnahme der Betreuerin von Z. bekamen beide nicht. Aber die Zeitungen berichten, dass die Entscheidung für eine Zwangsimpfung unter anderem vom Bundesverband der Berufsbetreuer/innen und von der Israelitischen Religionsgemeinschaft Württemberg kritisiert wurde.
Wie der Zeitungsverlag Waiblingen (ZVW) am 19. Januar berichtete, meldete sich auch die Israelitische Religionsgemeinschaft Württemberg zum Fall, deren Sozialabteilung offenbar öfter mit der Frau zu tun hatte. Eine Aussage von Vorstandsmitglied Mihail Rubinstein legt nahe, dass sich Inna Z. ablehnend gegenüber der Covid-19-Impfung zeigte. Er sagte laut ZVW: „Wir kennen diese Frau sehr lange, auch zu Zeiten, wo wir sagen können, dass sie sich bewusst gegen die Impfung ausgesprochen hat.“ Er selbst sei dreimal geimpft und halte das für sinnvoll, doch das sei „keine Entscheidung, die ein Gericht zu treffen hat“. Rubinstein fügte hinzu: „Dass gewisse Kreise jetzt versuchen, diesen Fall zu instrumentalisieren, und daraus Profit zu schlagen, gefällt uns überhaupt nicht.“
Der Beauftragte der Landesregierung gegen Antisemitismus, Michael Blume sagte gegenüber dem ZVW, dass es sich um einen juristisch wie auch sozial komplexen Fall handele, der „von Internetmedien ohne vorherige Nachfragen skandalisiert“ worden sei.
Laut dem Twitter-Account des Beauftragten der Landesregierung gegen Antisemitismus in Baden-Württemberg wurden infolge der Gerichtsentscheidung auch Mitarbeitende angegriffen (Quelle: Twitter; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)
Gegenüber T-Online sagte Andrea Schwin-Haumesser, Vorstandsmitglied des Bundesverbands der Berufsbetreuer/innen: „Wir haben als Verband ganz klar Stellung bezogen, dass wir eine Zwangsimpfung gegen Corona für nicht notwendig erachten.“ Eingriffe in Grundrechte seien nur dann angezeigt, „wenn der Mensch sich nicht mehr selbst schützen kann und nicht mehr einschätzen kann, was gut und wichtig für ihn ist“. Eine Impfung gegen den Willen der betreuten Person sei nach Ansicht des Bundesverbands jedoch „ganz klar“ davon ausgeschlossen.
Weshalb Impfungen gegen den Willen einer betreuten Person selten sind
Laut RKI ist eine Impfung insbesondere für ältere Menschen über 60 Jahre empfohlen, da sie ein besonders hohes Risiko für einen schweren Verlauf einer Covid-19-Erkrankung haben. 1,3 Millionen Menschen in Deutschland hatten 2021 eine rechtlich betreuende Person. Fälle wie der von Inna Z. sind jedoch eher selten, denn sie sollte gegen ihren Willen geimpft werden. Ein Sprecher des Bundesjustizministeriums schrieb uns dazu: „Impfungen gegen den erklärten Willen von dementen Personen sind keinesfalls ein alltäglicher Vorgang und werden nicht regelhaft praktiziert.“ Der Grund dafür sei, dass es relativ selten vorkomme, dass ein Betreuer einer Person trotz deren geäußerten Willens überhaupt gegen sie entscheiden darf, auch wenn sie dement ist.
Dafür müssen laut Bundesjustizministerium eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllt sein, die nur selten zusammenfallen. So muss die betreute Person etwa den Nutzen der Maßnahme entweder nicht erkennen oder nicht danach handeln können. Die Maßnahme darf auch durch keine andere Maßnahme ersetzt werden können, die dieselbe schützende Wirkung auf die Gesundheit hätte, und die Maßnahme darf nur durchgeführt werden, wenn sie dem „Willen der betreuten Person entspricht“. Demnach muss entweder eine Patientenverfügung vorliegen, oder der Betreuer muss dem vermuteten Willen der Person entsprechen.
Die Entscheidung des Amtsgerichts bleibt umstritten. Dennoch ist der Fall eines von vielen Beispielen dafür, wie die Impfgegner-Szene Einzelfälle rund um das Thema Corona-Impfungen immer wieder instrumentalisiert, aufbauscht oder irreführend verbreitet.
Redigatur: Matthias Bau, Sarah Thust