Covidi.oten und ihre Instrumentalisierung (oder sollte man sagen Missbrauch?) der/von Kinder/n.
Spoiler
Corona-Verharmloser: Vermeintlich im Namen der Kinder
Die "Eltern stehen auf"-Bewegung aus dem Umfeld der Querdenker gibt vor, für das Kindeswohl zu kämpfen – oft mit makaberen Aktionen und Falschinformationen.
Von Nicolas Wildschutz
5. Januar 2021, 18:25 Uhr 8 Kommentare
Es ist ein makaberes Bild, das Sebastian Stroh am 19. Oktober vor seiner Waldorfschule Filstal in Göppingen vorfindet. Stofftiere liegen auf dem Boden verteilt, ein Grablicht brennt. Auf die Glastür hat jemand eine Botschaft geschrieben: "Lehrer und Schulleitung haften persönlich für jedes im Unterricht umgefallene Kind. Wir jagen euch durch alle Gerichtssäle."
Stroh, Geschäftsführer der Schule, ruft den Hausmeister, der alles beseitigt. "Das war aufgebaut, als wenn jemand verstorben wäre", sagt Stroh heute, wenn man ihn am Telefon dazu befragt. Jüngere Schulkinder seien verängstigt gewesen, er habe sie beruhigen müssen.
Der Fall in Göppingen blieb nicht der einzige dieser Art. Seit etwa drei Monaten tauchen die Stofftiere immer wieder vor öffentlichen Gebäuden auf: In Sachsen vor dem Landtag. In Berlin, Hamburg, Nürnberg. Meist kritzeln die Urheber ihr Bekennerschreiben direkt mit Kreide auf den Boden, so auch in Göppingen: "Eltern stehen auf" stand da als Signatur. Dabei handelt es sich um eine Gruppe aus dem Umfeld der Querdenken-Bewegung, die wie diese die Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie kritisiert. "Eltern stehen auf" gibt vor, besonders für Kinderrechte einzutreten.
Ob hinter der Stofftier-Aktion in Göppingen tatsächlich Mitglieder von "Eltern stehen auf" stecken, wollten Vertreterinnen der Gruppe gegenüber ZEIT ONLINE weder bestätigen noch dementieren. Eine Person aus dem Vorstand, die auch einen Telegram-Kanal der Bewegung betreibt, erklärte sich zunächst zusammen mit einem weiteren Vorstandsmitglied zu einem Telefonat bereit. Doch an dem verabredeten Tag ging keine der beiden Aktivistinnen ans Telefon, mehrfache Nachfragen blieben unbeantwortet.
Über die offenen und geschlossenen Gruppen der Bewegung auf Facebook und Telegram lässt sich trotzdem ein Eindruck davon gewinnen, wie besorgte Mütter und Väter durch "Eltern stehen auf" radikalisiert werden. Im Glauben, sich für das Wohl ihrer Kinder einzusetzen, verlassen sich viele auf Falschinformationen aus rechten und rechtsextremen Quellen. Einige versuchen sogar, ihre Kinder aus der Schule abzumelden. Die Administratorinnen der Gruppen tolerieren die Verbreitung rechtsextremer Inhalte.
Wer in die Parallelwelt namens "Eltern stehen auf > Wir vertreten die Stimmen unserer Kinder" eintreten will, muss zunächst eine Art Test absolvieren. "Sind Sie gegen Masken für Kinder?", lautet die erste Frage. "Sind Sie gegen diese neue Normalität?", die zweite. Und wer auch die dritte Frage mit Ja beantwortet, hat gute Chancen, Teil der Community zu werden: "Würden Sie sich als impfkritisch bezeichnen?"
Hinter dem Test wartet eine geschlossene Facebookgruppe von mehr als 30.000 Mitgliedern, darunter auch vier Abgeordnete der AfD: Einer davon ist Petr Byston, der bereits vielfach durch seine Unterstützung der Querdenker aufgefallen ist und dessen Büro half, am 18. November eine Störerin aus dem Umfeld der Corona-Verharmloser in den Bundestag einzuschleusen. Außerdem Karsten Hilse, Ulrich Oehme und Robby Schlund, die ebenfalls Querdenken unterstützen. Schlund hielt etwa auf einer Demo im August in Berlin zwei Schilder hoch, auf denen der Virologe Christian Drosten und der SPD-Politiker Karl Lauterbach in Sträflingskleidung zu sehen waren. Darunter stand "schuldig".
Die AfD-Abgeordneten posten in der geschlossenen Facebookgruppe offenbar nicht. Andere Mitglieder, meist anscheinend Mütter und Väter, beschweren sich dort umso freimütiger über die Maßnahmen an den Schulen ihrer Kinder. Und sie bestärken sich gegenseitig in wichtigen Lebensentscheidungen. Eine Mutter beispielsweise teilt in der Gruppe einen Brief vom Jugendamt: Das Amt lädt sie zu einem Gespräch ein, geht daraus hervor – es bestehe Verdacht auf Kindeswohlgefährdung. Der Grund: Sie wollte ihre Tochter von der Schule nehmen, um sie vor dem Tragen einer Schutzmaske zu bewahren. "Es ist wirklich nicht mehr witzig, was mit Eltern gemacht wird, die nicht mit allem einverstanden sind und sich wehren", schreibt sie in Bezug auf den Brief vom Jugendamt in die Gruppe. "Jede einzelne Stelle, egal ob Schule, Gesundheitsamt oder Psychiater, alle arbeiten sie aktuell gegen die Kinder."
Die anderen Eltern bestärken sie in ihrer Empörung. Und sie raten ihr, mit noch mehr Energie gegen die Schule vorzugehen: Sie solle sich an einen Anwalt wenden – eine beliebte Strategie im Querdenken-Milieu. Ein Anwaltskollektiv namens "Masken-Task-Force" unterstützt die Bewegung dabei. Zwar sind alle Versuche, etwa die Maskenpflicht juristisch zu kippen, bislang gescheitert. Doch die Anwaltsschreiben kosten die Gegenseite Zeit und Energie.
Wie die Bewegung offenbar gezielt auch das Verhalten von Kindern und Jugendlichen mittels Falschinformationen beeinflussen will, zeigt sich in einer weiteren Aktion, die vor allem in Ortsgruppen auf dem Messenger-Dienst Telegram geplant wird: Dort verabreden sich Mitglieder, um Flyer mit Desinformation über das Coronavirus vor Schulen zu verteilen. Mehrere Landesministerien für Bildung erklärten gegenüber ZEIT ONLINE, dass in ihrem Bundesland Personen im Umfeld von Schulen solche Flyer verteilt haben. Auf ihrer Internetseite hat die "Eltern stehen auf"-Bewegung entsprechende Vorlagen hochgeladen. "Ein positiver PCR-Test ist KEIN Infektionsnachweis und zeigt nicht, ob man infiziert oder ansteckend ist!", heißt es da zum Beispiel fälschlicherweise über die Verlässlichkeit der Testungen. Die Masken könnten "zu psychischen und physischen Schädigungen" führen, behauptet ein weiterer Flyer irreführend. Das neueste Flugblatt ruft den Leser dazu auf, sich kritisch in den Kanälen von "Eltern stehen auf" mit der Covid-19-Impfung auseinanderzusetzen. Dort wiederum verlinken Mitglieder neurechte und rechtsextreme Internetseiten als Quellen, etwa das Compact-Magazin, das vom Verfassungsschutz als Verdachtsfall eingestuft wird. Oder die Epoch Times, ein beliebtes Medium bei AfD-Anhängern und Neurechten. Auch Verschwörungsideologisches teilen die Mitglieder in den Gruppen und Kanälen, darunter die QAnon-Erzählung, nach der Eliten aus dem Blut von Kindern eine verjüngende Substanz abschöpfen würden.
Eines der wichtigsten Themen aber ist ein von den Mitgliedern befürchteter "Impfzwang" – und das, obwohl die Bundesregierung mehrfach wiederholte, dass es keine Impfpflicht in Deutschland geben werde. In Videos widersprechen Personen, die sich als Experten ausgeben, den wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Impfstoff. Stattdessen behaupten sie, er könne äußerst gefährliche Nebenwirkungen haben.
Die Administratoren tolerieren diese Inhalte, wie ein Vorfall vom August zeigt. Ein Mitglied beschwerte sich im Haupt-Telegramkanal der Bewegung: Er wolle nicht in Gruppen sein, in denen Verschwörungserzählungen wie QAnon verbreitet werden. Einige Mitglieder warfen ihm daraufhin fehlende Toleranz vor. "Ich halte auch von manchem persönlich nichts, finde es dennoch gut, wenn wenigstens aufgestanden wird", sagt ein Mitglied. An QAnon sei "was Reales und was Wahres dran", schreibt eine weitere Person. Irgendwann mischte sich ein Administrator ein, der auch zu den Gründungsmitgliedern von "Eltern stehen auf" gehört. Die Organisation stehe für "Toleranz und wertschätzenden und respektvollen Umgang". Er wolle nicht dem Verdacht anheimfallen, dass etwas "zensuriert" werde. "Jeder kann frei seine Meinung äußern", schrieb der Administrator. Bis zu den Grenzen der Strafbarkeit, so könnte man diese Antwort auch interpretieren, können und sollen Mitglieder der Bewegung in den Gruppen also ihre Möglichkeiten ausreizen.
Wie schwer es ist, Einzelne aus dem Umfeld der Bewegung strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, hat Sebastian Stroh erfahren, der Geschäftsführer der Waldorfschule in Göppingen. Zunächst, sagt er, habe er Anzeige erstatten wollen – wegen der Grablichter, der Stofftiere, der unheimlichen Botschaft an der Glastür seiner Schule. Doch die Polizei wies ihn darauf hin, dass keine Sachbeschädigung vorliege. Die Kreide und die Botschaft an der Tür waren abwaschbar. Der Rest ließ sich leicht wegräumen. Die Täter waren offenbar vorsichtig vorgegangen. "Die wissen genau, wie weit sie gehen können", sagt Stroh.