Wenn Schüler selbst Fake News erstellen, dann erlernen sie die dahinetrstehenden Mechanismen und erkennen diese dann auch wieder.
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Frau Egbers, bei Demonstrationen gegen die Corona-Politik versammeln sich derzeit allerlei Verschwörungstheoretiker. Die Bundesregierung benutze Kontaktsperren nur als Vorwand, um die Bürger zu kontrollieren, heißt es unter anderem. Donald Trump verbreitet seit Längerem die Theorie, das Coronavirus sei in einem Labor in China gezüchtet worden. Warum verbreiten sich Verschwörungstheorien gerade in diesen Zeiten besonders schnell?
Julia Egbers: Eine Situation wie jetzt hat niemand von uns bisher erlebt. Wir können auf nichts Vergleichbares in unserer Erinnerung zurückgreifen, keine Präzedenzfälle. Die Krise tangiert alle in irgendeiner Form, ob gesundheitlich, privat oder wirtschaftlich. Da haben Theorien, die Emotionen hervorrufen und Ängste schüren, einen besonders guten Humus. Alles was einen berührt, lässt man leichter an sich heran.
Welche Rolle spielen soziale Medien bei der Verbreitung?
Wir haben zum einen die wissenschaftlich-objektive Seite, wie sie überwiegend in den öffentlich-rechtlichen Medien repräsentiert wird. Auf der anderen Seite schauen die Leute aber auch, was sich in den sozialen Medien findet. Fake News funktionieren, weil wir in einer Zeit der Verunsicherung leben. Das nutzen bestimmte Kreise und auch Politiker, um sich allwissend quasi als Heilsprediger aufzuspielen. Wenn sich noch nicht einmal Experten und Virologen einig sind, bleibt man schnell in der eigenen Filterblase hängen. Nach dem Motto ‚Hab ich mir doch gleich gedacht‘, bekommt die anfängliche Skepsis schnell weiteren Nährboden, wenn ich dafür anfällig bin.
Im Extremfall führen irreführende Nachrichten in diesem Bereich nicht nur zu Angst und Panik, sondern können der Gesundheit schaden, etwa, wenn Unwahrheiten zur angeblichen Vorbeugung oder Behandlung einer Infektion verbreitet werden.
Deshalb ist es wichtig, diese Thematik aktuell auch an Schulen zu behandeln. Dafür entwickeln wir Unterrichtsmodelle und bieten Schulungen für Lehrer an. Eine Unterrichtseinheit für Schüler ab Klasse 11 beschäftigt sich beispielsweise mit der Falschmeldung, dass das Trinken von Alkohol gegen Corona helfe. Die Bedeutung von digitalen Medien für die Meinungsbildung ist ein zentrales Thema.
In welchen Fächern ist ein Unterricht zu diesem Thema geeignet?
Das ist eine Querschnittsaufgabe, also interdisziplinär sinnvoll, zum Beispiel in Geschichte, Philosophie und Ethik. Es gibt in Niedersachsen beispielsweise einen Erlass der Kultusministerkonferenz für Lehrkräfte zur digitalen Bildung. Als Empfehlung werden sechs Kompetenzbereiche genannt.
Wofür müssen Schüler in den fachübergreifenden Unterrichtseinheiten und Modulen besonders sensibilisiert werden?
Eine Quellenrecherche und das Studieren des Impressums ist immer sinnvoll. Wer steckt dahinter, mit welchem Zweck werden Falschmeldungen verbreitet? Wer hat einen finanziellen Vorteil davon? Es gibt ja auch Websites mit frei erfundenen Geschichten, die aber plausibel klingen und theoretisch wahr sein könnten. Mit sogenannten Clickbaits lässt sich mit Werbung Geld verdienen, wenn die Seiten häufig aufgerufen werden.
In Ihrem Lehrbuch findet sich eine Aufgabe, bei der Schüler stilecht einen Tweet in der Art von Donald Trump verfassen...
Das kann man sich im Grunde mechanisch aneignen. Welche Worte mit Signalwirkung und welchen vereinfachten Satzbau verwendet man? Was schreibt man groß, wie viele Ausrufezeichen verwendet man? In der zweiten Aufgabenphase sollen sich die Schüler dann aber die moralische Frage stellen, ob man einen solchen Tweet auch wirklich absetzen sollte und was man damit beim Empfänger Negatives bewirken könnte.
Donald Trump bezeichnet einerseits nahezu die gesamte Medienlandschaft als Fake News, gilt aber gleichzeitig selbst als notorischer Lügner.
Mitunter behauptet er sogar, er hätte den Begriff erfunden. Dabei taucht er erstmals 1890 im Cincinnati Commercial Tribune auf, als Minister Brummell sich über die telegrafische Verbreitung von Fake News beschwert. In Deutschland wurde der Begriff „Lügenpresse“ dann wieder von rechtspopulistischen Strömungen aufgenommen. Der Begriff existiert ja bereits seit Mitte des 19. Jahrhunderts und wurde im Nationalsozialismus dann wieder verstärkt verwendet.
Eine Form dieser Fake News sind dubiose Kettenbriefe auf Whatsapp, die unter Schülern die Runde machen. In einem Fall droht ein Geistermädchen, einen des Nachts aufzusuchen, wenn man diesen Brief nicht unverzüglich weiterleitet.
Bei der Reaktion auf solche digitalen Kettenbriefe kommt es auf das Alter und den Bildungsgrad an. Grundschüler sind eventuell durch solche Nachrichten erschüttert und bekommen Angst. Jugendliche stehen da vielleicht schon drüber und tauschen sich untereinander aus. Durch diesen Austausch kann man Einschüchterungsversuche dieser Art besser einordnen. Anders, als wenn jemand eine solche Geschichte in sich hineinfrisst.
Was ist für Menschen so interessant daran, Fake News zu verbreiten?
Im Grunde ist das die klassische Situation am Lagerfeuer: Man sitzt da und erzählt eine interessante oder gruselige Geschichte. Ob die stimmt oder nicht, wird nicht weiter hinterfragt. Stattdessen wird das Erzähltalent herausgefordert, man fühlt sich interessant, wenn man eine ungewöhnliche Story weitergibt. In den Großstadtmythen wie der berühmten „Spinne in der Yuccapalme“ finden sich diese Vorläufer der Fake News zuhauf. Jeder kennt jemanden, der jemanden kennt, der eine solche Geschichte mal erlebt hat. Stories, die beispielsweise mit einem gewissen Ekel verbunden sind, merkt man sich zudem leicht.
Das Satireportal „Der Postillion“ nutzt solche erfundenen und absurden Geschichten als Geschäftsmodell. Eine Postillion-Geschichte berichtete von DHL-Kurieren, die ihre Pakete fortan nur noch zwischen 0 und 5 Uhr in der Nacht ausliefern, um auch mal jemanden anzutreffen.
Wenn man weiß, dass es den Postillion überhaupt gibt und was deren Ansatz ist, ist einem klar, dass es sich hier um Nonsens-Nachrichten handelt. Schüler verfügen aber oft nicht über diese Metaebene und müssen darüber erstmal informiert werden. Bei dieser Geschichte wird natürlich auch der Finger in die Wunde gelegt, was das typische Verpassen von DHL-Paketen betrifft. In eine ähnliche Richtung gehen Hybrid Fakes, Geschichten mit einem wahren Kern, die in eine erfundene Richtung weitergedreht werden.
Unterschätzt man Schüler nicht, wenn man ihnen diese Unterscheidung zwischen seriösen Nachrichten und Falschmeldungen nicht zutraut?
Schüler haben durchaus ein gewisses Bewusstsein für Fake News, das ist unstrittig. Die meisten kennen sich beispielsweise gut mit Photoshop aus und wissen, wie man Bilder von Gesichtern und Körpern auf Instagram und Co manipuliert. Bei politischen Manipulationen hingegen, wenn zum Beispiel bei historischen Bildern einer Konferenz eine missliebige Person herausretuschiert wird, muss man die Aufmerksamkeit oft erst noch schulen.
Das Interview führte Alexander Bösch.
Zur Person
Julia Egbers studierte in Münster und Bordeaux Latein, Geschichte und Philosophie für das gymnasiale Lehramt. Nach mehreren Auslandsaufenthalten in Ost- und Westafrika arbeitete sie bei einer Nachhaltigkeitsagentur, ehe sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin an das Institut für Pädagogik der Universität Oldenburg wechselte. Dort promoviert sie zur interkulturellen Pädagogik. Seit 2019 unterrichtet Julia Egbers an der Waldschule Schwanewede, leitet Lehrerfortbildungen und setzt sich für digitale Bildung in Schulen ein. Gebürtig aus dem südlichen Emsland, lebt sie heute in Meyenburg. Unter dem Titel „Fake News“ hat sie zusammen mit Armin Himmelrath ein Handbuch für Lehrer und Schüler verfasst.